Frage: Warum ist Jesus so herablassend gegenüber der Frau?
Mk
7,27: „Und er sprach zu ihr: Lass zuerst die Kinder satt werden; es
ist nicht gut,
dass man den Kindern das Brot wegnehme und werfe es vor die
Hündchen.“
via allaboutchris |
Jeder etwas sorgfältige Leser des Markusevangeliums wird sicher über
diese Stelle stolpern. Auf der Erzählebene wendet sich eine flehende
Mutter aus Sorge um ihr Töchterchen an Jesus. Jesus weist die
ehrerbietige Frau zunächst nicht nur ab, sondern beleidigt sie
indirekt auch noch als unreines „Hündchen“. Markus erläutert
den Grund für Jesus Beleidigung nicht. Der Leser muss sich selbst über
diese Stelle Gedanken machen und nach den Gründen für Jesus´
„arrogante“ Absage suchen.
1) Fünf Gelehrtenmeinungen
Vor etwa einem Monat hat David D.M. King einen kleinen Essay über
diese Frage geschrieben und dazu verschiedene Gelehrtenmeinungen
untersucht sowie deren einzelne Schwächen und Stärken diskutiert.
In leicht geänderter Reihenfolge, gekürzt und etwas volkstümlich
ausgedrückt sind es die folgenden:
1. Jesus meint es gar nicht so, das griechische Wort für „Hündchen“
bezeichnet nur kleine, im Hause lebende Hundewelpen, Jesus scheint
bei seinen Worten gewissermaßen zu zwinkern
2. Jesus möchte allein sein, er ist verärgert über die Störung
der Syrophönizierin und hat nicht „seinen besten Tag“
3. Jesus ist nur zu den Juden „gesandt“ und verachtet Heiden, er
ist von den Gegebenheiten seiner Zeit geprägt, die Syrophönizierin
verändert seine Sicht auf die Heiden
4. Jesus ist rassistisch, von den Gegebenheiten seiner Zeit geprägt,
die Syrophönizierin verändert seine Sicht auf „Ausländer“
5. Jesus ist ein ziemlicher Macho, von den Gegebenheiten seiner Zeit
geprägt, die Syrophönizierin verändert seine Sicht auf Frauen
Theorie 1 negiert das Problem der Beleidigung, Theorie 2 erklärt die
Beleidigung aus einem zufälligen Augenblicksversagen heraus, die
Theorien 3-5 geben als Grund der Beleidigung eine intolerante
Einstellung von Jesus zu einem Wesenszug der Syrophönizierin an.
Wie David D.M. King bin ich der Meinung, dass die Schwäche der
beiden ersten Theorien darin besteht, dass sie das Problem „umgehen“
oder als „zufällig“ hinstellen. Diese Positionen verkennen, dass
Markus die Leser offensichtlich mit Absicht vor dieses Problem
stellt. Die Leser sollen sich meines Erachtens gerade daran „stoßen“
und über die von Markus nicht genannten Gründe der Beleidigung
nachdenken.
Die Theorien 3-5 halte ich ebenfalls für unzutreffend …
2) Die traditionelle Sichtweise nach Matthäus
Der erste Markusinterpret, der sich erkennbar dieser Frage zuwandte,
ist der eher judenchristlich geprägte Evangelist Matthäus. Seine
Sichtweise entspricht im Wesentlichen der Theorie 3, die deshalb nach
wie vor die überwiegende Auffassung darstellt. In Mt 15,21 hat
Matthäus die Beleidigung der Frau anscheinend auf zwei Umstände
gestützt: Jesus, der Sohn Davids, ist nur zu den Juden gesandt und
damit nicht zu den unreinen Heiden. Die Frau stört Jesus daher bei
seiner eigentlichen und wichtigen Missionsaufgabe und als unreine
Heidin ist sie es nicht wert, dass Jesus sich ihr widmet. Bei
Matthäus ist Jesus noch herablassender und beleidigender als bei
Markus.
Es ist natürlich offensichtlich, dass das Thema Juden und Heiden
auch bei Markus eine Rolle spielt. Dennoch erscheint es mir falsch,
der Stelle bei Markus den gleichen Sinn wie bei Matthäus zu geben.
Ursache hierfür ist die Lehrrede, die der markinische Jesus vor
seinem Ausflug nach Tyrus in Mk 7,1ff gehalten hat. Der wichtigste
Gedanke daraus ist folgender:
Mk 7,18ff: „Merkt ihr nicht, dass alles, was von außen in den
Menschen hineingeht, ihn nicht unrein machen kann? Denn es geht nicht
in sein Herz, sondern in den Bauch und kommt heraus in die Grube.
Damit erklärte er alle Speisen für rein. Und er sprach: Was aus dem
Menschen herauskommt, das macht den Menschen unrein; denn von innen,
aus dem Herzen der Menschen, kommen heraus böse Gedanken, Unzucht,
Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Arglist, Ausschweifung,
Missgunst, Lästerung, Hochmut, Unvernunft. Alle diese bösen Dinge
kommen von innen heraus und machen den Menschen unrein.“
Thema dieser Lehrrede ist zunächst die Reinheit bzw. Unreinheit von
Speisen, aber Markus erweitert das Reinheitsthema weit über die
Frage der Speisevorschriften hinaus. Im allgemeinen könnte als
Credo dieser Lehrrede bei Markus festgehalten werden, dass
nicht Äußerlichkeiten einen Menschen verunreinigen, sondern nur was
aus seinem Herzen kommt, wie Gedanken, Äußerungen, Taten etc.
Vor diesem Hintergund erscheinen die Theorien 3-5 höchst
zweifelhaft. Nach dem Inhalt der Lehrrede ist es eher ausgeschlossen,
dass der markinische Jesus, der gerade noch alles „Äußerliche“
für irrelevant erklärt hat, die Syrophönizierin wegen ihres
Heidentums, ihrer syrophönizischen Herkunft oder ihres Geschlechts
beleidigt haben könnte. Konsequent zu Ende gedacht muss der Grund
der Beleidigung deshalb ein anderer sein. Er muss – wenn man dem
Gedanken von Markus aus der Lehrrede folgt - in einem bestimmten
Verhalten der Syrophönizierin und nicht in einem ihrer Wesenszüge
liegen.
3) Auf der Suche nach einer Alternative
Was aber könnte sie "falsch" gemacht haben? Hier noch einmal der Text
unmittelbar vor der Beleidigung:
„Von dort aber aufstehend ging er in
das Gebiet von Tyrus. Und hineingegangen in ein Haus wollte er es
niemanden wissen lassen, aber konnte nicht verborgen bleiben, sondern
sofort hatte eine Frau von ihm gehört, deren Töchterchen (θυγάτριον
- thugatrion) einen unreinen Geist (πνεῦμα ἀκάθαρτον
- pneuma akatharton) hatte, und war gekommen, und fiel nieder zu
seinen Füßen, aber die Frau war eine Griechin/Hellenin/Heidin, eine
Syrophönizierin nach der Herkunft, und befragte ihn, dass er den
Dämon (δαιμόνιον - daimonion) aus ihrer Tochter (θυγατρὸς
- thugatros) hinauswerfe.“
Auf der Textebene fällt auf, dass zunächst von einem
Töchterchen die Rede ist, die einen unreinen Geist hat. Im Gegensatz
dazu befragt die Syrophönizierin Jesus, dass er den Dämon aus ihrer
Tochter austreiben möge. Somit bestünde die theoretische
Möglichkeit, dass im Markusevangelium ein „unreiner Geist“ etwas
anderes als ein „Dämon“ ist. Die Austreibung eines Dämons würde
dann möglicherweise nicht bedeuten, dass das Töchterchen zugleich auch von dem
Geist der Unreinheit befreit wird. Sie bliebe dann nach wie vor
unrein. Wenn dies zuträfe, wäre die „Beleidigung“ der Frau als
unreines Hündchen nachvollziehbar und würde nicht einen äußerlichen
Wesenszug der Syrophönizierin betreffen, sondern einer „von innen“
kommenden Äußerung geschuldet sein.
Die Heilkunst des hochkarätigen „Facharztes“ Jesus würde in
diesem Fall „missbraucht“. Er wäre zweifellos in der Lage, den
Geist der Unreinheit zu bannen, der das Töchterchen befallen hat,
aber die syrophönizische Mutter ist außer Stande, die wirkliche
Krankheitsursache der Tochter zu verstehen und bittet nur um eine
minderwertige Kur, die das eigentliche Problem des Töchterchens gar
nicht beseitigt. Passend zu diesem Gedanken hatte der markinische
Jesus in seiner Lehrrede - und zwar als letztes - auch die
„Unvernunft“ als eines der bösen Dinge aufgezählt, die von
innen, aus dem Herzen kommen, und den Menschen unrein machen.
Diese Möglichkeit nehme ich zunächst als Arbeitshypothese. Ob es
sich tatsächlich so verhält, kann nur nach Prüfung der
Damönengeschichten im Markusevangelium entschieden werden.
Wenn sie aber zutrifft, dann ist die Erzählung über die
Syrophönizierin auch eine Prüfungsaufgabe für den Leser. Hat er
die Lehrrede Jesu in Mk 7,1ff vollständig und richtig verstanden
oder nicht? Markus böte dann dem Leser wie in einem multiple-choice-Test
eine falsche Antwort (Äußerlichkeit: Frau, Heidin, Syrophönizierin)
und eine richtige Antwort an (Innerlichkeit: Unvernunft über
Reinheit/Unreinheit).
4) Johannes als wahrer Markusinterpret?
Eines sei jedoch bereits hier ergänzt. Im Johannesevangelium finden
wir eine Erzählung von Jesus und einer Samaritanerin, die in einigen
Punkten an unsere Syrophönizierin erinnert. Kern der Geschichte ist
ebenfalls ein Missverstehen der Frau:
Joh 4,9: „Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest
mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine
samaritische Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den
Samaritern. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest
die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu
trinken!, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser. Spricht
zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen
könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges
Wasser? Bist du mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen
gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein
Vieh. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser
trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken
wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern
das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des
Wassers werden, das in das ewige Leben quillt. Spricht die Frau zu
ihm: Herr, gib mir solches Wasser, damit mich nicht dürstet und ich
nicht herkommen muss, um zu schöpfen!“
Auch bei Johannes sind die Äußerlichkeiten (Geschlecht, Glauben,
Herkunft) für Jesus ohne Bedeutung. Auch ihr Problem liegt allein in
einer Verstehensfrage: der Bedeutung des Lebenswassers.
Die Griechin aus Syrophönizien
Teil 1 - Jesus in einem Streitgespräch schlagen
Teil 2 - Den verborgenen Heiland wittern und als „Kyrios“
bekennen
Teil 3 - Jesus’ bizarrer Umweg zur Syrophönizierin
Teil 4 - Fragen zur Syrophönizierin
Teil 5 - Jesus beleidigt die Syrophönizierin als Hündchen
Zugabe - Von Dämonen und unreinen Geistern
Danke für den anregenden Stoff zum Nachdenken!
AntwortenLöschenIch muss zugeben, dass ich die Stelle weder allzu eingehend oder über Monate studierte habe. Einige Anmerkungen hätte ich aber doch.
Die Überlegung, dass Dämonen von unreinen Geistern zu unterscheiden seien, überzeugt mich nicht. Ich sehe keine sprachlichen Anhaltspunkte dafür. Im Gegenteil spricht Mk 7,24-30 eher dafür, dass die beiden Begriffe referenzidentisch sind. Zudem hätte ich erwartet, dass das in 2000 Jahren Kirchengeschichte schon anderen Auslegern aufgefallen wäre. Und schließlich müsste so eine Hypothese m.E. mit deutlich handfesteren Argumenten zu belegen sein, wenn sie zutreffen sollte.
Was für mich aber noch schwerer wiegt: Der Gehalt der Erzählung liegt wohl kaum in der begrifflichen Unterscheidung zwischen "Dämon" und "unreiner Geist", oder dass Markus damit auf die Unreinheit der Frau hinweisen wollte. Für seine Leser ist die Frau als Heidin sowieso schon unrein. Indem Jesus sich auf eine nichtjüdische Frau einlässt, durchbricht er auch so schon die Konventionen seiner Gesellschaft. Das müsste den damaligen Lesern doch viel eher auffallen als ein hypothetische Unterscheidung zwischen Dämon und unreinem Geist.
Es gibt zudem ziemlich plausible Hinweise, dass Jesus die Frau nicht so hart angeht, wie der heutige Leser das versteht. Ein paar habe ich in einem flüchtigen Kommentar gesammelt (http://www.offene-bibel.de/wiki/index.php5?title=Kommentar:Markus_7#Hintergr.C3.BCnde_zu_der_cleveren_Syroph.C3.B6nizierin_.2824-30.29). Die Kommentare von Guelich, Marcus und Hurtado erscheinen dabei besonders hilfreich. Ganz klären lässt sich der Tonfall des Gesprächs allerdings tatsächlich nicht, das geben der von mir zitierte France und auch der im Artikel verlinkte King zu. Hier sehen wir wohl eine lange überlieferte Tradition, deren tatsächlicher Gehalt vielleicht auch Markus und/oder Matthäus nicht mehr bekannt war, die er aber benutzt hat, um eine theologische Kernaussage seines gesamten Buchs zuzuspitzen.
Diese theologische Kernaussage des Evangeliums liefert ein Blick auf den Makrokontext:
1. Jesus erklärt kurz vorher alle Speisen für rein.
2. Jesus hat vorher ein Speisungswunder für die Juden vollbracht. Ich denke zudem an die Interpolation in Kap. 6: den Kontrast zwischen Herodes' grausamem Festmahl auf der einen und Jesu gewissermaßen das Himmelreich vorwegnehmendem Speisungswunder auf der anderen Seite. Markus macht hier eine theologische Aussage über das eschatologische Festmahl der Bürger von Gottes Reich.
In Kapitel 8 folgt bald auf den Dialog mit der Heidin gleich das nächste Speisungswunder, das symbolisch die Heiden bezeichnen könnte, die Anteil am Reich Gottes erhalten. Bestätigt Markus damit nicht die Botschaft, die der Leser schon von der Syrophönizierin erhalten hat?
Aus dem Kontext lässt sich also schließen, dass Jesus keine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber Heiden hat. Zumindest der Evangelist erklärt ihnen ja als seinen Lesern jüdische Bräuche und beschreibt, dass aus dem Kreuzestod als erstes ein Heide den Schluss zieht, dass Jesus der Messias war (15,39).
Auch nicht gegenüber Frauen, das hat Jesus ja in Kap. 5 an gleich zwei geheilten Frauen/Mädchen gezeigt und tut es in Kap. 14 wieder, als er die Frau verteidigt, die ihn salbt.
Am Ende weist Markus' Makro-Struktur darauf hin, dass Jesus zuerst den Juden als Messias dient, die Heiden aber ebenfalls einen Platz an der himmlischen Tafel finden werden. Heilsgeschichtlich kommen die Juden zuerst. Die Syrophönizierin ist die plastischste Herausarbeitung dieses Themas.
Danke Ben. Auch ich denke, dass es wesentlich leichter fällt, den größeren Zusammenhang der Szene (Juden-/Heidenmission) zu begreifen und stimme Deinen Anmerkungen in diesem Punkt zu.
AntwortenLöschenDie schwierigeren Herausforderungen stellen sich meines Erachtens einerseits im Gesprächs- und Handlungsverlauf der Szene selbst: die vermeintliche Abwesenheit der Jünger, der scheinbare Themen-"Wechsel" von Dämonen zu Broten, die Gründe von vorläufiger Ablehnung Jesu und nachträglicher Zuwendung sowie schließlich der nicht ausdrücklich erwähnte Exorzismus, um nur die wesentlichsten zu nennen.
Das weitere große Problem scheint mir die logische Verknüpfung der Szene mit dem von uns beiden angenommenen Zusammenhang (Heidenmission). Was hat sich nun eigentlich geändert? In welchem Sinn ist durch die Syrophönizierin der Weg geebnet für die heidnische Speisung der 4000? Vor allem auch, wieso hat Jesus bei der Syrophönizierin plötzlich Bedenken, die er bei dem Gerasener noch nicht hatte?
Ich glaube, die beste und ehrlichste Haltung zu diesen Problemen kann zunächst eigentlich nur die Aussage sein: Sorry, aber ich habe Null-Ahnung, was das alles bedeuten soll - um sich dann so gut wie möglich "ranzutasten".
Als ich den Beitrag heute noch einmal las, habe auch ich eine gewisse Schieflage empfunden. Nach wie vor überzeugt mich aber der Ausgangspunkt. Ich denke noch immer, dass man die "Beleidigung" - egal wie sanft sie war - nicht gänzlich verneinen kann und das die Logik der Rede aus Mk 7,1-23 gebietet, nach einer Alternative zu den herrschenden Meinungen (unreine Ungläubige, Ausländerin, Frau) zu der Frage suchen, aus welchen Gründen Jesus die Frau zunächst abweist und warum ihre Antwort ihn umzustimmen vermag.
Gleichwohl scheint mir heute die Handlung der Frau in Mk 7,25-26 wesentlich komplexer als ich beim Schreiben des Beitrags annahm.