Mittwoch, 29. April 2015

Mirjams Aussatz


1) Wie die Septuaginta verwendet das Markusevangelium für Aussatz des Wort „Lepra“ (λέπρα). Mit diesem Begriff ist zumindest auch die klassische Lepra gemeint, wie 4. Mose 12,12 zeigt. Teilweise bezeichnet das Wort aber auch weniger gefährlichere Hautkrankheiten oder gar ungefährliche Hautveränderungen (3. Mose 13f.).
"Und siehe, Mirjam war aussätzig" via
wikimedia.org

Beachtlich ist, dass die hebräische Bibel in fast allen Erzählungen den Aussatz nicht als eine „natürliche Krankheit“, sondern als Strafe Gottes für einen Sünder, vielleicht sogar „nur“ als äußeres Zeichen seiner Sündhaftigkeit versteht. In 2. Chr 26,16-23 maßt sich König Usija die ihm nicht zustehende Rolle eines Priesters an und wird unmittelbar bei seinem Handeln von Aussatz befallen. In 2. Kön 5,20-27 hintergeht Gehasi den Propheten Elisa und wird auf dessen Wort hin mit Aussatz gestraft. In 2. Samuel 3,29 ruft König David wegen eines Mordes Gottes Strafe auf den Täter und dessen Familie herab, so dass „einer Eiterfluss und Aussatz habe oder am Stabe gehe oder durchs Schwert falle oder an Brot Mangel habe!“ Lediglich der von Elisa geheilte Aramäer Naaman scheint unter Aussatz im Sinne einer natürlichen Krankheit zu leiden.

Diese Verständnismöglichkeiten des Aussatzes werden am Beispiel von Mirjam, der Schwester von Mose und Aaron, in 4. Mose 12 thematisiert. Aaron, Mose und Gott selbst „interpretieren“ dort den Aussatz Mirjams und dessen Heilung auf jeweils etwas unterschiedliche Weise.


2) Mirjam „ist/ wird“ in 4. Mose 12 aussätzig, weil sie mit Aaron „gegen Moses gesprochen hat“. Das wesentliche Argument der beiden murrenden Geschwister gegen den von Gott bevorzugten Mose ist, dass Gott nicht nur zu Moses allein spricht, sondern auch zu Aaron und Mirjam. Daraufhin erscheint Gott und weist Mirjam und Aaron zunächst zurecht. Er belehrt sie, dass er ausschließlich mit Mose „von Mund zu Mund“ spricht, zu anderen Propheten aber nur in Träumen und Visionen. Alsdann „entbrannte der Zorn des Herrn gegen sie“ („sie“ in der Mehrzahl!) und er wandte sich ab: „Und siehe, da war Mirjam aussätzig wie Schnee.

Die Erzählung erweckt zunächst ein ungerechten Eindruck, weil Mirjam scheinbar allein „bestraft“ ist, obwohl Aaron gemeinsame Sache mit ihr gemacht hat.

Die Absicht des Erzählers könnte jedoch darin bestehen, dass der Leser sorgsam prüft, wie Aaron sich als „Mitschuldiger“ verhält. Zunächst wird die Aussage des Erzählers, dass Mirjam aussätzig ist, nochmals wiederholt, nunmehr jedoch aus der Perspektive Aarons. (Alle nachfolgenden Zitate nach der Septuaginta, in der Mirjam's Name als Mariam wiedergegeben ist:)

Und siehe, Mariam war aussätzig wie Schnee. Und draufblickte Aaron auf Mariam und siehe, sie war aussätzig.

Der Blick Aaron's stimmt mit dem objektiven Blick des Erzählers überein. Kein Zweifel: Mariam ist mit Aussatz befallen. Aaron, Mose und Gott nehmen daraufhin zu Mariams Aussatz wie folgt Stellung:


Sprechender
Ansprechpartner
Aussage                                                                                           
Aaron
Mose (Gott)
Und Aaron sagte zu Mose: „Ich bitte, Herr, nicht auferlege uns Sünde, denn wir wussten nicht inwiefern wir sündigten. Nicht möge sie werden wie dem Tod gleich, wie eine Fehlgeburt, die aus dem Schoß der Mutter kommt und die Hälfte ihres Fleisches wegfrisst.“
Mose
Gott
Und Mose rief zum Herrn sagend: „O Gott, ich bitte Dich, heile sie.“
Gott
Mose
Und der Herr sagte zu Mose: „Wenn ihr Vater Spucke in ihr Angesicht gespuckt hätte: Nicht sie wäre in Bekehrung sieben Tage? Sie soll ausgegrenzt werden und danach hereinkommen.“


Aaron

Entsprechend der „anmaßenden“ Behauptung von Mariam und Aaron, dass Gott ebenso mit ihnen wie mit Mose redet, könnte sich Aaron nunmehr selbst an Gott wenden. Er tut dies jedoch nicht, sondern spricht zu Mose. Seine Anrede „Ich bitte, Herr, ...“ kann sowohl so verstanden werden, dass er Mose mit der Bezeichnung „Herr“ anspricht, aber auch so, dass er Gott durch dessen „Sprachrohr“ Mose anspricht.

Aaron präsentiert sich damit als reuiger Sünder, indem er nicht direkt zu Gott spricht, sondern sich Mose unterordnet, über Mose mit Gott kommuniziert und damit die Überlegenheit von Mose als Diener und Sprachrohr Gottes anerkennt. Er begründet seine Bitte damit, dass Mariam und er ursprünglich unwissend gewesen seien, bekennt damit zugleich seine Mitschuld. Er präsentiert sich nun als wissend, indem er den Aussatz nicht als Krankheit definiert, sondern als ein von Gott äußerlich sichtbar gemachtes Zeichen der eigenen Sündhaftigkeit (Auferlegung von Sünde). Es geht Aaron also nicht darum, dass Gott von „Strafe“ absehen soll, sondern dass er „Vergebung“ von Sünde gewährt, deren äußerliches Zeichen der Aussatz nur ist.

Mose

Moses spricht Gott direkt an (Man bemerke den kleinen Unterschied zwischen Aaron [„Ich bitte“) und Mose [„... ich bitte Dich“]). Seine Aussage wirkt auf den ersten Blick etwas einfältig, denn er blendet das Vorgefallene vollkommen aus. Das von ihm erhoffte Gotteshandeln rückt Gott in noch positiveres Licht: Statt „Vergebung von Sünde“ erbittet er „Heilung von Krankheit“. Seine Bitte erscheint daher noch demütiger als die von Aaron und trifft daher die Aussage über ihn aus Vers 3 („Und der Mensch Mose war sehr sanftmütig, mehr als alle Menschen auf der Erde“).

Gott

Gott spricht Mose direkt an und redet zu ihm in einem Gleichnis. Interessanterweise ignoriert Gott sowohl die Bitte Aarons als auch die Bitte Moses. Er sagt keinerlei Gotteshandeln zu, sondern fordert ein Handeln von Mariam. Die Septuaginta verwendet dafür das Verb „ἐντραπήσεται“, was wörtlich „in (ἐν) Wendung, Abwendung, Drehung (τρέπω) sein“ bedeutet und Ab- sowie Bekehrung bzw. läuternde Scham meint (, die Aaron in seiner Rede bereits vollzogen hat!). Die von Mariam geforderte Buße der Bekehrung entspricht dem bildhaft: Sie soll zunächst „draußen“ sein und dann wieder „herein“-kommen.

Genau dies geschieht auch mit Mariam („Und ausgegrenzt wurde Mariam außerhalb des Lagers sieben Tage und das Volk zog nicht weiter, bis gereinigt war Mariam.“) Interessant ist, dass die Verben im Passiv stehen, man also nicht weiß, wer die Tätigkeiten des Ausgrenzens und Reinigens vollzieht (Gott, das Volk, Mariam selbst? Alle gemeinsam?).


3) Die Erzählung in 4. Mose 12 ist meines Erachtens ein sehr anspruchsvoller Text, der für unsere Vernunft nur schwer fassbar ist. Die Lepra erscheint in dieser Geschichte einerseits als wirkliche, reale Krankheit und andererseits als bloßes Gleichnis für die Sündhaftigkeit des Menschen, die sich todbringend gegen den Menschen selbst wendet.

Vielleicht kann man sagen, dass sich auf der Gleichnisebene dieser Erzählung die „Heilung“ von Lepra (und damit von Sünde) im Zusammenwirken von Gotteshandeln (Nichtauferlegung von Sünden und Gebot zur Bekehrung) und Menschenhandeln (Gehorsam in läuternder Bekehrung) vollzieht.

Für die Bekehrung und deren Ergebnis verwendet die Septuaginta hier nun jenes Wort, auf das auch Markus nachdrücklich abhebt: Reinigung („bis gereinigt [ἐκαθαρίσθη] war Mariam“).


P.S. Im Kontext der Exodus-Erzählung könnte diese kleine Geschichte über Mirjam vielleicht sogar ein Gleichnis für Israel sein (Auszug aus Ägypten, Reinigung in der Wüste, Einzug in das verheißene Land).

2 Kommentare:

  1. Hallo,

    Ihre obige Auslegung finde ich toll.

    Haben Sie eine theologische Ausbildung?

    Sie sind sicherlich sehr fromm - oder?

    Ich haben auch eine Website: http://glaubereal.wordpress.com

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    1. Dankeschön.

      Beide Male: Nein. Ich finde diese biblischen Geschichten einfach nur toll, lese sie gerne und mache mir ganz privat meine Gedanken darüber.

      Eine sehr ansprechende Seite mit viel Arbeit drin! Ich komme da sicher in Zukunft immer mal wieder vorbei.

      Einen frohen Advent, Kunigunde

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