Teil 4 - Mk 5,21-7,31
Mögliche Vorstellung des Lesers nach Mk 7,31 |
Im Abschnitt 4 von Mk 5,21 bis Mk 7,31
stößt der Leser auf vier Probleme: (1) die „Patria“
(Vaterstadt/Vaterland) von Mk 6,1, (2) das irreale Zusammenlaufen der
„Vielen“ aus „allen Städten“ zum „einsamen Ort“ am Meer
in Mk 6,33, (3) die Meeresüberfahrt mit ursprünglichem Ziel Bethsaida
und Anlanden in Gennesaret in Mk 6,45 und Mk 6,53 sowie (4) der legendäre
Umweg über Tyros und Sidon an das Galiläische Meer mitten in der
Dekapolis in Mk 7,24; Mk 7,31.
Mk 6,1 - „Patria“
Der von Markus in Mk 6,1 verwendete
Begriff „Patria“ meint an sich VaterLAND, Heimat. Meines Wissens
versteht erst das Neue Testament den Begriff „Patria“ auch als
HeimatSTADT - natürlich um die „Patria“ von Markus mit Nazaret
identifizieren zu können.
„Unser“ Leser wird jedoch zunächst
an Kapernaum als den üblichen Aufenthaltsort von Jesus im
Markusevangelium denken, diese Überlegung jedoch letztlich
verwerfen, da die Reaktion der Einwohner der „Patria“ in Mk 6,1ff darauf
schließen lässt, dass Jesus dort zum ersten Mal in der Synagoge spricht. Letztlich wird
sich der Leser wohl außer Stande sehen, die „Patria“
identifizieren und lokalisieren zu können. Vor allem kommt für ihn
in Betracht, dass der Begriff „Patria“ in einem übertragenen
Sinne gemeint ist, also nicht für eine bestimmte Stadt steht,
sondern im weiteren Sinne „Vaterland“ oder „Heimat“ bedeuten soll.
Mk 6,33 – „liefen aus allen Städten
zu Fuß dorthin“
Mk 6,32-34: „Und sie fuhren in einem
Boot an eine einsame Stätte für sich allein. Und man sah sie
wegfahren, und viele merkten es und liefen aus allen Städten zu Fuß
dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor. Und Jesus stieg aus und sah
die große Menge ...“
Bislang war es dem Leser möglich, die
geografischen Beschreibungen von Markus als „realistische“
Lokalisierungen zu bewerten. Dem Leser wird bei Mk 6,33 jedoch
deutlich, dass diese Szene nicht realistisch ist. Die Einwohner
„aller Städte“ sind nicht in der Lage, Jesus mit seinen Jüngern vom Meer
wegfahren zu sehen, noch ihnen „zu Fuß" am Anlandeplatz zuvorzukommen.
Mk 6,45-6,53 – das Meer wird kleiner
Markus hielt den Leser im Glauben, dass
das Meer von Galiläa ein „wirkliches“ und „sehr großes“
Meeresgewässer ist. Dies legte sowohl der von Markus erfundene Name
„Meer von Galiläa“, als auch der aufkommende Sturm, der hohe
Wellengang und die Gefahr des Kenterns in Mk 4,37 nahe. In Mk 6,47
schaffen es die Jünger jedoch trotz Gegenwind innerhalb weniger
Stunden mit ihrem Boot „mitten auf dem Meer“ zu sein. Der Leser
beginnt hier zu verstehen, wie klein das Meer von Galiläa ist.
Bethsaida und Gennesaret kann der Leser
nicht eindeutig lokalisieren. Sie liegen für ihn zwar scheinbar auf
dem gegenüberliegenden Meeresufer, also wohl in der Dekapolis,
jedoch bleibt unklar, ob sie östlich oder westlich von Gerasa zu lokalisieren sind.
Mk 7,24; Mk 7,31 – Tyros, Sidon, Meer
von Galiläa, Dekapolis
Nach Mk 4,35 erwartet den Leser nunmehr
erneut eine gänzlich unerwartete geografische Entwicklung: Er
erkennt, dass es einen Landweg von Galiläa in die Dekapolis gibt.
Eine Wendung, wie in einem Krimi von Agatha Christie!
Des Weiteren kann der Leser Mk 7,31
entnehmen, dass der Weg über Tyros und Sidon zwar zum Galiläischen
Meer führt, diese Städte aber selbst wohl nicht am Meer gelegen
sind.
Erneutes Überdenken von Mk 6,45-6,53
Die Entdeckung des Lesers, dass es sich
scheinbar um eine Meeresbucht handelt, ermöglicht ihm eine naheliegende
(freilich keinesfalls zwingende) Lokalisierung von Bethsaida und
Gennesaret. Offen bleibt indes, ob beide Orte zur Dekapolis gehören,
zu Galiläa oder zu einem anderen „Land“. Ich habe eine mögliche
Landesgrenze zwischen Bethsaida und Gennesaret deshalb nur
angedeutet.
Konstruktion von „Welt“ bei Markus
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen