1)
Gelehrte, die in den vergangenen 250 Jahren über Tacitus und das frühe
Christentum schrieben, teilten in der Regel zumindest einen von zwei
Beweggründen. Sie forschten über den „historischen Jesus“ und/oder die
„Neronische Christenverfolgung“. Meist leitete sie ein starker
Erkenntnisoptimismus. Ihre Interpretationen gingen zwar oft weit
auseinander, aber jeder war überzeugt, dass die seine der Wahrheit nahe
kommt.
Mein
eigenes Interesse an Tacitus und den sogenannten „Außerchristlichen antiken Quellen zu Jesus“ ist eher bescheiden. Ich würde lediglich gern
wissen, ab welchem Zeitpunkt ein nichtchristlicher Autor von den – sagen
wir - „Berichten über Jesus“ Kenntnis besaß. Dabei neige ich eher zum
Skeptizismus. Mit Ausnahme der Tacitus-Stelle halte ich es eher für
wahrscheinlich, dass die „außerbiblischen Belege“ zu Jesus gefälscht
oder nicht relevant sind.
Mir
scheint auch, dass der Bericht von Publius Cornelius Tacitus gewisse
Eigenheiten aufweist, deren sachgerechte Interpretation einem echten
Tacitus-Kenner vorbehalten bleiben sollte. Ungeachtet dessen will ich
versuchen, einige alte und fast vergessene „Wahrheiten“ über die
Christus-Stelle von Tacitus neu zu formulieren.
2) Die Überlieferung des Textes
Die
Christus-Stelle findet sich um 15. Buch der „Annalen“ des Tacitus. Wie
sein Vorläufer, die „Historien“, wäre dieses antike Geschichtswerk fast
verloren gegangen. Es ist in lediglich zwei Handschriften überliefert,
deren eine die Bücher 1-6 und deren andere die Bücher 11-16, beide teils
mit Lücken, wiedergeben. Alle weiteren erhaltenen Manuskripte gehen auf
diese zwei Handschriften zurück, die nach ihrer Auffindung in der Zeit
der Renaissance von der berühmten italienischen Familie der Medici
erworben wurden und sich in deren nachgelassener Bibliothek in Florenz
befinden (Biblioteca Medicea Laurenziana). Es handelt sich dabei um die
1. Handschrift: Sie enthält die Bücher 1-6 der Annalen
Plut.68.1, Codex Laurentianus Mediceus 68.1., um 850 wohl in Fulda geschrieben, karolingische Minuskelschrift
Plut.68.2, Codex Laurentianus Mediceus 68.2., wohl um 1050 in Monte Cassino geschrieben, beneventanische Minuskelschrift
3) Textkritik
Ein
Wort auf der Vorderseite des 38. Blattes ist nachträglich manipuliert
worden. Es handelt sich dabei um das Wort für „Christen“. Ursprünglich
hatte der mittelalterliche Schreiber der Handschrift das Wort
„chrestianios“ geschrieben, das nachträglich durch Manipulation des „e“
zu einem „i“ in „christianios“ verändert wurde. Dieses „e“ wurde durch
eine Ultraviolett-Photographie von Donato Pineider sichtbar gemacht.
Aber
auch mit bloßem Auge sind Hinweise auf die Manipulation zu erkennen.
Zum einen ist der Buchstabenabstand zwischen dem „i“ und dem „s“
in
„christianos“ unnormal groß. Zum anderen ist die Buchstabenverbindung „ri“ in
„christianos“ nicht in der typischen Ligatur der beneventanischen
Minuskelschrift geschrieben. Von einer Ligatur (Verschmelzung) spricht
man, wenn sich für eine Buchstabenverbindung ein eigenes Schriftzeichen
oder gar ein neuer Buchstabe herausbildet. Bekannte Beispiele sind etwa
das „ß“, das sich wohl aus langem „s“ und „z“ entwickelte, oder das „w“,
dass ursprünglich aus zwei „u“ hervorging, was im Englischen noch am
Namen "double u" ersichtlich ist. Die Beneventana weist eine solche
Ligatur auch für die Buchstabenverbindung „ri“ aus, in der das „i“ eher
wie ein stumpfwinkeliges „>“ mit tiefauslaufendem unterem Schrägstich
geschrieben wird. In der Abbildung kann man dies deutlich bei den
Worten „christus“ und „Tyberio“ im Unterschied zum Wort „christianos“
beobachten.
4) Die literarische Form
Vielleicht
vergessen moderne Historiker und Theologen zu oft, dass jeder antike
Gelehrte zugleich ein Rhetor war, und messen daher der literarischen
Form der Darstellung von Tacitus kaum Beachtung bei. Im 19. Jahrhundert
war dies noch anders. Meines Wissens ist es das Verdienst von Carl
Franklin Arnold (1853-1927), auf die chiastische Struktur der
Christus-Stelle hingewiesen zu haben. Als „Lateiner“ ging Arnold
freilich von einem sprachlichen Chiasmus aus, der auch das
Hauptaugenmerk von Robert Benson Steele in seinem 1891 erschienen Werk
„Chiasmus in Sallust, Caesar, Tacitus and Justinus“ bildete.
Dem
Kenner biblischer Chiasmen sollte es freilich nicht schwer fallen, im
Bericht von Tacitus nicht nur einen sprachlichen, sondern auch einen
narrativen Chiasmus zu erkennen. Ich habe ihn wie folgt nachgebaut.
A - Um also dieses Gerücht niederzuschlagen,
B - ...... schob Nero die Schuld auf andere
C - ............ und belegte mit den ausgesuchtesten Strafen
D - ....................... jene Menschen, die wegen ihrer Schandtaten verhasst waren
E - ................................ und die das Volk Christen nannte.
E’ - ................................ Ihr Namensgeber, Christus, war unter der Regierung des Tiberius
...................................... durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden.
D'- ....................... Für kurze Zeit war jene heillose Schwärmerei dadurch unterdrückt,
............................ brach aber aufs Neue aus, nicht allein in Judäa, von wo das Unheil
............................ ausgegangen war, sondern auch in der Hauptstadt, in die von überallher
............................ alle Gräuel und Schändlichkeiten zusammenströmen und Anklang finden.
C'- ............. Daher wurden zuerst diejenigen ergriffen, die Geständnisse ablegten,
.................. sodann auf ihre Angabe hin eine gewaltige Menge Menschen, die weniger
.................. wegen der ihnen zur Last gelegten Brandstiftung als wegen ihres allgemeinen
.................. Menschenhasses als überführt galten. Mit denen, die zum Tod bestimmt waren,
.................. trieb man Hohn: in Felle wilder Tiere eingenäht wurden sie von Hunden
.................. zerfleischt oder mussten ans Kreuz geschlagen und angezündet nach
.................. Einbruch der Dunkelheit als nächtliche Beleuchtung brennen.
B'- ...... Seine eigenen Gärten hatte Nero zu diesem Schaustück hergegeben, und gab ein
........... Zirkusspiel, wobei er sich im Kostüm eines Wagenlenkers unter das Volk mischte
........... oder auf dem Wagen stand.
A'- So strafbar daher auch jene Menschen waren und so sehr sie die äußersten Strafen
..... verdient hatten, regte sich doch Mitleid, weil sie nicht dem Nutzen der Allgemeinheit,
..... sondern der Grausamkeit eines einzigen geopfert würden.
Meinem
Eindruck nach sind die Entsprechungen in den B-, C-, D- und E-Klauseln
so offensichtlich, dass man seinen Augen ruhig trauen darf.
5) Fälschungs- und Interpolationshypothesen
Neben
der klar dominierenden Mehrheit der Gelehrten, die die Christus-Stelle für echt hält,
bestehen einige wenige Mindermeinungen. Die bekannteste
Unechtheits-These lautet, dass die Annalen des Tacitus insgesamt eine
Fälschung aus dem 15. Jahrhundert durch Poggio Bracciolini seien. Von
anderen wird hingegen angenommen, dass es sich um eine antike
christliche Interpolation in Anlehnung an Sulpicius Severus handeln
würde.
5.1) Zur These einer Fälschung im 15. Jahrhundert durch Poggio Bracciolini
Poggio Bracciolini |
Diese
Annahme übersieht zweierlei. Zum einen wissen wir viele kleine Details
der römischen Geschichte nur aus den Annalen von Tacitus (z.B. Namen)
und späteren archäologischen Funden, die Bracciolini und Niccoli noch
nicht kennen konnten. Ein schönes Beispiel: In den 1980er Jahren wurden
in Andalusien antike Bronzetafeln mit einem Urteil des römischen Senats
aus dem Jahr 20 n.Chr. gefunden, das sogenannte „Senatus consultum de Gnaeo Pisone patre”. Diese Abschrift des Senatsurteils bestätigt viele
nur von Tacitus überlieferte Einzelheiten, zeigt aber auch dessen
subjektive Geschichtsdarstellung.
Zum
anderen ist belegt, dass der durch das „Dekameron“ berühmte
Schriftsteller Giovanni Boccaccio mehrmals Monte Cassino besuchte und das Manuskript von Tacitus kannte. In seinem 1361 geschriebenen Werk
„Von berühmten Frauen“ beschrieb Boccaccio die Römerinnen Agrippina die
Jüngere, Poppea Sabina, Pompeia Paulina, Epicharis und Triaria und
wertete dafür die Bücher 12-16 der Annalen des Tacitus aus. Teilweise
hielt er sich wortnah an den Bericht von Tacitus oder umschrieb ihn,
teilweise fügte er moralische Betrachtungen hinzu. All dies etwa 60
Jahre vor der angeblichen Fälschung durch Poggio Bracciolini.
5.2) Zur These einer Interpolation in der Nachfolge von Sulpicius Severus
Anfang
des 5. Jahrhunderts schrieb der christliche Chronist Sulpicius Severus
in seiner Weltgeschichte (Chron 2:29): „Den Haß wegen des Brandes wälzte
Nero auf die Christen und ließ Unschuldige foltern und hinrichten und
erließ Gesetze, welche diese Religion verboten, und durch seine Edikte
ward es verboten, ein Christ zu sein.“ Die Interpolationsthese geht
davon aus, dass Sulpicius Severus erstmals die Themen des großen Brandes
in Rom und die Christenverfolgung unter Nero thematisch miteinander
verbunden habe und dies als Interpolation nachträglich in Tacitus
eingefügt worden sei.
Bei
dieser Annahme wird übersehen, dass bereits im 11. Brief des im 4.
Jahrhundert erfundenen pseudepigrafischen Briefwechsels zwischen Seneca und Paulus auf den Brand und die Christenverfolgung mit hinreichender
Deutlichkeit angespielt wird. Der um das Jahr 403 schreibende Sulpicius
Severus scheidet daher als „Erfinder“ aus.
6) Stil und Sichtweise von Tacitus
Meines
Erachtens zeigt die stilistische Analyse, dass die Christus-Stelle mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit authentisch ist und
vernünftige Zweifel an der Autorschaft von Tacitus nicht bestehen. Ich
mag dies an einigen Beispielen illustrieren. Daher zunächst noch einmal
der zentrale Kernsatz auch in Latein.
auctor nominis eius Christus Tiberio imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio adfectus erat
Urheber
dieses Namens, Christus, (wurde,) als Tiberius regierend war, durch den
Prokurator Pontius Pilatus mit Hinrichtung belegt
6.1) Wortwahl
Ich gebe hier zunächst einzelne Wortverbindungen der Christus-Stelle wieder und Beispiele aus anderen Stellen der Annalen.
„...Tiberio imperitante” (als Tiberius regierend war)
Annales
3,24: „... Tiberio imperitante”; Annales 4,62: „... imperitante
Tiberio”; Annales 13,32: „... imperitante Claudio”; Annales 13,42:
„... imperitante Claudio”
„... per procuratorem Pontium Pilatum” (durch den Prokurator Pontius Pilatus)
Annales 12,21: „... per Iunium Cilonem, procuratorem Ponti” (durch Junius Cilo, den Prokurator von Pontus)
„...supplicio adfectus erat” (mit Hinrichtung belegt)
Annales 5,9: „... supplicio adfici virginem” (mit Hinrichtung belegte Jungfrau)
Die Wortwahl entspricht damit derjenigen von Tacitus.
6.2) Gedankenführung und Wortwahl
a)
Beispiel für die Verurteilung eines Urhebers, Anstifters, Rädelsführers
durch eine römische Autoritätsperson mit Nennung von Namen und Titel
Annales
15,44: Christus, der „Urheber des Namens (auctor nominis)“ und des von
„Judäa ausgehenden Unheils“, wird vom „Prokurator Pontius Pilatus“
hingerichtet.
Annales
4,27: Der durch den „Urheber des Aufruhrs (auctor tumultis)“ T.
Curtisius entfachte Sklavenaufstand wird zunächst vom „Quästor Curtius
Lupus“ niedergeschlagen, alsdann wird der Rädelsführer durch den
„Prätorianertribun Staius“ nach Rom gebracht und dort zur Rechenschaft
gezogen.
b) Beispiel dafür, wie durch eine „Hinrichtung“ etwas kurzzeitig „unterdrückt“ werden kann, aber alsdann wieder ausbricht
Annales
15,44: „Ihr Namensgeber, Christus, war unter der Regierung des
Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus mit der Hinrichtung
(supplicio) belegt worden. Für kurze Zeit war jene heillose Schwärmerei
dadurch unterdrückt (repressaque), brach aber aufs Neue aus, nicht
allein in Judäa, …“
Annales
1,38: „Mittlerweile aber begannen im Chaukerland die dort als
Besatzung liegenden Reservetruppen … auch eine Empörung. Durch die
augenblickliche Hinrichtung (supplicio) zweier Soldaten wurde sie eine
Weile unterdrückt (repressi). … Als später der Aufruhr neu aufwogte …“
Insbesondere das letzte Beispiel scheint mir persönlich ein stilistischer „Fingerabdruck“ von Tacitus zu sein.
6.3) Die persönliche Sichtweise von Tacitus
a) Beispiele für Tacitus’ Nero-Bild
Dass
das Nero-Bild in Annales 15,44 grundsätzlich der Haltung von Tacitus
gegenüber Nero entspricht, bedarf kaum der Erwähnung. Ich möchte deshalb
nur auf eine kleine Einzelheit eingehen: Tacitus beschreibt mehrfach,
dass Nero Furcht vor der öffentlichen Volksstimmung hat und aus dieser
Furcht heraus agiert.
Annales
15,44: „Doch keine menschlichen Vorkehrungen, keine Freigebigkeit des
Fürsten oder Sühne der Götter konnte die Schmach entfernen, dass man
glaubte, der Brand sei auf Befehl gelegt worden. Um also dieses Gerücht
niederzuschlagen, schob Nero die Schuld auf andere und belegte mit den
ausgesuchtesten Strafen jene Menschen, die das Volk wegen ihrer
Schandtaten hasste und Christen nannte.“
Annales
14,12: „Ihm, der in den Städten Campaniens zögert, ängstlich, wie er in
Rom einzöge, ob er Fügsamkeit des Senates, Liebe des Volkes fände?“
Annales
14,60: „Daher häufige und nicht heimliche Klagen im Volke, das weniger
Überlegung und bei der Beschränkheit seines Glückes weniger Gefahr hat.
Nero, hierdurch bewegt, rief, als ob er die Schandtat bereue, die
Gemahlin Octavia zurück.“
b) Beispiel für Tacitus’ strenge Moralurteile über die römische Gesellschaft
Annales
15,44: „… sondern auch in der Hauptstadt, in die von überallher alle
Gräuel und Schändlichkeiten zusammenströmen und Anklang finden.“
Annales
14,12: „Von nun an nahmen Schandtaten und Ehrlosigkeit zu – und nie hat
eine Menschenhefe ihre längst verderbten Sitten mehr mit Lüsten
umgeben.“
c) Beispiel für Tacitus’ religiöse Intoleranz
Annales
15,44: „…jene Menschen, die das Volk wegen ihrer Schandtaten hasste und
Christen nannte … war jene heillose Schwärmerei dadurch unterdrückt …
alle Gräuel und Schändlichkeiten … wegen ihres allgemeinen
Menschenhasses als überführt galten … So strafbar daher auch jene
Menschen waren und so sehr sie die äußersten Strafen verdient hatten …“
Historien
5,5: „Diese Kultbräuche, auf welche Weise auch immer eingeführt, werden
durch ihr hohes Alter gerechtfertigt: die übrigen Einrichtungen,
unsinnig und abstoßend, kamen zur Geltung eben wegen ihrer
Abscheulichkeit. Denn überall waren es gerade die übelsten Elemente, die
ihren Väterglauben aufgaben und Tempelabgaben und Spenden dort
zusammenhäuften; daher wuchs die Macht der Juden, und auch deshalb, weil
unter ihnen unverbrüchliehe Treue waltet und hilfsbereites Mitleid,
gegen alle anderen aber feindseliger Haß.“
7) Probleme der Christus-Stelle
Der
Bericht von Tacitus wirft einige Verständnisprobleme auf. Sie beginnen
mit seiner Behauptung, dass „eine gewaltige Menge“ von Christen
hingerichtet worden sei. Gewöhnlich geht man eher davon aus, dass die
christliche Gemeinde in Rom zur Zeit von Nero zahlenmäßig noch
überschaubar war. Berühmt ist auch der Umstand, dass die Bezeichnung des
Präfekten Pontius Pilatus als „Prokurator“ wohl anachronistisch ist und
der Zeit von Tacitus angehört.
