Erfahrene Bibelleser wissen, dass die
Verse 16,9-16,20 des Markusevangeliums unecht sind und nachträglich
von anderer Hand hinzugefügt wurden. Der Verfasser jener Verse hat
sich dabei keine Mühe gegeben, den Schreibstil von Markus
nachzuahmen. Er ist nicht wie ein “geschickter Fälscher”
vorgegangen.
Cod. Alexandrinus Mk 7,26: Markus
verwendet „ἐκ”
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In diesem Beitrag interessiert mich nur
ein kleines Beispiel der Stilabweichung, nämlich die Verwendung
einer “un-markinischen” Präposition im Vers 16,9, weil sie ein
Licht darauf wirft, wie streng und einheitlich die von Markus
verwendete Begrifflichkeit sein kann. Der Vers lautet in der
Übersetzung der Offenen Bibel: “Nachdem er
auferstanden war am frühen Morgen des ersten Tags der Woche,
erschien er als erstes Maria Magdalena, von der er sieben Dämonen
ausgetrieben hatte.”
Cod. Alexandrinus Mk 16,9: Der Redaktor
verwendet „ἀφ'”
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Die Schlussverse -
einschließlich Vers 16,9 - sind in den beiden ältesten
Handschriften des Markusevangeliums, dem Codex Vaticanus und dem
Codex Sinaiticus, nicht enthalten. Die Präposition “von” (“von
der er sieben Dämonen“) lautet in den vier anderen sehr alten
Handschriften unterschiedlich. Während der Codex Alexandrinus und
der Codex Ephraemi Rescriptus an jener Stelle ein “ἀφ'”
(aph’) stehen haben, findet sich im Codex Bezae und im Codex
Washingtonianus ein “παρ'”
(par’). Dies schadet jedoch nichts, weil beide Varianten “falsch”
sind und die einzig richtige, die vom “echten” Markus verwandt
worden wäre, nirgendwo attestiert ist: die Präposition „ἐκ”
(ek) bzw. - da in Mk 16,9 ein Vokal folgt - in der Form von „ἐξ”
(ex).
Man kann sich dessen sicher sein, weil
Markus zum einen ausnahmslos an jeder vergleichbaren Stelle die
Präpositon „ἐκ” (ek) verwendet und er zusätzlich dem Verb
die gleiche Vorsilbe voranstellt. Wörtlich schreibt Markus also
ausnahmslos über Dämonen, dass sie “rausgeworfen (ἐκ-βάλλω
- ekballo) werden aus (ἐκ - ek) jemand”, oder über unreine
Geister, dass sie “rauskommen (ἐξ-έρχομαι - exerchomai)
aus (ἐκ - ek) jemand”. Zum anderen ist seine Wortwahl beim
Gegenteil genauso streng. Für das Besessenwerden verwendet er
ausnahmslos die Präposition “in” (im Sinne von hinein),
griechisch: “εἰς”
(eis), und auch hier stellt er ohne Ausnahme dem Verb die gleiche
Vorsilbe voran. Wörtlich übersetzt heißt es über unreine Geister,
dass “sie hineinkommen (εἰσ-έρχομαι - eiserchomai) in
(εἰς - eis) jemand”.
Hier zunächst die maßgeblichen
Textstellen in der Übersetzung der Studienfassung der Offenen Bibel.
Die von Markus verwendeten griechischen Wörter habe ich in Klammern
jeweils hinter das deutsche Wort gesetzt.
Das Hineinkommen von unreinen Geistern
Mk 5:12 – die Legion Geister des Geraseners
Und sie baten ihn, sagend: „Schicke uns in (εἰς – eis) die Schweine! Damit wir in (εἰς – eis) sie fahren (εἰσέλθωμεν - eiselthōmen)!“
Mk 5:13 – die Legion Geister des Geraseners
und er erlaubte es ihnen. Und fuhren die unreinen Geister aus und fuhren (εἰσῆλθον - eisēlthon) in (εἰς – eis) die Schweine,
Mk 9:25 – der stumme und taube Geist eines Jungen
Als Jesus sah, … gebot er dem unreinen Geist und sagte zu ihm: „Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir, komm aus ihm heraus und geh (εἰσέλθῃς - eiselthēs) nie mehr in (εἰς – eis) ihn hinein.“
Das Rauskommen von unreinen Geister und
Rauswerfen von Dämonen
Mk 1:25 – ein unreiner Geist in Kapharnaum
Und Jesus wies ihn an, sagend: „Sei still und komm (ἐξελθε - exelthe) aus (ἐξ - ex) ihm heraus!“
Mk 1:26 – ein unreiner Geist in Kapharnaum
Und nachdem der unreine Geist ihn geschüttelt und mit lauter Stimme geschrien hatte, kam (ἐξῆλθεν - exēlthen) er aus (ἐξ - ex) ihm heraus.
Mk 5:8 – die Legion Geister des Geraseners
Denn er hatte zu ihm gesagt: „Komm heraus (ἐξελθε - exelthe) aus (ἐκ – ek) dem Mann, unreiner Geist!“
Mk 7:26 – der Dämon/unreine Geist der Tochter der Syrophönizierin
Die Frau war Griechin, der Herkunft nach eine Syrophönizierin. – Und sie bat ihn hartnäckig darum, den Dämon aus (ἐκ - ek) ihrer Tochter auszutreiben (ἐκβάλῃ - ekbalē).
Mk 7:29 – der Dämon/unreine Geist der Tochter der Syrophönizierin
Und er sagte zu ihr: „Weil du das gesagt hast, geh ! Der Dämon ist aus (ἐκ - ek) deiner Tochter ausgefahren (ἐξελήλυθεν - exelēlythen).“
Mk 9:25 - der stumme und taube Geist eines Jungen
Als Jesus sah, … gebot er dem unreinen Geist und sagte zu ihm: „Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir, komm (ἐξελθε - exelthe) aus (ἐξ - ex) ihm heraus und geh nie mehr in ihn hinein.“
Anders als etwa Matthäus oder Lukas
verwendet Markus ohne jegliche Ausnahme die gleichen Wörter für
gleiche Sachverhalte. Deshalb hätte er – wenn der Vers 16,9 von
ihm geschrieben worden wäre – auch dort die Präposition „ἐξ”
(ex = „ἐκ” vor einem Vokal) und nicht die in den Codizes
verwendeten “ἀφ'” (aph’) oder “παρ'” (par’)
benutzt.
Doch dies nur nebenbei.
Meine eigentliche Frage ist, warum die Wortwahl von Markus hier so
streng und einheitlich ist. Ist es lediglich stupide und monotone
Wiederholung oder verwendet Markus seine Begrifflichkeiten mit
philosophischer Strenge?
Mir scheint, dass eine
Antwort auf diese Frage sowohl aufgrund der Rede über Reinheit und
Unreinheit (Mk 7,1-23) und aufgrund des von Markus beschriebenen
Verhältnisses zwischen dem Heiligen Geist und Jesus gegeben werden
kann.
- Aus der Rede über
Reinheit und Unreinheit
Vers 7,15 lautet:
“Nichts, was von außerhalb des Menschen in ihn hineingelangt, kann
ihn verunreinigen. Es ist vielmehr, was aus dem Menschen herauskommt,
das den Menschen verunreinigt.”
Auch dieser Vers ist in
verschiedenen Codizes unterschiedlich überliefert. Die bevorzugte
Lesart bietet erneut die gleiche Verwendung der Wörtchen „ἐκ”
(ek) und “εἰς” (eis), wobei Markus jedoch nunmehr statt dem
Verb “kommen” das Verb “gelangen” mit der jeweiligen Vorsilbe
verwendet:
“οὐδέν ἐστιν
ἔξωθεν
τοῦ ἀνθρώπου εἰσπορευόμενον
εἰς
αὐτὸν ὃ δύναται κοινῶσαι αὐτόν, ἀλλὰ
τὰ ἐκ
τοῦ ἀνθρώπου ἐκπορευόμενά
ἐστιν τὰ κοινοῦντα τὸν ἄνθρωπον”
- Das Verhältnis
zwischen dem Heiligen Geist und Jesus
Über die Taufe von
Jesus heißt es nach der bevorzugten Lesart von Mk 1,10 (bei
ebenfalls bestehenden textlichen Unsicherheiten), dass der Heilige
Geist, griechisch: πνεῦμα (pneuma), herabstieg “in” (εἰς
- eis) Jesus. Für das Sterben
von Jesus verwendet Markus in Mk 15,37 und Mk 15,39 das griechische
Verb “ἐξέπνευσεν”
(exepneusen), dass wörtlich mit “ausgeisten” zu übersetzen ist
(“ἐξ”
wie “aus” und “έπνευσεν” von Pneuma – Geist).
Man sieht, dass all
diesen nahestehenden Themen eine einheitliche Vorstellung von “innen”
und “außen”, “hinein” und “hinaus”, zu Grunde liegt, die
sich ohne Bruch durch das gesamte Markusevangelium zieht.
Für Ps-Mk 16,9 hat der Redaktor einen Teil des Verses Lukas 8,2 leicht umgeschrieben "1 Und es begab sich danach, dass er durch Städte und Dörfer zog und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm, 2 dazu einige Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt Magdalena, von der sieben böse Geister ausgefahren waren, ..." Lukas hat hier übrigens nicht "ἐκ", sondern tatsächlich das besagte "ἀφ’" (aph’) verwendet.
Für Ps-Mk 16,9 hat der Redaktor einen Teil des Verses Lukas 8,2 leicht umgeschrieben "1 Und es begab sich danach, dass er durch Städte und Dörfer zog und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm, 2 dazu einige Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt Magdalena, von der sieben böse Geister ausgefahren waren, ..." Lukas hat hier übrigens nicht "ἐκ", sondern tatsächlich das besagte "ἀφ’" (aph’) verwendet.
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