via phdiva.blogspot |
Die Webportale des Magazins
„G/Geschichte“ und von live.net berichteten unlängst vom
vermeintlichen Fund des ältesten Papyrus-Fragments des
Markusevangeliums, das aus dem 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung
stammen soll: „Wissenschaftler … datieren den Markus-Papyri auf
das Jahr 90 oder älter.“ Das Fragment sei in einer ägyptischen
Mumienmaske enthalten gewesen und aus dieser extrahiert worden.
via facesandvoices.wordpress |
Ich möchte einige Hintergrundinfos zu
dieser Nachricht ergänzen. Zuächst die entscheidenden Fakten:
In Wahrheit weiß selbst die Welt der Wissenschaft bislang nichts über dieses angebliche Fragment und wartet darauf bereits seit 3 Jahren. Es liegen lediglich Verlautbarungen vor, nach denen es ein solches Fragment geben und dieses auf das 1. Jahrhundert datiert sein soll. Aber schön der Reihe nach:
In Wahrheit weiß selbst die Welt der Wissenschaft bislang nichts über dieses angebliche Fragment und wartet darauf bereits seit 3 Jahren. Es liegen lediglich Verlautbarungen vor, nach denen es ein solches Fragment geben und dieses auf das 1. Jahrhundert datiert sein soll. Aber schön der Reihe nach:
1. Akt
Am 01.02.2012 fand in der Universität
in Chapel Hill, North Carolina, USA, eine öffentliche Diskussion
zwischen den anerkannten Bibelwissenschaftlern Bart Ehrman und Daniel
B. Wallace statt. Im Rahmen dieser Debatte wurde die Frage erörtert,
wie verlässlich der uns heute bekannte Evangelientext und wie hoch
seine Übereinstimmung mit dem Original tatsächlich sei. Ehrman
zweifelte daran und verwies u.a. darauf, dass das älteste Manuskript
des Markusevangeliums, der Papyrus 45, aus dem 3. Jahrhundert stamme.
Dem hielt Wallace entgegen, dass nunmehr eine Kopie des
Markusevangeliums aus dem 1. Jahrhundert bekannt geworden sei. Für
jeden, der sich mit der Materie auskennt, war diese Info eine
Sensation! Die Legende vom ältesten Fragment des Neuen Testaments
war damit geboren.
Ehrman dazu im Rückblick: „During the debate he dropped a bombshell, on me and all of us. He mysteriously claimed that now we have a first-century copy of the Gospel of Mark. This would be a copy well over a century older than any other that exists, and would give us a copy that is very close in date to the original. He dropped the bombshell purely as a debating strategy, not in order to provide real information ...“
In den darauffolgenden Tagen breitete
sich die Information von Wallace aus. Wallace selbst gab dazu einige
ergänzende Kommentare, in denen er darauf verwies, dass er weder der
Entdecker des Papyrus noch mit dessen wissenschaftlicher Erforschung
betraut sei. Er habe lediglich davon gehört: „Im just the
messenger, and I mentioned it at the debate because I just learned
about it.“
Auf seinem eigenen Blog gab Wallace am
22.03.2012 dazu eine kleine Erklärung ab: „I noted that a
world-class paleographer had dated this manuscript and that he was
pretty darn sure that it belonged to the first century. All the
details will be coming out in a multi-author book published by E. J.
Brill sometime in 2013.“
Nachdem in den Jahren 2012 oder 2013
keine weiteren Informationen über das mysteriöse Papyrus-Fragment
bekannt wurden und auch eine Veröffentlichung ausblieb, unkte man
bereits, es stünden „einige hier, die werden den Tod nicht
schmecken, bis sie sehen“ den Markus-Papyrus „kommen mit Kraft“
(Mk 9,1).
2. Akt
Die Geschichte erlangte neue
Aufmerksamkeit durch kritische Blog-Veröffentlichungen der
Wissenschaftler Roberta Mazza und Brice C. Jones Anfang und im
Verlauf des Jahres 2014. Beide bezogen sich dabei zunächst auf
Videos des modernen „Indiana Jones“ und anerkannten
Wissenschaftlers, Scott Carroll, sowie des christlichen Apologeten
und Erweckungspredigers Josh McDowell. Carroll und McDowell
berichteten von ihren Erfahrungen bei der Gewinnung von
Papyrusfragmenten aus Mumienkartonagen - Carroll als ehemaliger
Direktor der Green Collection, McDowell als begeisterter Zuschauer
(und möglicherweise wohl auch als Finanzier).
Hintergrund dieser Papyri-Entdeckungen ist, dass bei der Mumifizierung antiker ägyptischer „Normalbürger“ Mumienmasken und Sarkophage aus Papiermaché hergestellt wurden. Bestandteil des Papiermachés waren dabei häufig auch mit Texten beschriebene Papyrus-Abfälle (also „Altpapier“), die die Maskenhersteller möglicherweise in großen Mengen aus Alexandria bezogen. Die Papyri wurden dabei in Schnipsel und Fetzen gerissen und mit anderen Materialien, z.B. Leinen, durch Kleister in die gewünschte Form verklebt und schließlich bemalt. Durch Eintauchen in Palmolive-Wasser lassen sich der Kleister wieder auflösen und – bei entsprechend vorsichtiger Behandlung - die Papyri zurückgewinnen.
Scott Carroll via bricejones.com |
In dem Video (Link) erklärt Scott Carroll:
„If you look on the screen you see texts discovered of almost many
of the Old Testament books with New Testament books, most of the
Gospels, including a first century text of the Gospel of Mark. That's
the earliest, that will be the earliest text of the New Testament
[...] We're looking now at a text of Mark that dates between 70 and
110."
Und Josh McDowell: „It was in here
that we discovered Mark, the oldest ever: back to the first century.
... Now, what you do, you take this mask [chuckles]… You take these
manuscripts, we soak them in water. There is a process we use with
huge microwaves to do it but it’s not quite as good. We put it down
into water at a certain temperature and you can only use Palmolive
soap, the rest will start to destroy the manuscripts; Palmolive soap
won’t. And you start massaging it for about 30-40 minutes you’ll
pull it up and ring it out, literally ring it out, these are worth
millions, and you’ll put it back in for 30-45 minutes.“
3. Akt
Auf der „2014 Apologetics Canada
Conference“, die Anfang März 2014 stattfand, hielt schließlich
der Bibelwissenschaftler Craig Evans einen Vortrag, dessen Mitschnitt
am 24.07.2014 bei youtube veröffentlicht wurde.
Craig Evans dazu: „Someone
video-recorded and posted on YouTube a lecture I gave last summer (?)
on the number, age, and reliability of New Testament manuscripts. In
this lecture I described the effort under way in recent years to
recover manuscript fragments, including biblical manuscripts, from
ancient cartonnage, including mummy masks. All of these materials are
from Egypt. Just over three years ago a fragment of Mark was
recovered, which those studying it think dates to the 80s. If they
are correct, this will be the first New Testament manuscript that
dates to the first century. The fragment is to be published later
this year (by E. J. Brill).“
P.J. Williams bemerkte am gestrigen Tag, dass Craig Evans ihm auf seine Anfrage hin mitgeteilt habe, dass er das Fragment selbst nicht gesehen habe und auch die Gelehrten nicht kenne, die für seine Veröffentlichung verantwortlich zeichnen werden.
Letzter Akt
Schließlich veröffentlichte das
Nachrichtenportal livescience am 18.01.2015 einen Beitrag über die
„Entdeckung“ des Markusfragments auf Grundlage von Craig Evans
Angaben, auf dem viele Nachrichtenmeldungen in aller Welt basierten.
Zwischenzeitlich sind auch einige Fotografien zusammengetragen, unter
denen eine das Markusfragment abbilden soll.
Trotzdem ich mir große Mühe bei der
Entzifferung einzelner Wörter auf den fotografierten Papyri gab,
konnte ich bislang keines dem Markustext zuordnen (dafür eines dem
1. Korinther 10). Freilich sind manche Papyri-Fotos – aufgrund der
Qualität der Fotos, der Kleinheit des Schnipsels und der teilweise
unleserlichen Schrift - für mich einfach nicht entzifferbar.
Zusammenfassung
Bislang ist das fragliche Papyrus also
noch nicht offiziell vorgestellt. Ob es auf einem der Fotos wirklich
abgebildet ist, ist ebenfalls noch ungeklärt, wenn auch vielleicht
nicht unwahrscheinlich. Wer der Eigentümer ist, welche
Wissenschaftler es erforschten, welche detaillierten Gründe für
eine Datierung auf das 1. Jahrhundert sprechen, welchen Textabschnitt
des Markusevangeliums es enthält, all dies sind noch ungeklärte
Fragen. Die Behauptung, dass das Fragment aus dem 1. Jahrhundert
stamme, wird in den Verlautbarungen mit paläografischen Begutachtungen,
einem Test mit der Radiokarbonmethode, den in der Maske mitgefundenen
Texten sowie weiteren Umständen begründet. Beachtlich ist hierbei,
dass die Paläografie und der Radiokarbontest eine derart genaue
Datierung, wie sie zuletzt mit vor 90 n.Chr. angegeben wurde, in der
Regel nicht ermöglichen. Gerüchte kursieren, dass die
Veröffentlichung sich erneut auf 2017 verschoben hat: „Und so
sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“
Meine Mutmaßung
Mein Tipp ist, dass es das fragliche
Markusfragment gibt, aber das andere Wissenschaftler
eine Datierung auf das 2. Jahrhundert nicht ausschließen oder sogar
favorisieren werden.
Viel spannender scheint mir die Frage,
was ein Schnipsel des Markusevangeliums aus dem 1. oder 2.
Jahrhundert in einer ägyptischen Mumienmaske zu suchen hat. Die
romantische Vorstellung, dass fromme Urchristen des Nachts bei
Öllampenschein das Markusevangelium abschrieben und die kostbaren
Papyrusblätter von Hand zu Hand und von Gemeinde zu Gemeinde wie
einen Schatz weitergaben und sorgsam behüteten, dürfte dem wohl
nicht entsprechen. Vielleicht war die Verfielfältigung des
Evangelientextes im antiken Ägypten gar der „weltlichen
Buchproduktion“ angeschlossen.
P.S. Der Fall wirft weitere Fragen auf,
auf die ich nicht näher eingehen, sie aber kurz benennen möchte.
- Ethisch: die Zerstörung antiker
Mumienmasken, obwohl die bemalte „Deckschicht“ bei Anwendung moderner
Verfahren erhalten werden kann.
- Rechtlich: der Handel mit nach 1972
aus Ägypten ausgeführten Papyri ist wohl teilweise verboten.
- Wissenschaftlich: In jedem anderen
Fachgebiet wird erwartet, dass zunächst der Forscher selbst seine
Erkenntnisse veröffentlicht und nicht durch Dritte Gerüchte darüber
gestreut werden. Diese hier angewandte „unwissenschaftliche“
Vorgehensweise scheint insbesondere in der biblischen Papyrologie
Mode geworden zu sein.
- Nochmals wissenschaftlich: Der ganze
Fall riecht nach viel Geld, finanziellen und apologetischen
Interessen.
Fantastisch, das ist DER definitive deutsche Kommentar zu der Geschichte, den ich schon so lange vor mir herschiebe!
AntwortenLöschenKurioses Problem mit deiner Seite: Öffne ich sie in Chrome oder Firefox in Linux, stürzt nicht nur der Browser, sondern meine ganze Session ab. Ich musste extra Windows anwerfen, um diesen Kommentar loszuwerden! Irgendeine Ahnung, woran das liegen könnte? :-D
Gruß,
Ben
Recht vielen Dank, Ben. Ich hab die Videos mal rausgenommen und hoffe, dass es daran lag. Gruß und schönes Wochenende, Kunigunde
AntwortenLöschenGerne! Es passiert leider schon länger, egal auf welcher Seite des Blogs. Aber ich vermute inzwischen, dass es ein Software-Problem ist. Heute ist mir das auch mit einer anderen Seite passiert.
AntwortenLöschenP.S.: Dein Beispiel war die fehlende Motivation, sodass ich jetzt doch noch einen Post zum Thema zustandegebracht habe.
Larry Hurtado schrieb am 28.07.2017, dass er nicht mehr mit einer Veröffentlichung des Papyrus rechne. Enttäuschend, dass die Geschichte so endet und es sich wohl um einen Bluff handelte.
AntwortenLöschenhttps://larryhurtado.wordpress.com/2017/07/28/another-first-century-gospel-of-mark-not/