Mittwoch, 2. September 2015

Eine “falsche” Präposition in Ps-Mk 16,9 und die Strenge markinischer Begriffe


Erfahrene Bibelleser wissen, dass die Verse 16,9-16,20 des Markusevangeliums unecht sind und nachträglich von anderer Hand hinzugefügt wurden. Der Verfasser jener Verse hat sich dabei keine Mühe gegeben, den Schreibstil von Markus nachzuahmen. Er ist nicht wie ein “geschickter Fälscher” vorgegangen.

Cod. Alexandrinus Mk 7,26: Markus verwendet ἐκ
In diesem Beitrag interessiert mich nur ein kleines Beispiel der Stilabweichung, nämlich die Verwendung einer “un-markinischen” Präposition im Vers 16,9, weil sie ein Licht darauf wirft, wie streng und einheitlich die von Markus verwendete Begrifflichkeit sein kann. Der Vers lautet in der Übersetzung der Offenen Bibel: “Nachdem er auferstanden war am frühen Morgen des ersten Tags der Woche, erschien er als erstes Maria Magdalena, von der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte.

Cod. Alexandrinus Mk 16,9: Der Redaktor verwendet ἀφ'
Die Schlussverse - einschließlich Vers 16,9 - sind in den beiden ältesten Handschriften des Markusevangeliums, dem Codex Vaticanus und dem Codex Sinaiticus, nicht enthalten. Die Präposition “von” (“von der er sieben Dämonen“) lautet in den vier anderen sehr alten Handschriften unterschiedlich. Während der Codex Alexandrinus und der Codex Ephraemi Rescriptus an jener Stelle ein “ἀφ'” (aph’) stehen haben, findet sich im Codex Bezae und im Codex Washingtonianus ein “παρ'” (par’). Dies schadet jedoch nichts, weil beide Varianten “falsch” sind und die einzig richtige, die vom “echten” Markus verwandt worden wäre, nirgendwo attestiert ist: die Präposition „ἐκ” (ek) bzw. - da in Mk 16,9 ein Vokal folgt - in der Form von „ἐξ” (ex).

Man kann sich dessen sicher sein, weil Markus zum einen ausnahmslos an jeder vergleichbaren Stelle die Präpositon „ἐκ” (ek) verwendet und er zusätzlich dem Verb die gleiche Vorsilbe voranstellt. Wörtlich schreibt Markus also ausnahmslos über Dämonen, dass sie “rausgeworfen (ἐκ-βάλλω - ekballo) werden aus (ἐκ - ek) jemand”, oder über unreine Geister, dass sie “rauskommen (ἐξ-έρχομαι - exerchomai) aus (ἐκ - ek) jemand”. Zum anderen ist seine Wortwahl beim Gegenteil genauso streng. Für das Besessenwerden verwendet er ausnahmslos die Präposition “in” (im Sinne von hinein), griechisch: “εἰς” (eis), und auch hier stellt er ohne Ausnahme dem Verb die gleiche Vorsilbe voran. Wörtlich übersetzt heißt es über unreine Geister, dass “sie hineinkommen (εἰσ-έρχομαι - eiserchomai) in (εἰς - eis) jemand”.

Hier zunächst die maßgeblichen Textstellen in der Übersetzung der Studienfassung der Offenen Bibel. Die von Markus verwendeten griechischen Wörter habe ich in Klammern jeweils hinter das deutsche Wort gesetzt.

Das Hineinkommen von unreinen Geistern


Mk 5:12 – die Legion Geister des Geraseners
Und sie baten ihn, sagend: „Schicke uns in (εἰς – eis) die Schweine! Damit wir in (εἰς – eis) sie fahren (εἰσέλθωμεν - eiselthōmen)!“
Mk 5:13 – die Legion Geister des Geraseners
und er erlaubte es ihnen. Und fuhren die unreinen Geister aus und fuhren (εἰσῆλθον - eisēlthon) in (εἰς – eis) die Schweine,
Mk 9:25 – der stumme und taube Geist eines Jungen
Als Jesus sah, … gebot er dem unreinen Geist und sagte zu ihm: „Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir, komm aus ihm heraus und geh (εἰσέλθῃς - eiselthēs) nie mehr in (εἰς – eis) ihn hinein.“

Das Rauskommen von unreinen Geister und Rauswerfen von Dämonen

Mk 1:25 – ein unreiner Geist in Kapharnaum
Und Jesus wies ihn an, sagend: „Sei still und komm (ἐξελθε - exelthe) aus (ἐξ - ex) ihm heraus!“
Mk 1:26 – ein unreiner Geist in Kapharnaum
Und nachdem der unreine Geist ihn geschüttelt und mit lauter Stimme geschrien hatte, kam (ἐξῆλθεν - exēlthen) er aus (ἐξ - ex) ihm heraus.
Mk 5:8 – die Legion Geister des Geraseners
Denn er hatte zu ihm gesagt: „Komm heraus (ἐξελθε - exelthe) aus (ἐκ – ek) dem Mann, unreiner Geist!“
Mk 7:26 – der Dämon/unreine Geist der Tochter der Syrophönizierin
Die Frau war Griechin, der Herkunft nach eine Syrophönizierin. – Und sie bat ihn hartnäckig darum, den Dämon aus (ἐκ - ek) ihrer Tochter auszutreiben (ἐκβάλῃ - ekbalē).
Mk 7:29 – der Dämon/unreine Geist der Tochter der Syrophönizierin
Und er sagte zu ihr: „Weil du das gesagt hast, geh ! Der Dämon ist aus (ἐκ - ek) deiner Tochter ausgefahren (ἐξελήλυθεν - exelēlythen).“
Mk 9:25 - der stumme und taube Geist eines Jungen
Als Jesus sah, … gebot er dem unreinen Geist und sagte zu ihm: „Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir, komm (ἐξελθε - exelthe) aus (ἐξ - ex) ihm heraus und geh nie mehr in ihn hinein.“


Anders als etwa Matthäus oder Lukas verwendet Markus ohne jegliche Ausnahme die gleichen Wörter für gleiche Sachverhalte. Deshalb hätte er – wenn der Vers 16,9 von ihm geschrieben worden wäre – auch dort die Präposition „ἐξ” (ex = „ἐκ” vor einem Vokal) und nicht die in den Codizes verwendeten “ἀφ'” (aph’) oder “παρ'” (par’) benutzt.

Doch dies nur nebenbei. Meine eigentliche Frage ist, warum die Wortwahl von Markus hier so streng und einheitlich ist. Ist es lediglich stupide und monotone Wiederholung oder verwendet Markus seine Begrifflichkeiten mit philosophischer Strenge?

Mir scheint, dass eine Antwort auf diese Frage sowohl aufgrund der Rede über Reinheit und Unreinheit (Mk 7,1-23) und aufgrund des von Markus beschriebenen Verhältnisses zwischen dem Heiligen Geist und Jesus gegeben werden kann.

- Aus der Rede über Reinheit und Unreinheit

Vers 7,15 lautet: “Nichts, was von außerhalb des Menschen in ihn hineingelangt, kann ihn verunreinigen. Es ist vielmehr, was aus dem Menschen herauskommt, das den Menschen verunreinigt.”

Auch dieser Vers ist in verschiedenen Codizes unterschiedlich überliefert. Die bevorzugte Lesart bietet erneut die gleiche Verwendung der Wörtchen „ἐκ” (ek) und “εἰς” (eis), wobei Markus jedoch nunmehr statt dem Verb “kommen” das Verb “gelangen” mit der jeweiligen Vorsilbe verwendet:

οὐδέν ἐστιν ἔξωθεν τοῦ ἀνθρώπου εἰσπορευόμενον εἰς αὐτὸν ὃ δύναται κοινῶσαι αὐτόν, ἀλλὰ τὰ ἐκ τοῦ ἀνθρώπου ἐκπορευόμενά ἐστιν τὰ κοινοῦντα τὸν ἄνθρωπον”

- Das Verhältnis zwischen dem Heiligen Geist und Jesus

Über die Taufe von Jesus heißt es nach der bevorzugten Lesart von Mk 1,10 (bei ebenfalls bestehenden textlichen Unsicherheiten), dass der Heilige Geist, griechisch: πνεῦμα (pneuma), herabstieg “in” (εἰς - eis) Jesus. Für das Sterben von Jesus verwendet Markus in Mk 15,37 und Mk 15,39 das griechische Verb “ἐξέπνευσεν” (exepneusen), dass wörtlich mit “ausgeisten” zu übersetzen ist (“ἐξ” wie “aus” und “έπνευσεν” von Pneuma – Geist).

Man sieht, dass all diesen nahestehenden Themen eine einheitliche Vorstellung von “innen” und “außen”, “hinein” und “hinaus”, zu Grunde liegt, die sich ohne Bruch durch das gesamte Markusevangelium zieht.

Für Ps-Mk 16,9 hat der Redaktor einen Teil des Verses Lukas 8,2 leicht umgeschrieben "1 Und es begab sich danach, dass er durch Städte und Dörfer zog und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm, 2 dazu einige Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt Magdalena, von der sieben böse Geister ausgefahren waren, ..." Lukas hat hier übrigens nicht "ἐκ", sondern tatsächlich das besagte "ἀφ’" (aph’) verwendet.

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