Dienstag, 8. April 2014

Konstruktion von „Welt“ bei Markus

Teil 4 - Mk 5,21-7,31

Mögliche Vorstellung des
Lesers nach Mk 7,31
Im Abschnitt 4 von Mk 5,21 bis Mk 7,31 stößt der Leser auf vier Probleme: (1) die „Patria“ (Vaterstadt/Vaterland) von Mk 6,1, (2) das irreale Zusammenlaufen der „Vielen“ aus „allen Städten“ zum „einsamen Ort“ am Meer in Mk 6,33, (3) die Meeresüberfahrt mit ursprünglichem Ziel Bethsaida und Anlanden in Gennesaret in Mk 6,45 und Mk 6,53 sowie (4) der legendäre Umweg über Tyros und Sidon an das Galiläische Meer mitten in der Dekapolis in Mk 7,24; Mk 7,31.


Mk 6,1 - „Patria“

Der von Markus in Mk 6,1 verwendete Begriff „Patria“ meint an sich VaterLAND, Heimat. Meines Wissens versteht erst das Neue Testament den Begriff „Patria“ auch als HeimatSTADT - natürlich um die „Patria“ von Markus mit Nazaret identifizieren zu können.

„Unser“ Leser wird jedoch zunächst an Kapernaum als den üblichen Aufenthaltsort von Jesus im Markusevangelium denken, diese Überlegung jedoch letztlich verwerfen, da die Reaktion der Einwohner der „Patria“ in Mk 6,1ff darauf schließen lässt, dass Jesus dort zum ersten Mal in der Synagoge spricht. Letztlich wird sich der Leser wohl außer Stande sehen, die „Patria“ identifizieren und lokalisieren zu können. Vor allem kommt für ihn in Betracht, dass der Begriff „Patria“ in einem übertragenen Sinne gemeint ist, also nicht für eine bestimmte Stadt steht, sondern im weiteren Sinne „Vaterland“ oder „Heimat“ bedeuten soll.


Mk 6,33 – „liefen aus allen Städten zu Fuß dorthin“

Mk 6,32-34: „Und sie fuhren in einem Boot an eine einsame Stätte für sich allein. Und man sah sie wegfahren, und viele merkten es und liefen aus allen Städten zu Fuß dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor. Und Jesus stieg aus und sah die große Menge ...

Bislang war es dem Leser möglich, die geografischen Beschreibungen von Markus als „realistische“ Lokalisierungen zu bewerten. Dem Leser wird bei Mk 6,33 jedoch deutlich, dass diese Szene nicht realistisch ist. Die Einwohner „aller Städte“ sind nicht in der Lage, Jesus mit seinen Jüngern vom Meer wegfahren zu sehen, noch ihnen „zu Fuß" am Anlandeplatz zuvorzukommen.


Mk 6,45-6,53 – das Meer wird kleiner

Markus hielt den Leser im Glauben, dass das Meer von Galiläa ein „wirkliches“ und „sehr großes“ Meeresgewässer ist. Dies legte sowohl der von Markus erfundene Name „Meer von Galiläa“, als auch der aufkommende Sturm, der hohe Wellengang und die Gefahr des Kenterns in Mk 4,37 nahe. In Mk 6,47 schaffen es die Jünger jedoch trotz Gegenwind innerhalb weniger Stunden mit ihrem Boot „mitten auf dem Meer“ zu sein. Der Leser beginnt hier zu verstehen, wie klein das Meer von Galiläa ist.

Bethsaida und Gennesaret kann der Leser nicht eindeutig lokalisieren. Sie liegen für ihn zwar scheinbar auf dem gegenüberliegenden Meeresufer, also wohl in der Dekapolis, jedoch bleibt unklar, ob sie östlich oder westlich von Gerasa zu lokalisieren sind.


Mk 7,24; Mk 7,31 – Tyros, Sidon, Meer von Galiläa, Dekapolis

Nach Mk 4,35 erwartet den Leser nunmehr erneut eine gänzlich unerwartete geografische Entwicklung: Er erkennt, dass es einen Landweg von Galiläa in die Dekapolis gibt. Eine Wendung, wie in einem Krimi von Agatha Christie!

Des Weiteren kann der Leser Mk 7,31 entnehmen, dass der Weg über Tyros und Sidon zwar zum Galiläischen Meer führt, diese Städte aber selbst wohl nicht am Meer gelegen sind.


Erneutes Überdenken von Mk 6,45-6,53

Die Entdeckung des Lesers, dass es sich scheinbar um eine Meeresbucht handelt, ermöglicht ihm eine naheliegende (freilich keinesfalls zwingende) Lokalisierung von Bethsaida und Gennesaret. Offen bleibt indes, ob beide Orte zur Dekapolis gehören, zu Galiläa oder zu einem anderen „Land“. Ich habe eine mögliche Landesgrenze zwischen Bethsaida und Gennesaret deshalb nur angedeutet.


Konstruktion von „Welt“ bei Markus

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