1) Wie die Septuaginta verwendet das
Markusevangelium für Aussatz des Wort „Lepra“ (λέπρα). Mit
diesem Begriff ist zumindest auch die klassische Lepra gemeint, wie
4. Mose 12,12 zeigt. Teilweise bezeichnet das Wort aber auch weniger
gefährlichere Hautkrankheiten oder gar ungefährliche
Hautveränderungen (3. Mose 13f.).
"Und siehe, Mirjam war aussätzig" via wikimedia.org |
Beachtlich ist, dass die hebräische
Bibel in fast allen Erzählungen den Aussatz nicht als eine
„natürliche Krankheit“, sondern als Strafe Gottes für einen
Sünder, vielleicht sogar „nur“ als äußeres Zeichen seiner
Sündhaftigkeit versteht. In 2. Chr 26,16-23 maßt sich König Usija
die ihm nicht zustehende Rolle eines Priesters an und wird
unmittelbar bei seinem Handeln von Aussatz befallen. In 2. Kön 5,20-27 hintergeht Gehasi den Propheten Elisa und wird auf dessen
Wort hin mit Aussatz gestraft. In 2. Samuel 3,29 ruft König David
wegen eines Mordes Gottes Strafe auf den Täter und dessen Familie
herab, so dass „einer Eiterfluss und Aussatz habe oder am Stabe
gehe oder durchs Schwert falle oder an Brot Mangel habe!“ Lediglich
der von Elisa geheilte Aramäer Naaman scheint unter Aussatz im Sinne
einer natürlichen Krankheit zu leiden.
Diese Verständnismöglichkeiten des
Aussatzes werden am Beispiel von Mirjam, der Schwester von Mose und
Aaron, in 4. Mose 12 thematisiert. Aaron, Mose und Gott selbst
„interpretieren“ dort den Aussatz Mirjams und dessen Heilung auf
jeweils etwas unterschiedliche Weise.
2) Mirjam „ist/ wird“ in 4. Mose 12
aussätzig, weil sie mit Aaron „gegen Moses gesprochen hat“. Das
wesentliche Argument der beiden murrenden Geschwister gegen den von
Gott bevorzugten Mose ist, dass Gott nicht nur zu Moses allein
spricht, sondern auch zu Aaron und Mirjam. Daraufhin erscheint Gott
und weist Mirjam und Aaron zunächst zurecht. Er belehrt sie, dass er
ausschließlich mit Mose „von Mund zu Mund“ spricht, zu anderen
Propheten aber nur in Träumen und Visionen. Alsdann „entbrannte
der Zorn des Herrn gegen sie“ („sie“ in der Mehrzahl!) und er
wandte sich ab: „Und siehe, da war Mirjam aussätzig wie Schnee.“
Die Erzählung erweckt zunächst ein
ungerechten Eindruck, weil Mirjam scheinbar allein „bestraft“
ist, obwohl Aaron gemeinsame Sache mit ihr gemacht hat.
Die Absicht des Erzählers könnte jedoch darin bestehen, dass der Leser sorgsam prüft, wie Aaron sich als „Mitschuldiger“ verhält. Zunächst wird die Aussage des Erzählers, dass Mirjam aussätzig ist, nochmals wiederholt, nunmehr jedoch aus der Perspektive Aarons. (Alle nachfolgenden Zitate nach der Septuaginta, in der Mirjam's Name als Mariam wiedergegeben ist:)
„Und siehe, Mariam war aussätzig wie
Schnee. Und draufblickte Aaron auf Mariam und siehe, sie war
aussätzig.“
Der Blick Aaron's stimmt mit dem
objektiven Blick des Erzählers überein. Kein Zweifel: Mariam ist
mit Aussatz befallen. Aaron, Mose und Gott nehmen daraufhin zu
Mariams Aussatz wie folgt Stellung:
Sprechender |
Ansprechpartner |
Aussage |
Aaron |
Mose (Gott) |
Und Aaron sagte zu Mose: „Ich bitte, Herr, nicht auferlege
uns Sünde, denn wir wussten nicht inwiefern wir sündigten. Nicht
möge sie werden wie dem Tod gleich, wie eine Fehlgeburt, die aus
dem Schoß der Mutter kommt und die Hälfte ihres Fleisches
wegfrisst.“ |
Mose |
Gott |
Und Mose rief zum Herrn sagend: „O Gott, ich bitte Dich,
heile sie.“ |
Gott |
Mose |
Und der Herr sagte zu Mose: „Wenn ihr Vater Spucke in ihr
Angesicht gespuckt hätte: Nicht sie wäre in Bekehrung sieben
Tage? Sie soll ausgegrenzt werden und danach hereinkommen.“ |
Aaron
Entsprechend der „anmaßenden“
Behauptung von Mariam und Aaron, dass Gott ebenso mit ihnen wie mit
Mose redet, könnte sich Aaron nunmehr selbst an Gott wenden. Er tut
dies jedoch nicht, sondern spricht zu Mose. Seine Anrede „Ich
bitte, Herr, ...“ kann sowohl so verstanden werden, dass er Mose
mit der Bezeichnung „Herr“ anspricht, aber auch so, dass er Gott
durch dessen „Sprachrohr“ Mose anspricht.
Aaron präsentiert sich damit als
reuiger Sünder, indem er nicht direkt zu Gott spricht, sondern sich
Mose unterordnet, über Mose mit Gott kommuniziert und damit die
Überlegenheit von Mose als Diener und Sprachrohr Gottes anerkennt.
Er begründet seine Bitte damit, dass Mariam und er ursprünglich
unwissend gewesen seien, bekennt damit zugleich seine Mitschuld. Er
präsentiert sich nun als wissend, indem er den Aussatz nicht als
Krankheit definiert, sondern als ein von Gott äußerlich sichtbar
gemachtes Zeichen der eigenen Sündhaftigkeit (Auferlegung von
Sünde). Es geht Aaron also nicht darum, dass Gott von „Strafe“
absehen soll, sondern dass er „Vergebung“ von Sünde gewährt,
deren äußerliches Zeichen der Aussatz nur ist.
Mose
Moses spricht Gott direkt an (Man
bemerke den kleinen Unterschied zwischen Aaron [„Ich bitte“) und
Mose [„... ich bitte Dich“]). Seine Aussage wirkt auf den ersten
Blick etwas einfältig, denn er blendet das Vorgefallene vollkommen
aus. Das von ihm erhoffte Gotteshandeln rückt Gott in noch
positiveres Licht: Statt „Vergebung von Sünde“ erbittet er
„Heilung von Krankheit“. Seine Bitte erscheint daher noch
demütiger als die von Aaron und trifft daher die Aussage über ihn
aus Vers 3 („Und der Mensch Mose war sehr sanftmütig, mehr als
alle Menschen auf der Erde“).
Gott
Gott spricht Mose direkt an und redet
zu ihm in einem Gleichnis. Interessanterweise ignoriert Gott sowohl
die Bitte Aarons als auch die Bitte Moses. Er sagt keinerlei
Gotteshandeln zu, sondern fordert ein Handeln von Mariam. Die
Septuaginta verwendet dafür das Verb „ἐντραπήσεται“,
was wörtlich „in (ἐν) Wendung, Abwendung, Drehung (τρέπω)
sein“ bedeutet und Ab- sowie Bekehrung bzw. läuternde Scham meint
(, die Aaron in seiner Rede bereits vollzogen hat!). Die von Mariam
geforderte Buße der Bekehrung entspricht dem bildhaft: Sie soll
zunächst „draußen“ sein und dann wieder „herein“-kommen.
Genau dies geschieht auch mit Mariam
(„Und ausgegrenzt wurde Mariam außerhalb des Lagers sieben Tage
und das Volk zog nicht weiter, bis gereinigt war Mariam.“)
Interessant ist, dass die Verben im Passiv stehen, man also nicht
weiß, wer die Tätigkeiten des Ausgrenzens und Reinigens vollzieht
(Gott, das Volk, Mariam selbst? Alle gemeinsam?).
3) Die Erzählung in 4. Mose 12 ist
meines Erachtens ein sehr anspruchsvoller Text, der für unsere
Vernunft nur schwer fassbar ist. Die Lepra erscheint in dieser
Geschichte einerseits als wirkliche, reale Krankheit und andererseits
als bloßes Gleichnis für die Sündhaftigkeit des Menschen, die sich
todbringend gegen den Menschen selbst wendet.
Vielleicht kann man sagen, dass sich
auf der Gleichnisebene dieser Erzählung die „Heilung“ von Lepra
(und damit von Sünde) im Zusammenwirken von Gotteshandeln
(Nichtauferlegung von Sünden und Gebot zur Bekehrung) und
Menschenhandeln (Gehorsam in läuternder Bekehrung) vollzieht.
Für die Bekehrung und deren Ergebnis
verwendet die Septuaginta hier nun jenes Wort, auf das auch Markus
nachdrücklich abhebt: Reinigung („bis gereinigt [ἐκαθαρίσθη]
war Mariam“).
P.S. Im Kontext der Exodus-Erzählung
könnte diese kleine Geschichte über Mirjam vielleicht sogar ein
Gleichnis für Israel sein (Auszug aus Ägypten, Reinigung in der
Wüste, Einzug in das verheißene Land).
Hallo,
AntwortenLöschenIhre obige Auslegung finde ich toll.
Haben Sie eine theologische Ausbildung?
Sie sind sicherlich sehr fromm - oder?
Ich haben auch eine Website: http://glaubereal.wordpress.com
Dankeschön.
LöschenBeide Male: Nein. Ich finde diese biblischen Geschichten einfach nur toll, lese sie gerne und mache mir ganz privat meine Gedanken darüber.
Eine sehr ansprechende Seite mit viel Arbeit drin! Ich komme da sicher in Zukunft immer mal wieder vorbei.
Einen frohen Advent, Kunigunde