Freitag, 16. Mai 2014

Von Dämonen und unreinen Geistern

via blog.richmond

Auch heutzutage sind viele Gläubige weltweit von der realen Existenz von Dämonen überzeugt. Pater Francesco Bamonte, der Exorzist der Diözese des Papstes, gab erst unlängst grundlegende Einsichten in seine Dämonenvorstellungen. Solche Gläubigen gehen davon aus, dass Dämonen tatsächlich existieren, dass Jesus gegen sie kämpfte und dass der Evangelist Markus dies wusste und in seinem Evangelium beschrieb.

In der modernen Gelehrtenwelt herrscht eine andere Vorstellung vor. Nach Meinung der Bibelwissenschaftler seien Dämonen zwar nicht real existent, aber in der Antike hätten alle Menschen fest an die Existenz von Dämonen geglaubt. Auch der Evangelist Markus habe diesem Dämonenglauben angehangen und deshalb seine Geschichten über Jesus und die Dämonen verfasst. Man kann diese These sogar bei Wikipedia nachlesen: „Das Neue Testament setzt die Existenz von Dämonen voraus. … Besonders das Markusevangelium (Mk) schildert solche eindrücklich.

In einem sind sich diese traditionell Gläubigen und die Gelehrtenwelt also einig. Angeblich habe Markus fest an die Existenz von Dämonen geglaubt – nach den einen zu Recht, nach den anderen irrtümlich.

In Verteidigung von Markus, einem der genialsten Köpfe, die die Menschheit je hervorgebracht hat, will ich in diesem Beitrag am Beispiel der 4 großen Dämonenszenen im Markusevangelium zeigen, dass Markus nicht ansatzweise an Dämonen glaubte und sich über Dämonenvorstellungen sogar lustig machte.


Dämonische Szene 1: In der Synagoge von Kapernaum

Mk 1,23ff: „Und alsbald war in ihrer Synagoge ein Mensch, besessen von einem unreinen Geist; der schrie: Was willst du von uns, Jesus von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu vernichten. Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes! Und Jesus bedrohte ihn und sprach: Verstumme und fahre aus von ihm! Und der unreine Geist riss ihn und schrie laut und fuhr aus von ihm.

Jedes Verständnis ist hier zunächst möglich. Der von Markus erzählte Vorfall könnte tatsächlich so geschehen sein (Standpunkt der Exorzisten), es könnte sich nur um eine Erzählung handeln, die auf den angeblichen Dämonenvorstellungen von Markus basiert (Standpunkt der Bibelwissenschaftler), es könnte sich aber auch nur um schöne Geschichte handeln, deren eigentlicher Sinn noch unklar ist (mein Standpunkt).


Dämonische Szene 2: Im Land der Gerasener

Mk 5,1ff: „Und als er aus dem Boot trat, lief ihm alsbald von den Gräbern her ein Mensch entgegen mit einem unreinen Geist, der hatte seine Wohnung in den Grabhöhlen. Und niemand konnte ihn mehr binden, auch nicht mit Ketten; denn er war oft mit Fesseln und Ketten gebunden gewesen und hatte die Ketten zerrissen und die Fesseln zerrieben; und niemand konnte ihn bändigen. Und er war allezeit, Tag und Nacht, in den Grabhöhlen und auf den Bergen, schrie und schlug sich mit Steinen. Als er aber Jesus sah von ferne, lief er hinzu und fiel vor ihm nieder und schrie laut: Was willst du von mir, Jesus, du Sohn Gottes, des Allerhöchsten? Ich beschwöre dich bei Gott: Quäle mich nicht! Denn er hatte zu ihm gesagt: Fahre aus, du unreiner Geist, von dem Menschen! Und er fragte ihn: Wie heißt du? Und er sprach: Legion heiße ich; denn wir sind viele. Und er bat Jesus sehr, dass er sie nicht aus der Gegend vertreibe. Es war aber dort an den Bergen eine große Herde Säue auf der Weide. Und die unreinen Geister baten ihn und sprachen: Lass uns in die Säue fahren! Und er erlaubte es ihnen. Da fuhren die unreinen Geister aus und fuhren in die Säue, und die Herde stürmte den Abhang hinunter in den See, etwa zweitausend, und sie ersoffen im See. Und die Sauhirten flohen und verkündeten das in der Stadt und auf dem Lande. Und die Leute gingen hinaus, um zu sehen, was geschehen war, und kamen zu Jesus und sahen den Besessenen, wie er dasaß, bekleidet und vernünftig, den, der die Legion unreiner Geister gehabt hatte; und sie fürchteten sich. Und die es gesehen hatten, erzählten ihnen, was mit dem Besessenen geschehen war und das von den Säuen. Und sie fingen an und baten Jesus, aus ihrem Gebiet fortzugehen. Und als er in das Boot trat, bat ihn der Besessene, dass er bei ihm bleiben dürfe. Aber er ließ es ihm nicht zu, sondern sprach zu ihm: Geh hin in dein Haus zu den Deinen und verkünde ihnen, welch große Wohltat dir der Herr getan und wie er sich deiner erbarmt hat. Und er ging hin und fing an, in den Zehn Städten auszurufen, welch große Wohltat ihm Jesus getan hatte; und jedermann verwunderte sich.

