Tja, ich hab versucht, endlich die Rezension zu Andreas Bedenbender zu schreiben und sie etwas "volkstümlich" zu halten:
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1) Im 13. Kapitel des Markusevangeliums
finden wir mitten in einem privaten Gespräch zwischen Jesus und
vier seiner Jünger auf dem Ölberg zwei überraschende Bemerkungen,
die nicht zur eigentlichen Erzählebene des Evangeliumberichts
gehören.
Zum einen Mk 13,14 („Wenn ihr aber sehen werdet das Gräuelbild der Verwüstung stehen, wo es nicht soll - wer es liest, der merke auf! -, alsdann ...“) und zum anderen Mk 13,37 („Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!“). Die erste Äußerung wendet sich augenscheinlich an die Leser, die zweite Äußerung an die Leser und Hörer des Evangeliums. Offenbar ist es nicht die Stimme Jesu, sondern des Evangelisten selbst, die hier spricht. Markus scheint den Lesern und Hörern des Evangeliums verständlich zu machen, dass sie nicht als Unbeteiligte außerhalb seines Berichtes stehen und er auch die damaligen zeitgenössischen Leser mit „im Blick“ hat. Nicht nur den Jüngern, die Jesus nachfolgten, sondern auch den Lesern von Markus ist aufgegeben, Jesus Gleichnisse im Markusevangelium zu enträtseln und sich auf die Taten und Geschehnisse um ihn einen Reim zu machen.
Dr. Andreas
Bedenbender (Pfarrer, Privatdozent an der Universität Paderborn und
Redakteur der exegetischen Zeitschrift „Texte und Kontexte“) hat
dies mit seinem Werk „Frohe Botschaft am Abgrund. Das
Markusevangelium und der Jüdische Krieg“ in einer für den Beginn
des 21. Jahrhunderts wohltuenden Weise unternommen. Bedenbenders
„Schinken“ von mehr als 500 Seiten steht hierzulande für den
Anbruch eines modernen Verständnis des Markusevangeliums, der sich
auch international vollzieht.
2) Denn den markinischen Jesus
„richtig“ zu verstehen, ist nicht einfach. In Mk 8,16 (nach der
Speisung der 5000 und der 4000) wendet sich Jesus wie folgt an die
Jünger: „Und sie bedachten hin und her, dass sie kein Brot hätten.
Und er merkte das und sprach zu ihnen: Was bekümmert ihr euch doch,
dass ihr kein Brot habt? Versteht ihr noch nicht, und begreift ihr
noch nicht? Habt ihr noch ein verhärtetes Herz in euch? Habt Augen
und seht nicht, und habt Ohren und hört nicht, und denkt nicht
daran: Als ich die fünf Brote brach für die fünftausend, wie viel
Körbe voll Brocken habt ihr da aufgesammelt? Sie sagten: Zwölf. Und
als ich die sieben brach für die viertausend, wie viel Körbe voll
Brocken habt ihr da aufgesammelt? Sie sagten: Sieben. Und er sprach
zu ihnen: Begreift ihr denn noch nicht?“
Bei der Speisung der 5000 blieben also
12 Körbe Brot „übrig", bei der Speisung der 4000 waren es 7
Körbe mit Brotresten. Die „hartherzigen“ Jünger verstehen den
scheinbar geheimen Sinn der Zahlen nicht. Und wenn wir ehrlich zu uns
sind, müssen wir uns eingestehen, dass wir ebenfalls nicht
wesentlich schlauer als die „unverständigen“ Jünger sind. Sind
also auch wir „hartherzig“?
Bedenbender schlägt treffend vor, die
Speisung der 5000 allegorisch als Heilsverkündigung an das jüdische
Volk, die Speisung der 4000 als Heilsverkündigung unter Einschluss
der Heiden zu lesen. Mit den angeführten Zahlen gibt Markus nach
Bedenbender folgendes zu verstehen:
Speisung der 5000 - Israel
12 Körbe = 12 Stämme Israels
5 Brote = Pentateuch (die 5 Bücher
Mose)
2 Fische = die 2 Bundestafeln mit den
10 Geboten
Speisung der 4000 - Heiden
7 Körbe = 7 Völker Kanaans (hierzu 5.
Mose 7,1) oder die 70 Völker der Welt (1. Mose 10)
7 Brote = die 7 Noachidischen Gebote
Wenn wir das Markusevangelium verstehen
wollen, dürfen wir daher nicht am buchstäblichen Sinn haften
bleiben, der – wie uns Markus mehrmals demonstriert – letztlich
überhaupt keinen Sinn ergibt, sondern wir haben seinen Bericht
insgesamt gleichnishaft oder allegorisch deuten.
Andreas Bedenbender bekennt sich
deshalb ausdrücklich zu einer allegorischen Auslegung. Er zeichnet
zugleich die Geschichte der allegorischen Auslegung des
Markusevangeliums nach, den Widerstand, den die herkömmliche Exegese
dem allegorischen Verständnis entgegensetzt, und das neuerliche
Wiederaufkommen allegorischer Interpretationen in der Moderne.
3) Bedenbenders Kerngedanke ist, dass
das Markusevangelium die Botschaft und den Tod von Jesus vor dem von
Markus immer wieder angedeuteten Hintergrund des 1. Jüdisch-Römischen
Krieges (66-74 n.Chr.) schildert.
Denn die Frage, die den um oder kurz
nach dem Jahr 70 n.Chr. schreibenden Markus bewegte, muss nach
Bedenbender folgende gewesen sein: Wenn Jesus tatsächlich der
jüdische Messias, der Christus, war, wieso war er dann im Verlauf
des Jüdischen Krieges nicht bei seinem jüdischen Volk, dass er als
Messias doch zu führen hat? Wie kann Jesus der Messias sein, wenn
sein Volk – scheinbar von Gott verlassen – in den bitteren
Untergang ging? Wie können die antiken Christen überhaupt
behaupten, dass Jesus der Christus war, wenn er dem jüdischen Volk
im jüdischen Krieg nicht als Messias zur Seite stand?
In seinem Buch zeigt Bedenbender in
ausführlicher Weise die Antwort des Evangelisten Markus auf: Jesus
war der Messias und er war bei seinem Volk! Er wurde von den Römern
gekreuzigt, so wie etwa 40 Jahre später auch das ganze Volk Israel
„gekreuzigt“ wurde. Nicht anders als Johannes der Täufer, der –
in Gestalt Elias – als Wegbereiter Jesus voranging und von Herodes
Antipas, dem Zögling Roms, hingerichtet wurde (Mk 9,13): „Aber ich
sage euch: Elia ist gekommen und sie haben ihm angetan, was sie
wollten, wie von ihm geschrieben steht.“
Der jüdische Krieg war für das antike
jüdische Volk eine unvorstellbare Katastrophe, die in erster Linie
Schweigen gebot. Sie verbot – so Bedenbender - dem Evangelisten
Markus in naiver Weise von einem glorreichen Jesus zu sprechen und so
zu tun, so als wäre in Jesus´ Heimatland „nichts“ geschehen.
Jesus´ letzte Worte im Markusevangelium („Mein Gott, mein Gott,
warum hast Du mich verlassen?“) sind auch die Worte ganz Israels
angesichts der Schrecken des jüdischen Krieges. Nach Mk 15,38
zerriss beim Tode Jesu im Jerusalemer Tempel der Vorhang „in zwei
Stücke von oben an bis unten aus.“ Gemäß der rabbinischen
Überlieferung betrat der römische Feldherr Titus nach der Eroberung
Jerusalems Mitte des Jahres 70 n.Chr. den Tempel, nahm sein Schwert
und durchstach den Tempelvorhang vor dem Allerheiligsten (bGit 56b).
Dies bedeutet jedoch nicht, - so
Bedenbender - „dass der Evangelist die Geschichte Jesu nur als
Chriffre nahm, um 'eigentlich' etwas anderes, nämlich 'das in
Wahrheit Gemeinte' zu behandeln. Auch die Geschichte Jesu ist vom
Evangelisten eigentlich gemeint, sie ist nicht weniger real als das,
was dem jüdischen Volk zwischen 66 und 70 n.Chr. widerfuhr. Die hier
vorgeschlagene Lektüre löscht den Bezug auf die Geschichte Jesu
also keineswegs aus, vielmehr erkennt sie das Proprium des Textes
gerade in der unaufhebbaren Spannung zwischen diesen beiden
Geschichten.“
Bedenbenders Buch weiß nicht nur durch
diese gut begründete These zu überzeugen. Seine scharfsinnigen
Interpretationen vieler einzelner Perikopen machen einen erheblichen
Reiz der Lektüre aus.
Bedenbenders Werk ist Bibelauslegung
des 21. Jahrhunderts: Das wichtigste deutschsprachige Markus-Buch
seit langer und wohl auch für lange Zeit!
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