Donnerstag, 25. September 2014

Mk 8,24: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen


1) Um mich der Gestalt des blinden Bartimäus anzunähern, beginne ich mit der ersten „Blinden“-Heilung, die eine der dunkelsten und geheimnisvollsten Begebenheiten im Markusevangelium ist. Eingangs einige Beobachtungen:
via shelaughs.org

Die Szene Mk 8,22ff spielt in Bethsaida. Jesus hatte die Jünger bereits in Mk 6,45 „angetrieben“, ohne ihn über das „Meer“ nach Bethsaida überzusetzen. Wegen eines „Windes“ kamen die Jünger (immerhin geübte Fischer) aber vom Kurs ab und landeten in Genessaret an. In Mk 8,13 soll es erneut „hinüber“ gehen, aber die Jünger diskutieren, dass sie „kein Brot“ dabei hätten. Jesus wirft ihnen nun vor, dass sie ihr Herz „versteinerten“ (πεπωρωμένην). Es erscheint überlegenswert, ob die Jünger etwa absichtlich nicht nach Bethsaida wollen.

In Bethsaida bringt man einen Blinden zu Jesus mit der Bitte, diesen „anzurühren“. Jesus wird ihn jedoch nicht „anrühren“, sondern ihm die „Hände auflegen“. Bei der Heilung des Taubstummen in Mk 7,31ff war es umgekehrt. Die Leute baten, dass Jesus ihm die „Hände auflege“, aber Jesus „rührte an“ seine Zunge.

Jesus führt den Blinden aus Bethsaida heraus, nachdem er seine Hand ergriffen hat. Er fragt ihn, ob er etwas erblicke, nachdem er ihm in die Augen (ὄμματα - ommata) gespuckt (moderne Übersetzungen vermeiden es gern, dies deutlich zu machen; lobenswert die „Offene Bibel“) und die Hände aufgelegt hat. Eine Vielzahl von Kommentatoren geht davon aus, dass das Wegführen aus Bethsaida dazu dient, die Heilung nicht öffentlich vor Publikum geschehen zu lassen. Dagegen legt Mk 8,26 („Geh nicht hinein in das Dorf“) aber nahe, dass mit Bethsaida an sich „etwas nicht stimmt“.

Die Reaktion des Blinden auf Jesus´ Frage ist wörtlich wie folgt beschrieben:
καὶ ἀναβλέψας ἔλεγεν Βλέπω τοὺς ἀνθρώπους ὅτι ὡς δένδρα ὁρῶ περιπατοῦντας
und aufblickend (er) sagte (Ich) erblicke die Menschen dass wie Bäume (ich) sehe (sie) umhergehen

Jesus legt seine Hände erneut auf die Augen (ὀφθαλμοὺς - ophthalmous) des Blinden, der alsdann „durchblickt“, wiederhergestellt ist und alles "fernsichtig" (so wörtlich τηλαυγῶς – télaugós) anblickt.

Donnerstag, 18. September 2014

„Minor agreements“ und die Logienquelle Q


via wikimedia
Bei meiner Beschäftigung mit dem Abjatar-Problem und aufgrund meiner Schwierigkeiten, den logischen Sinn des Gedankengangs in Mk 2,23-28 zu erfassen, habe ich auch die Parallelstellen bei Matthäus und Lukas sorgfältig gelesen. Dabei tauchte als Randgedanke die Frage auf, in welchem Verhältnis die drei Texte zueinander stehen, wer also von wem „abgeschrieben“ hat. Besonders in der deutschen Bibelwissenschaft herrscht die sogenannte Zweiquellentheorie vor, nach der Matthäus und Lukas (unabhängig von ihrem Sondergut) zwei Quellen benutzten, nämlich das Markusevangelium und ein hypothetisches Dokument, das unter dem Begriff „Logienquelle Q“ bekannt ist.

Der Grund für diese These besteht zum einen in der Vielzahl der wortwörtlichen Übereinstimmungen zwischen den drei Evangelisten, die nur bei einem „Abschreiben“ aus dem Markusevangelium denkbar sind. Neben den „Übernahmen“ aus dem Markusevangelium gibt es zwischen Matthäus und Lukas aber viele weitere wortwörtliche Gemeinsamkeiten in Szenen, die im Markusevangelium nicht enthalten sind und die ebenfalls nahelegen könnten, dass einer der beiden vom anderen „abgespickt“ hat (z.B. Bergpredigt bei Matthäus und Feldrede bei Lukas). Aus mehreren und durchaus gewichtigen Gründen verneint die Zweiquellentheorie jedoch ein solches Abschreiben im Verhältnis zwischen Matthäus und Lukas. Sie geht vielmehr davon aus, dass weder Matthäus das Lukasevangelium noch Lukas das Matthäusevangelium kannte, sondern dass beide unabhängig voneinander von einem anderen Dokument, eben der Logienquelle Q, abgeschrieben haben.

Der gewichtigste Einwand gegen die Zweiquellentheorie sind die sogenannten „minor agreements“. Dabei handelt es sich um wortwörtliche Übereinstimmungen von Matthäus und Lukas bei der Übernahme von Szenen aus dem Markusevangelium, die beide in genau gleicher Weise von Markus abweichen. Der Gedanke ist folgender: Wenn Matthäus oder Lukas von Markus abschreiben, mögen sie auch einmal den Wortlaut von Markus abändern, etwas weglassen oder hinzufügen. Diese Abänderungen dürften jedoch – von zufälligen Ausnahmen und wenigen nachträglichen Harmonisierungen in der Überlieferung abgesehen – bei Matthäus und Lukas nie gleich sein, wenn keiner der beiden den anderen kannte. Wenn also Markus „A“ sagt und Matthäus ihn leicht zu „A²“ abwandelt, dann dürfte Lukas die Markusstelle nicht ebenfalls zu „A²“ abwandeln, sofern er Matthäus gar nicht kannte.

Ich habe nachfolgend die „minor agreements“ der Szenen vom Ährenraufen am Sabbat bei Markus, Matthäus und Lukas zusammengestellt.

Mittwoch, 10. September 2014

Mk 8,37 – Denn was kann der Mensch geben …?

 
Wanderer am Weltenrand
via commons.wikimedia
1) In der vergangenen Woche las ich erstmals eine muslimische Polemik gegen christliche Glaubensinhalte. Zur Untermauerung seiner These („Die Bibel verneint die Göttlichkeit Jesu´“) berief sich der Autor Shabir Ally auch auf Aussagen des Markusevangeliums. Solche Streitschriften sind für Christen, die sich für den „interreligiösen Dialog“ ;-) interessieren, sicher kalter Kaffee. Für mich war es etwas gänzlich Neues. Ich habe deshalb die Argumentation aufmerksam gelesen, wobei mein Augenmerk auf dem Umgang mit Markus lag. Ally stellt den Leser vor die Alternative: War Jesus Gott oder Mensch? Anhand von Bibelstellen argumentiert er alsdann, dass Jesus im Neuen Testament von Gott deutlich unterschieden werde: „Dies zeigt, dass die Menschen wussten, dass Jesus nicht der einzige Mensch gewesen war, der derartige Macht von Gott verliehen bekommen hat ...“.

Wer in meinen Blog schon mal etwas reingelesen hat, weiß ja, dass ich nicht gläubig bin und meine Begeisterung für das Markusevangelium rein literarischer Natur ist. Davon unabhängig hatte ich mir die von Ally aufgeworfene Frage noch nie gestellt. Ich denke, mein Blog würde seinen Namen nicht verdienen, wenn ich nicht auch mal – vielleicht sogar für mögliche christliche Leser – etwas zu einem solchen Thema sage. Mich haben dabei im Wesentlichen zwei Gedanken bewegt.

2) Zunächst habe ich keinen Zweifel, dass im Markusevangelium - vor allem während der Geschehnisse in Galiläa - Jesus mit göttlichem Angesicht erscheint und durch ihn Gott erfahrbar wird. Zum anderen zeigt es – und diesmal vor allem während der Passion in Jerusalem - Jesus mit menschlichem Antlitz, an dessen Beispiel und in dessen Nachfolge der Mensch den Weg zum ewigen Leben beschreiten kann.

Donnerstag, 4. September 2014

Das Abjatar-Problem III


Schluss – Brot des Lebens

Meines Erachtens wirft der Text von Mk 2,23-2,28 u.a. folgende, sehr schwierige Fragen auf:

1) Gibt das Markusevangelium zu verstehen, dass das Ausrupfen der Ähren durch die Jünger zum Essen der Getreidekörner erfolgt wie bei Matthäus und Lukas?

Van Gogh´s Krähen im Kornfeld
via fr.wikipedia
2) Warum kritisieren die Pharisäer Jesus, wenn das nicht der Fall ist?

3) Wieso enthält die gesamte Szene Mk 2,23-2,28 so viel „Schöpfungsvokabular“? Ist Mk 2,27 „humanistisch“ zu interpretieren?

4) Soll man Mk 2,28 mit „So ist der Menschensohn auch Herr des Sabbats“ oder stattdessen eher „Herr ist der Sohn des Menschen und des Sabbats“ übersetzen?

5) Welche Bedeutung hat die Davidserzählung im Kontext von Mk 2,23-28?
_____________________________________________________

1) Traditioneller Weise wird die Szene vom Ährenraufen am Sabbat so verstanden, dass die Jünger hungrig sind, einige Ähren pflücken und die Getreidekörner essen. Die Pharisäer beurteilen dies als am Sabbat verbotene Erntearbeit und rügen das Vergehen der Jünger gegenüber Jesus. Dies entspricht zweifellos dem Wortlaut und dem Sinn der Perikopen bei Matthäus und Lukas. Zunächst ein Blick auf den griechischen Text und die wortwörtliche Übersetzung von Mk 2,23:

Καὶ
ἐγένετο
αὐτὸν
ἐν
τοῖς
σάββασιν
παραπορεύεσθαι
διὰ
τῶν
σπορίμων
kai
egeneto
auton
en
tois
sabbasin
paraporeuesthai
dia
tOn
sporimOn
Und
es geschah
er
an
den
Sabbaten
hindurchging
durch
die
Saaten

καὶ
οἱ
μαθηταὶ
αὐτοῦ
ἤρξαντο
ὁδὸν
ποιεῖν
τίλλοντες
τοὺς
στάχυας
kai
hoi
mathEtai
autou
Erxanto
hodon
poiein
tillontes
tous
stachuas
und
die
Jünger
seine
begannen
Weg
zu machen
ausrupfend
die
Ähren