1) Man würde wohl eher nicht vermuten, dass zwischen der Erzählung von der Heilung des Menschen mit der verdorrten Hand (Mk 3:1ff) und der Frage nach den Steuern für Cäsar (Mk 12:13ff) ein sehr enger Zusammenhang besteht. Wenn man sich in die Einzelheiten vertieft, sind die Verbindungen zwischen beiden Perikopen des Markusevangeliums jedoch offensichtlich.
Eine "verdorrte" Hand? |
Die „Herodianer“ kommen als Personen und als Wort nur in
diesen beiden Perikopen vor (Mk 3:6, 12:13) und werden jeweils gemeinsam mit den
Pharisäern genannt. Die Gegner versuchen beide Male, Jesus in eine Falle zu locken,
die sich um eine Rechtsfrage dreht. (Mk 3:2 Und sie lauerten auf ihn, ob er ihn
am Sabbat heilen würde, damit sie ihn anklagen könnten. - Mk 12:13 Und sie
senden einige der Pharisäer und der Herodianer zu ihm, um ihn in der Rede zu
fangen.)
Die Durchführung
In beiden Perikopen wird eine Frage gestellt, welche mit
„Ist es erlaubt …“ (Ἔξεστιν – Exestin)
beginnt, es handelt sich jeweils um eine „oder“-Frage und sie enthält eine Art
Wiederholung. (Mk 3:4 Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun,
das Leben zu retten oder zu töten? Mk 12:14 Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu
geben oder nicht? Sollen wir sie geben oder nicht geben?)
via wikimedia: Denar mit Abbild des göttlichen Cäsar |
In der ersten Perikope steht ein einzelner Fall zu
Diskussion (Heilung dieses Menschen am Sabbat), aber Jesus verteidigt sich mit
einer allgemeinen Rechtsfrage („Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder
Böses zu tun …“). In der zweiten Perikope wird eine allgemeine Rechtsfrage
aufgeworfen („Ist es erlaubt, Steuern zu zahlen …“), aber Jesus entscheidet sie
an einem einzelnen Fall ("Bringt mir einen Denar, damit ich ihn sehe! … Wessen
ist dieses Bild und die Aufschrift? Sie aber sagten … Des Kaisers.")
Das Ergebnis
Jesus’ Gegner sind in beiden Perikopen auf „menschliches“
Recht fokussiert, verstoßen dabei aber gegen die 10 Gebote. In der ersten Erzählung
beschließen sie, Jesus zu töten, in der zweiten bringen sie einen römischen
Denar mit dem Abbild des „vergöttlichten“ Cäsar in den Tempel und entweihen
damit das Heiligtum.
2) Meines Erachtens ist diese sehr sorgfältige Gestaltung
von Markus kein bloßes Spiel. Mir scheint, dass das Verständnis der einen
Perikope für den Leser hilfreich ist, um die jeweils andere besser zu verstehen
und dabei vor allem einen bestimmten Punkt, der nicht sofort offensichtlich
ist.
Meinem Eindruck nach soll der Leser der Erzählung von der
Heilung der verdorrten Hand nämlich verstehen, dass die Hilfebedürftigen der
Geschichte auch die Pharisäer sind und dass das Heilshandeln von Jesus auch auf
diese gerichtet ist.
2.1) Markus schildert die Kranken in seinen Heilungsgeschichten sehr unterschiedlich. Über manche erfährt der Leser viele einzelne Details, zuweilen auch ihre Gedanken und Gefühle (etwa bei der blutflüssigen Frau in Mk 5:25ff oder dem besessenen Gerasener in Mk 5:2ff). Andere sind hingegen nicht näher beschrieben, sondern nur sehr abstrakt dargestellt. Zu letzteren gehört auch der Mensch mit der verdorrten Hand. Man erfährt über ihn eigentlich nur, dass dieser Mensch „da“ ist, zwei Mal, dass er eine verdorrte Hand hat, und er diese auf ein Kommando von Jesus ausstreckt und sie „wiederhergestellt“ wurde.
Die Aufmerksamkeit der Pharisäer scheint allein auf Jesus
gerichtet zu sein und die Gefühle von Jesus beziehen sich allein auf seine
Gegner und nicht auf den Menschen mit der verdorrten Hand.
In der Darstellung von Markus erscheint der „Mensch“
jedenfalls mehr oder weniger auf seine „verdorrte Hand“ reduziert.
2.2) In der Bibelwissenschaft wird häufig gefragt, was
Markus mit dem Ausdruck „verdorrt“ oder „verwittert“ habe sagen wollen. Meist
wird dabei eine Lähmung der Hand angenommen (, obwohl Markus den korrekten
Ausdruck für „gelähmt“ bereits bei der Heilung des Gelähmten in Mk 2:1
verwendet). Die hebräische Bibel kennt jedoch einen anderen Fall einer
verdorrten Hand und zwar im 1. Buch der Könige 13:4ff
„Und es geschah, als der König das Wort des Mannes Gottes
hörte, das er gegen den Altar in Bethel ausgerufen hatte, da streckte Jerobeam
vom Altar herab seine Hand aus und sagte: Packt ihn! Da verdorrte seine Hand,
die er gegen ihn ausgestreckt hatte, und er konnte sie nicht wieder an sich
ziehen. … Da hob der König an und sagte zu dem Mann Gottes: Besänftige doch das
Angesicht des HERRN, deines Gottes, und bete für mich, dass ich meine Hand
wieder an mich ziehen kann! Und der Mann Gottes besänftigte das Angesicht des
HERRN, und die Hand des Königs wurde ihm wiedergegeben und wurde wie vorher.“
Die verdorrte Hand von König Jerobeam ist in dieser
Geschichte eine Strafe Gottes dafür, dass er den Propheten, der als „Mann
Gottes“ bezeichnet wird, ergreifen lassen will. In der Erzählung tauchen zwei
Elemente auf, die auch Markus verwendet: die
„ausgestreckte“ und die „verdorrte“ Hand. Markus verwendet für beide
auch die gleichen griechischen Wörter, wie sie in der Septuaginta stehen. Auch
in der Erzählung von Markus wollen die Pharisäer Jesus „ergreifen“.
2.3) Mein Eindruck ist deshalb, dass die verdorrte Hand in
der Erzählung von Markus zugleich das Sinnbild einer Gottesstrafe ist, möglicherweise
genau der, die die Pharisäer zu befürchten haben, da sie ebenfalls einen Mann
Gottes verfolgen.
Dieses Sinnbild steht ihnen gewissermaßen vor Augen, aber
sie nehmen es nicht wahr, weil ihre Aufmerksamkeit allein darauf gerichtet ist,
Jesus eines Rechtsbruchs überführen zu können - Mk 3:2 "… und sie lauerten auf
ihn, … damit sie ihn anklagen könnten."
Im Fortgang der Erzählung führt Jesus den Pharisäern dieses
Sinnbild deshalb deutlicher vor Augen - Mk 3:3 „Und er spricht zu dem Menschen,
der die verdorrte Hand hatte: Steh auf und tritt in die Mitte!“
Das von Jesus nunmehr vorgebrachte Argument scheint als
Rechtfertigung der Heilung des „Menschen“ am Sabbat eher schwach, da die Frage
einer Lebensrettung oder einer Tötung im Hinblick auf den Menschen mit der
verdorrten Hand nicht im Raum steht - Mk 3:4 „Und er spricht zu ihnen: Ist es
erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, das Leben zu retten oder zu
töten?“ Als Mahnung an die Pharisäer, zur Einsicht zu kommen und von ihrem Plan
abzulassen, wirkt es hingegen stark, und passt sehr gut zu den Mordabsichten
der Pharisäer.
Auch die gemischten Gefühle von Jesus zeigen, dass ihm die
Pharisäer nicht egal sind, insbesondere sein Mittrauern über die – im
griechischen Original – „Versteinerung“ ihrer Herzen – Mk 3:4,5 „Sie aber
schwiegen. Und er blickte auf sie umher mit Zorn, betrübt über die Verhärtung
ihres Herzens …“
Mit der Heilung des Mannes wird den Pharisäern die Macht
Gottes, die sich auch gegen sie richten könnte, nochmals eindringlich vor Augen
geführt. Gleichwohl sind diese nicht von ihrem Plan abzubringen – Mk 3:5,6 „… und
spricht zu dem Menschen: Strecke die Hand aus! Und er streckte sie aus, und
seine Hand wurde wiederhergestellt. Und die Pharisäer gingen hinaus und hielten
mit den Herodianern sofort Rat gegen ihn, wie sie ihn umbringen könnten.“
Das Geschehen spiegelt die Rechtsfrage von Jesus wieder und
dass er sich selbst an ihr misst: Soll man am Sabbat Leben retten oder töten?
Während Jesus versucht, „Leben zu retten“, indem er die Pharisäer zur Umkehr
vor dem drohenden Gottesgericht zu bewegen sucht, sind diese zum Töten bereit,
in dem sie mit den Herodianern beschließen, Jesus umzubringen.
Matthäus und Lukas haben diese Erzählung von Markus in
wesentlichen Punkten verändert. In ihren Versionen wird wirklich „nur“ noch ein
Heilungswunder und eine religiöse Sabbatstreitfrage erzählt, in denen Jesus und
die Pharisäer sich als banale Gegner von Gut und Böse gegenüberstehen und Jesus
„siegt“. Markus weiß jedoch nicht nur in dieser Geschichte auch von einem
Scheitern von Jesus an den „Menschen“ zu berichten.
3) In beiden benannten Perikopen des Markusevangeliums
besteht das Problem der Pharisäer und Herodianer darin, dass sie „irdisches“
Recht für das allein maßgebliche halten und Gott bei ihrem Handeln vergessen.
Bei der Frage nach den Steuern für Cäsar entgeht Jesus der
Fangfrage seiner Gegner, indem er sich den ihm gebrachten Denar näher anschaut
und danach fragt, wessen Abbild und Aufschrift dies ist. Dort lautet die
Antwort beide Male: Cäsar (bzw. "Kaiser" - in den meisten deutschen Übersetzungen)
Wenn man sich die verdorrte Hand näher anschaut, erkennt man
gleichermaßen, dass sie einem irdischen König aus dem Buch der Könige gehört
(wie es bereits in der Antike genannt wurde). Es ist ein von Gott
„gezüchtigter“ König.
Auf dieser biblischen Schriftgrundlage sollte wiederum die
Antwort nicht schwer fallen, wem in Mk 12:17 in erster Linie die Ehre zu geben
ist: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“
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