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Bei meiner Beschäftigung mit dem
Abjatar-Problem und aufgrund meiner Schwierigkeiten, den logischen
Sinn des Gedankengangs in Mk 2,23-28 zu erfassen, habe ich auch die
Parallelstellen bei Matthäus und Lukas sorgfältig gelesen. Dabei
tauchte als Randgedanke die Frage auf, in welchem Verhältnis die
drei Texte zueinander stehen, wer also von wem „abgeschrieben“
hat. Besonders in der deutschen Bibelwissenschaft herrscht die
sogenannte Zweiquellentheorie vor, nach der Matthäus und Lukas
(unabhängig von ihrem Sondergut) zwei Quellen benutzten, nämlich
das Markusevangelium und ein hypothetisches Dokument, das unter dem
Begriff „Logienquelle Q“ bekannt ist.
Der Grund für diese These besteht zum
einen in der Vielzahl der wortwörtlichen Übereinstimmungen zwischen
den drei Evangelisten, die nur bei einem „Abschreiben“ aus dem
Markusevangelium denkbar sind. Neben den „Übernahmen“ aus dem
Markusevangelium gibt es zwischen Matthäus und Lukas aber viele
weitere wortwörtliche Gemeinsamkeiten in Szenen, die im
Markusevangelium nicht enthalten sind und die ebenfalls nahelegen
könnten, dass einer der beiden vom anderen „abgespickt“ hat
(z.B. Bergpredigt bei Matthäus und Feldrede bei Lukas). Aus mehreren
und durchaus gewichtigen Gründen verneint die Zweiquellentheorie
jedoch ein solches Abschreiben im Verhältnis zwischen Matthäus und
Lukas. Sie geht vielmehr davon aus, dass weder Matthäus das
Lukasevangelium noch Lukas das Matthäusevangelium kannte, sondern
dass beide unabhängig voneinander von einem anderen Dokument, eben
der Logienquelle Q, abgeschrieben haben.
Der gewichtigste Einwand gegen die
Zweiquellentheorie sind die sogenannten „minor agreements“.
Dabei handelt es sich um wortwörtliche Übereinstimmungen von
Matthäus und Lukas bei der Übernahme von Szenen aus dem
Markusevangelium, die beide in genau gleicher Weise von Markus
abweichen. Der Gedanke ist folgender: Wenn Matthäus oder Lukas von
Markus abschreiben, mögen sie auch einmal den Wortlaut von Markus
abändern, etwas weglassen oder hinzufügen. Diese Abänderungen
dürften jedoch – von zufälligen Ausnahmen und wenigen
nachträglichen Harmonisierungen in der Überlieferung abgesehen –
bei Matthäus und Lukas nie gleich sein, wenn keiner der beiden den
anderen kannte. Wenn also Markus „A“ sagt und Matthäus ihn
leicht zu „A²“ abwandelt, dann dürfte Lukas die Markusstelle
nicht ebenfalls zu „A²“ abwandeln, sofern er Matthäus gar nicht
kannte.
Ich habe nachfolgend die „minor
agreements“ der Szenen vom Ährenraufen am Sabbat bei Markus,
Matthäus und Lukas zusammengestellt.
Markus 2,23ff |
Matthäus 12,1ff |
Lukas 6,1ff. |
Kommentar |
23 Καὶ ἐγένετο
αὐτὸν ἐν τοῖς σάββασιν παραπορεύεσθαι
διὰ τῶν σπορίμων, καὶ οἱ μαθηταὶ
αὐτοῦ ἤρξαντο ὁδὸν ποιεῖν τίλλοντες
τοὺς στάχυας.
23 Und es begab sich, dass er am Sabbat durch ein Kornfeld
ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren
auszuraufen. |
1 Ἐν ἐκείνῳ
τῷ καιρῷ ἐπορεύθη ὁ Ἰησοῦς τοῖς
σάββασιν διὰ τῶν σπορίμων· οἱ δὲ
μαθηταὶ αὐτοῦ ἐπείνασαν καὶ ἤρξαντο
τίλλειν στάχυας καὶ ἐσθίειν.
1 Zu der Zeit ging Jesus durch ein Kornfeld am Sabbat; und
seine Jünger waren hungrig und fingen an, Ähren auszuraufen und
zu essen. |
1 Ἐγένετο
δὲ ἐν σαββάτῳ διαπορεύεσθαι αὐτὸν
διὰ σπορίμων, καὶ ἔτιλλον οἱ μαθηταὶ
αὐτοῦ καὶ ἤσθιον
τοὺς στάχυας ψώχοντες ταῖς χερσίν.
1 Und es begab sich an einem Sabbat, dass er durch ein Kornfeld
ging; und seine Jünger rauften Ähren aus und zerrieben sie mit
den Händen und aßen. |
Matthäus und Lukas ergänzen beide das „Essen“
der Getreidekörner; bei Markus ist hingegen zweifelhaft, ob Mk
2,23 im Sinne eines Essens der Getreidekörner zu verstehen ist |
24 καὶ οἱ
Φαρισαῖοι ἔλεγον
αὐτῷ, Ἴδε τί ποιοῦσιν τοῖς σάββασιν
ὃ οὐκ ἔξεστιν;
24 Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun
deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist? |
2 οἱ δὲ
Φαρισαῖοι ἰδόντες εἶπαν
αὐτῷ, Ἰδοὺ οἱ μαθηταί σου ποιοῦσιν
ὃ οὐκ ἔξεστιν ποιεῖν ἐν σαββάτῳ.
2 Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu ihm: Siehe,
deine Jünger tun, was am Sabbat nicht erlaubt ist. |
2 τινὲς δὲ
τῶν Φαρισαίων εἶπαν,
Τί ποιεῖτε ὃ οὐκ ἔξεστιν τοῖς
σάββασιν;
2 Einige der Pharisäer aber sprachen: Warum tut ihr, was am
Sabbat nicht erlaubt ist? |
Matthäus und Lukas verwenden Markus´ „ἔλεγον“
(sprachen) in der Form von „εἶπαν“ |
25 καὶ λέγει
αὐτοῖς, Οὐδέποτε ἀνέγνωτε τί
ἐποίησεν Δαυὶδ ὅτε χρείαν
ἔσχεν καὶ ἐπείνασεν
αὐτὸς καὶ οἱ μετ᾽ αὐτοῦ,
25 Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat,
als er in Not war und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: |
3 ὁ δὲ εἶπεν
αὐτοῖς, Οὐκ ἀνέγνωτε τί ἐποίησεν
Δαυὶδ ὅτε ἐπείνασεν καὶ οἱ μετ᾽
αὐτοῦ,
3 Er aber sprach zu ihnen: Habt ihr nicht gelesen, was David
tat, als ihn und die bei ihm waren hungerte? |
3 καὶ
ἀποκριθεὶς πρὸς αὐτοὺς εἶπεν
ὁ Ἰησοῦς, Οὐδὲ τοῦτο ἀνέγνωτε ὃ
ἐποίησεν Δαυὶδ ὅτε ἐπείνασεν αὐτὸς
καὶ οἱ μετ᾽ αὐτοῦ [ὄντες],
3 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Habt ihr nicht das
gelesen, was David tat, als ihn hungerte, und die, die bei ihm
waren? |
Matthäus und Lukas überspringen beide Markus´ „David war
in Not“ und verwenden beide Markus´ „λέγει“
(sprach) in der Form von „εἶπεν“ |
26 πῶς
εἰσῆλθεν εἰς τὸν οἶκον τοῦ θεοῦ
ἐπὶ Ἀβιαθὰρ
ἀρχιερέως καὶ
τοὺς ἄρτους τῆς προθέσεως ἔφαγεν,
οὓς οὐκ ἔξεστιν φαγεῖν εἰ μὴ τοὺς
ἱερεῖς, καὶ ἔδωκεν καὶ τοῖς σὺν
αὐτῷ οὖσιν;
26 wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjatars, des
Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als
die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? |
4 πῶς
εἰσῆλθεν εἰς τὸν οἶκον τοῦ θεοῦ
καὶ τοὺς ἄρτους τῆς προθέσεως
ἔφαγον, ὃ οὐκ ἐξὸν ἦν αὐτῷ φαγεῖν
οὐδὲ τοῖς μετ᾽ αὐτοῦ εἰ μὴ τοῖς
ἱερεῦσιν μόνοις;
4 Wie er in das Gotteshaus ging und aß die Schaubrote, die
doch weder er noch die bei ihm waren essen durften, sondern allein
die Priester? |
4 [ὡς]
εἰσῆλθεν εἰς τὸν οἶκον τοῦ θεοῦ
καὶ τοὺς ἄρτους τῆς προθέσεως λαβὼν
ἔφαγεν καὶ ἔδωκεν τοῖς μετ᾽ αὐτοῦ,
οὓς οὐκ ἔξεστιν φαγεῖν εἰ μὴ μόνους
τοὺς ἱερεῖς;
4 Wie er in das Haus Gottes ging und die Schaubrote nahm und
aß, die doch niemand essen durfte als die Priester allein, und
wie er sie auch denen gab, die bei ihm waren? |
Matthäus und Lukas überspringen beide Markus´ „Abjatars,
des Hohepriesters“ und ergänzen beide „μόνοις/μόνους“
(allein die Priester) |
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5 Oder habt ihr nicht gelesen im Gesetz, wie die Priester am
Sabbat im Tempel den Sabbat brechen und sind doch ohne Schuld? |
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6 Ich sage euch aber: Hier ist Größeres als der Tempel. |
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7 Wenn ihr aber wüsstet, was das heißt: »Ich habe
Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer«, dann hättet
ihr die Unschuldigen nicht verdammt. |
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27 καὶ ἔλεγεν
αὐτοῖς, Τὸ σάββατον
διὰ τὸν ἄνθρωπον ἐγένετο καὶ οὐχ
ὁ ἄνθρωπος διὰ τὸ σάββατον
27 Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen
willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. |
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5a καὶ ἔλεγεν
αὐτοῖς, ...
5a Und er sprach zu ihnen: ...
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Matthäus und Lukas überspringen beide Mk 2,27b, Lukas jedoch
nicht Mk 2,27a („Und er sprach zu ihnen”) |
28 ὥστε
κύριός ἐστιν
ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου καὶ τοῦ
σαββάτου.
28 So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.
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8 κύριος γάρ
ἐστιν τοῦ σαββάτου ὁ υἱὸς
τοῦ ἀνθρώπου.
8 Der Menschensohn ist ein Herr über den Sabbat.
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5b Κύριός ἐστιν τοῦ
σαββάτου ὁ υἱὸς
τοῦ ἀνθρώπου. 5b Der Menschensohn ist ein Herr über den Sabbat. |
Matthäus und Lukas verwenden beide die gleiche Wortstellung
(Herr ist des Sabbats der Menschensohn), nicht so Markus
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