Freitag, 4. April 2014

Konstruktion von „Welt“ bei Markus


Mögliche Vorstellung des
Lesers nach Mk 1,20
Heutige Leser des Markusevangeliums haben einen scheinbaren Vorteil. Sie können eine historische Karte von Israel zur Hand nehmen, um die geografische Lage der im Evangelium benannten Orte zu bestimmen. Zugleich haben sie die Möglichkeit, sich über die politischen und sozialen Gegebenheiten zur Zeit Jesu zu informieren. Der moderne Leser wird daher in der Regel die im Markusevangelium erzählte Handlung von vornherein in diesen Wissensrahmen einordnen.

Die antiken Leser und Hörer verfügten mehrheitlich nicht über diese Möglichkeiten. Zweifellos gab es auch gebildete und vermögende Leser, die sich vertieft kundig machen konnten. Mit Sicherheit gehörten zur antiken Leserschaft aber auch Menschen, die über die geografischen und historischen Umstände wenig oder nichts wussten. Die ersten Informationen bezogen diese Leser zunächst aus dem Markusevangelium selbst.

Mit dieser Post-Reihe will ich prüfen, wie ein idealer antiker Markusleser eine Vorstellung von der „Welt“ im Markusevangelium gewann, welche genaue Vorstellung dies gewesen sein könnte, wie Markus sie im Text konstruiert hat und welche Schlüsse über Markus daraus gezogen werden können. Ich beginne hier zunächst mit der markinischen Geografie (, bevor ich den Vorgänger-Post zum Tyros-Sidon-Dekapolis-Umweg fortsetze). Als „idealen“ Leser stelle ich mir dabei jemanden vor, der am Beginn der Lektüre gar nichts weiß, aber sich engagiert bemüht, aus den Informationen, die ihm der Text liefert, eine Vorstellung zu gewinnen.

Ich behaupte, dass die geografische Vorstellung, die dieser Leser gewinnt, mehrmals in grundlegender Weise umschlägt - und zwar nach der Lektüre von Mk 1,1-1,20 <---> Mk 1,21-3,8 <---> Mk 3,9-5,20 <---> Mk 5,21-7,31 <---> Mk 7,32-11,1 <---> Mk 11,2-16,8 -, dass diese Veränderung der Leservorstellung von Markus bewusst beabsichtigt ist, dass Markus möglicherweise aber auch kleine Details entgangen sind, die er unbewusst voraussetzte.

Teil 1 - Mk 1,1-1,20

Vom Leser als „sicher“ zu Grunde gelegte Informationen

Allgemein wird der Leser nach Mk 1,20 davon ausgehen, dass es drei voneinander getrennte „Länder“ gibt: Galiläa, Judäa und Jerusalem. Der Leser erkennt dabei nicht, dass Jerusalem zu Judäa gehört, sondern er wird ganz sicher (!) annehmen, dass Jerusalem von Judäa so zu unterscheiden ist wie Galiläa von Judäa. Als geografische Besonderheiten macht der Leser zudem das Meer von Galiläa, den Fluss Jordan und die Wüste aus. Er legt zugrunde, dass Nazaret ein Ort in Galiläa ist.


Für den Leser naheliegende bzw. plausible Annahmen

Die Information, dass ganz Judäa und alle Jerusalemer zu Johannes an den Jordan kommen, könnte für den Leser plausibel erscheinen lassen, dass der Jordan ein Grenzfluss zwischen Judäa und Jerusalem ist. Da der Text – mit Ausnahme von Jesus - keine Galiläer erwähnt, die zu Johannes kommen, wird der Leser den Jordan eher nicht in Galiläa oder an Galiläa angrenzend einordnen.

Der Leser erfährt außerdem, dass Johannes zugleich in der Wüste und am Jordan ist sowie dass Jesus nach seiner Taufe vom Jordan durch die Wüste nach Galiläa an das Galiläische Meer gelangt. Naheliegend wird daher die Annahme sein, dass die Wüste ein Dreiländereck zwischen Galiläa, Judäa und Jerusalem bildet und das Meer von Galiläa weit vom Jordan und der Wüste entfernt gelegen ist.

Die mögliche geografische Verteilung habe ich mit der Karte verdeutlicht. Der Pfeil soll den Ort der Johannestaufe anzeigen. Die rote Linie bezeichnet die Grenze zwischen Galiläa, Judäa und Jerusalem, die zwischen letzteren vom Jordan als Grenzfluss verlängert wird.



Konstruktion von „Welt“ bei Markus

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