Diese
Probleme sind jedoch keine der Autorschaft, sondern der Verlässlichkeit
der Quellen und ihrer Auswertung durch Tacitus. Auch ob das Wissen von
Tacitus über „Christus“ auf römischen Quellen beruht oder letztlich nur
auf einen Evangelienbericht zurückgeht, ist unbekannt. Weder das eine
noch das andere kann mit Gewissheit behauptet werden.
8)
Für mich selbst steht nur fest, dass um das Jahr 115 n.Chr., zur Zeit
der Abfassung der Annalen, dem römischen Historiker Cornelius Tacitus
Berichte über einen Christus bekannt waren, der in Judäa eine religiöse
Bewegung initiierte und von Pontius Pilatus hingerichtet wurde.
Den
meisten mag diese Schlussfolgerung banal und unzureichend erscheinen.
Wenn man jedoch die Echtheit oder Relevanz der anderen
„Außerchristlichen antiken Quellen zu Jesus“ eher bezweifelt und die
Datierung der Evangelien als nicht so unproblematisch ansieht wie die
herrschende Meinung, gewinnt die Christus-Stelle bei Tacitus eine
herausragende Bedeutung. Keine historische „Tatsache“ in der Geschichte
des Urchristentums steht auf einem unzweifelhafteren Fundament.
Das sind sehr interessante Hinweise und Anregungen hinsichtlich des Stils von Tacitus.
AntwortenLöschenBedenken sollte man dann aber GERADE, dass der Übergang von Annales 15,44 zu 45 sehr "holprig" und eines Tacitus fast schon unwürdig ist.
Vor Annales 15,44 wird im Detail über Neros Anordnung von neuen Bauten berichtet.
Sogar die Auswirkung der Bauten auf das Kleinklima und die Erträglichkeit der Hitze wird beschrieben:
"...at nunc patulam latitudinem et nulla umbra defensam graviore aestu ardescere."
Nach (!) Annales 15,44 folgt dann mittels "interea" die Schilderung der Finanzierungsquellen des kostspieligen Neu- und Umbaus Roms.
"Interea conferendis pecuniis pervastata Italia, provinciae eversae sociique populi et, quae civitatium liberae vocantur."
Dieses stilistisch unlogische Adverbium ist für mich ein klarer Hinweis, dass Annales 15,44 komplett eingeschoben sein könnte.
Denn (für Nichtlateiner) "inzwischen, unterdessen" schriebe ein gebildeter Rhetor wohl kaum, um den Übergang von der grausamen Christenverfogung zur Tatsache der Ausplünderung von Provinzen und Tempeln stilistisch zu gestalten.
Danke für den Kommentar, Marcus Johannes. Der Gedankengang ist absolut nachvollziehbar, trifft aber meines Erachtens letztlich nicht zu. Gerade dieses "Interea" ist nämlich auch typisch taciteisch. Hier mal einige Vergleichsstellen: Annales 1,20: "Interea manipuli ..."; 1,33: "Interea Germanico ..."; 1,39: "Interea legati ..."; 4,51: "Interea barbari ..."; 6,16: "Interea magna ..."; 11,22: "Interea Romae ..."; 12,18: "Interea Mithridates ..."; 15,1: "Interea rex Parthorum ..."; 16,4: "Interea senatus ...".
LöschenBevor ich den Beitrag schrieb, habe ich das alles rauf und runter geprüft und war selbst davon überrascht, wie wirklich eindeutig Annales 15.44 im Stil und der Sichtweise von Tacitus geschrieben ist.
Noch so viele „ typische“ Stilmerkmale belegen nicht zweifelsfrei die Authentizität der zweiten Handschrift aus dem 11.Jahrhundert. Die mittelalterlichen Pseudepigraphen waren mit den Eigenheiten ihrer antiken Vorlagen eben so tief vertraut, wie wir das heute gar nicht mehr nachvollziehen können. Ein Kloster wie Monte Cassino darf überdies als ideologische Zentrale der damaligen Christenheit mit einem entsprechenden leitenden Interesse ausgestattet betrachtet werden, noch dazu 800 Jahre nach Tacitus, also wenn die Verfertigung einer solchen Handschrift ohne christentumsfreundliche Gestaltung eines solchen Textes geschehen sein soll…
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