Mk 11:13 Und ER sah einen Feigenbaum ... der Blätter hatte |
Eine Gliederung der miteinander
verbundenen Textabschnitte Mk 11:12-14 und Mk 11:20-25 könnte wie
folgt aussehen:
- Die Reaktion der Jünger - Mk 11:14b,
11:20-21
- Jesus belehrt die Jünger - Mk 11:22-25
Dass die Jünger einen wichtigen Bestandteil der Geschichte bilden, wird durch zwei weitere Umstände bestätigt.
Zum einen sind die Antworten von Jesus gegenüber dem Feigenbaum und den Jüngern auffällig parallel formuliert.
Feigenbaum (Mk 11:14) καὶ ἀποκριθεὶς εἶπεν αὐτῇ - Und bescheidend (er) sagte ihm
Jünger (Mk 11:22) καὶ ἀποκριθεὶς
ὁ Ἰησοῦς λέγει αὐτοῖς - Und bescheidend der
Jesus sagt ihnen
Zum anderen sind der Feigenbaum und die
Jünger auch im Feigenbaumgleichnis in Mk 13:28ff nebeneinander in
eine gemeinsame Reihe gestellt:
28 Ἀπὸ δὲ τῆς συκῆς
μάθετε τὴν παραβολήν· ὅταν ἤδη ὁ
κλάδος αὐτῆς ἁπαλὸς γένηται καὶ
ἐκφύῃ τὰ φύλλα, γινώσκετε ὅτι ἐγγὺς
τὸ θέρος ἐστίν
28 Aber<->von dem Feigenbaum
lernt das Gleichnis: Sobald schon der Zweig (von) ihm zart wird und
auswächst die Blätter, erkennt, dass nahe der Sommer ist;
29 οὕτως καὶ ὑμεῖς,
ὅταν ἴδητε ταῦτα γινόμενα, γινώσκετε
ὅτι ἐγγύς ἐστιν ἐπὶ θύραις.
29 Derart
auch ihr: Sobald (ihr) seht, diese werdend, erkennt, dass nahe ist auf
Türen.
2) Jesus und der Feigenbaum - Die
sogenannte Verfluchung
Wer das Markusevangelium liest, ohne
hin und wieder zu schmunzeln, dem sind meines Erachtens einige
Aspekte der Erzählung entgangen. Ich meine, dass auch Mk 11:14b so
ein Schmunzler ist:
καὶ ἤκουον οἱ μαθηταὶ
αὐτοῦ.
Und (es) hörten die Jünger (von) ihm.
Erstmals wird im Markusevangelium ausdrücklich davon berichtet, dass die Jünger einen Ausspruch von Jesus „gehört“ haben. Noch in Mk 8:18 hatte Jesus ihnen vorgeworfen, dass sie nicht hören („Habt Augen und seht nicht, und habt Ohren und hört nicht“). Als zehn Jünger in Mk 10:41 zum ersten Mal ausdrücklich etwas „hören“, ist es die Bitte von Johannes und Jakobus um eine Vorrangstellung, die zum Gezänk im Jüngerkreis führt („Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.“) Nun hören die Jünger also erstmals bei einem Ausspruch von Jesus genau zu, der sich freilich nicht an sie richtet, sondern an den Feigenbaum.
14 καὶ ἀποκριθεὶς εἶπεν
αὐτῇ, Μηκέτι εἰς τὸν αἰῶνα ἐκ σοῦ
μηδεὶς καρπὸν φάγοι.
14 Und bescheidend (er) sagte
ihm: Nicht-mehr in dem Äon aus dir keiner Frucht essen (möge)!
Das Verb „φάγοι“ (essen möge)
steht im Optativ-Modus, der im Altgriechischen einen Wunsch des
Sprechers ausdrückt. Obwohl Jesus zu dem Feigenbaum spricht, sind
die Adressaten des Wunsches offensichtlich die in Betracht kommenden
Fruchtesser („keiner möge essen“). Jesus' Wunsch setzt demgemäß
voraus, dass im späteren Jahresverlauf Frucht am Feigenbaum gedeihen
wird, von der eben nur keiner mehr essen solle. Dieser Wunsch scheint
mit Jesus' eigenem Entschluss künftiger Enthaltsamkeit in Mk 14:25
verwandt zu sein: „Amen, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken
werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs
Neue davon trinke im Reich Gottes.“ In beiden Zukunftsvorstellungen
von Jesus käme danach weiterhin Frucht zum Tragen (Feigen und Wein),
von der allerdings zunächst Enthaltsamkeit geübt werden soll.
---> Es macht also nicht den
Eindruck, als ob der Feigenbaum etwas von Jesus zu befürchten hätte.
3) Die Reaktion der Jünger
An diesen Ausspruch von Jesus schließt
im Markusevangelium die Reaktion der Jünger an, deren Sprecher
Petrus am nächsten Tag Stellung nimmt.
21 καὶ ἀναμνησθεὶς ὁ
Πέτρος λέγει αὐτῷ, Ῥαββί, ἴδε ἡ συκῆ
ἣν κατηράσω ἐξήρανται.
21 Und erinnert
(wordend) der Petrus sagt ihm: Rabbi, sieh, der Feigenbaum, welchen
(du) verflucht (hast), (ist) ausgetrocknet.
Der Wortlaut von Petrus’ Hinweis an
Jesus ist auf den ersten Blick wertfrei. Petrus mag Jesus nur auf das
aufmerksam machen, was er gesehen hat und von dem er möglicherweise
annimmt, es vor Jesus entdeckt zu haben („Rabbi, sieh …“). Im
Kontext von zwei anderen Schriftstellen scheint Petrus’ Antwort
jedoch Respekt gegenüber Jesus und Einverständnis über den
verdorrten Feigenbaum ausdrücken. Es handelt sich dabei um Mk 9:5
und Mk 13:1.
Die von Petrus gewählte Anrede „Rabbi“
meint ursprünglich nicht einen „Lehrer“, sondern leitet sich von
einem Wort für „groß“ oder „viel“ ab. Ein „Rabbi“ ist
ein „Großer“ bzw. ein „Meister“ im Sinne einer
übergeordneten Autoritätsperson. Die hebräische Bibel verwendet
das Substantiv „Rab“ etwa für Vorsteher (Esther 1:8), Oberster
(Daniel 1:3), Anführer bzw. Offizier (Jeremia 39:9) oder Kapitän
(Jona 1:6).
Petrus spricht Jesus zwei Mal mit
„Rabbi“ an, neben Mk 11:21 noch in Mk 9:5 - „Und Petrus fing an
und sprach zu Jesus: Rabbi, hier ist für uns gut sein. Wir wollen
drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“ Es wird
deutlich, dass Petrus in Mk 9:5 gegenüber Jesus seinen besonderen
Respekt als einem „Großen“ und seine Zufriedenheit über die
Situation im allgemeinen bekundet.
In Mk 13:1 findet sich ein im Vergleich
zu Mk 11:21 recht ähnlicher Hinweis eines Jüngers, der Jesus
augenscheinlich bewundernd und dessen Zustimmung suchend auf etwas
aufmerksam macht: „Und als er aus dem Tempel ging, sprach zu ihm
einer seiner Jünger: Lehrer (griech: Didaskale), siehe, was für
Steine und was für Bauten!“ Auch diese Aussage ist nach ihrem
Wortlaut wertfrei und lediglich auf etwas hinweisend, dennoch
schwingt hier merklich der Ausdruck von Bewunderung mit.
Insbesondere die Anrede „Rabbi“
scheint jedenfalls in Mk 11:21 eine Respektsbekundung und Zustimmung
durch Petrus auszudrücken.
---> Unerwartet scheint es also doch
ein böses Ende mit dem armen Feigenbaum genommen zu haben, worüber
die Jünger nicht unzufrieden sind.
4) Die Belehrung der Jünger
Auf den ersten Blick beinhaltet die
Entgegnung von Jesus einen erheblichen Sinnsprung oder abrupten
Themenwechsel. Über den verdorrten Feigenbaum verliert Jesus nicht
ein einziges Wort. Man könnte fast meinen, dass er mit hochmögenden
Predigten über das Gottvertrauen vom Thema ablenken möchte.
22 καὶ ἀποκριθεὶς ὁ
Ἰησοῦς λέγει αὐτοῖς, Ἔχετε πίστιν
θεοῦ.
22 Und bescheidend der Jesus sagt ihnen: Habt Vertrauen
Gottes!
23 ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι
ὃς ἂν εἴπῃ τῷ ὄρει τούτῳ, Ἄρθητι
καὶ βλήθητι εἰς τὴν θάλασσαν, καὶ μὴ
διακριθῇ ἐν τῇ καρδίᾳ αὐτοῦ ἀλλὰ
πιστεύῃ ὅτι ὃ λαλεῖ γίνεται, ἔσται
αὐτῷ.
23 Amen, (ich) sage euch, dass wer auch (immer) sage dem
Berg – diesem -: Gehoben (werde) und geworfen (werde) in das Meer!
- und nicht zweifelt {wörtl.: abscheidet} in dem Herz (von) ihm,
sondern vertraut, dass - was (er) redet - geschieht, es (wird) sein
(für) ihn.
Folgt man jedoch dem Gang der
Erzählung, ergibt sich etwas ganz anderes: Für Jesus war die
Angelegenheit mit dem Feigenbaum wohl bereits am Vortag und mit dem
von ihm geäußerten Wunsch („keiner möge essen“) abgeschlossen.
Offenbar besteht auch jetzt für ihn nicht der allergeringste Anlass,
sich erneut zum Feigenbaum zu äußern. Es sind die Jünger, die die
Frage nach dem Feigenbaum am Folgetag erneut aufwerfen. Jesus Antwort
bezieht sich daher allein auf die Jünger und die Äußerung von
Petrus.
Im Griechischen ist in Mk 11:23
deutlich, dass Jesus einen ganz bestimmten Berg meint „τῷ ὄρει
τούτῳ“ (dem Berg - diesem). In der Erzählwelt des
Markusevangeliums, in welcher der historische Tempelberg von
Jerusalem nicht vorkommt, sind alle ausdrücklich genannten und näher
spezifizierten Berge mit den Jüngern verknüpft: der Berg der
Jüngerberufung (Mk 3:13ff), der Berg der Verklärung (Mk 9:2) und –
wie ich im letzten Beitrag vorschlug – auch der Ölberg (Mk 11:1,
13:3, 14:26). Unabhängig davon, welcher spezielle Berg hier von
Jesus gemeint ist, spricht viel dafür, dass es eben ein
„Jünger-Berg“ ist, der im Meer versenkt werden könne. Die Rede
von Jesus in Mk 11:23 kann daher als eine Warnung an die Jünger
interpretiert werden.
Auf der sprachlichen Ebene findet sich
zudem zwischen dem Feigenbaum und dem Berg eine Entsprechung, die in
der Übersetzung nicht ersichtlich ist. Dass von Markus in Mk 11:21
verwendete Wort für „verfluchen“ (καταράομαι –
kataraomai) ist ein zusammengesetztes Wort aus der Vorsilbe „nieder“
und einem Verb für „beten/bitten/wünschen“. Eine mögliche
Übersetzung wäre also auch „niederbeten“ an Stelle von
„verfluchen“. Der Wortstamm des Verbes „beten/bitten/wünschen“
ist zugleich mit dem Verb „heben“ (αἴρω – airó) verwandt
- möglicherweise bildlich, da man im Gebet seine Stimme zum Himmel
„erhebt“. Zwischen der Aussage von Petrus über das „Niederbeten“
des Feigenbaums und der Rede von Jesus über das „Gehobenwerden“
des Berges und dessen „Geworfenwerden“ besteht daher eine
sprachliche Verknüpfung und ein Sinnzusammenhang. Sowohl der
Feigenbaum als auch der Berg „erleiden“ auf der sprachlichen
Ebene verwerfende Bewegungen des Hebens und des Zufallbringens.
---> Dies zugrunde gelegt, wäre der
Sinnverlauf der Erzählung bislang folgender:
1. Die für Jesus enttäuschende
Begegnung mit dem Feigenbaum ist mit seinem Wunsch abgeschlossen,
dass niemand mehr Frucht vom Baum essen möge
2. Petrus interpretiert am Folgetag
dieses Geschehen als „Verfluchung“ und absichtliches
„Zufallbringen“ des Baumes und bekundet dazu sein Einverständnis
3. Jesus weist die Jünger zurecht und
warnt sie davor, dass eine solche Haltung sich auch gegen sie selbst
richten und ihr Berg verworfen werden könne
Bei diesem angenommenen Erzählverlauf
hätte also nicht der Wunsch von Jesus eine „feindliche“ Richtung
gegen den Feigenbaum, sondern die Interpretation von Petrus. Dem
scheint die weitere Bemerkung von Jesus gegenüber den Jüngern in Mk
11:25 zu entsprechen: „falls ihr etwas habt gegen einige“
25 καὶ ὅταν στήκετε
προσευχόμενοι, ἀφίετε εἴ τι ἔχετε
κατά τινος, ἵνα καὶ ὁ πατὴρ ὑμῶν ὁ
ἐν τοῖς οὐρανοῖς ἀφῇ ὑμῖν τὰ
παραπτώματα ὑμῶν.
25 Und wenn ihr steht – betend -
erlasst, falls etwas (ihr) habt gegen einige, damit auch der Vater
(von) euch, der in den Himmeln, erlasse euch die Verfehlungen (von)
euch!
5) Eine Frage der Sichtweise
5.1) Die Begegnungen mit dem Feigenbaum
sind im Markusevangelium jeweils aus einem subjektiven Blickwinkel
erzählt. In Mk 11:13 „sieht“ Jesus zunächst einen Feigenbaum,
der Blätter hat, auf dem er aber auch nur Blätter vorfindet.
13 καὶ ἰδὼν συκῆν ἀπὸ
μακρόθεν ἔχουσαν φύλλα ...
13 Und (er) gesehen
(habend) Feigenbaum von weitem, habend Blätter, ...
Im Feigenbaumgleichnis in Mk 13:28
spricht Jesus erneut von dem Feigenbaum und seinen Blättern:
28 Ἀπὸ δὲ τῆς συκῆς
μάθετε τὴν παραβολήν· ὅταν ἤδη ὁ
κλάδος αὐτῆς ἁπαλὸς γένηται καὶ
ἐκφύῃ τὰ φύλλα, γινώσκετε ὅτι ἐγγὺς
τὸ θέρος ἐστίν
28 Aber<->von dem Feigenbaum
lernt das Gleichnis: Sobald schon der Zweig (von) ihm zart wird und
auswächst die Blätter, erkennt, dass nahe der Sommer ist
Meines Erachtens ist es offensichtlich,
dass es sich hier um denselben Feigenbaum handelt und das Jesus von
ihm in einer Weise spricht, als habe es eine Verfluchung und eine
Verdorrung objektiv nie gegeben.
5.2) In Mk 11:20 waren es hingegen die
Jünger, die den Feigenbaum bis in die Wurzeln vertrocknet „sahen“.
20 Καὶ παραπορευόμενοι
πρωῒ εἶδον τὴν συκῆν ἐξηραμμένην ἐκ
ῥιζῶν.
20 Und vorbeigelangt früh, (sie) sahen den Feigenbaum
ausgetrocknet aus Wurzeln.
Petrus fordert Jesus in Mk 11:21 auch
auf, den Feigenbaum ebenfalls als vertrocknet zu „sehen“:
21 ... Ῥαββί, ἴδε ἡ συκῆ
... ἐξήρανται.
21 … Rabbi, sieh, der Feigenbaum …
(ist) ausgetrocknet.
5.3) In Mk 13:29 ist es im Gegenzug
Jesus, der im Feigenbaumgleichnis das „Sehen“ der Jünger
problematisiert.
29 οὕτως καὶ ὑμεῖς,
ὅταν ἴδητε ταῦτα γινόμενα, γινώσκετε
ὅτι ἐγγύς ἐστιν ἐπὶ θύραις.
29 Derart auch ihr. Sobald (ihr) seht,
diese werdend, erkennt, dass nahe ist auf Türen.
Anscheinend haben sowohl der Feigenbaum
als auch die Jünger ein Problem: der Feigenbaum mit unzeitgemäßen
Früchten und die Jünger mit ihren Augen.
Ich breche diese Zeilen an dieser
Stelle etwas nachdenklich ab und frage mich, ob vielleicht jemand
anderes diese Geschichte auch so „sehen“ könnte. Es ist schon
etwas kühn, nicht wahr? Andererseits glaube ich – oder mache mich
nur glauben –, dass ich lediglich dem von Markus vorgegebenen
Erzählverlauf gefolgt bin und mehr Vertrauen in Jesus' Worte gesetzt
habe als in die Sichtweise von Petrus.
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