1) Infolge der kleinen Diskussion im
Beitrag über die DhaBaR-Übersetzung „Besalzer der Menschen“
wollte ich mir gern die Interpretationen des Begriffs „ἁλεεῖς
ἀνθρώπων“ (halieis anthrōpōn) aus Mk 1,17 in der
Bedeutung von „Menschenfischer“ näher anschauen.
via howard-carter.blogspot |
Ich stelle in diesem Beitrag fünf
unterschiedliche Thesen dazu vor. Mein Ziel war es, jede
Interpretationsvariante so überzeugend wie möglich darzustellen,
ohne sie unkritisch hinzunehmen. Ich nenne diese fünf Thesen der
einfachen Verständlichkeit halber
- die Missions-These
- die Errettungs-These
- die Endzeit-These
- die Entwicklungs-These
- die politisch-historische These
2) Einführend der Wortlaut von Mk
1,16-17 und einige Beobachtungen am Text:
Καὶ παράγων παρὰ τὴν
θάλασσαν τῆς Γαλιλαίας
Und vorbeiführend neben dem Meer von
Galiläaεἶδεν
(er) sah
Σίμωνα καὶ Ἀνδρέαν τὸν ἀδελφὸν Σίμωνος
Simon und Andreas den Bruder Simons
ἀμφιβάλλοντας ἐν τῇ θαλάσσῃ·
umherwerfend in dem Meer
ἦσαν γὰρ ἁλεεῖς.
(sie) waren nämlich Fischer
καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς
und sagte ihnen der Jesus
Δεῦτε ὀπίσω μου,
Kommt hinter mich
καὶ ποιήσω ὑμᾶς γενέσθαι ἁλεεῖς ἀνθρώπων.
und (ich) werde machen euch zu werden Fischer (von) Menschen.
- „vorbeiführend neben“ (παράγων παρὰ) ist äußerst selten und soll wohl ein zielgerichtetes Vorbeigehen entlang des Meeres andeuten, so dass u.a. das Zusammentreffen mit Simon Petrus und Andreas (sowie Jakobus und Johannes) als bloßer Zufall erscheint.
- „Er sah“ (εἶδεν) hat bei
Markus zuweilen den Anklang eines subjektiven geistigen Sehens. Wenn
Jesus bei der Taufe in Mk 1,10 die Himmel aufgerissen sah („εἶδεν
σχιζομένους τοὺς οὐρανοὺς“) so bedeutet
das nicht, dass diesen Umstand jedermann erblickte oder erblicken
konnte, sondern möglicherweise nur Jesus selbst.
- „umherwerfend“ (ἀμφιβάλλοντας):
Netze werden in Mk 1,16 nicht erwähnt. Ganz wörtlich heißt es
wohl: beidseitig (ἀμφι) werfend (βάλλοντας). Das Wort
hat offensichtlich bereits die antiken Kopisten des Textes irritiert,
da verschiedene Handschriften an dieser Stelle Wörter und
Umschreibungen für „Netze“ (δίκτυα, ἀμφίβληστρον)
nachträglich ergänzten.
- „in dem Meer“: dass Markus
zwischen „in dem“ (ἐν τῇ) und „in das“ (εἰς τὴν)
zu unterscheiden weiß, zeigen vor allem Mk 5,13 und - in Verbindung
mit dem Verb „werfen (in das Meer)“ - Mk 9,42 und Mk 11,23; Simon
und Andreas befinden sich also selbst „im“ Meer.
- „Kommt hinter mich“ ist
Imperativ, dessen Schärfe im Deutschen von der Zeichensetzung
abhängt, z.B. wäre „Kommt! Hinter mich!“ noch gebieterischer.
- „Ich werde machen euch zu werden“
betont, dass Simon und Andreas nicht ab sofort als Menschenfischer
eingesetzt „sind“, sondern erst zukünftig von Jesus zu solchen
gemacht werden sollen und hierzu eine weitere Entwicklung erfolgen
muss. Das Verb γενέσθαι (genesthai) lässt sich im
eingedeutschten „Genese“ gut erkennen.
3) Fünf Thesen
Ich stelle jeweils nur den
Ausgangspunkt und die Zielrichtung der Interpretation vor.
3.1) die Missions-These
Der Klassiker dürfte die Auslegung des
Begriffes Menschenfischer im Sinne von „Einsammlern von Seelen oder
Gläubigen“ durch Missionstätigkeit sein. Sie geht zunächst nur
vom Bild des „Fischers“ aus, der Fische in seinem Netz fängt
bzw. einsammelt und legt dieses Bild im Hinblick auf die
Missionstätigkeit der Apostel aus.
Vormals fand diese These ihr
Hauptargument vor allem in den pseudomarkinischen Schlussversen (Mk 16,15-20) und im Matthäusevangelium, die den Missionsbefehl betonen.
Auch im Rahmen der echten Markusverse mag sie nicht ohne Argument
bleiben (z.B. Mk 6,7ff; 13,10), dürfte jedoch etwas schwieriger zu
führen sein. Überwiegend sollte wohl Einigkeit darin bestehen, dass
für Markus das Eingehen in das Königreich Gottes eine nicht
unerhebliche persönliche Anstrengung in der Nachfolge Jesu
voraussetzt, so dass es mit der bloßen, wenn auch sehr wichtigen
Missionstätigkeit und der darauffolgenden Bekehrung noch nicht getan
ist.
Als Pluspunkt mag man ihre
Auslegungsmethode werten. Jesus gebraucht in Mk 1,17 selbst einen
bildhaften Vergleich (vom Fischer zum Menschenfischer). Insoweit ist
die Art der Auslegung in Bildern konsequent.
3.2) die Errettungs-These
Diese Interpretation geht ebenfalls von
Bildern aus. Zunächst dem des Meeres, dass an vielen Stellen der
hebräischen Bibel als unheilvoller Ort erscheint, aus dem Gott
errettet (explizit z.B. Psalm 69,15-16; 18,16-17). Dieses unheilvolle
Bild des Meeres lässt auch Markus (vor allem in Mk 4,35ff; 5,13;
9,42) aufscheinen.
Die Tätigkeit des Menschenfischers –
bildhaft das Einsammeln von Menschen aus dem Meer - bestünde daher
dem Sinn nach in Errettung aus Unheil. Als Pluspunkt dieser These
kann ebenfalls die Auslegungsmethode in Bildern gewertet werden. Sie
ist zudem vereinbar mit der Auffassung, dass das Heil nach Markus
noch persönliche Anstrengung voraussetzt, da sie „nur“ das
Freimachen des Menschen aus Unheil betont. Schließlich spricht für
diese Interpretation, dass sie ihre Parallele in dem findet, was
Jesus in Mk 1,16-17 mit Simon und Andreas gerade tut. Diese befinden
sich in Mk 1,16 „in dem Meer“ und durch sein Wort „fischt“
Jesus sie aus dem Meer heraus.
Auch wenn man dieser Interpretation
nicht folgt, wird man wohl zugeben müssen, dass sie zulässig ist
und Stärken aufweist. Eine Schwäche besteht vielleicht darin, dass
das Meer bei Markus wohl noch deutlicher den Ort notwendiger
Grenzüberschreitungen (u.a. zwischen Juden und Heiden) symbolisiert,
zu denen Jesus die Jünger nachhaltig antreibt.
3.3) die Endzeit-These
Diese These geht zunächst davon aus,
dass das Bild von den Menschenfischern bereits in der hebräischen
Bibel vorgeprägt ist und zwar in Jeremia 16,16, wo sie als ebenfalls
als „Apostel“ tätig werden: „Siehe, ich will viele Fischer
aussenden (LXX: ἀποστέλλω - apostellō), spricht der HERR, die
sollen sie fischen ...“ Bereits im 3. Jahrhundert hat
Origenes in seiner 16. Jeremia-Homilie auf diese Parallele
hingewiesen und den Begriff der Menschenfischer vor diesem
Hintergrund gedeutet.
Diese Interpretation kann zunächst
geltend machen, dass der gesamte Abschnitt Mk 1,14-20 von
Anspielungen an die hebräische Bibel (in der Septuaginta-Fassung)
durchzogen scheint. Die „Berufungsszene“ der Jünger weist
mehrere auffällige Gemeinsamkeiten mit der Berufung Elisas durch
Elija auf (LXX-3. Kön 19,19). Die Wendung „Kommt hinter mich“
findet sich wörtlich im Munde Elisas in LXX-4. Kön 6,19. Die
Erfüllung der Zeit (des Kairos) in Mk 1,14, das Anbrechen des Heils,
Jesus' Kommen nach Galiläa vom Jordan her und sein Vorbeigehen am
Meer rufen LXX-Jesaja 8,23 (9,1) in Erinnerung (was offenbar auch
Matthäus so verstanden hat – Mt 4,14ff). Die „Einsammlung“
Israels durch die Fischer aus Jer 16,16 zum vermeintlichen Zwecke der
endzeitlichen Rückkehr in das gelobte Land scheint auf den ersten
Blick gut zu passen. Bei näherer Betrachtung erweist sich der Bezug
auf die Fischer aus Jer 16,16 aber als nicht unproblematisch. Die von
Jeremia prophezeite Chronologie scheint wie folgt zu sein:
1. Gott wird sein Volk aus Israel
vertreiben - Jer 16,13: „Darum will ich euch aus diesem Lande
verstoßen in ein Land ...“
2. Dort geben sich die Israeliten der
Götzendienerei hin: „Dort sollt ihr andern Göttern dienen Tag und
Nacht ...“
3. von dort wird Gott die Israeliten
schließlich wieder zurückbringen - Jer 16,15: „ich will sie
zurückbringen in das Land, das ich ihren Vätern gegeben habe.“
4. zuvor erfolgt das doppelte Gericht –
Jer 16,18: „Aber zuvor will ich ihre Missetat und Sünde zwiefach
vergelten ...“
Zwischen 3. und 4. tauchen nun die
Fischer auf – Jer 16,16-17: „Siehe, ich will viele Fischer
aussenden, spricht der HERR, die sollen sie fischen; und danach will
ich viele Jäger aussenden, die sollen sie fangen auf allen Bergen
und auf allen Hügeln und in allen Felsklüften. Denn meine Augen
sehen auf alle ihre Wege, dass sie sich nicht vor mir verstecken
können, und ihre Missetat ist vor meinen Augen nicht verborgen.“
Das Problem ist zunächst, ob die
Fischer zum Zwecke der Rückkehr der Israeliten (Jer 16,15) oder zur
Vergeltung ihrer Sünden (Jer 16,18) ausgesandt werden. Die meisten
deutschen Übersetzungen scheinen anzudeuten, dass ersteres der Fall
ist, aber das ist nach der Markus vorliegenden Septuaginta nicht
deutlich. Zudem scheint Jer 16,17 eher für eine Vergeltungsaufgabe
der Fischer und Jäger bzw. zumindest für das Zusammentreiben zum
Gericht für die „Missetaten“ der Israeliten vor deren Rückkehr
zu sprechen. Auch in letzterem Fall wäre die konkrete Aufgabe der
Fischer als recht „gnadenlos“ beschrieben. Autoren, die dieser
Interpretation folgen, gehen deshalb regelmäßig davon aus, dass
Markus die Aufgabe der Fischer positiv umgedeutet und das
Gewicht auf ihre „endzeitliche“ Aufgabe gelegt habe.
Ihre Schwäche besteht also darin, dass
nach dieser These die Bezeichnung „Menschenfischer“ zwar
vermeintlich aus Jer 16,16 stammen soll, aber die markinischen
Menschenfischer nicht mit denen von Jeremia vergleichbar seien, was
die Herleitung über Jer 16,16 letztlich insgesamt als zweifelhaft
erscheinen lässt.
3.4) die Entwicklungs-These
Diese Interpretation legt zunächst zu
Grunde, dass Jesus in Mk 1,17 das Werden zum Menschenfischer als
Entwicklungsprozess zugesagt hat. Die Bedeutung des Wortes
Menschenfischer sei deshalb aus der künftigen Entwicklung der Jünger
im Markusevangelium ablesbar, insbesondere aus der Einsetzung der
Zwölf (Mk 3,13ff) und der Aussendung der Zwölf (Mk 6,7ff). In Mk
1,17-18 erging der Aufruf „kommt hinter mich“ und der erste
Schritt zum Menschenfischer bestand darin, Jesus nachzufolgen.
In Mk 3,16 sind die Zwölf im zweiten
Schritt nun eingesetzt, nicht nur nachzufolgen, sondern zum einen
„mit ihm zu sein“. In Mk 1,17 hatte Jesus versprochen, er werde
sie zu Menschenfischern „machen“ (ποιήσω – poiēsō). In
Mk 3,14 „macht“ – so wörtlich (ἐποίησεν – epoiēsen)
- er nun die Zwölf. In Mk 1,20 hatte er die Zebedäus-Söhne
„gerufen“ (ἐκάλεσεν - ekalesen). In Mk 3,13 Jesus „ruft
zu sich“ (proskaleitai - προσκαλεῖται) die künftigen
Zwölf. Zum anderen hatte Jesus in Mk 1,14 das Evangelium verkündet
(κηρύσσων - kēryssōn). Auch die Zwölf sind in Mk 3,14 nun
eingesetzt, dass er sie zum verkünden (κηρύσσειν -
kēryssein) aussenden werde (ἀποστέλλῃ - apostellē).
Schließlich kommt in Mk 3,14 neu hinzu, dass sie künftig Vollmacht
(ἐξουσίαν) bekommen sollen, Dämonen auszutreiben.
Im dritten Schritt werden die Zwölf in
Mk 6,7 zu Jesus gerufen (προσκαλεῖται - proskaleitai)
und er sendet (ἀποστέλλειν – apostellein) sie nunmehr
in Erfüllung von Mk 3,14 aus – und zwar jeweils zwei und zwei, so
wie er bereits die vier ersten Jünger in Mk 1,16-1,19 jeweils als
Paar in die Nachfolge gerufen hatte. Sie erhalten nunmehr auch die
Vollmacht (ἐξουσίαν) über die unreinen Geister. Ihrer
Sendung kommen die Jünger in Mk 6,12-13 auch nach, indem sie – wie
Jesus in Mk 1,14 - die Umkehr verkünden (ἐκήρυξαν -
ekēryxan) und Dämonen austreiben.
Weitere Einzelheiten dieser These sind
streitig. Das Fazit besteht im Wesentlichen darin, dass
Menschenfischer heißt, Jesus in allen Dingen nachzufolgen und es ihm
gleich zu tun, so dass Jesus selbst der Menschenfischer par
excellence ist. Die wesentlichen Aufgaben eines Menschenfischers
seien die Nachfolge Jesu und das Mit-ihm-Sein, die Verkündung, das
Austreiben von Dämonen, die Heilung von Kranken etc.
Die vielfältigen wörtlichen
Übereinstimmungen zwischen Mk 1,14ff, 3,13ff und 6,7ff sind
beeindruckend und können als Erfüllung des in Mk 1,17 versprochenen
Entwicklungsprozesses gelesen werden. Die Schwäche dieser These
besteht vielleicht darin, dass sie das bildhafte Wort vom
„Menschenfischer“ nicht deutet. Man weiß letztendlich, was echte
Menschenfischer ausmacht, aber nicht, warum sie als solche bezeichnet
werden.
3.5) die politisch-historische These
Diese Auslegung geht davon aus, dass
das Markusevangelium um das Jahr 70 auch als Reaktion auf den 1.
Jüdisch-Römischen Krieg geschrieben ist und dessen Ereignisse
reflektiert, insbesondere auch die Seeschlacht auf dem See von
Genezareth im Jahr 67. Josephus (Der jüdische Krieg, Buch 3, 10.
Kap.) schreibt dazu:
„528 Ueberall ereilte das Verhängnis,
hier in dieser, dort in einer anderen Gestalt eine Menge von Juden,
während die Uebriggebliebenen auf ihrer Flucht von den Römern, die
schon von allen Seiten ihre Nachen umschwärmten, aus dem See hinaus
gegen den Strand gedrängt wurden. 529 Hier wurde vielen schon die
Landung abgeschnitten, und dieselben noch im See drinnen über den
Haufen geschossen, viele, die noch aus den Schiffen springen konnten,
wurden von den Römern am Lande niedergestreckt. Weithin erschien der
See mit Blut geröthet und mit Leichen angefüllt. Denn gerettet
wurde Niemand! … 531 So endete der Seekampf auf dem Gennesar. Alles
in allem hatten, mit Einschluss derer, die schon früher in der Stadt
gefallen waren, 6500 Juden ihr Leben eingebüßt.“
Auch diese These nimmt Bezug auf
Jeremia 16,16 und sieht letztlich eine positive Umwertung des
Begriffes „Menschenfischer“ durch Markus, betont aber zugleich,
dass Markus durch die drastische Wortwahl die Kirche auffordert, sich
mehr mit Israel nach den Schrecken des Krieges zu solidarisieren.
Ihre Schwäche besteht letztlich ebenfalls in der Unklarheit des
Bezuges auf Jeremia.
4) Abschließend möchte ich darauf
hinweisen, dass sich die vorbenannten Thesen gegenseitig nicht
notwendig ausschließen. Die Errettungs-These lässt sich
beispielsweise gut mit der Entwicklungs-These kombinieren, beides
würde zugleich eine Art „berichtigte“ Missions-These ergeben.
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