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1) Das Buch
Hans Thüsings „Das älteste Jesusbuch: Das Markusevangelium aus dem Urtext neu übersetzt und erläutert“, 2008,
umfasst etwa 150 Seiten. Auf der linken Doppelseite ist jeweils der deutsche
Text des Markusevangeliums nach Thüsings eigener Übersetzung abgedruckt. Thüsing
dazu: „Die Übersetzung aus dem international anerkannten griechischen
Urtext ist so wortgetreu wie nur möglich, weder geglättet noch geschönt. – In
der Regel wird jedes griechische Wort jedes Mal mit dem gleichen deutschen Wort
übersetzt. So steht für ‚euthus’, das bei Markus etwa vierzigmal vorkommt, auch
im Deutschen vierzigmal ‚sogleich’.“
Thüsings Übersetzung besticht durch eine verblüffende
Klarheit der Sprache. Der Text ist sehr leserfreundlich gesetzt, so dass sich bereits
bei der Lektüre Sinnzusammenhänge erschließen. Es ist ein Text, um sich
gedanklich in ihm versenken und über ihn meditieren zu können. Zur
Veranschaulichung dieser Darstellung wähle ich das Gleichnis vom Sämann (Mk
4,2ff) in Auszügen:
2 Er lehrte sie
mächtig in Gleichnissen,
und in seiner
Lehre sagte er zu ihnen:
3 Hört!
Seht, der
Sämann ging aus um zu säen
4 Und es
geschah beim Säen:
Etwas
fiel an den Weg, und die Vögel kamen und fraßen es
…
9 Er sagte:
Wer Ohren
hat zum Hören, höre!
10 Als er allein war,
fragten
ihn die um ihn herum mit den Zwölf nach den Gleichnissen …
Auf der rechten Seite findet sich eine knappe Kommentierung
zum jeweiligen Markustext: „Diese Erläuterungen wollen vor allem auf die
Zusammenhänge im ganzen Buch hinweisen.“
2) Der Monsignore und sein Markus-Erlebnis
Hans Thüsing ist ein Monsignore nicht nur dem Titel und
seinem Aussehen nach, sondern auch in der Art und Weise seines Argumentierens.
Vorsichtig und behutsam führt er den Leser an seine Sichtweise heran, die „mancher
Leserin und manchem Leser“ zuweilen auch „zu fremd und zu gewagt erscheinen“
könnte. Eine anstößige Interpretation findet sich in seinem Buch gleichwohl
nicht. Wie kam Hans Thüsing nun zu seinem etwas anderen Verständnis des
Markusevangeliums und welcher Art ist dieses eigentlich?
Darüber berichtet er etwas ausführlicher in seinem Aufsatz „Das Markus-Evangelium als Buch“ (Pastoralblatt für die Diözesen Aachen u.a., 12/2008,
S. 365-372):
„Damals, Ende der sechziger Jahre, wurde in der
Öffentlichkeit die Frage diskutiert, ob und inwieweit Gewalt gegen Sachen und
Personen erlaubt sei. … Mit diesem Interesse richtete ich mein Augenmerk auf
die so genannte Tempelreinigung. … Und weil das Markus-Evangelium als ältestes
Zeugnis für das Leben Jesu gilt, suchte ich und erwartete ich dort eine
anschauliche Schilderung seiner erstaunlichen Tat zu finden.
Aber ich wurde enttäuscht. Ich fand keinen mehr oder weniger ausführlichen Bericht über diese bedeutungsvolle Begebenheit, sondern in vier kurzen Sätzen nur eine Skizze (Mk 11,15-17). Besonders fiel mir auf: Anstelle einer Wendung wie etwa: ‚Voll Zorn rief Jesus aus…’ findet sich hier: ‚Und er lehrte sie und sprach:’, und statt spontaner Worte der Entrüstung und Empörung oder der Trauer findet sich hier ein doppeltes Zitat, das aus Worten der zwei großen Propheten Jesaja und Jeremia zusammengesetzt ist: ‚Steht nicht geschrieben: Mein Haus wird ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden? Aber ihr habt es zu einer Räuberhöhle gemacht.’
…
Mein ursprüngliches Interesse, durch den Markus-Text ein historisches Bild von der Gestalt Jesu und seinem Verhalten zu gewinnen – ein Interesse, das ich vermutlich mit vielen, die in den Evangelien lesen und sie studieren, teile - wurde nicht so befriedigt, wie ich es mir vorgestellt und gewünscht hatte. Im Gegenteil: Ich musste einsehen, dass eine solche Schilderung des Verhaltens Jesu für das Markus-Evangelium an dieser Stelle nicht wichtig war.
Daraufhin änderte ich meine Fragestellung. Ich verzichtete auf meine ursprüngliche Frage, wie ich mir das Ereignis im Leben Jesu vorzustellen habe. Stattdessen fragte ich von nun an danach, was Markus mit dem Erzählten sagen wolle. Heute formuliere ich das so: Lieber Markus: Wenn du nicht sagen willst, was ich wissen will, dann möchte ich wissen, was du sagen willst.“
Aber ich wurde enttäuscht. Ich fand keinen mehr oder weniger ausführlichen Bericht über diese bedeutungsvolle Begebenheit, sondern in vier kurzen Sätzen nur eine Skizze (Mk 11,15-17). Besonders fiel mir auf: Anstelle einer Wendung wie etwa: ‚Voll Zorn rief Jesus aus…’ findet sich hier: ‚Und er lehrte sie und sprach:’, und statt spontaner Worte der Entrüstung und Empörung oder der Trauer findet sich hier ein doppeltes Zitat, das aus Worten der zwei großen Propheten Jesaja und Jeremia zusammengesetzt ist: ‚Steht nicht geschrieben: Mein Haus wird ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden? Aber ihr habt es zu einer Räuberhöhle gemacht.’
…
Mein ursprüngliches Interesse, durch den Markus-Text ein historisches Bild von der Gestalt Jesu und seinem Verhalten zu gewinnen – ein Interesse, das ich vermutlich mit vielen, die in den Evangelien lesen und sie studieren, teile - wurde nicht so befriedigt, wie ich es mir vorgestellt und gewünscht hatte. Im Gegenteil: Ich musste einsehen, dass eine solche Schilderung des Verhaltens Jesu für das Markus-Evangelium an dieser Stelle nicht wichtig war.
Daraufhin änderte ich meine Fragestellung. Ich verzichtete auf meine ursprüngliche Frage, wie ich mir das Ereignis im Leben Jesu vorzustellen habe. Stattdessen fragte ich von nun an danach, was Markus mit dem Erzählten sagen wolle. Heute formuliere ich das so: Lieber Markus: Wenn du nicht sagen willst, was ich wissen will, dann möchte ich wissen, was du sagen willst.“
Im Ergebnis seiner langjährigen Beschäftigung mit dem
Markusevangelium unterbreitet Hans Thüsing den Lesern nun einige kleine Vorschläge:
Das Lesen des Markusevangeliums
- nicht als Sammlung einzelner kleiner Szenen, sondern im
Ganzen als „kunstvoll aufgebautes, mit überzeugender Einfachheit gegliedertes
und in vieler Hinsicht sehr überlegt formuliertes Werk“
- nicht immer nur als Ausschnitt und Teil der heiligen
Schriften, sondern auch einmal als eigenständiges Werk, dass über eine gewisse „Selbständigkeit“
verfügt
- unabhängig von der Reihenfolge in der Bibel als das
zeitlich älteste und damit erste Evangelium
- unabhängig von den Evangelien nach Matthäus und Lukas, „denn
Markus hat nicht die gleichen Interessen und Schwerpunkte wie Matthäus und wie
Lukas“
- unabhängig von den später entstandenen Überschriften
- als einen Text, der auch „manche Rätsel und besondere
Herausforderungen“ für den Leser bereit hält
- nicht als eine wie auch immer geartete Biografie von
Jesus, sondern als Glaubensbuch
„Damit erweist sich dieses so gut lesbare und anschauliche
Buch als eine Kurzdarstellung des christlichen Glaubens. Alles Wesentliche
kommt zur Sprache, mit der Person Jesu verbunden, verlässlich und in
meisterhafter Ordnung dargeboten. Als erster ‚Grundriss der christlichen
Heilsverkündigung’, erster in der bald zweitausend Jahre langen Geschichte der
Christenheit, zugleich als ältestes Jesusbuch und Glaubensbuch ist es bis heute
unübertroffen und unersetzlich.“
Zu Thüsings eigenen Forschungsergebnissen gehört vor allem
die Entschlüsselung der von Markus vorgenommenen Gliederung des Evangeliums in
drei Hauptteile sowie die Untergliederung der ersten beiden Hauptteile in fünf
Lehreinheiten:
- Die neue Lehre (Mk 1,16-3,6)
- Vom Wort (Mk 3,7-4,34)
- Vom Glauben (Mk 4,35-6,6a)
- Vom Brot (Mk 6,6b-8,26)
- Vom Weg (Mk 8,27-10,52)
3) Ein Markus mit „Persönlichkeit“
Die Mehrheit der christlichen Exegese hat Markus selten
Charakter zugesprochen. Sie hat ihn in ihrer fast 2000jährigen Geschichte als einen
„Augenzeugen von Jesus“ oder als „Dolmetscher von Petrus“ oder als „Sammler und
Herausgeber von Jesusüberlieferungen“ interpretiert. Am Ende blieb von seiner
eigenen Persönlichkeit kaum etwas übrig. Sie konnte sich für Matthäus, Lukas oder
Johannes stets mehr erwärmen als für Markus.
Im vergangenen Jahr 2014 veröffentlichte Prof. Dr. Sandra
Hübenthal ihr Werk „Das Markusevangelium als kollektives Gedächtnis“ mit dem
die Depersonalisierung von Markus nun einen neuen Höhepunkt erreicht. Auf mehr
als 500 selbstverliebten Seiten wird dabei nicht dem Markusevangelium an sich,
sondern der „These“ der Professorin und anderer Theologen nachgegangen, dass
man das Markusevangelium ja als Schöpfung eines „kollektiven Gedächtnisses“
begreifen könne.
Die Intention von Hans Thüsing bewegt sich jenseits
derartiger Eitelkeiten: „Meine ursprüngliche Absicht war es, so wenig
Erläuterungen wie möglich zu geben, damit der Text des Markusevangeliums nicht
in den Hintergrund tritt.“ Kein Wunder, dass er im Gegensatz zur
Wissenschaftlerin ein kluges Bild von Markus zeichnet:
„Ich liebe diese Bild aus der Schedelschen Weltchronik von
1493, weil es den Evangelisten Markus so lebendig zeigt als einen Gelehrten mit
wachen, aufmerksamen, kritischen Augen, ein Fass von Gelehrsamkeit. Die Mitte
des Bildes ist das sehr sorgfältig dargestellte Buch, schön aufgeschlagen. Er
hält es in seiner linken Hand, der Zeigefinger seiner Rechten weist bedeutsam
darauf hin. Unten schaut der Löwe, das Symbol des Markus, so verschmitzt aus
dem Bild, als wolle er auf eine besondere Eigenart des Markusevangeliums
hinweisen: ‚Da ist etwas versteckt, damit man es entdeckt.’“
Man lese Thüsings Buch – um mit Jesaja und Markus zu
sprechen - als die behutsame Stimme eines Rufenden, der in der Wüste der
deutschen Markuswissenschaft dem ältesten Evangelium den Weg bahnt.
Danke, auch für den guten Kommmentar zu Hans Thüsing. Auf den ich gestoßen bin, als ich dessen Namen googelte. Denn Philo von Alexandrien, den ich nach seinen heute gut kommentierten Werken (Otto Kaiser) eines denkenden Glaubens gerade als Zeuge des hellenistischen Judentums, aus dem die Texte des Neuen Testamentes, wie die kirchliche Lehre entsprangen deutlich machen lasse, dass jeder Satz des "ältesten biblischen Jesusbuches" das abbildet, was die jüdische Vernunftlehre der sog. Zeit Jesus historisch bewirkte und für diese Josua, lat. Jesus war, bedankt sich gerade beim Bibelwerk, dass Thüsing kommentierte. Währen dessen Heidelberger Kollegen, die Jesus als in Galiläa landsteichenden Säufer mit damals häretischen Ansichten lehren und in ihrer aufgeklärten Weise schreiben müssten, dass der gebildete Theologe, der als Markusverfasser gilt, hellenistisches Geistesgut präsentierte, lässt Thüsing (trotz allen Aufgreifens der heutigen Herleitung der Geschichten, Bilder, Begrifffe oder seinem Aufzeigen einer literarischen Komopsitition, was allein schon deutlich macht, dass es nicht um die Story von einem Sektengründer vom See Genezareth ging) den wachen Gebildeten vom historischen Jesus in höchsten theologischen Tönen schwärmen.
AntwortenLöschenDoch nicht nur, weil sich wie Philo zeigt,es das philosophische, trotzdem an die prophetische Tradition anknüpfende hellensitische Judentum war, das Moses in Josua auf neue Beine stellte, von Pharisäern als häretisch abgelehnt und im Prozesss der Zeit auch vom Kaiserkult angegriffen wurde, all das bewirkte, was der Gebildete in Markus abbildete. Dieser wache jüdische Gebildete des hellenistischen Judentums, den Thüsing zurecht vor Augen hat, der hätte völlig unmöglich die Story von einem jungen Guru vom See Genezareth verfast, diesen in den Himmel gehoben bzw. theologisch hellenisiert.