1) Meines Erachtens ist die These, dass
das Markusevangelium das ältestes Evangelium ist, eines der großen
Verdienste der historisch-kritischen Methode. Zwar gab und gibt es
vereinzelte Gelehrte, die für den Vorrang eines anderen Evangeliums
plädieren. Die dafür vorgebrachten Gründe konnten sich jedoch
nicht durchsetzen.
Marcion (rechts) und Johannes via wikicommons |
In der Zukunft werden junge Theologen
und Religionspädagogen die Studienbänke verlassen, denen gelehrt
worden ist, dass Marcion das älteste Evangelium geschrieben habe.
Auch unabhängig davon, wird das historische Interesse an Marcion
sicher zunehmen. Mit diesem Beitrag möchte ich deshalb – für
Interessierte, die wie ich selbst kaum eine Ahnung von Marcion haben
- vor allem auf zwei kleine Dinge hinweisen: auf die „Frömmigkeit“
von Marcion und die problematische Frage nach dem Inhalt seines
Evangeliums. Zum anderen will ich einen kleinen literarischen Fakt
präsentieren, der für das Primat des Markusevangeliums gegen
Marcion spricht, und außerdem etwas über die aus meiner Sicht kaum
überzeugende Ausführung von Prof. Vinzent sagen, mit der er selbst
versucht hat, den Vorrang von Marcion zu begründen.
2) Gemäß den Schriften der Kirchenväter lautete Marcions zentrale und gut bekannte These etwa wie folgt: Die Welt, in der wir leben, sei eine schlechte, mit Fehlern behaftete und ungerechte Welt. Sie könne deshalb nur von einem minderwertigen Gott geschaffen worden sein, bei dem es sich um den Schöpfergott der hebräischen Bibel handele und der für all unser Leid und Unglück verantwortlich sei. Diesem engherzigen und unnachgiebigen Schöpfergott stünde ein wesentlich höherer, gänzlich unbekannter und barmherziger Gott des Geistes und der Liebe gegenüber, der seinen göttlichen Sohn Jesus aus Mitleid mit den leidenden Menschen zur Erlösung aus dieser niedrigen Welt gesandt habe. Jesus sei deshalb auch kein sündhafter Mensch aus Fleisch und Blut gewesen, sondern habe nur einen immateriellen Scheinleib besessen.
Mein Eindruck ist, dass diese
theologischen Grundsätze einem die Gedankenwelt Marcions noch nicht
wirklich näher bringen. Zwei weitere Informationen, die ich aus dem
Klassiker von Adolf von Harnack „Marcion: Das Evangelium vom
fremden Gott“ zitiere, mögen hier jedoch hilfreich sein.
2.1) Marcions Stellung zu Ehe und
Sexualität
„Auch die Ethik M.s legt hier Protest
ein; denn eine weltflüchtigere und schwerere Lebensordnung und
-führung hat keine christliche Gemeinschaft vorgeschrieben als die
Marcionitische. M. verbot seinen Gläubigen die Ehe und jeglichen
Geschlechtsverkehr ganz und taufte daher nur solche Katechumenen und
ließ nur solche zum Abendmahl zu, die das Gelübde der Ehelosigkeit
leisteten, bzw. solche Eheleute, die eine vollständige Trennung
fortan gelobten … Die Ehe ist nicht nur eine schmutzige
Schändlichkeit, sondern gebiert auch den Tod. Das Motiv dieser
Vorschrift war zunächst das übliche, die Befreiung vom sündigen
Fleisch; aber nicht nur trat diese Forderung hier mit einer sonst
unerhörten Kräftigkeit des Ekels auf ..., sondern es kam noch ein
zweites Motiv dazu: man soll den Bereich des Weltschöpfers nicht
vergrößern helfen, sondern man soll ihn einschränken, soweit es in
Menschenmöglichkeit liegt … Aber nicht nur durch die vollkommene
geschlechtliche Enthaltung soll man dem Schöpfer trotzen, sondern
ebenso durch die strengste Enthaltung in Speise und Trank und durch
die Bereitwilligkeit zum Martyrium.“
2.2) Marcions Interpretationsweise der
heiligen Schriften
„Bei der Feststellung des kritischen
Standpunktes und des Verfahrens M.s darf schließlich nicht
unbeachtet bleiben, daß er ein bewußter und entschiedener Gegner
der allegorischen Erklärung war. Wir besitzen darüber zahlreiche
ausdrückliche Zeugnisse, die uns belehren, daß M. die Frage
principiell erwogen hat ... Er hat ausdrücklich erklärt: „μή
δεῖν ἀλληγορεῖν τήν γραφήν“ und verstand
diesen Satz so, daß weder das AT noch das Evangelium und der
Apostolos (Anmerkung: die Paulusbriefe) allegorisiert werden dürfen.
Als „purae historiae deservientes" bezeichnet Origenes die
Marcioniten ..., und einem anderen Zeugnis entnehmen wir, daß für
ihn auch das Evangelium nicht νοητόν (Anm: vergeistigt
wahrnehmbar), sondern ψιλόν (Anm: mit bloßem Auge verständlich,
unverhüllt, buchstäblich) war; es dürfe daher nur allegorisiert
werden, wo es offenkundig Parabeln enthalte.“
Gemessen an „modernen“ Vorstellungen ist in Marcion damit wohl eher ein zutiefst frommer, weltabgewandter und biblizistischer Christus-Gläubiger zu erblicken, der in einem grundlegenden Punkt die „katholischen“ Glaubensvorstellungen nicht teilte.
3) Marcions Evangelium
Der Versuch von Prof. Klinghardt, das
Evangelium Marcions zu „rekonstruieren“, ist nicht der erste und
wird nicht der letzte bleiben. Die aktuell auf internationaler Ebene
anerkannteste Rekonstruktion dürfte wohl diejenige von Dieter T.
Roth, The Text of Marcion’s Gospel, 2015, sein.
Bekannterweise ist der Text von
Marcions Evangelium nicht direkt überliefert ist. Es liegen
lediglich Kommentare zu seinem Evangelium und einige Zitate vor, die
in den Schriften seiner Gegner überliefert wurden und die sich
untereinander in einzelnen Punkten auch widersprechen. So soll etwa
der erste Ort des Auftretens von Jesus in Marcions Evangelium nach
Irenäus von Lyon und Origenes „Judäa“ gewesen sein, nach
Adamantius „Kapernaum“, nach Tertullian „Kapernaum, einer Stadt
Galiläas“ bzw. „Galiläa“ sowie nach einer anonymen Quelle
„ein Ort zwischen Jericho und Jerusalem“.
Einigkeit besteht, dass der Text von
Marcions Evangelium im Wesentlichen einer kürzeren Fassung des
Lukasevangeliums ähnelt, in dem zum Beispiel die ersten beiden
Kapitel von Lukas „fehlen“. Ob es auch einiges weniges Material
bot, dass eine Parallele im Matthäusevangelium oder einem anderen
Evangelium hat, ist ungewiss und eher bestritten. Die vorherrschende
Ansicht ist, dass Marcion den Text von Lukas kürzte und in wenigen
Punkten veränderte. Daneben bestehen zwei nicht ganz unbeachtliche
Mindermeinungen. Nach der einen sollen sowohl Marcion als auch Lukas
auf einen früheren Ur-Lukas zurückgehen. Nach der anderen ist Lukas
eine katholische, veränderte und längere Fassung des
Marcion-Evangeliums.
4) Aussagen über den Inhalt von
Marcions Evangelium
Ich selbst habe gelernt, dass alle
Aussagen über genaue Inhalte von Marcions Evangelium problematisch
sind und es sich letztlich um Wahrscheinlichkeitsaussagen nach einer
Wichtung der Quellen handelt. Aussagen wie „in Marcions Evangelium
stand X“ sind letztlich nur Behauptungen. Korrekt wäre hingegen
die Aussage „Tertullian, Epiphanius und Origenes erklären bzw.
deuten an, dass X in Marcions Evangelium stand“.
Der Wahrscheinlichkeitsgrad richtet
sich danach, von wie vielen Quellen eine Angabe bestätigt wird und
ob es sich dabei um ein vermeintliches Zitat, eine bloße Umschreibung des
Textes oder lediglich eine vage Anspielung handelt bzw. umgekehrt, ob
Verse ausdrücklich als „fehlend“ genannt werden oder die Quellen
lediglich schweigen. Zum besseren Verständnis ein kleines Beispiel:
Der Vers 24:1 des Lukasevangelium
(Frauen kommen zum leeren Grab) lautet im Griechischen, einer
wortnahen Übersetzung und nach der Luther-Bibel wie folgt:
τῇ δὲ μιᾷ τῶν
σαββάτων ὄρθρου βαθέως ἐπὶ τὸ μνῆμα
ἦλθον φέρουσαι ἃ ἡτοίμασαν ἀρώματα.
Aber<->am ersten der Woche, (in) tiefster<->Frühe,
zu dem Grab (sie) kamen, bringend die bereiteten Gewürze.
Aber am ersten Tag der Woche sehr früh kamen sie zum Grab und trugen
bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten.
Die einzige Quelle, die sich auf das
Vorhandensein dieses Verses in Marcions Evangelium bezieht, ist die
lateinische Anspielung von Tertullian (Gegen Marcion, Buch 4, Kapitel
43,1):
... si nec mulierum illarum officium
praeterit prophetia quae ante lucem convenerunt ad sepulcrum cum
odorum paratura
… denn nicht der Frauen Wirken
übergangen wird durch die Prophezeiung, die vor Tagesanbruch
gemeinsam kamen zum Grab mit zubereiteten Gewürzen
Adolf von Harnack hat den Vers in
Marcions Evangelium deshalb wie folgt „rekonstruiert“:
[ὄρθρου βαθέως]
ἐπὶ τὸ μνῆμα ἦλθον [φέρουσαι] ἃ
ἡτοίμασαν ἀρώματα.
[in tiefster Frühe], zu
dem Grab (sie) kamen, [bringend] die bereiteten Gewürze.
Da Tertullian die Wochentagsangabe „am
ersten Tag der Woche“ aus Lukas nicht erwähnt, hat Adolf von Harnack diese
Angabe in seine Marcion-Rekonstruktion nicht aufgenommen.
Die Tageszeitangabe „in tiefster
Frühe“ (ὄρθρου βαθέως) gemäß dem Lukasevangelium
hat von Harnack wohl deshalb in Klammern gesetzt, weil Tertullians
Bemerkung „ante lucem“ (vor Tagesanbruch) nicht als lateinische
Übersetzung von „ὄρθρου βαθέως“ verstanden werden
kann. Die Vulgata etwa übersetzt „ὄρθρου βαθέως“
treffend mit „valde diluculo“, andere frühe lateinische
Übersetzungen in ähnlicher Weise. Es ist daher fraglich, ob
Tertullians Bemerkung „vor Tagesanbruch“ (ante lucem) nur eine
sinngemäße Umschreibung ist oder ob Marcions Evangelium tatsächlich
so lautete. Man kann wohl nur sagen, dass nach Tertullians
Ausführungen der Vers auch eine Tageszeitangabe enthielt, die das
Einsetzen der Handlung vor dem Sonnenaufgang nahelegt. Mehr
Gewissheit ist hier kaum zu erlangen.
Ebenso setzte von Harnack das Partizip
„bringend“ in Klammern, da Tertullians Zeugnis das Wort nicht
enthält. Man kann nur mutmaßen, dass dessen Vorhandensein Sinn
machen würde. Tatsächlich ist es jedoch unbelegt. Wirklich belegt
sind daher folgende Informationen
- eine dem Wortlaut nach unbekannte
Tageszeitangabe, wohl vor Sonnenaufgang
- „sie“ bzw. namentlich hier nicht
genannte Frauen als handelnde Personen
- Grab als Ort der Handlung
- zubereitete Gewürze
5) Eine kleine Lanze für das Primat
des Markusevangeliums
Dass nach herrschender Meinung das
Markusevangelium das älteste Evangelium ist, beruht auf vielen
Gründen. In den letzten Jahrzehnten tendierte die Wissenschaft dazu,
neben eher allgemeineren Überlegungen auch kleine Details im
Wortlaut der Evangelien auszuwerten, die im Ergebnis ebenfalls für
den Vorrang von Markus sprechen. Einerseits ist deren Wert zwar
begrenzt, da sie nur einen Primat der jeweiligen Stelle begründen
können. Andererseits beruhen sie nicht auf generellen Gedanken, die
„man so oder auch anders sehen kann“, sondern auf einem kleinen
„harten“ Fakt.
Zugrunde gelegt wird dabei das
Szenario, dass die anderen Evangelisten, indem sie zuweilen Details
abänderten oder eigenes Material zu ihrer Markus-Quelle hinzufügten,
kleine „Sinnfehler“, „Inkonsequenzen“ und gar leichte
„Widersprüche“ bei ihrer Bearbeitung produzierten. Dazu
folgendes Beispiel:
Im Markus- und im Lukasevangelium
findet sich folgender Ausspruch von Jesus in der Perikope vom reichen
Mann/Jüngling:
Mk 10:18 Aber Jesus sprach zu ihm: Was
nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein.
Lk 18:19 Jesus aber sprach zu ihm: Was
nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein.
Matthäus hat diesen Wortlaut leicht
geändert - Mt 19:17 Er aber sprach zu ihm: Was fragst du mich nach
dem, was gut ist? Gut ist nur Einer.
Dieser Ausspruch ist für Marcions
Evangelium sehr gut belegt und zwar durch Zitate und Anführungen bei
Tertullian (Gegen Marcion, 4.36.3,6), Hippolytus von Rom (Widerlegung
aller Häresie, 7.31.6), Origenes von Alexandria (De Principiis,
2.5.1,4), Epiphanios von Salamis (Panarion 42.11.6,17) und Adamantius
(Dialog, 2,18–19 [1.1] sowie 92,24–32 [2.17]). Lediglich der
genaue Wortlaut ist etwas fraglich. Er könnte gelautet haben wie im
Lukasevangelium („Niemand ist gut als Gott allein“) oder durch
den Zusatz („Gott allein der Vater“) oder an Stelle von „niemand“
könnte es wie bei Matthäus „nur einer“ mit den Zusätzen „Gott“
oder „Gott der Vater“ geheißen haben.
Fest steht, dass alle Evangelisten
einschließlich Marcion mit diesem Vers das Attribut „gut“
ausschließlich Gott vorbehalten - vergleichbar etwa mit den
Eigenschaften „allmächtig“ oder „allwissend“. Im
Griechischen lautet das Wort für „gut“ bei allen Evangelisten
und auch bei Marcion „ἀγαθός“ (agathos). Unter dem Link kann man sämtliche Vorkommen des Wortes im NT prüfen.
Da mit diesem Spruch von Jesus so sehr
darauf bestanden wird, dass ausschließlich Gott „agathos“ ist,
wäre es sicher „inkonsequent“ oder „widersprüchlich“, wenn
an einer anderen Stelle des Evangeliums dann doch andere Personen
ebenfalls als „agathos“ bezeichnet werden.
Außer Markus unterläuft jedoch jedem
synoptischen Evangelisten dieser „Patzer“.
Matthäus
7:17 So bringt jeder gute (ἀγαθὸν)
Baum gute Früchte; aber ein fauler Baum ...
12:35 Ein guter (ἀγαθὸς) Mensch
bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens ...
25:21 Da sprach sein Herr zu ihm: Recht
so, du tüchtiger (ἀγαθὲ) und treuer Knecht ...
25:23 Sein Herr sprach zu ihm: Recht
so, du tüchtiger (ἀγαθὲ) und treuer Knecht ...
Lukas
6:45 Ein guter (ἀγαθὸς) Mensch
bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens ...
19:17 Und er sprach zu ihm: Recht so,
du tüchtiger (ἀγαθὲ) Knecht ...
23:50 Und siehe, da war ein Mann mit
Namen Josef ..., der war ein guter (ἀγαθὸς),
frommer Mann ...
Marcion
(6:45) Ein guter (ἀγαθὸς)
Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens ...
Die Rede vom „Vom Baum und seinen
Früchten“ (Lukas 6:43ff) ist für Marcion durch
viele Zitate belegt. Auf den Vers 6:45 wird durch Tertullian jedoch
nur angespielt (Gegen Marcion, 4.17.12: „boni de thesauro“ –
Gutes aus dem Schatz). Origenes von Alexandria (De Principiis, 2.5.4)
und Adamantius (Dialog, 58,20–24 [1.28]) zitieren zwar in ihren
Ausführungen diesen Vers. Da das Zitat bei Adamantius aber
weitestgehend der matthäischen Fassung entspricht, nehmen die
meisten Forscher an, dass Adamantius hier nicht (korrekt) aus Marcion
zitiert und die Stelle bei Marcion deshalb etwas anders lautete.
Origenes wiederum ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob er sich mit
seinem Zitat wirklich auf Marcions Evangelium beziehen will. Während
von Harnack aufgrund dieser Ungewissheiten eine Rekonstruktion des
Wortlauts ablehnte, plädierte Dieter T. Roth dafür. Gesagt werden
kann wohl nur, dass der Vers Lk 6:45 in Marcions Evangelium vorhanden war,
zumindest sinngemäß wiedergegeben wurde und das Wort „agathos“
an dieser Stelle vorkam.
Ob das Wort „agathos“ auch in den
Versen vorkam, die Lk 19:17 und 23:50 entsprechen, kann mangels Beleg
nicht gesagt werden. Zwar enthielt Marcions Evangelium auch das
Gleichnis „Von den anvertrauten Pfunden“ und die Grablegung durch
Joseph von Arimathäa, auf den Wortlaut wird jedoch im entscheidenden
Punkt nicht einmal dezent angespielt. Dass Marcion zumindest den Vers
19:17 enthielt, mag wahrscheinlich sein, ist aber letztlich nicht
belegt.
Hinsichtlich der Verwendung des Wortes
„agathos“ ist also lediglich das Markusevangelium
widerspruchsfrei, während die Evangelien nach Matthäus, Lukas und
Marcion die erwähnten „Patzer“ enthalten. Dies spricht dafür,
dass Matthäus, Lukas und Marcion die Aussage „nur Gott ist gut“
- direkt oder indirekt – von Markus übernahmen, jedoch vergaßen,
sich strikt an die von Markus gemachte Vorgabe zu halten, und mit der
Einfügung späteren Materials sich in Widerspruch zu dieser Aussage
setzten.
6) Prof. Vinzents Versuch
das angebliche Schema |
Hiervon ausgehend
argumentiert Prof. Vinzent: „If Mark had been the source of our
Synoptics (and therefore to Marcion, had he copied Luke), why does
none of the witnesses follow Mark 16:1 – but all have Mark 16:2
parallel? The verse is attested for Marcion. Why did they not follow
Mark 16:3-4, but only pick up Mark 16:5 again? Why, if Luke followed
Mark, did he – like the other witnesses pick up exactly and only
these verses of Mark 16:2.5, but jumped over verses 16:3-4?“
Zur Entschuldigung
von Prof. Vinzent sei gesagt, dass er diese Aufstellung lediglich von
Timothy P. Henderson übernommen, allerdings nicht kritisch überprüft
hat. Denn bereits nach einem ersten Blick ist offensichtlich, dass
diese Behauptungen nicht ansatzweise den Tatsachen entsprechen. Das
eindeutigste Beispiel ist hierbei das apokryphe Petrusevangelium,
dass die Verse Mk 16:3-4 nicht nur nicht „überspringt“, sondern
klar aufgreift und ausbaut. Zudem enthalten alle anderen Evangelien
die Information aus Mk 16:4 über den weggewälzten Stein vor dem
Grab.
Markus 16:3-4
3 Und sie sprachen untereinander: Wer
wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? 4 Und sie sahen hin und
wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß.
Apokr. Petrus (Fragestellung, großer
Stein, geöffnetes Grab)
53. Wer aber wird uns auch den Stein,
der an den Eingang des Grabes gelegt ist, wegwälzen, damit wir
hineingelangen, uns neben ihn setzen und tun, was sich gehört? - 54.
denn der Stein war groß - und wir fürchten, daß uns jemand sieht.
Und wenn wir es nicht können, so wollen wir wenigstens am Eingang
niederlegen, was wir zu seinem Gedächtnis mitbringen, wollen weinen
und klagen, bis wir wieder heimgehen." 55. Und als sie
hingingen, fanden sie das Grab geöffnet.
Lukas 24:2 (weggewälzter Stein)
2 Sie fanden aber den Stein weggewälzt
von dem Grab
Johannes 20:1 (weggewälzter Stein)
1 Am ersten Tag der Woche kommt Maria
von Magdala früh, als es noch finster war, zum Grab und sieht, dass
der Stein vom Grab weg war.
Matthäus 28:2
… Denn der Engel des Herrn kam vom
Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich
darauf.
Gleiches lässt sich für Mk 16:1
zeigen.
Markus 16:1-2
1 Und als der Sabbat vergangen war,
kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und
Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. 2 Und sie
kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne
aufging.
Matthäus 28:1 (enthält Zeitangaben
von Mk 16:1 [Sabbat] und 16:2 [Wochentag])
1 Als aber der Sabbat vorüber war und
der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die
andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.
Lukas 23:56-24:1 (enthalten die Themen
Sabbat und wohlriechende Öle aus Mk 16:1)
56 Sie kehrten aber um und bereiteten
wohlriechende Öle und Salben. Und den Sabbat über ruhten sie nach
dem Gesetz. 1 Aber am ersten Tag der Woche sehr früh kamen sie zum
Grab und trugen bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet
hatten.
Johannes 20:1 (bezieht sich tatsächlich
nicht auf Mk 16:1, hat die wohlriechende Öle jedoch in Joh 19:40
beim Begräbnis)
40 Da nahmen sie den Leichnam Jesu und
banden ihn in Leinentücher mit wohlriechenden Ölen, wie die Juden
zu begraben pflegen. … 1 Am ersten Tag der Woche kommt Maria von
Magdala früh, als es noch finster war, zum Grab und sieht, dass der
Stein vom Grab weg war.
Apokr. Petrus (deutet Kenntnis der
wohlriechende Öle an)
50. In der Frühe des Herrntages nahm
Maria Magdalena, die Jüngerin des Herrn - aus Furcht wegen der
Juden, da (diese) vor Zorn brannten, hatte sie am Grabe des Herrn
nicht getan, was die Frauen an den von ihnen geliebten Sterbenden zu
tun pflegten - 51. mit sich ihre Freundinnen und kam zum Grabe, wo er
hingelegt war
Meines Erachtens zeigen diese Verse vor
allem, dass alle Evangelisten „ihre“ Fassung der
Auferstehungsgeschichte sehr sorgfältig und individuell
ausgearbeitet haben. Sie scheinen mir daher kaum geeignet, um mit
ihnen den zeitlichen Vorrang eines Evangeliums begründen zu können.
Die Prüfung eines kleinen Details
zeigt jedoch, dass sie eher für den Nachrang der Evangelien nach
Lukas und Marcion sprechen. Bei dieser Einzelheit handelt es sich um
die Nennung der Namen der Frauen bzw. der Frau. In den Evangelien
nach Markus, Matthäus, Johannes und Petrus stimmen zwar die Anzahl
der Frauen und deren Namen nicht vollständig überein. Diese
Evangelien stimmen jedoch alle darin überein, dass sie die
jeweiligen Namen ausdrücklich nennen – und zwar bevor die Frauen
das leere Grab entdecken.
Markus 16:1
1 Und als der Sabbat vergangen war,
kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und
Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben.
Matthäus 28:1
1 Als aber der Sabbat vorüber war und
der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die
andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.
Johannes 20:1
1 Am ersten Tag der Woche kommt Maria
von Magdala früh, als es noch finster war, zum Grab
Petrus
50. In der Frühe des Herrntages nahm
Maria Magdalena, die Jüngerin des Herrn … mit sich ihre
Freundinnen und kam zum Grabe
Das Lukasevangelium nennt die Namen der
Frauen jedoch erst in Lk 24:10 nach der Verkündung der
Auferstehungsbotschaft. Weder bei der Kreuzigung, noch beim Begräbnis
oder beim Gang zum Grab gibt Lukas die Namen der Frauen an. Stets
spricht er nur von den „Frauen aus Galiläa“, den „Frauen“
oder verwendet das unpersönliche „sie“ (, dass im Griechischen
nicht ausdrücklich geschrieben wird, sondern sich aus der gebeugten
Verbform ergibt). Soweit wir wissen, ist dies in Marcions Evangelium
ebenfalls der Fall gewesen. Dass Marcion die Namen nicht ausdrücklich
nennt, ist für das Begräbnis und – wie oben gezeigt – auch beim
Gang zum Grab belegt. Lediglich für die Kreuzigung fehlt jegliche
Attestierung, so dass offen bleibt, ob Marcion dort ebenfalls die
„Frauen aus Galiläa“ erwähnt und falls ja, mit welchen Worten
er dies tat.
Die Argumentationsweise von Prof. Vinzent hat
daher eher umgekehrt Geltung.
Wenn Marcion die Quelle aller
Evangelien war, warum stimmt dann lediglich Lukas in diesem Detail mit
ihm überein, dass die Namen der Frauen beim Gang zum Grab noch nicht
genannt werden. Warum wichen alle anderen Evangelien hiervon ab und
erwähnten ausdrücklich die Namen?
Auf Einladung von Larry Hurtado hat Dieter T. Roth im vergangenen Jahr einige Überlegungen beigesteuert, die ich als Abschluss verlinke.
Roth on Vinzent on Marcion
Roth on Marcion and Methodology
Roth on Reading the Sources for Marcion
Auf Einladung von Larry Hurtado hat Dieter T. Roth im vergangenen Jahr einige Überlegungen beigesteuert, die ich als Abschluss verlinke.
Roth on Vinzent on Marcion
Roth on Marcion and Methodology
Roth on Reading the Sources for Marcion
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