1) In der hebräischen Bibel und ihrer griechischen Übersetzung, der Septuaginta, gibt es Wörter und Phrasen, die sich häufig wiederholen. Dazu gehört auch die Wendung „in jenen Tagen“ (ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις) bzw. „an jenem Tag“ (ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἐκείνῃ). Ihre Bedeutung ist nicht durchgängig gleich. Die Floskel kann sowohl eine ferne Vergangenheit, die erzählte Gegenwart, aber auch eine prophezeite Zukunft beschreiben. Sie kann zum Zwecke besonderer Betonung, aber auch als bloße unbetonte Zeitangabe verwendet worden sein.
Weihnachtslied: "An jenem Tag", via volksmusik-archiv.de |
Sehr bekannt ist die Wendung aus dem Buch der Richter, indem mehrmals wiederholt wird: „In jenen Tagen gab es keinen König in Israel.“ (LXX-Ri 17,6; 18,1; 19,1; 21,25). Das Buch Genesis verwendet die Floskel „an jenem Tag“ gern als „Markierung“ wichtiger Stationen der Abraham gegebenen Verheißung, beginnend mit LXX-1. Mos 15,18 („An jenem Tag verfügte Gott für Abram eine Verfügung, indem er sagte: Deiner Nachkommenschaft werde ich dieses Land geben ...“).
Bei den Propheten bekommt die Wendung
schließlich etwas Geheimnisvolles, weil sie verwendet wird, um die
Zeit des künftigen Heils oder des drohenden Gerichts zu beschreiben.
Sie dient also zur Bezeichnung der „eschatologischen“ Zukunft,
des Anbruchs der letzten Dinge und des Herabkommens einer neuen Welt.
Etwa bei Jeremia (LXX-3,16ff): „Und es wird geschehen, wenn ihr
euch vermehrt und über das Land ausbreitet in jenen Tagen, spricht
der Herr, werden sie nicht mehr sagen 'Die Bundeslade des Heiligen
Israels', sie wird nicht mehr zum Herzen aufsteigen, weder wird sie
beim Namen genannt noch betrachtet werden, und sie wird nicht
wiederhergestellt werden. In jenen Tagen und zu jener Zeit wird man
Jerusalem 'Thron des Herrn' nennen, und alle Völker werden in ihr
gesammelt werden und sie werden nicht länger hinter den Gedanken
ihres bösen Herzens nachlaufen. In jenen Tagen wird das Haus Juda
mit dem Haus Israel zusammenkommen, und sie werden miteinander vom
Land des Nordens und aus allen Gegenden in das Land kommen, das ich
ihren Vätern zum Besitz gegeben habe ...“ oder Jesaja (29,18) „Und
an jenem Tag werden Taube Worte eines Buches hören, und die Augen
von Blinden, die in der Finsternis und in dem Nebel sind, werden
schauen ...“
Die Propheten verwenden diese Floskel
so häufig, dass unsere Evangelisten dies bemerkt und die Wendung
selbst verwendet haben, um an diese Prophezeiungen anzuknüpfen. Wie zu
sehen sein wird, verwenden die Vier die Formel zunächst um das
Anbrechen der durch Jesus vermittelten Heilszeit zu „markieren“.
Markus und Matthäus scheinen diesbezüglich eine kleine
Meinungsverschiedenheit zu haben …
2) Ich will jedoch zunächst mit Lukas,
Johannes und der Apostelgeschichte beginnen, um einen ersten Eindruck
zu vermitteln.
Lukas markiert natürlich die
Weihnachtsgeschichte mit der Floskel - Lk 2,1: „Es begab sich aber
zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass
alle Welt geschätzt würde.“ Wörtlich heisst es: Ἐγένετο
δὲ ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις … (Es
geschah aber in den Tagen jenen ...)
Bei Johannes könnte man zunächst
zweifeln, ob er die Wendung tatsächlich so betont verwendet. Er
benutzt sie zunächst, als die Jünger das erste Mal im Umkreis
Johannes des Täufers auf Jesus treffen - Joh 1,35 – 41: „Am
nächsten Tag stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; und
als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes
Lamm! Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach.
Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen:
Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi - das heißt
übersetzt: Meister -, wo ist deine Herberge? Er sprach zu ihnen:
Kommt und seht! Sie kamen und sahen's und blieben jenen Tag (τὴν
ἡμέραν ἐκείνην) bei ihm. Es war aber um die zehnte
Stunde. Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus
nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Der
findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den
Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte.“
Die Erscheinung des Auferstandenen vor
den Jüngern lässt jedoch schließlich keinen Zweifel, dass auch
Johannes die Floskel ganz bewusst verwendet - Joh 20,19f: „Am Abend
aber jenes Tages (τῇ ἡμέρᾳ ἐκείνῃ) der Woche, als
die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht
vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu
ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das gesagt hatte, zeigte er
ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass
sie den Herrn sahen.“
Die Apostelgeschichte verknüpft sogar
AT-Prophezeiung und NT-Erfüllung und zwar beim Pfingstwunder, der
Ausgießung des Heiligen Geistes.
Apg 2,14ff : „Da trat Petrus auf mit
den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe
Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch
kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! Denn diese
sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte
Stunde am Tage; sondern das ist's, was durch den Propheten Joel
gesagt worden ist (Joel 3,1-5): 'Und es soll geschehen in jenen Tagen
(ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις), spricht Gott, da
will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure
Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen
Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine
Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist
ausgießen, und sie sollen weissagen ...“
Apg 2,38ff: „Petrus sprach zu ihnen:
Tut Buße und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu
Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe
des Heiligen Geistes. Denn euch und euren Kindern gilt diese
Verheißung und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott,
herzurufen wird. Auch mit vielen andern Worten bezeugte er das und
ermahnte sie und sprach: Lasst euch erretten aus diesem verkehrten
Geschlecht! Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an
jenem Tag (ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἐκείνῃ) wurden
hinzugefügt etwa dreitausend Menschen.“
3) Die Meinungsverschiedenheit zwischen
Markus und Matthäus betrifft die Frage, ob die Heilszeit mit
Johannes dem Täufer beginnt oder erst mit Jesus.
Mein Eindruck bei Markus ist, dass
Johannes in seinem Leben und seiner Mission nicht ansatzweise ein
Vorläufer von Jesus ist, sondern als Wegbereiter
in Gestalt von Paulus' „Zuchtmeister“ auftritt, unter dem alle
verwahrt wurden, um durch den Glauben befreit zu werden (Gal 3,23f:
„Ehe aber der Glaube kam, waren wir unter dem Gesetz verwahrt und
verschlossen auf den Glauben hin, der dann offenbart werden sollte.
So ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus hin, damit
wir durch den Glauben gerecht würden.“) Lediglich der Tod von
Johannes weist bei Markus auf den Tod von Jesus voraus. Matthäus
präsentiert Johannes hingegen als vollwertigen Vorläufer von Jesus.
Markus parallelisiert das Auftreten von
Johannes und von Jesus in Mk 1,4 und Mk 1,9 durch das Wörtchen
„ἐγένετο“ (es geschah), verwendet die eschatologische
Formel „in jenen Tagen“ aber nicht bei Johannes, sondern erst
beim Kommen von Jesus.
Mk 1,4
Ἐγένετο Ἰωάννης
βαπτίζων ἐν τῇ ἐρήμῳ
Es geschah: Johannes taufte in der
Wüste
Mk 1,9
Καὶ ἐγένετο ἐν ἐκείναις
ταῖς ἡμέραις ἦλθεν Ἰησοῦς ἀπὸ Ναζαρὲτ
τῆς Γαλιλαίας
Und es geschah in jenen Tagen: Es kam
Jesus aus Nazaret von Galiläa
Matthäus nimmt hier nun eine
Veränderung vor, indem er die Formel „in jenen Tagen“ bereits
beim Auftreten des Täufers verwendet und so den Beginn der Heilszeit
„vorverlegt“:
Mt 3,1
Ἐν δὲ ταῖς ἡμέραις
ἐκείναις παραγίνεται Ἰωάνης ὁ βαπτιστὴς
κηρύσσων ἐν τῇ ἐρήμῳ
Aber in jenen Tagen kam Johannes der
Täufer verkündend in der Wüste
Mt 3,13
Τότε παραγίνεται ὁ
Ἰησοῦς ἀπὸ τῆς Γαλιλαίας ἐπὶ τὸν
Ἰορδάνην πρὸς τὸν Ἰωάνην
Dann kam der Jesus aus dem Galiläa
über den Jordan zu dem Johannes
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