nach H. Twena via jerusalemperspective |
1) In der Regel wird das Neue Testament
natürlich christlich ausgelegt. Die Erzählung vom Tanz der Salome
und der Enthauptung von Johannes dem Täufer stellt vielleicht die berühmteste Ausnahme dar. Seit vielen Jahrhunderten beschäftigen
sich auch Künstler, Schriftsteller, Philosophen und Musiker mit diesem
Stoff aus dem Markusevangelium.
In gewissem Sinn konkurrieren die
christliche und die künstlerische Deutung miteinander und die
säkulare Interpretation scheint wohl aktuell das mehrheitliche
Verständnis der Erzählung zu dominieren. Jeder kennt Salome als die
„gefährliche femme fatale“. Eher „gefährlich normal“ wirkt
dagegen das Porträt der älteren Salome, das die Designerin Helen
Twena auf Grundlage einer gut erhaltenen, um 56-57 n.Chr. geprägten
Münze nachempfunden hat.
Die beiden Interpretationen, sowohl die
christliche als auch die künstlerische, haben zu einer ikonenhaften
Darstellung geführt.
Lovis Corinth, 1899 |
Oscar G. Rejlander, 1855 |
Die christliche Darstellung erinnert mit den
sogenannten Johannes-Schüsseln an das Martyrium des Täufers.
Hingegen prägten vor allem die Künstler des Fin de Siècle unser
Bild von der erotisch-grausamen Salome.
2) Die älteste bekannte Darstellung
des Banketts von Herodes findet sich im bebilderten Purpurcodex
Sinopensis aus dem 6. Jahrhundert.
Auch das Bild im Evangeliar von
Chartres aus dem 9. Jahrhundert ist am Gesamtbild der Szene und den
wesentlichen Elementen interessiert.
Einige Darstellungen des
Hochmittelalters zeigen ein besonderes Interesse am Tanz der Salome,
jedoch nicht im erotischen, sondern im akrobatischen Sinn. Offenbar
stellten diese Künstler Salome wie eine mittelalterliche Gauklerin
dar, die zum Vergnügen des Hofes ihre Kunststücke darbot.
Jedoch zeigen bereits kirchliche
Darstellungen des Hochmittelalters Salome als schöne junge Frau oder
geben der Szene eine erotische Betonung.
In der Kunst der Renaissance tritt
Salome verstärkt in den Mittelpunkt der Szene und wird häufig als
liebreizende Muse dargestellt.
Für Filippo Lippis Gemälde aus der
Mitte des 15. Jahrhunderts stand etwa dessen Geliebte Lucrezia Buti
Modell für die Salome, die mehrfach im Bild auftaucht.
Um 1790 ist es dann Johann Heinrich
Füssli der wohl erstmals einen zugleich erotischen und grausamen
Charakter an Salome gestaltet.
Der Weg zu den Porträts der Moderne
mit ihren erotischen Phantasien war damit geebnet.
3) Man würde sicher vermuten, dass man
im Bericht von Markus eher die christliche Deutung wiederfinden kann.
Dies ist jedoch nicht der Fall. Wer sich die Mühe macht und einmal
frei von Vorurteilen nachliest, wird sicher schnell feststellen, dass
weder Johannes der Täufer noch Salome im Mittelpunkt der
markinischen Erzählung stehen.
Im Fokus des Darstellung steht vielmehr
Herodes. In der nebenstehenden Abbildung habe ich alle Stellen über
Herodes blau markiert, die Darstellung seiner Gefühls- und
Gedankenwelt grün und die wiederholten Bemerkungen über das „Hören“
von Herodes rot.
Markus stellt Herodes mit einem
komplexen und widersprüchlichen Charakter dar. Er ist alles andere
als eine eindimensionale Figur. Einerseits erkennt Herodes im Täufer
einen „heiligen und gerechten Mann“, den er fürchtet. Er hört
ihm gern zu, wenn auch beunruhigt, und schützt ihn zunächst vor den
Mordabsichten der Herodias. Andererseits ist es der Tanz, sein
übereilter Schwur und die Rücksicht auf die Gäste die den
Enthauptungsbefehl veranlassen.
Im Gleichnis vom Sämann heißt es in
Mk 4:18-19 „Und andere sind die, bei denen unter die Dornen gesät
ist: die hören das Wort, und die Sorgen der Welt und der
betrügerische Reichtum und die Begierden nach allem andern dringen
ein und ersticken das Wort, und es bleibt ohne Frucht.“ Meines
Erachtens hat Markus dem „König“ Herodes die „Ehre“ versagt,
ihn als „ernsthaften“ Prototyp dieses fehlerbehafteten
Hörer-Typus darzustellen. Im Markusevangelium ist Herodes aber als lächerliche und grausame Karikatur eines solchen Hörers
gezeichnet.
4) Die beiden Mädchen im
Markusevangelium
In den Versen 6:22 und 6:28 nennt
Markus die tanzende Tochter κοράσιον (korasion), die
Verkleinerungsform für „kore“. Fast alle deutschen Übersetzungen
übertragen das Wort mit „Mädchen“.
Das andere „korasion“ im
Markusevangelium ist die von Jesus auferweckte Jairustochter, deren
Alter Markus in Mk 5:42 auch ausdrücklich nennt: „... und ergriff
das Kind bei der Hand und sprach zu ihm: Talita kum! - das heißt
übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Und sogleich stand das
Mädchen auf und ging umher; es war aber zwölf Jahre alt.“
Auch das vor Herodes tanzende Mädchen zeigt das Verhalten eines Kindes. Es hat noch keine eigenen Wünsche
und ist mit der Situation vor Herodes überfordert (Mk 6:24): „Und
sie ging hinaus und fragte ihre Mutter: Was soll ich bitten?“ Als
die Mutter ihr den Wunsch nennt, ist sie froh, einen solchen ansagen
zu können und eilt zurück (6:25): „Da ging sie sogleich eilig
hinein zum König ...“. Sie missversteht jedoch die Mutter, die
lediglich den Tod des Täufers wünscht und dies gleichnishaft
umschreibt: „Das Haupt Johannes des Täufers.“ Das Mädchen
meint, die Aufforderung sei wortwörtlich zu verstehen: „Ich will, dass du mir gibst,
jetzt gleich auf einer Schale, das Haupt Johannes des Täufers.“
und überreicht die schaurige Trophäe „stolz“ der Mutter: „...
und trug sein Haupt herbei auf einer Schale und gab's dem Mädchen
und das Mädchen gab's seiner Mutter.“
Im Anschluss an das mörderische
Bankett des Herodes schildert Markus die Speisung der 5000, in der er
das Bild vom guten Hirten aufruft (6:34) „Und Jesus stieg aus und
sah die große Menge; und sie jammerten ihn, denn sie waren wie
Schafe, die keinen Hirten haben.“ Richard Schneck hat einst dafür
plädiert in Mk 5:41f eine Anspielung auf Jesaja 40:11 zu sehen. Das
aramäische „Talita“ bedeutet nicht nur Mädchen, sondern auch
„Lämmchen“ und leitet sich vom hebräischen „tela“ her, dass
in Jesaja 40:11 verwendet ist: „Er wird seine Herde weiden wie ein
Hirte. Er wird die Lämmer (ṭə-lā-’îm) in seinen Arm sammeln
und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.“
Bei der Segnung der Kinder rundet Markus die Anspielung ab (Mk 10:14
„Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.“)
Und Salome, das andere „Mädchen“?
Meines Erachtens liegt Hartmut Böhme zumindest im Ergebnis richtig:
„Es handelt sich um eine Erzählung brutaler (seelischer)
Vergewaltigung eines Kindes durch Stiefvater und Mutter. Ihrer
Hilflosigkeit versucht die Tochter durch Identifikation mit den
Aggressoren zu entkommen.“
In den ältesten und verlässlichsten
Manuskripten des Markusevangeliums ist auch der Name des Mädchens
genannt. Sie heißt dort nicht Salome, sondern wie die Mutter
„Herodias“ und ist als Tochter des Herodes bezeichnet. Es handelt
sich dabei nicht um einen „Irrtum“ von Markus, sondern um einen
Kunstgriff, um die Identifikation mit Vater und Mutter offensichtlich
zu machen.
Danke für die interessante Darstellung.
AntwortenLöschenDanke für den freundlichen Kommentar ;-)
LöschenSehr interessant und informativ, danke für den Artikel.Morgen gehen meine neuen Rhetorik Übungen online.Schau doch gerne mal vorbei.Grüße Erwin
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