Nicht jedes Verständnis ist bei dieser Erzählung problemlos möglich. Es könnte sich um schöne Geschichte handeln, deren eigentlicher Sinn noch unklar ist (mein Standpunkt). Am Standpunkt der Exorzisten ergeben sich leichte Zweifel, denn nicht alle Einzelheiten der Geschichte können tatsächlich so geschehen sein: Gerasa liegt nicht am Meer von Galiläa (See von Genezareth) und es ist zeitlich nicht möglich, dass die Sauhirten das Geschehen in Stadt und Land verkündeten und die Menschen von dort auch noch unvermittelt am Ort des Geschehens erscheinen. Auch für den Standpunkt der Bibelwissenschaftler wirft diese Geschichte eine Reihe von Fragen auf: Wieso benimmt sich der Besessene so eigenartig? Erst bittet er Jesus, dass Jesus die unreinen Geister nicht aus der Gegend vertreibt. Dann bittet er Jesus, dass er bei ihm bleiben darf. Warum verbietet Jesus das und sagt zu dem Besessenen, dass er „in sein Haus“ gehen möge? Warum hört der Besessene nicht auf Jesus und geht nicht in sein Haus, sondern verkündet in der Dekapolis wie großartig Jesus ist? Was haben diese komischen Eigenarten der Geschichte mit christlichen Glaubensvorstellungen zu tun, die Markus hier angeblich verkündet haben soll?


Dämonische Szene 3: Ein Haus in der Gegend von Tyrus

Mk 7,24ff: „Von dort aber aufstehend ging er in das Gebiet von Tyrus. Und hineingegangen in ein Haus wollte er es niemanden wissen lassen, aber konnte nicht verborgen bleiben, sondern sofort hatte eine Frau von ihm gehört, deren Töchterchen einen unreinen Geist hatte, und war gekommen, und fiel nieder zu seinen Füßen, aber die Frau war eine Griechin/Hellenin/Heidin, eine Syrophönizierin nach der Herkunft, und befragte ihn, dass er den Dämon aus ihrer Tochter hinauswerfe. Und er sprach zu ihr: Lass zuerst die Kinder satt werden; es ist nicht gut, dass man den Kindern das Brot wegnehme und werfe es vor die Hündchen. Sie antwortete aber und sprach zu ihm: Herr; aber doch fressen die Hündchen unter dem Tisch von den Krümelchen der Kinderchen. Und er sprach zu ihr: Wegen dieses Wortes gehe hin, der Dämon ist aus deiner Tochter hinausgegangen. Und sie ging weg in ihr Haus und fand das Kindchen auf die Couch geworfen und den Dämon hinausgegangen.

Erneut ist nicht jedes Verständnis unproblematisch. Es könnte sich um eine schöne Geschichte handeln, deren eigentlicher Sinn noch unklar ist (mein Standpunkt). Fragen für die Exorzisten und Bibelexperten: Warum wechselt plötzlich die Wortwahl von Markus von „unreiner Geist“ zu „Dämon“ und von „Töchterlein“ zu „Tochter“ und das Thema von „Dämonen“ zu „Broten“? Warum stehen Jesus und die syrophönizische Mutter im Mittelpunkt der Szene und nicht die Tochter und der Dämon? Warum hilft Jesus nicht unverzüglich der kranken Tochter, sondern weist die Mutter ab und beleidigt sie auch noch? Warum sagt der Text nicht ausdrücklich, dass Jesus den Dämon austreibt?


Dämonische Szene 4: Nach der Verklärung

Mk 9,2ff: „Einer aber aus der Menge antwortete: Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist. Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn; und er hat Schaum vor dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten's nicht. Er aber antwortete ihnen und sprach: O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir! Und sie brachten ihn zu ihm. Und sogleich, als ihn der Geist sah, riss er ihn. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund. Und Jesus fragte seinen Vater: Wie lange ist's, dass ihm das widerfährt? Er sprach: Von Kind auf. Und oft hat er ihn ins Feuer und ins Wasser geworfen, dass er ihn umbrächte. Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns! Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst - alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben! Als nun Jesus sah, dass das Volk herbeilief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein! Da schrie er und riss ihn sehr und fuhr aus. Und der Knabe lag da wie tot, sodass die Menge sagte: Er ist tot. Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf. Und als er heimkam, fragten ihn seine Jünger für sich allein: Warum konnten "wir" ihn nicht austreiben? Und er sprach: Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten.

Es könnte sich um eine schöne Geschichte handeln, deren eigentlicher Sinn noch unklar ist (mein Standpunkt). Ein schwieriges Problem für Exorzisten und Bibelexperten sollte folgende Einzelheit sein: Der Junge schlägt hart auf den Boden, wälzt sich hin und her, hat Schaum vor dem Mund, er erleidet Konvulsionen und Zuckungen. Jesus aber hilft dem Jungen in diesem Moment überhaupt nicht. Vielmehr führt er mit dem Vater ein nettes Gespräch über dessen Glauben.


Der Sinn der Dämonengeschichten

In diesem Moment erschließt sich der noch unklare Sinn der Szene. Es ist nur eine Geschichte und nicht mehr. In dieser Geschichte spiegelt der Junge die Glaubensprobleme des Vaters wieder. Es ist der Vater, der im übertragenen Sinn einen „tauben und sprachlosen Geist“ hat. Es mangelt ihm am rechten Glauben (taub) und er kann nicht beten (sprachlos). Jesus führt deshalb ein Gespräch mit dem Vater und macht eindeutig klar, dass ohne Glauben keine Hilfe zu erwarten ist. Unter Aufbietung aller Kräfte versucht es der Vater nun und es gelingt ihm tatsächlich, seinen winzigen Glauben anzustrengen und zumindest ein kleines und kurioses Gebet zu sprechen: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Jesus hat es geschafft, den Glauben des Vaters zu wecken, dessen Glaubensprobleme damit automatisch gelöst sind. Die Jünger wollten tatsächlich einen vermeintlich realen Dämon aus dem Jungen austreiben, aber sie verstanden nicht, dass sich die Geschichte nur um die Glaubensprobleme des Vaters drehte: „... fragten ihn seine Jünger für sich allein: Warum konnten wir ihn nicht austreiben? Und er sprach: Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten.“ - Das eigene Gebet des Vaters nämlich.

Auch die Probleme der Syrophönizierin werden zunächst vom „Töchterchen“ wiedergespiegelt, jedoch nicht von der „Tochter“. Die Syrophönizierin ist unvernünftig (hat einen unreinen Geist), weil sie verrückterweise glaubt, dass in ihrer „Tochter“ ein Dämon haust und es sich bei Jesus um einen richtigen Exorzisten handelt. Jesus weist deshalb jede Beziehung zu dieser leicht Verrückten zurück. Er zwingt sie dadurch, zur Vernunft zu kommen und eine normale Beziehung zu ihm aufzubauen. Der Frau gelingt dies auch tatsächlich und sie gibt Jesus nun eine sehr kluge und verständnisvolle Antwort. Indem die Syrophönizierin zur Vernunft kommt, hat sie sich natürlich auch automatisch von ihren unvernünftigen Dämonenvorstellungen gelöst. Jesus treibt keinen Dämon aus.

Bei dem Gerasener handelt es sich um einen Menschen mit unvernünftigen Zwangsvorstellungen (unreiner Geist). Er leidet unter seinen Zwangsvorstellungen, befindet sich aber auch in einem süchtigen Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen. Er bittet Jesus deshalb, die unreinen Geister nicht aus der Gegend zu vertreiben, damit er die Objekte seiner Zwangsvorstellungen nicht verliert. Er ist abhängig und möchte sich nicht endgültig von ihnen lösen. Jesus sorgt deshalb dafür, dass die unreinen Geister im Meer ersäuft werden. Dem Gerasener fehlen nun die Objekte für seine Zwangsvorstellungen. Er bittet Jesus deshalb, dass er bei ihm bleiben darf, damit er aus Jesus das neue Idol seiner Zwangsvorstellungen machen kann. Jesus verbietet das, damit sich der Gerasener endgültig von den Zwangsvorstellungen lösen kann und zu menschlicher Identität gelangt („Geh in dein Haus“). Der Gerasener ist aber ein hoffnungsloser Fall, er verkündet überall wie großartig Jesus ist – Jesus ist nun seine neueste Obsession.


Wie sich Markus über Dämonenvorstellungen lustig machte

Markus glaubte nicht an die Existenz von Dämonen, aber er hatte ein scharfes Verständnis für menschliche Obsessionen, für wahnhafte Glaubensvorstellungen und für Menschen, die sich solchen Wahnvorstellungen hingeben. Er war sich bewusst, dass insbesondere „das Volk“ solchen irrealen Glaubensvorstellungen anhing und zuweilen regelrecht „durchdrehte“, z.B. in Mk 6,54ff: „Und als sie aus dem Boot stiegen, erkannten ihn die Leute alsbald und liefen im ganzen Land umher und fingen an, die Kranken auf Bahren überall dorthin zu tragen, wo sie hörten, dass er war. Und wo er in Dörfer, Städte und Höfe hineinging, da legten sie die Kranken auf den Markt und baten ihn, dass diese auch nur den Saum seines Gewandes berühren dürften; und alle, die ihn berührten, wurden gesund.

Für dieses „verrückte“ Volk veranstaltet Markus deshalb auch etwas Hokuspokus, trotzdem der Vater des vermeintlich besessenen Jungen bereits einen Moment vorher seine Glaubensprobleme gelöst hatte:

Mk 9,25: „Als nun Jesus sah, dass das Volk herbeilief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein!


Diese Beitrag verdankt viel einem kleinen, aber sehr feinen Aufsatz, den eine ruhmreiche Ausnahme in der Gelehrtenwelt geschrieben hat: François Vouga.


Die Griechin aus Syrophönizien

Teil 1 - Jesus in einem Streitgespräch schlagen
Teil 2 - Den verborgenen Heiland wittern und als „Kyrios“ bekennen
Teil 3 - Jesus’ bizarrer Umweg zur Syrophönizierin
Teil 4 - Fragen zur Syrophönizierin
Teil 5 - Jesus beleidigt die Syrophönizierin als Hündchen

Zugabe - Von Dämonen und unreinen Geistern

4 Kommentare:

  1. Ihre Lektüre der markinischen Dämonen-Geschichten finde ich sehr inspireirend. Dagegen sind herkömmliche Interpretationen doch recht altbacken. Sie haben mir Stoff zum Nachdenken geliefert.

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  2. Sehr interessant zu lesen eine andere Seite der Medaille zu sehen.

    Ich persönlich glaube an Dämonen, Geister, etc. Aber wenn man an einer "Krankheit" leidet, muss dies nicht an solchem liegen :D KANN, aber muss nicht. Viele Probleme sind selbst oder fremdmenschlich erschaffen...

    Nennt mich dumm oder krank, aber ich bin der festen Überzeugung mit "Geistern" (extra Anführungsstriche) in Kontakt treten zu können bzw. es auch zu tun. Aber für den Alltag ist dies heutzutage nicht zu gebrauchen... :D Da sollte man Abstriche machen können und differenzieren.

    Doch bei der Textstelle, die Sie extra markiert haben, habe ich vorher beim Lesen fast laut lachen und gleichzeitig genervt stöhnen müssen *lach* [„Als nun Jesus sah, dass das Volk herbeilief,...] (Zitat). Diese meine ich...

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  3. Danke Tobie. Genauso ging es mir auch und ich hoffe, dass auch andere über diese Stelle lachen können.

    Ich weiß von einem Kenner des Markusevangeliums aus dem englischen Sprachraum, der zumindest früher ebenfalls Geistererfahrungen hatte (Er ist im übrigen Atheist.) Ich setze mal einen Link, wenn Dich das interessiert.
    http://www.itsallrandommostly.com/2009/05/flashback.html

    Frohe Adventszeit Tobie!

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