Donnerstag, 3. März 2016

Über die Metapher von Weinberg und Ölberg


1) Mein erster Beitrag über den Feigenbaum erwähnte, dass es im Markusevangelium zwischen Mk 11:1 und Mk 14:32ff einen regelrechten „Obstbaum“-Abschnitt gibt, in dem wiederkehrend der Feigenbaum, der Weinberg/-stock und der Ölbaum thematisiert werden, während sie im übrigen Evangelium fast vollständig fehlen. Während es mir schwer fällt, den Sinngehalt des Feigenbaums zu deuten, erscheint eine ungefähre Antwort bezüglich des Weinbergs und des Ölbergs bedeutend einfacher.

Das Gleichnis von den untreuen Weinbauern (Mk 12:1ff) nimmt Bezug auf das Weinberglied von Jesaja ben Amoz (Jes 5:1ff). Der Weinberg des Markusevangeliums sollte daher in seiner Bedeutung mit dem Weinberg Jesajas übereinstimmen und das „Haus Israel“ bezeichnen.

Der Ölbaum wird lediglich in Ortsbezeichnungen und mit seinem Produkt, dem Öl, erwähnt und steht in einer deutlichen Beziehung zu den Jüngern.


2) Der Vers Mk 12:1b spielt auf die Jesaja-Verse 5:1b-2 in der griechischen Übersetzung der Septuaginta an, die im Unterschied zum hebräischen Text in der Ich-Form gefasst sind. In der nachfolgenden Gegenüberstellung habe ich übereinstimmende griechische Wörter von Markus und LXX-Jesaja gleichlautend übersetzt und farblich markiert, so dass die markinische Bezugnahme auf Jesaja erkennbar wird.


Wenn Markus so deutlich auf das Weinberglied von Jesaja ben Amoz Bezug nimmt, sollte sich auch die Deutung der Metapher von Jesaja herleiten. Die Antwort gibt dann der Jesaja-Vers 5:7 - „Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing.“ Der Weinberg ist also das „Haus Israel“ - was hier nicht näher bestimmt werden soll.

Gegen die lange Tradition der antijudaistischen Auslegung des markinischen Gleichnisses von den untreuen Weinbauern mag man vielleicht zwei Dinge bedenken. Zum einen trägt der Weinberg - im Gegensatz zum Weinberglied von Jesaja - bei Markus seine Frucht. Über ihn wird kein Urteil verhängt. Die Frucht wird dem Weinbergsbesitzer („der Herr Zebaoth“) von den untreuen Weinbauern (Mk 11:27 - Hohenpriester und Schriftgelehrten und Ältesten) hingegen vorenthalten. Zum anderen bezieht sich das Weinbauerngleichnis innerhalb der markinischen Erzählwelt nicht ausschließlich auf Jesus und die Tempelaristokratie. Auch Johannes der Täufer dürfte als einer der „Knechte“ des Weinbergbesitzers mitgemeint sein.


3) Am Rande sei die interessante rabbinische Interpretation im aramäischen Targum Jonathan zum jesajanischen Weinberglied erwähnt, die den „Turm“ des Weinbergs als den „Tempel“ und die „Kelter“ als den „Altar“ deutet. Möglicherweise hat Markus dieses Verständnis geteilt. 


Da der „Turm“ bei Jesaja und Markus der einzige Weinbergbestandteil ist, der „gebaut“ wird, könnte sich der Markusvers 12:10 („Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen: 'Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden ...'“) auf diese Deutung des Turmes als Tempel beziehen.

Weil die Kelter im Targum Jonathan dem Opferaltar („zur Vergebung der Sünden“) entspricht, würde der Wein das Blut der Opfertiere symbolisieren. Auch bei Markus symbolisiert der Wein des letzten Abendmahls das Blut von Jesus (Mk 14:23 - „Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. 24 Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.“). Vor diesem Hintergrund mag nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass auch das Gleichnis vom neuen Wein in neuen Schläuchen (Mk 2:22) mit dieser Ersetzung des Opfer- und Bundesblutes im Zusammenhang steht.

Bereits in der Tosefta Sukka 3.15 wird die Auslegung von Rabbi Jose ben Chalafta zum Weinberglied wie folgt angeführt: „R. Jose says, … my beloved had a vineyard in a very fruitful hill; and he digged it, and gathered out the stones thereof, and planted it with the choicest vine, and built a tower in the midst of it - that is the Temple - and hewed out a winepress therein - that is the altar - ...


4) Markus erwähnt den Ölbaum an sich nicht. Lediglich als Produkt (Olivenöl) sowie in Ortsbezeichnungen (Ölberg und Gethsemane - „Ölpresse“) kehrt das Öl-Thema wieder. Es scheint recht eindeutig mit den Jüngern verknüpft zu sein.

Das Thema beginnt in Mk 6:13 mit Kranken-Ölsalbungen bei der erfolgreichen Aussendung der Zwölf und endet in der Ölpresse von Gethsemane (Mk 14:32ff) mit dem Versagen des Führungstrios unter den Jüngern.

Mk 6:13 und sie trieben viele böse Geister aus und salbten viele Kranke mit Öl ...
Mk 11:1 Und als sie in die Nähe von Jerusalem kamen, ... an den Ölberg, sandte er zwei seiner Jünger
Mk 13:3 Und als er auf dem Ölberg saß gegenüber dem Tempel, fragten ihn Petrus und Jakobus und Johannes und Andreas, ...
Mk 14:26 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg. 27 Und Jesus sprach zu ihnen: Ihr werdet alle Ärgernis nehmen ...
Mk 14:32 Und sie kamen zu einem Garten mit Namen Gethsemane. Und er sprach zu seinen Jüngern: Setzt euch hierher, bis ich gebetet habe ...

Vor allem der Umstand, dass die Jünger in Mk 6:13 bei ihrer Aussendung Krankensalbungen mit Olivenöl vornehmen - und zwar ohne diesbezügliche Anweisung von Jesus und möglicherweise gar gegen dessen detailliertes Gebot, „nichts mitzunehmen auf den Weg“ - lässt das Öl als „ureigenste“ Gabe der Jünger erscheinen.

Der Ölberg und Gethsemane sind als Orte der Handlung ebenfalls nur mit den Jüngern (neben Jesus) thematisch verknüpft.

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