Mögliche Vorstellung des
Lesers nach Mk 1,20 |
Heutige Leser des Markusevangeliums
haben einen scheinbaren Vorteil. Sie können eine historische Karte
von Israel zur Hand nehmen, um die geografische Lage der im
Evangelium benannten Orte zu bestimmen. Zugleich haben sie die
Möglichkeit, sich über die politischen und sozialen Gegebenheiten
zur Zeit Jesu zu informieren. Der moderne Leser wird daher in der
Regel die im Markusevangelium erzählte Handlung von vornherein in
diesen Wissensrahmen einordnen.
Die antiken Leser und Hörer verfügten mehrheitlich nicht über diese Möglichkeiten. Zweifellos gab es auch
gebildete und vermögende Leser, die sich vertieft kundig machen konnten. Mit Sicherheit gehörten zur antiken Leserschaft
aber auch Menschen, die über die geografischen und historischen
Umstände wenig oder nichts wussten. Die ersten Informationen bezogen
diese Leser zunächst aus dem Markusevangelium selbst.
Mit dieser Post-Reihe will ich
prüfen, wie ein idealer antiker Markusleser eine Vorstellung von
der „Welt“ im Markusevangelium gewann, welche genaue Vorstellung dies
gewesen sein könnte, wie Markus sie im Text konstruiert hat und
welche Schlüsse über Markus daraus gezogen werden können. Ich
beginne hier zunächst mit der markinischen Geografie (, bevor ich
den Vorgänger-Post zum Tyros-Sidon-Dekapolis-Umweg fortsetze). Als
„idealen“ Leser stelle ich mir dabei jemanden vor, der am Beginn
der Lektüre gar nichts weiß, aber sich engagiert bemüht, aus den
Informationen, die ihm der Text liefert, eine Vorstellung zu
gewinnen.
Ich behaupte, dass die geografische Vorstellung, die dieser Leser gewinnt, mehrmals in grundlegender Weise umschlägt - und zwar nach der Lektüre von Mk 1,1-1,20 <---> Mk 1,21-3,8 <---> Mk 3,9-5,20 <---> Mk 5,21-7,31 <---> Mk 7,32-11,1 <---> Mk 11,2-16,8 -, dass diese Veränderung der Leservorstellung von Markus bewusst beabsichtigt ist, dass Markus möglicherweise aber auch kleine Details entgangen sind, die er unbewusst voraussetzte.
Ich behaupte, dass die geografische Vorstellung, die dieser Leser gewinnt, mehrmals in grundlegender Weise umschlägt - und zwar nach der Lektüre von Mk 1,1-1,20 <---> Mk 1,21-3,8 <---> Mk 3,9-5,20 <---> Mk 5,21-7,31 <---> Mk 7,32-11,1 <---> Mk 11,2-16,8 -, dass diese Veränderung der Leservorstellung von Markus bewusst beabsichtigt ist, dass Markus möglicherweise aber auch kleine Details entgangen sind, die er unbewusst voraussetzte.
Teil 1 - Mk 1,1-1,20
Vom Leser als „sicher“ zu Grunde
gelegte Informationen
Allgemein wird der Leser nach Mk 1,20
davon ausgehen, dass es drei voneinander getrennte „Länder“
gibt: Galiläa, Judäa und Jerusalem. Der Leser erkennt dabei nicht,
dass Jerusalem zu Judäa gehört, sondern er wird ganz sicher (!)
annehmen, dass Jerusalem von Judäa so zu unterscheiden ist wie
Galiläa von Judäa. Als geografische Besonderheiten macht der Leser
zudem das Meer von Galiläa, den Fluss Jordan und die Wüste aus. Er
legt zugrunde, dass Nazaret ein Ort in Galiläa ist.
Für den Leser naheliegende bzw.
plausible Annahmen
Die Information, dass ganz Judäa und
alle Jerusalemer zu Johannes an den Jordan kommen, könnte für den
Leser plausibel erscheinen lassen, dass der Jordan ein Grenzfluss
zwischen Judäa und Jerusalem ist. Da der Text – mit Ausnahme von
Jesus - keine Galiläer erwähnt, die zu Johannes kommen, wird der
Leser den Jordan eher nicht in Galiläa oder an Galiläa angrenzend
einordnen.
Der Leser erfährt außerdem, dass
Johannes zugleich in der Wüste und am Jordan ist sowie dass Jesus
nach seiner Taufe vom Jordan durch die Wüste nach Galiläa an das
Galiläische Meer gelangt. Naheliegend wird daher die Annahme sein,
dass die Wüste ein Dreiländereck zwischen Galiläa, Judäa und
Jerusalem bildet und das Meer von Galiläa weit vom Jordan und der
Wüste entfernt gelegen ist.
Die mögliche geografische Verteilung
habe ich mit der Karte verdeutlicht. Der Pfeil soll den Ort der
Johannestaufe anzeigen. Die rote Linie bezeichnet die Grenze zwischen Galiläa, Judäa und Jerusalem, die zwischen letzteren vom Jordan als Grenzfluss verlängert wird.
Konstruktion von „Welt“ bei Markus
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