1) Die „Jüdischen Altertümer“ des jüdischen Historikers Joseph ben Mathitjahu, bekannt als Flavius Josephus, enthalten 3 Stellen, die häufig im Zusammenhang mit den Berichten des Neuen Testaments diskutiert werden: Buch 18,3.3 (über Jesus), 18,5.2 (über Johannes den Täufer) sowie 20,9.1 (über den Herrenbruder Jakobus). Unlängst hat Peter Kirby einen schönen Beitrag veröffentlicht, in dem er die für oder gegen eine Fälschung sprechenden Gründe (insgesamt 26!) betreffend den Bericht über Johannes den Täufer abgewogen hat und zum Ergebnis gelangt ist, dass die Täufer-Passage authentisch ist
via peterkirby.com |
Josephus‘ Bericht über die Mission des Täufers widerspricht
den Darstellungen der Evangelisten über die Johannestaufe zumindest an einem
entscheidenden Punkt, nämlich dem Zweck der Taufe. Historiker und
Bibelwissenschafter wägen daher stets ab, welche Schilderung sie als
vertrauenswürdiger und von den Absichten des jeweiligen Autors als weniger
„überformt“ ansehen.
Im vorliegenden Beitrag interessiert mich ausschließlich die
Darstellung von Josephus. Sie ist sehr knapp, vor allem in einem Punkt nicht
ganz leicht zu verstehen und lässt meines Erachtens durchaus mehrere, sogar
recht unterschiedliche Deutungen der Mission und des Taufverständnisses des
Täufers zu.
2) Zunächst der griechische Text, die Übersetzung von Martin
und einige Anmerkungen zum besseren Verständnis.
116 Τισὶ δὲ τῶν Ἰουδαίων ἐδόκει ὀλωλέναι τὸν Ἡρώδου στρατὸν ὑπὸ τοῦ θεοῦ καὶ μάλα δικαίως τινυμένου κατὰ ποινὴν Ἰωάννου τοῦ ἐπικαλουμένου βαπτιστοῦ.
117 κτείνει γὰρ δὴ τοῦτον Ἡρώδης ἀγαθὸν ἄνδρα καὶ τοῖς Ἰουδαίοις κελεύοντα ἀρετὴν ἐπασκοῦσιν καὶ τὰ πρὸς ἀλλήλους δικαιοσύνῃ καὶ πρὸς τὸν θεὸν εὐσεβείᾳ χρωμένοις βαπτισμῷ συνιέναι: οὕτω γὰρ δὴ καὶ τὴν βάπτισιν ἀποδεκτὴν αὐτῷ φανεῖσθαι μὴ ἐπί τινων ἁμαρτάδων παραιτήσει χρωμένων, ἀλλ᾽ ἐφ᾽ ἁγνείᾳ τοῦ σώματος, ἅτε δὴ καὶ τῆς ψυχῆς δικαιοσύνῃ προεκκεκαθαρμένης.
116 Manche aus den Juden erkannten indessen aus dem Untergange von Herodes‘ Heer die Fügung des Herrn, der von Herodes für Johannes den Täufer die gerechte Strafe forderte.
117 Diesen hatte Herodes hinrichten lassen, obwohl er ein gerechter Mann war und die Juden anhielt, der Tugend nachzustreben, gegen ihren Nächsten Gerechtigkeit und gegen Gott Frömmigkeit zu üben und so zur Taufe zu kommen; dann werde die Taufe Gott angenehm sein, indem sie selbe bloß zur Heiligung des Leibes, nicht zur Entsündigung der Seele anwendeten, die dann schon durch ein gerechtes Leben geheiligt sei.
Weitere Übersetzungen können hier und hier eingesehen
werden. Nachfolgend nun einige Anmerkungen zu der Übersetzung.
2.1) unproblematische Stellen
- „Johannes den Täufer“
wörtlich „Ἰωάννου τοῦ ἐπικαλουμένου βαπτιστοῦ“ - Johannes der sogenannte
Täufer
- „ein gerechter Mann“
wörtlich „ἀγαθὸν ἄνδρα“ - guter Mann
- „der Tugend nachzustreben“
wörtlich: „ἀρετὴν ἐπασκοῦσιν“ - Die Bedeutung liegt hier nicht so sehr auf
einem „idealistischen“ Streben nach Höherem, sondern eher auf einer stetigen
und „praktischen“ Arbeit an sich selbst.
- „gegen ihren Nächsten Gerechtigkeit und gegen Gott
Frömmigkeit zu üben“
wörtlich: „τὰ πρὸς ἀλλήλους δικαιοσύνῃ καὶ πρὸς τὸν θεὸν εὐσεβείᾳ
χρωμένοις“ - Die Übersetzung scheint treffend, allerdings steht das Verb nicht
im Infinitiv, sondern in der Partizipialform. Statt „Gerechtigkeit“ kann man
auch „Rechtschaffenheit“, statt „Frömmigkeit“ auch „Verehrung“ lesen.
2.2.) die problematischste Stelle
- „so zur Taufe zu kommen“
wörtlich „βαπτισμῷ συνιέναι“
Josephus verwendet für das mit „Taufe“ übersetzte Wort zwei
unterschiedliche Substantive. Hier das männliche „βαπτισμός“ und später das
weibliche „βάπτισις“. Die Evangelisten bezeichnen die Johannestaufe hingegen
mit dem sächlichen „βάπτισμα“. Markus (7:4,8) und der Hebräerbrief (6:2; 9:10) nutzen
das männliche „βαπτισμός“ auch für „Waschungen“, der Kolosserbrief (2:12) auch
für Taufe. Der eigentliche Sinn des Wortes ist „Eintauchen“. Um den Begriffen
von Josephus ihr ursprüngliches Verständnis zurückzugeben, könnte man zur
Verdeutlichung das männliche „βαπτισμός“ mit „Eintauchen“ und das weibliche
„βάπτισις“ mit „Eintauchung“ oder „Eintauche“ übertragen.
Das Substantiv „Eintauchen“ steht hier im Dativ ohne
vorangehende Präposition und ohne Artikel. Matthäus (3,7) formuliert
beispielsweise für „kommend zu der Taufe“ mit der Präposition „ἐπὶ“ +
dem Artikel „τὸ“
+ Akkusativ: „ἐρχομένους
ἐπὶ τὸ
βάπτισμα“, die Kirchenväter ebenso. Vor allem der fehlende Artikel irritiert
ein wenig, weil man ihn bei einem „Sakrament“ oder „Bekehrungsritual“ erwarten
würde.
Das hier im Infinitiv stehende Verb „συνιέναι“ bedeutet
nicht „kommen“, ist aber – insbesondere in der Verwendung von Josephus –
äußerst schwierig zu übersetzen. Die Vorsilbe „συν“ meint „zusammen“ oder
„gemeinsam“ und ist uns etwa aus dem Fremdwort „Synergieffekt“ vertraut. Man
wird hier vielleicht am besten mit „zusammenkommen“ übersetzen.
2.3) eher unproblematische Stellen
- „dann werde die Taufe Gott angenehm sein“
wörtlich: „οὕτω γὰρ δὴ καὶ τὴν βάπτισιν ἀποδεκτὴν αὐτῷ φανεῖσθαι“
– Das Wort für „Gott“ fehlt, es heißt nur „ihm“ (αὐτῷ), was sich rein
theoretisch auch auf den Täufer beziehen könnte. Dass hier mit „ihm“ „Gott“
gemeint ist, liegt natürlich nahe. Im Übrigen ist die Formulierung nicht
wörtlich, aber sinngemäß übersetzt.
- „indem sie selbe bloß zur Heiligung des Leibes, nicht zur
Entsündigung der Seele anwendeten“
wörtlich: „μὴ ἐπί τινων ἁμαρτάδων παραιτήσει χρωμένων, ἀλλ᾽ ἐφ᾽ ἁγνείᾳ τοῦ
σώματος,“ - Im Griechischen ist umgedreht formuliert. In etwa so: „nicht wegen
irgendwelcher Sünden zur Wiedergutmachung praktiziert werde, sondern zur Weihe
(rituellen Reinigung) des Körpers“. Das Wort „Seele“ kommt hier noch nicht vor.
„ἁγνείᾳ“ ist
an sich zwar treffend mit „Heiligung“ übersetzt. Aus der Verwendung des Wortes
im übrigen Werk von Josephus ergibt sich aber, dass damit keine „religiöse
Verherrlichung“ des Körpers, sondern die Erlangung ritueller Reinheit bzw. die kultische
Weihung des Körpers bzw. der Person gemeint ist.
- „die dann schon durch ein gerechtes Leben geheiligt sei“
wörtlich: „ἅτε δὴ καὶ τῆς ψυχῆς δικαιοσύνῃ προεκκεκαθαρμένης“ - An dieser
Stelle wird nun „die Seele“ (τῆς ψυχῆς) erwähnt. „δικαιοσύνῃ προεκκεκαθαρμένης“ meint „in
Rechtschaffenheit/Gerechtigkeit vorher gereinigt“
3.) Man sollte zunächst bedenken, was Josephus im Gegensatz
zu den Evangelisten nicht sagt:
Von
- einer Taufe der Umkehr zur Vergebung von Sünden
- im Jordan bzw.
- in der Wüste
- einer Endzeitpredigt des Täufers
- oder gar der Ankündigung vom Kommen des Messias
ist bei Josephus keine Rede.
Zudem ist nicht klar, ob nach Josephus für die „Eintauchung“ die Anwesenheit des Täufers oder eines seiner Jünger erforderlich war. Der Wortlaut kann auch dafür sprechen, dass der Täufer seinen Landsleuten geboten habe, miteinander, also gemeinsam in Gruppen diese besondere Form von Waschungen oder Reinigungsbädern durchzuführen. Dass der Täufer als ein aktiver „Eintaucher“ der von ihm eingetauchten Personen tätig war, ergibt sich jedenfalls nicht eindeutig aus dem Bericht von Josephus. Dafür spricht natürlich sein auch hier erwähnter Beiname „der Täufer“.
Besonders interessant erscheint an Josephus’ Darstellung,
dass die vom Täufer propagierte Taufe Gott „angenehm“ sei, so als würde es sich
hierbei um eine Gabe bzw. ein Opfer bzw. ein dieses ersetzendes Ritual handeln,
das von Gott angenommen oder abgelehnt werden könne, je nach der moralischen
Lebensführung des Eintauchers bzw. der Eintauchenden.
Die Betonung im Bericht des Josephus über den Täufer liegt
schließlich nicht so sehr auf der „Taufe“, sondern auf der ständigen
Anstrengung moralischer Lebensführung, die vor dem „Eintauchen“ praktiziert
werden soll. Beachtlich ist hierbei freilich, dass die Begriffe „Gerechtigkeit“
und „Frömmigkeit“ zu Josephus’ Lieblingsfloskeln zählen, die in seinem Werk
häufig wiederkehren. Sie werden u.a. auch den Essenern zugeschrieben.
Zusammenfassend kann man sicher mutmaßen, dass der Täufer
nach der knappen Schilderung von Josephus wie die Essener oder der Einsiedler
Bannus einer religiösen Alternativbewegung angehörte, die sich jenseits des
Tempelkultes vollzog. Der Zweck des von ihm propagierten „Eintauchens“ soll
nach Josephus in der rituellen Reinigung jener Menschen liegen, die ihre Seelen
bereits durch die stete Bemühung einer moralischen Lebensführung gereinigt
haben.
Wer der historischen Wahrheit über den Täufer nachspürt,
wird nicht nur zwischen den Darstellungen der Evangelien einerseits und der des
Josephus andererseits abzuwägen haben. Der Bericht von Josephus lässt bereits
an sich unterschiedliche Deutungen mit einem gewissen Spektrum von in Betracht
kommenden Szenarien zu. Manche dieser Szenarien weichen nur in einem oder
wenigen Punkten von den Schilderungen der Evangelien ab, andere aber in
grundsätzlicher Weise. Die Vorstellung etwa, dass es sich bei der von Johannes
propagierten „Eintauche“ um ein gemeinschaftliches rituelles Reinigungsbad mit in
Ansätzen sogar gottesdienstähnlicher Funktion gehandelt haben könnte, bei der
die persönliche Anwesenheit des Täufers nicht erforderlich war, scheint mit dem
Bericht des Josephus ohne Probleme vereinbar zu sein.
Bedenken sollte man, dass Josephus etwa 50-60 Jahre nach den
Ereignissen für eine Leserschaft schrieb, zu der wohl überwiegend gelehrte
Römer und Griechen zählten, und sein Bericht eher nicht für eine Detailkenntnis
über den Täufer und dessen Mission spricht. Aber gut, dass es ihn gibt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen