Mittwoch, 7. Januar 2015

5 x Menschenfischer


1) Infolge der kleinen Diskussion im Beitrag über die DhaBaR-Übersetzung „Besalzer der Menschen“ wollte ich mir gern die Interpretationen des Begriffs „ἁλεεῖς ἀνθρώπων“ (halieis anthrōpōn) aus Mk 1,17 in der Bedeutung von „Menschenfischer“ näher anschauen.
via howard-carter.blogspot

Ich stelle in diesem Beitrag fünf unterschiedliche Thesen dazu vor. Mein Ziel war es, jede Interpretationsvariante so überzeugend wie möglich darzustellen, ohne sie unkritisch hinzunehmen. Ich nenne diese fünf Thesen der einfachen Verständlichkeit halber

- die Missions-These
- die Errettungs-These
- die Endzeit-These
- die Entwicklungs-These
- die politisch-historische These


2) Einführend der Wortlaut von Mk 1,16-17 und einige Beobachtungen am Text:

               Καὶ παράγων παρὰ τὴν θάλασσαν τῆς Γαλιλαίας
               Und vorbeiführend neben dem Meer von Galiläa
εἶδεν
(er) sah
               Σίμωνα καὶ Ἀνδρέαν τὸν ἀδελφὸν Σίμωνος
               Simon und Andreas den Bruder Simons
                          ἀμφιβάλλοντας ἐν τῇ θαλάσσῃ·
                          umherwerfend in dem Meer
                                         ἦσαν γὰρ ἁλεεῖς.
                                         (sie) waren nämlich Fischer
καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς
und sagte ihnen der Jesus
                         Δεῦτε ὀπίσω μου,
                         Kommt hinter mich
                                        καὶ ποιήσω ὑμᾶς γενέσθαι ἁλεεῖς ἀνθρώπων.
                                        und (ich) werde machen euch zu werden Fischer (von) Menschen.

- „vorbeiführend neben“ (παράγων παρὰ) ist äußerst selten und soll wohl ein zielgerichtetes Vorbeigehen entlang des Meeres andeuten, so dass u.a. das Zusammentreffen mit Simon Petrus und Andreas (sowie Jakobus und Johannes) als bloßer Zufall erscheint.
- „Er sah“ (εἶδεν) hat bei Markus zuweilen den Anklang eines subjektiven geistigen Sehens. Wenn Jesus bei der Taufe in Mk 1,10 die Himmel aufgerissen sah („εἶδεν σχιζομένους τοὺς οὐρανοὺς“) so bedeutet das nicht, dass diesen Umstand jedermann erblickte oder erblicken konnte, sondern möglicherweise nur Jesus selbst.
- „umherwerfend“ (ἀμφιβάλλοντας): Netze werden in Mk 1,16 nicht erwähnt. Ganz wörtlich heißt es wohl: beidseitig (ἀμφι) werfend (βάλλοντας). Das Wort hat offensichtlich bereits die antiken Kopisten des Textes irritiert, da verschiedene Handschriften an dieser Stelle Wörter und Umschreibungen für „Netze“ (δίκτυα, ἀμφίβληστρον) nachträglich ergänzten.
- „in dem Meer“: dass Markus zwischen „in dem“ (ἐν τῇ) und „in das“ (εἰς τὴν) zu unterscheiden weiß, zeigen vor allem Mk 5,13 und - in Verbindung mit dem Verb „werfen (in das Meer)“ - Mk 9,42 und Mk 11,23; Simon und Andreas befinden sich also selbst „im“ Meer.
- „Kommt hinter mich“ ist Imperativ, dessen Schärfe im Deutschen von der Zeichensetzung abhängt, z.B. wäre „Kommt! Hinter mich!“ noch gebieterischer.
- „Ich werde machen euch zu werden“ betont, dass Simon und Andreas nicht ab sofort als Menschenfischer eingesetzt „sind“, sondern erst zukünftig von Jesus zu solchen gemacht werden sollen und hierzu eine weitere Entwicklung erfolgen muss. Das Verb γενέσθαι (genesthai) lässt sich im eingedeutschten „Genese“ gut erkennen.


3) Fünf Thesen

Ich stelle jeweils nur den Ausgangspunkt und die Zielrichtung der Interpretation vor.

3.1) die Missions-These

Der Klassiker dürfte die Auslegung des Begriffes Menschenfischer im Sinne von „Einsammlern von Seelen oder Gläubigen“ durch Missionstätigkeit sein. Sie geht zunächst nur vom Bild des „Fischers“ aus, der Fische in seinem Netz fängt bzw. einsammelt und legt dieses Bild im Hinblick auf die Missionstätigkeit der Apostel aus.

Vormals fand diese These ihr Hauptargument vor allem in den pseudomarkinischen Schlussversen (Mk 16,15-20) und im Matthäusevangelium, die den Missionsbefehl betonen. Auch im Rahmen der echten Markusverse mag sie nicht ohne Argument bleiben (z.B. Mk 6,7ff; 13,10), dürfte jedoch etwas schwieriger zu führen sein. Überwiegend sollte wohl Einigkeit darin bestehen, dass für Markus das Eingehen in das Königreich Gottes eine nicht unerhebliche persönliche Anstrengung in der Nachfolge Jesu voraussetzt, so dass es mit der bloßen, wenn auch sehr wichtigen Missionstätigkeit und der darauffolgenden Bekehrung noch nicht getan ist.

Als Pluspunkt mag man ihre Auslegungsmethode werten. Jesus gebraucht in Mk 1,17 selbst einen bildhaften Vergleich (vom Fischer zum Menschenfischer). Insoweit ist die Art der Auslegung in Bildern konsequent.


3.2) die Errettungs-These

Diese Interpretation geht ebenfalls von Bildern aus. Zunächst dem des Meeres, dass an vielen Stellen der hebräischen Bibel als unheilvoller Ort erscheint, aus dem Gott errettet (explizit z.B. Psalm 69,15-16; 18,16-17). Dieses unheilvolle Bild des Meeres lässt auch Markus (vor allem in Mk 4,35ff; 5,13; 9,42) aufscheinen.

Die Tätigkeit des Menschenfischers – bildhaft das Einsammeln von Menschen aus dem Meer - bestünde daher dem Sinn nach in Errettung aus Unheil. Als Pluspunkt dieser These kann ebenfalls die Auslegungsmethode in Bildern gewertet werden. Sie ist zudem vereinbar mit der Auffassung, dass das Heil nach Markus noch persönliche Anstrengung voraussetzt, da sie „nur“ das Freimachen des Menschen aus Unheil betont. Schließlich spricht für diese Interpretation, dass sie ihre Parallele in dem findet, was Jesus in Mk 1,16-17 mit Simon und Andreas gerade tut. Diese befinden sich in Mk 1,16 „in dem Meer“ und durch sein Wort „fischt“ Jesus sie aus dem Meer heraus.

Auch wenn man dieser Interpretation nicht folgt, wird man wohl zugeben müssen, dass sie zulässig ist und Stärken aufweist. Eine Schwäche besteht vielleicht darin, dass das Meer bei Markus wohl noch deutlicher den Ort notwendiger Grenzüberschreitungen (u.a. zwischen Juden und Heiden) symbolisiert, zu denen Jesus die Jünger nachhaltig antreibt.


3.3) die Endzeit-These

Diese These geht zunächst davon aus, dass das Bild von den Menschenfischern bereits in der hebräischen Bibel vorgeprägt ist und zwar in Jeremia 16,16, wo sie als ebenfalls als „Apostel“ tätig werden: „Siehe, ich will viele Fischer aussenden (LXX: ἀποστέλλω - apostellō), spricht der HERR, die sollen sie fischen ...“ Bereits im 3. Jahrhundert hat Origenes in seiner 16. Jeremia-Homilie auf diese Parallele hingewiesen und den Begriff der Menschenfischer vor diesem Hintergrund gedeutet.

Diese Interpretation kann zunächst geltend machen, dass der gesamte Abschnitt Mk 1,14-20 von Anspielungen an die hebräische Bibel (in der Septuaginta-Fassung) durchzogen scheint. Die „Berufungsszene“ der Jünger weist mehrere auffällige Gemeinsamkeiten mit der Berufung Elisas durch Elija auf (LXX-3. Kön 19,19). Die Wendung „Kommt hinter mich“ findet sich wörtlich im Munde Elisas in LXX-4. Kön 6,19. Die Erfüllung der Zeit (des Kairos) in Mk 1,14, das Anbrechen des Heils, Jesus' Kommen nach Galiläa vom Jordan her und sein Vorbeigehen am Meer rufen LXX-Jesaja 8,23 (9,1) in Erinnerung (was offenbar auch Matthäus so verstanden hat – Mt 4,14ff). Die „Einsammlung“ Israels durch die Fischer aus Jer 16,16 zum vermeintlichen Zwecke der endzeitlichen Rückkehr in das gelobte Land scheint auf den ersten Blick gut zu passen. Bei näherer Betrachtung erweist sich der Bezug auf die Fischer aus Jer 16,16 aber als nicht unproblematisch. Die von Jeremia prophezeite Chronologie scheint wie folgt zu sein:

1. Gott wird sein Volk aus Israel vertreiben - Jer 16,13: „Darum will ich euch aus diesem Lande verstoßen in ein Land ...
2. Dort geben sich die Israeliten der Götzendienerei hin: „Dort sollt ihr andern Göttern dienen Tag und Nacht ...
3. von dort wird Gott die Israeliten schließlich wieder zurückbringen - Jer 16,15: „ich will sie zurückbringen in das Land, das ich ihren Vätern gegeben habe.
4. zuvor erfolgt das doppelte Gericht – Jer 16,18: „Aber zuvor will ich ihre Missetat und Sünde zwiefach vergelten ...

Zwischen 3. und 4. tauchen nun die Fischer auf – Jer 16,16-17: „Siehe, ich will viele Fischer aussenden, spricht der HERR, die sollen sie fischen; und danach will ich viele Jäger aussenden, die sollen sie fangen auf allen Bergen und auf allen Hügeln und in allen Felsklüften. Denn meine Augen sehen auf alle ihre Wege, dass sie sich nicht vor mir verstecken können, und ihre Missetat ist vor meinen Augen nicht verborgen.

Das Problem ist zunächst, ob die Fischer zum Zwecke der Rückkehr der Israeliten (Jer 16,15) oder zur Vergeltung ihrer Sünden (Jer 16,18) ausgesandt werden. Die meisten deutschen Übersetzungen scheinen anzudeuten, dass ersteres der Fall ist, aber das ist nach der Markus vorliegenden Septuaginta nicht deutlich. Zudem scheint Jer 16,17 eher für eine Vergeltungsaufgabe der Fischer und Jäger bzw. zumindest für das Zusammentreiben zum Gericht für die „Missetaten“ der Israeliten vor deren Rückkehr zu sprechen. Auch in letzterem Fall wäre die konkrete Aufgabe der Fischer als recht „gnadenlos“ beschrieben. Autoren, die dieser Interpretation folgen, gehen deshalb regelmäßig davon aus, dass Markus die Aufgabe der Fischer positiv umgedeutet und das Gewicht auf ihre „endzeitliche“ Aufgabe gelegt habe.

Ihre Schwäche besteht also darin, dass nach dieser These die Bezeichnung „Menschenfischer“ zwar vermeintlich aus Jer 16,16 stammen soll, aber die markinischen Menschenfischer nicht mit denen von Jeremia vergleichbar seien, was die Herleitung über Jer 16,16 letztlich insgesamt als zweifelhaft erscheinen lässt.


3.4) die Entwicklungs-These

Diese Interpretation legt zunächst zu Grunde, dass Jesus in Mk 1,17 das Werden zum Menschenfischer als Entwicklungsprozess zugesagt hat. Die Bedeutung des Wortes Menschenfischer sei deshalb aus der künftigen Entwicklung der Jünger im Markusevangelium ablesbar, insbesondere aus der Einsetzung der Zwölf (Mk 3,13ff) und der Aussendung der Zwölf (Mk 6,7ff). In Mk 1,17-18 erging der Aufruf „kommt hinter mich“ und der erste Schritt zum Menschenfischer bestand darin, Jesus nachzufolgen.

In Mk 3,16 sind die Zwölf im zweiten Schritt nun eingesetzt, nicht nur nachzufolgen, sondern zum einen „mit ihm zu sein“. In Mk 1,17 hatte Jesus versprochen, er werde sie zu Menschenfischern „machen“ (ποιήσω – poiēsō). In Mk 3,14 „macht“ – so wörtlich (ἐποίησεν – epoiēsen) - er nun die Zwölf. In Mk 1,20 hatte er die Zebedäus-Söhne „gerufen“ (ἐκάλεσεν - ekalesen). In Mk 3,13 Jesus „ruft zu sich“ (proskaleitai - προσκαλεῖται) die künftigen Zwölf. Zum anderen hatte Jesus in Mk 1,14 das Evangelium verkündet (κηρύσσων - kēryssōn). Auch die Zwölf sind in Mk 3,14 nun eingesetzt, dass er sie zum verkünden (κηρύσσειν - kēryssein) aussenden werde (ἀποστέλλῃ - apostellē). Schließlich kommt in Mk 3,14 neu hinzu, dass sie künftig Vollmacht (ἐξουσίαν) bekommen sollen, Dämonen auszutreiben.

Im dritten Schritt werden die Zwölf in Mk 6,7 zu Jesus gerufen (προσκαλεῖται - proskaleitai) und er sendet (ἀποστέλλειν – apostellein) sie nunmehr in Erfüllung von Mk 3,14 aus – und zwar jeweils zwei und zwei, so wie er bereits die vier ersten Jünger in Mk 1,16-1,19 jeweils als Paar in die Nachfolge gerufen hatte. Sie erhalten nunmehr auch die Vollmacht (ἐξουσίαν) über die unreinen Geister. Ihrer Sendung kommen die Jünger in Mk 6,12-13 auch nach, indem sie – wie Jesus in Mk 1,14 - die Umkehr verkünden (ἐκήρυξαν - ekēryxan) und Dämonen austreiben.

Weitere Einzelheiten dieser These sind streitig. Das Fazit besteht im Wesentlichen darin, dass Menschenfischer heißt, Jesus in allen Dingen nachzufolgen und es ihm gleich zu tun, so dass Jesus selbst der Menschenfischer par excellence ist. Die wesentlichen Aufgaben eines Menschenfischers seien die Nachfolge Jesu und das Mit-ihm-Sein, die Verkündung, das Austreiben von Dämonen, die Heilung von Kranken etc.

Die vielfältigen wörtlichen Übereinstimmungen zwischen Mk 1,14ff, 3,13ff und 6,7ff sind beeindruckend und können als Erfüllung des in Mk 1,17 versprochenen Entwicklungsprozesses gelesen werden. Die Schwäche dieser These besteht vielleicht darin, dass sie das bildhafte Wort vom „Menschenfischer“ nicht deutet. Man weiß letztendlich, was echte Menschenfischer ausmacht, aber nicht, warum sie als solche bezeichnet werden.


3.5) die politisch-historische These

Diese Auslegung geht davon aus, dass das Markusevangelium um das Jahr 70 auch als Reaktion auf den 1. Jüdisch-Römischen Krieg geschrieben ist und dessen Ereignisse reflektiert, insbesondere auch die Seeschlacht auf dem See von Genezareth im Jahr 67. Josephus (Der jüdische Krieg, Buch 3, 10. Kap.) schreibt dazu:

528 Ueberall ereilte das Verhängnis, hier in dieser, dort in einer anderen Gestalt eine Menge von Juden, während die Uebriggebliebenen auf ihrer Flucht von den Römern, die schon von allen Seiten ihre Nachen umschwärmten, aus dem See hinaus gegen den Strand gedrängt wurden. 529 Hier wurde vielen schon die Landung abgeschnitten, und dieselben noch im See drinnen über den Haufen geschossen, viele, die noch aus den Schiffen springen konnten, wurden von den Römern am Lande niedergestreckt. Weithin erschien der See mit Blut geröthet und mit Leichen angefüllt. Denn gerettet wurde Niemand! … 531 So endete der Seekampf auf dem Gennesar. Alles in allem hatten, mit Einschluss derer, die schon früher in der Stadt gefallen waren, 6500 Juden ihr Leben eingebüßt.

Auch diese These nimmt Bezug auf Jeremia 16,16 und sieht letztlich eine positive Umwertung des Begriffes „Menschenfischer“ durch Markus, betont aber zugleich, dass Markus durch die drastische Wortwahl die Kirche auffordert, sich mehr mit Israel nach den Schrecken des Krieges zu solidarisieren. Ihre Schwäche besteht letztlich ebenfalls in der Unklarheit des Bezuges auf Jeremia.


4) Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass sich die vorbenannten Thesen gegenseitig nicht notwendig ausschließen. Die Errettungs-These lässt sich beispielsweise gut mit der Entwicklungs-These kombinieren, beides würde zugleich eine Art „berichtigte“ Missions-These ergeben.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen