Freitag, 15. Dezember 2017

Von den großartigen Plänen der Hohenpriester

Die hebräische Bibel beinhaltet einige Geschichten über menschliche Vorhaben, die von Gottes eigenen Plänen durchkreuzt und ad absurdum geführt werden.

In der Regel versuchen diese Erzählungen auf humorvolle Weise den Gedanken zu vermitteln, dass göttliches Walten doch allmächtiger und menschliches Bemühen dagegen vergeblich ist. Die Erzählung von Jakobs ausgeklügeltem, aber aufgrund von Gottes Segen völlig unnötigem Versuch, seinen Bruder Esau mit menschlicher List zu versöhnen (Genesis 32:8ff, 33:8) oder von Bileam und seinem Esel (Numeri 22) mögen schöne Beispiele sein.

Auch das Markusevangelium weiß von solchen Geschichten zu erzählen. Ihr Gegenstand sind die Pläne der Hohenpriester, die entweder fehlschlagen oder vom Gotteswirken überrollt werden.

Samstag, 23. September 2017

Jörg Friedrichs liest Μᾶρκος (Markus)


Mit großer Freude darf ich eine Lesung des griechischen Markusevangeliums in klassischer Aussprache präsentieren. Für den Genuss beim Zuhören ein ganz herzliches Dankeschön an Jörg Friedrichs, der hier die weiteren Kapitel hochladen wird.


Donnerstag, 14. September 2017

Mk-Einführung: Neuzeitliche Diskussionen um die Echtheit des langen Markusschlusses

Häufig wird angenommen, dass die These der Unechtheit der Verse 16:9-20 des Markusevangeliums im 19. Jahrhundert entstanden sei. Tatsächlich geht dieser Gedanke aber auf Überlegungen aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zurück und war spätestens in den 1790er Jahren „fix und fertig“. In diesem Beitrag will ich einige Stationen des Weges aufzeigen, den diese These in der Neuzeit genommen und auf dem sie sich entwickelt hat.

1) Die Ehre, der erste neuzeitliche Zweifler an der Echtheit des langen Markusschlusses gewesen zu sein, gebührt wohl Kardinal Thomas Cajetan (eigentlich Tommaso de Vio; 1469 – 1534), der vor allem durch die Anhörung Luthers auf dem Reichstag zu Augsburg 1518 bekannt ist.

Als Kenner der Kirchenväter wusste Cajetan auch um einen Brief von Hieronymus an Hedybia aus dem späten 4. Jahrhundert n.Chr., in dem Hieronymus auf die Verse 16:9-20 zu sprechen kam und deren Unterschiede zum Matthäusevangelium. Als eine Lösungsmöglichkeit schlug Hieronymus vor, diese Verse nicht zu akzeptieren, weil sie nur in wenigen Exemplaren des Markusevangeliums vorhanden seien und in nahezu allen griechischen Handschriften fehlen würden.
Cajetan, In omnes D. Pauli et ...



Kardinal Cajetan schloss hieraus, dass die Echtheit der Verse 16:9-20 fraglich sei, und plädierte dafür, dass die katholische Kirche ihre Glaubenswahrheiten nicht auf diese Bibelstellen stützen sollte. Insbesondere durch verschiedene „Widerlegungen“ wurden die Thesen Cajetans öffentlich verbreitet. 


2) Im Jahr 1516 publizierte Erasmus von Rotterdam eine kritische Ausgabe des griechischen Textes des Neuen Testaments. Es handelte sich dabei um die erste veröffentlichte Druckausgabe in griechischer Sprache, die europaweit bekannt wurde.

In den später herausgegebenen Anmerkungen zum Bibeltext erwähnte Erasmus ebenfalls das Zeugnis des Hieronymus aus dem Brief an Hedybia, ohne ausdrücklich für oder gegen die Echtheit der Verse 16:9-20 Stellung zu nehmen.

Samstag, 8. Juli 2017

Das Evangelium im Schatten von Verfolgung

Paulus auf der Flucht
1) Im 2. Korintherbrief 11:23ff beruft sich Paulus auf seine Leiden als Apostel. Mehr als andere sei er ein Diener Christi, da er weit öfter unter Verfolgung und Bedrängnis gelitten habe.

23 Sie sind Diener Christi? Ich rede wider alle Vernunft: Ich bin's weit mehr! Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin oft in Todesnöten gewesen. 24 Von Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; 25 ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. 26 Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr von meinem Volk, in Gefahr von Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern ...


2) Das Markusevangelium entwickelt ein vergleichbares Thema. Nach diesem Motiv, das sich quer durch das Evangelium zieht, steht die Verkündigung des Evangeliums unweigerlich im Schatten von Bedrängnis und Verfolgung und zieht diese nach sich. Das Thema setzt in Vers 1:14 ein, in dem Markus die Verhaftung des Täufers mit der Evangeliumsverkündigung durch Jesus verbindet.

14 Nachdem aber Johannes überantwortet wurde, kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium Gottes …

Sonntag, 18. Juni 2017

Prophezeit Jesus im Markusevangelium die Zerstörung des Tempels?

1) Aufgrund der Verse 13:1-2 scheint diese Frage allenfalls von rhetorischem Wert zu sein. Auf den zweiten Blick kann man jedoch ernsthaft ins Überlegen kommen und dem widmet sich dieser Beitrag.

In der Regel wird die Frage im Hinblick auf drei Textstellen diskutiert.

11:23 Amen, das sage ich euch: Wenn jemand zu diesem Berg sagt: Heb dich empor und stürz dich ins Meer!, und wenn er in seinem Herzen nicht zweifelt, sondern glaubt, dass geschieht, was er sagt, dann wird es geschehen.

13:1 Als Jesus den Tempel verließ, sagte einer von seinen Jüngern zu ihm: Meister, sieh, was für Steine und was für Bauten! 2 Jesus sagte zu ihm: Siehst du diese großen Bauten? Kein Stein wird auf dem andern bleiben, alles wird niedergerissen.



14:57 Einige der falschen Zeugen, die gegen ihn auftraten, behaupteten: 58 Wir haben ihn sagen hören: Ich werde diesen von Menschen erbauten Tempel niederreißen und in drei Tagen einen anderen errichten, der nicht von Menschenhand gemacht ist.


a) Es gibt zwar auch Theologen, die trotz des ausdrücklichen Hinweises auf die „falschen Zeugen“ in Markus 14:57 mutmaßen, dass der „historische Jesus“ den Satz gesagt hat, jedoch besteht im Rahmen einer getreuen Auslegung des Markusevangeliums natürlich keine Grundlage für diese Spekulation.

b) Zum Vers 11:23 wird von einigen Autoren erwogen, dass der dort angesprochene „Berg“ der Tempelberg sei und der „Sturz ins Meer“ eine Metapher für seine Zerstörung. Ich teile diese Meinung deshalb nicht, weil der Ort des „Berges“ in vielen biblischen Schriften ein mit besonderer Bedeutung versehener Ort ist. Seit Abraham, Moses und Elia steht der „Berg“ für einen Ort der Gottesnähe und der göttlichen Offenbarungen. Es muss daher m.E. jeweils geprüft werden, wie ein biblischer Autor mit diesem traditionell geprägten Thema in seiner Schrift umgeht. Auch für das Markusevangelium gilt, dass dem „Berg“ eine besondere Bedeutung zukommt. Er ist jedoch abgesehen von einer kleinen Ausnahme (Mk 5:5) thematisch stets mit den Jüngern verknüpft, so vor allem der Berg der Berufung der Zwölf, der Berg der Verklärung und der Ölberg. Im Gegensatz hierzu erwähnt Markus an keiner Stelle, dass der Tempel auf einem Berg steht.


2) Es bleiben aus meiner Sicht daher nur die Verse 13:1-2 als ernsthaft in Betracht kommende Textstelle übrig und 99,99 % aller Bibelwissenschaftler gehen davon aus, dass Jesus mit ihnen die Zerstörung des Tempels ankündigt. Das Argument dagegen stammt vom amerikanischen Gelehrten Yaron Eliav und lautet wie folgt:

Donnerstag, 1. Juni 2017

Markus 13

1) Das 13. Kapitel des Markusevangeliums scheint mir eine einzigartige jüngere Rezeptionsgeschichte aufzuweisen.

Vielleicht kann man sagen, dass sich das Hauptinteresse der historisch-kritischen Exegese an diesem Text darauf beschränkte, zwei oder drei Verse dieses Kapitels als Prophezeiung der Tempelzerstörung zu deuten und anhand dessen das Markusevangelium auf eine Zeit um 70 n.Chr. zu datieren. Den übrigen knapp 35 Versen maß man in der Regel wenig Bedeutung bei. Sie wurden entweder im Hinblick auf die Zerstörung Jerusalems interpretiert oder als bloßes apokalyptisches Schmuckwerk für unwesentlich gehalten. Hierdurch entstand eine allgemeine Meinung, nach der das 13. Kapitel vermeintlich von der Zerstörung des Tempels und der Eroberung Jerusalems im Jahr 70 n.Chr. handelt. Professor Pilhofers Vorlesung mag für diese Auffassung ein gutes Beispiel sein.

Spätestens seit den 1990er Jahren kündigte sich jedoch ein Wechsel in der Wahrnehmung der Ölbergrede an. Dabei wurde vor allem die offensichtliche Tatsache herausgestellt, dass sich der Text in der Hauptsache um etwas anderes dreht und die zentrale Prophezeiung, auf die die Rede von Jesus zuläuft, das Kommen des Menschensohnes in den Wolken und die Heimführung der Auserwählten in den Versen 26 und 27 ist. Dabei verwarfen die meisten jüngeren Kommentatoren nicht die Ansicht, dass Vers 13:2 auf die Tempelzerstörung anspielen könnte. Sie sahen in dieser Anspielung jedoch nicht mehr das Leitthema, unter dem das 13. Kapitel zu lesen ist. Vor allem simple Wahrheiten fielen dabei ins Gewicht, so etwa der Umstand, dass im gesamten Kapitel weder Jerusalem noch der eigentliche Tempel (ναός - naos) genannt wird. Der äußere Tempelbezirk mit den Vorhöfen (ἱερόν - hieron) wird zwar erwähnt, dabei wird aber von Markus nur erzählt, dass Jesus ihn verlässt (Mk 13:1) und später ihm gegenüber auf dem Ölberg sitzt (Mk 13:3). Jesus selbst spricht ausdrücklich mit keiner Silbe über ihn.

Was in zunehmendem Maß als inakzeptabel erscheint, ist die Vorstellung, dass wenige Andeutungen in drei Versen das zentrale Thema des Kapitels bilden sollen, während der ausdrückliche Inhalt von Jesus langer Rede nur unwesentliches Beiwerk darstellen soll. Für immer mehr Kommentatoren ist das in den Versen 26 und 27 prophezeite Kommen des Menschensohnes und die Sammlung der Auserwählten das eigentliche Thema des Kapitels, jener „Tag des Herrn“ von dem die Propheten der hebräischen Bibel sprachen und der nach Paulus wie ein „Dieb in der Nacht“ (1. Thessalonicher 5:2) hereinbrechen wird. Neben diesem alles umwälzenden Ereignis kommt der Tempelzerstörung allerhöchstens die Bedeutung einer - wenn auch nicht unwichtigen - Randnotiz zu.

Die Konsequenz des moderneren Verständnisses liegt darin, dass der bequeme Rückzug auf eine knappe Interpretation verschlossen ist und die gesamte Ölbergrede wieder gelesen und verstanden werden muss. Mit diesem Beitrag will ich nur einige kleine Anregungen für einen ersten Überblick geben, die meines Erachtens aus dem Aufbau des Kapitels folgen.

Freitag, 12. Mai 2017

Bedächtige Rhythmen bei Paulus

Literatur ist Geschmackssache. Man kann schlecht über sie streiten. Mich selbst aber beeindrucken vor allem vier neutestamentlicher Schriftsteller: Markus als großer Erzähler, Johannes als findiger Metaphernschmied, der 1. Petrusbrief mit seinem geschliffenen und verbindlichen Stil und Paulus.

Paulus wird häufig nur als Theologe wahrgenommen und die poetischen Stücke seiner Briefe, wie das Hohelied der Liebe oder der Philipperhymnus, als Einfügungen, die von einer anderen Hand stammen. Dabei wird meiner Meinung nach übersehen, dass Gedankenführungen bei Paulus in häufigen Fällen rhythmisch gestaltet sind.

Der Rhythmus entsteht vor allem sprachlich durch Wiederholungen von Wörtern oder einzelner Wortgruppen und gedanklich durch wiederkehrende Gegenüberstellungen und Aufzählungen sowie Untergliederungen des Textes. Ich habe dazu vier kleine Textstücke rausgesucht und sie in eine Form gesetzt, die hoffentlich das Gespür für die Rhythmik erleichtern könnte.

In Galater 1:1 sind sowohl Wortwiederholungen („Menschen“) und Gegensätze (Mensch <-> Jesus Christus) zu finden. Zudem spielt Paulus mit den griechischen Präpositionen „apo“ und „dia“, wobei die erste im Wort „Apostel“ als Vorsilbe auftaucht.

Samstag, 8. April 2017

Jenseits der „Frage nach der Auferstehung“ (Markus 12:18-27)

1) Wer sich ein wenig damit auskennt, weiß, dass die Überschriften in der Bibel nicht von den biblischen Autoren stammen, sondern von den Herausgebern moderner Bibeleditionen. Je nach Übersetzung können sie deshalb auch unterschiedlich lauten. Viele davon sind treffend und fassen die dazugehörige Schriftstelle unter einem einprägsamen Stichpunkt zusammen. Andere scheinen eher ungenau gewählt zu sein. Meines Erachtens ist Markus 12:18ff für letztere ein Beispiel. Luther, Elberfelder und Schlachter 2000 haben diesem Abschnitt die Überschrift „Die Frage nach der Auferstehung“ gegeben. In der Einheitsübersetzung und der Neuen Genfer lautet sie: „Die Frage nach der Auferstehung der Toten“. Manche große Übersetzungen formulieren als Fragestellung wie die Gute Nachricht: „Werden die Toten auferstehen?

Mose am Dornbusch
Mir scheinen diese Überschriften eher verfehlt, weil eine „Frage nach der Auferstehung“ in Markus 12:18ff nicht gestellt wird. Die Frage der Sadduzäer an Jesus lautet sinngemäß: „Von welchem Bruder wird sie in der Aufstehung die Frau sein?“ Es handelt sich dabei um eine Frage nach der Zugehörigkeit zu einem Ehepartner.

Ungeachtet dessen widmet sich die gänzlich überwiegende Mehrheit der Gelehrten ebenfalls dieser angeblichen Auferstehungsfrage, sobald der Textabschnitt erörtert wird. Vor einigen Jahren wurde an einer theologischen Fakultät sogar eine Seminararbeit zu dem Thema „Die Frage der Sadduzäer nach der Auferstehung (Mk 12,18-27)“ ausgegeben, in der dann auch behauptet wird: „So ergeht es auch den Sadduzäern, die in Mk 12,18-27 die Frage nach der Auferstehung, die in jener Zeit durchaus umstritten war, stellen.“ Nö, machen sie eben nicht, möchte man entgegnen, würde damit aber auf nahezu verlorenem Posten stehen.


2) Ich habe ein paar Mutmaßungen über dieses Desinteresse am Evangeliumstext angestellt und glaube, dass drei Gründe dafür ausschlaggebend sein könnten.

Mittwoch, 1. März 2017

Rezension zu Stefan Lücking: „Mimesis der Verachteten“

1) Im vergangenen Jahrhundert herrschte – wie Stefan Lücking sagen würde – „ein rein historisches Interesse an den biblischen Texten vor. Sie wurden nach der historischen ‚Welt hinter dem Text’ befragt, sei es derjenigen der frühchristlichen Gemeinden oder der des ‚Lebens Jesu’“. Büchern, die diesem Interesse und dem, was damals als wichtig und wesentlich galt, nicht gerecht wurden, blieben Wahrnehmung und Anerkennung häufig versagt. Man meinte, dass sie das eigentliche Thema verfehlt hätten. Unter diesen wenig beachteten Arbeiten findet sich auch ein kleines Meisterwerk: Stefan Lückings „Mimesis der Verachteten“.

Wie der Untertitel besagt, handelt es sich bei dieser Monografie um eine „Studie zur Erzählweise von Mk 14:1-11“ (dem „Verrat des Judas“ und der „Salbung von Bethanien“). Obwohl es vor 25 Jahren geschrieben wurde, zählt es noch heute zu den exaktesten Analysen dieses Evangeliumabschnitts. Das Buch unternimmt aber weit mehr. Lücking hält den Leser an, diese Verse aus einer bestimmmten Perspektive in den Blick zu nehmen. Es ist die Sicht der griechisch-römischen Antike auf die Art und Weise der literarischen Darstellung, wie sie vor allem durch die Philosophen Platon und Aristoteles begründet wurde und sich in den Tragödien und Epen jener Epoche widerspiegelte.

In welchem Verhältnis steht das Markusevangelium zur Literatur der griechisch-römischen Antike? Und was für eine Art von Literatur stellt es dar? Marius Reiser meinte einst, es handele sich bei der markinischen Erzählung um „hellenistische Volksliteratur“, Eve-Marie Becker ordnete es der heidnischen Geschichtsschreibung zu, Klaus Berger sah darin vor allem eine Art antike griechische Biografie.

Gegen diese beruhigenden Einordnungen zeigt Lücking, dass das Markusevangelium in mehrfacher Hinsicht mit den Eigenheiten der hellenistischen Literatur brach und sich von ihr entschieden absetzte. Für die Welt der griechisch-römischen Literatur war die Erzählung von Markus nicht nur inhaltlich, sondern vor allem auch in der Art und Weise des Erzählens etwas Neues, Fremdes und Unerhörtes.

Montag, 30. Januar 2017

Annales 15.44: Tacitus über Christus


1) Gelehrte, die in den vergangenen 250 Jahren über Tacitus und das frühe Christentum schrieben, teilten in der Regel zumindest einen von zwei Beweggründen. Sie forschten über den „historischen Jesus“ und/oder die „Neronische Christenverfolgung“. Meist leitete sie ein starker Erkenntnisoptimismus. Ihre Interpretationen gingen zwar oft weit auseinander, aber jeder war überzeugt, dass die seine der Wahrheit nahe kommt.

Mein eigenes Interesse an Tacitus und den sogenannten „Außerchristlichen antiken Quellen zu Jesus“ ist eher bescheiden. Ich würde lediglich gern wissen, ab welchem Zeitpunkt ein nichtchristlicher Autor von den – sagen wir - „Berichten über Jesus“ Kenntnis besaß. Dabei neige ich eher zum Skeptizismus. Mit Ausnahme der Tacitus-Stelle halte ich es eher für wahrscheinlich, dass die „außerbiblischen Belege“ zu Jesus gefälscht oder nicht relevant sind.

Mir scheint auch, dass der Bericht von Publius Cornelius Tacitus gewisse Eigenheiten aufweist, deren sachgerechte Interpretation einem echten Tacitus-Kenner vorbehalten bleiben sollte. Ungeachtet dessen will ich versuchen, einige alte und fast vergessene „Wahrheiten“ über die Christus-Stelle von Tacitus neu zu formulieren.


2) Die Überlieferung des Textes

Die Christus-Stelle findet sich um 15. Buch der „Annalen“ des Tacitus. Wie sein Vorläufer, die „Historien“, wäre dieses antike Geschichtswerk fast verloren gegangen. Es ist in lediglich zwei Handschriften überliefert, deren eine die Bücher 1-6 und deren andere die Bücher 11-16, beide teils mit Lücken, wiedergeben. Alle weiteren erhaltenen Manuskripte gehen auf diese zwei Handschriften zurück, die nach ihrer Auffindung in der Zeit der Renaissance von der berühmten italienischen Familie der Medici erworben wurden und sich in deren nachgelassener Bibliothek in Florenz befinden (Biblioteca Medicea Laurenziana). Es handelt sich dabei um die
Mediceus I

1. Handschrift: Sie enthält die Bücher 1-6 der Annalen
Plut.68.1, Codex Laurentianus Mediceus 68.1., um 850 wohl in Fulda geschrieben, karolingische Minuskelschrift

Mediceus II
2.Handschrift: Sie enthält die Bücher 11-16 der Annalen und die Historien
Plut.68.2, Codex Laurentianus Mediceus 68.2., wohl um 1050 in Monte Cassino geschrieben, beneventanische Minuskelschrift