1) Mein erster Beitrag über den
Feigenbaum erwähnte, dass es im Markusevangelium zwischen Mk 11:1
und Mk 14:32ff einen regelrechten „Obstbaum“-Abschnitt gibt, in
dem wiederkehrend der Feigenbaum, der Weinberg/-stock und der Ölbaum
thematisiert werden, während sie im übrigen Evangelium fast
vollständig fehlen. Während es mir schwer fällt, den Sinngehalt
des Feigenbaums zu deuten, erscheint eine ungefähre Antwort
bezüglich des Weinbergs und des Ölbergs bedeutend einfacher.
Das Gleichnis von den untreuen
Weinbauern (Mk 12:1ff) nimmt Bezug auf das Weinberglied von Jesaja
ben Amoz (Jes 5:1ff). Der Weinberg des Markusevangeliums sollte daher
in seiner Bedeutung mit dem Weinberg Jesajas übereinstimmen und das
„Haus Israel“ bezeichnen.
Der Ölbaum wird lediglich in
Ortsbezeichnungen und mit seinem Produkt, dem Öl, erwähnt und steht
in einer deutlichen Beziehung zu den Jüngern.
2) Der Vers Mk 12:1b spielt auf die
Jesaja-Verse 5:1b-2 in der griechischen Übersetzung der Septuaginta
an, die im Unterschied zum hebräischen Text in der Ich-Form gefasst
sind. In der nachfolgenden Gegenüberstellung habe ich
übereinstimmende griechische Wörter von Markus und LXX-Jesaja
gleichlautend übersetzt und farblich markiert, so dass die
markinische Bezugnahme auf Jesaja erkennbar wird.
Wenn Markus so deutlich auf das Weinberglied von Jesaja ben Amoz Bezug nimmt, sollte sich auch die Deutung der Metapher von Jesaja herleiten. Die Antwort gibt dann der Jesaja-Vers 5:7 - „Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing.“ Der Weinberg ist also das „Haus Israel“ - was hier nicht näher bestimmt werden soll.
Gegen die lange Tradition der
antijudaistischen Auslegung des markinischen Gleichnisses von den
untreuen Weinbauern mag man vielleicht zwei Dinge bedenken. Zum einen
trägt der Weinberg - im Gegensatz zum Weinberglied von Jesaja - bei
Markus seine Frucht. Über ihn wird kein Urteil verhängt. Die Frucht
wird dem Weinbergsbesitzer („der Herr Zebaoth“) von den untreuen
Weinbauern (Mk 11:27 - Hohenpriester und Schriftgelehrten und
Ältesten) hingegen vorenthalten. Zum anderen bezieht sich das
Weinbauerngleichnis innerhalb der markinischen Erzählwelt nicht
ausschließlich auf Jesus und die Tempelaristokratie. Auch Johannes
der Täufer dürfte als einer der „Knechte“ des Weinbergbesitzers
mitgemeint sein.
3) Am Rande sei die interessante
rabbinische Interpretation im aramäischen Targum Jonathan zum
jesajanischen Weinberglied erwähnt, die den „Turm“ des
Weinbergs als den „Tempel“ und die „Kelter“ als den „Altar“
deutet. Möglicherweise hat Markus dieses Verständnis geteilt.
Da der „Turm“ bei Jesaja und Markus
der einzige Weinbergbestandteil ist, der „gebaut“ wird, könnte
sich der Markusvers 12:10 („Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort
gelesen: 'Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum
Eckstein geworden ...'“) auf diese Deutung des Turmes als Tempel
beziehen.
Weil die Kelter im Targum Jonathan dem
Opferaltar („zur Vergebung der Sünden“) entspricht, würde der
Wein das Blut der Opfertiere symbolisieren. Auch bei Markus
symbolisiert der Wein des letzten Abendmahls das Blut von Jesus (Mk
14:23 - „Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie
tranken alle daraus. 24 Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des
Bundes, das für viele vergossen wird.“). Vor diesem Hintergrund
mag nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass auch das Gleichnis
vom neuen Wein in neuen Schläuchen (Mk 2:22) mit dieser Ersetzung des Opfer-
und Bundesblutes im Zusammenhang steht.
Bereits in der Tosefta Sukka 3.15 wird
die Auslegung von Rabbi Jose ben Chalafta zum
Weinberglied wie folgt angeführt: „R. Jose says, … my
beloved had a vineyard in a very fruitful hill; and he digged it, and
gathered out the stones thereof, and planted it with the choicest
vine, and built a tower in the midst of it - that is the Temple - and
hewed out a winepress therein - that is the altar - ...“
4) Markus erwähnt den Ölbaum an sich
nicht. Lediglich als Produkt (Olivenöl) sowie in Ortsbezeichnungen
(Ölberg und Gethsemane - „Ölpresse“) kehrt das Öl-Thema
wieder. Es scheint recht eindeutig mit den Jüngern verknüpft zu
sein.
Das Thema beginnt in Mk 6:13 mit
Kranken-Ölsalbungen bei der erfolgreichen Aussendung der Zwölf und
endet in der Ölpresse von Gethsemane (Mk 14:32ff) mit dem Versagen
des Führungstrios unter den Jüngern.
Mk 6:13 und sie trieben viele böse
Geister aus und salbten viele Kranke mit Öl ...
Mk 11:1 Und als sie in die Nähe von
Jerusalem kamen, ... an den Ölberg, sandte er zwei seiner Jünger
Mk 13:3 Und als er auf dem Ölberg saß
gegenüber dem Tempel, fragten ihn Petrus und Jakobus und Johannes
und Andreas, ...
Mk 14:26 Und als sie den Lobgesang
gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg. 27 Und Jesus
sprach zu ihnen: Ihr werdet alle Ärgernis nehmen ...
Mk 14:32 Und sie kamen zu einem Garten
mit Namen Gethsemane. Und er sprach zu seinen Jüngern: Setzt euch
hierher, bis ich gebetet habe ...
Vor allem der Umstand, dass die Jünger
in Mk 6:13 bei ihrer Aussendung Krankensalbungen mit Olivenöl
vornehmen - und zwar ohne diesbezügliche Anweisung von Jesus und
möglicherweise gar gegen dessen detailliertes Gebot, „nichts
mitzunehmen auf den Weg“ - lässt das Öl als „ureigenste“ Gabe
der Jünger erscheinen.
Der Ölberg und Gethsemane sind
als Orte der Handlung ebenfalls nur mit den Jüngern (neben Jesus) thematisch verknüpft.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen