Freitag, 3. Januar 2014

Die Geheimnisse des Messias im Auge William Wredes


Teil 12 – Offenbarung und Geheimnis

Nach dem Markusevangelium zeigen sich die Jünger im ganzen Verlaufe der Geschichte unfähig, Jesus zu begreifen.

Der 3. Tag via "www.jesus.ch"
Ich denke, jeder muss ohne alle besonderen Gründe sehen, dass solche Jünger, wie Markus sie uns hier vorführt. Jünger, die nach allem Wunderbaren, was sie von Jesus sehen, nie klüger über ihn werden, Vertraute, die kein Vertrauen zu ihm haben, ihm furchtsam gegenüberstehen wie einem unheimlichen Rätsel und sich scheu hinter seinem Rücken über sein Wesen unterhalten, keine Gestalten der Wirklichkeit sind ... Volkmar sagt wiederholt, der Evangelist schildere den 'Blödsinn' der Jünger.

Wie kommt es, dass eigentlich Niemandem recht bewusst ist, dass solche Dinge in unserm ältesten Evangelium zu lesen sind?

Mk 4,13: Ihr verstehet diese Parabel nicht, wie wollt ihr alle Parabeln verstehen?

Mk 4,40f: Warum seid ihr furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Und sie fürchteten sich sehr und sprachen zu einander: wer ist wohl dieser, dass selbst der Wind und die See ihm gehorchen?

Mk 6,50ff: Denn alle sahen ihn und gerieten in Bestürzung. Er aber redete alsbald mit ihnen und sagt zu ihnen: fasset Mut, ich bin es, fürchtet euch nicht. Und er stieg zu ihnen in das Schiff, und der Wind beruhigte sich, und sie kamen ganz ausser sich; denn sie hatten kein Verständnis gewonnen über den Broten, sondern ihr Herz war verstockt

Mk 7,18: Und er spricht zu ihnen: so verständnislos seid auch ihr? Merket ihr nicht, dass alles, was von aussen in den Menschen eingeht, ihn nicht verunreinigen kann ...?

Mk 8,17f: Merket und verstehet ihr noch nicht? Ein verstocktes Herz habt ihr! Augen habt ihr und sehet nicht und Ohren habt ihr und höret nicht

Mk 9,5f: Und Petrus antwortete und spricht zu Jesus: Rabbi, hier ist für uns gut sein, und wir wollen drei Zelte machen, eins für dich und eins für Moses und eins für Elias. Denn er wusste nicht, was er sagen sollte; denn sie waren erschrocken.

Mk 9,19: Und er antwortete und sprach zu ihnen: o ungläubiges Geschlecht! Wie lange soll ich bei euch sein, wie lange soll ich euch ertragen?

Mk 10,24: Die Jünger aber waren betroffen seinen Worten

Mk 14,40: denn ihre Augen waren schwer, und sie wussten nicht, was sie ihm antworten sollten.


Man darf sich über diese Schilderung der Jünger nicht wundern, man darf durchaus nicht den Einwand bringen, dass es unbegreiflich sei, wie in einer Zeit, wo die Jünger schon eine höhere Schätzung genossen, jemand sie so ungünstig gezeichnet haben sollte. Wer einen Augenblick auf den Gedanken käme, dass Markus den Jüngern abgeneigt sei, wird ihn doch sofort wieder fallen lassen. Im Gedanken des Evangelisten verunehrt es die Jünger gar nicht eigentlich, dass sie sich so benehmen; denn während des Lebens Jesu, sagen wir: während der Zeit des Geheimnisses, ist das ganz natürlich.

Es wird nun deutlich geworden sein, dass das Markusevangelium einen Fortschritt in der Erkenntnis der Jünger gar nicht kennt, ja dass es prinzipiell verkehrt ist, ihn hier zu suchen.

Allein man muss erkennen, dass dies bei Markus nicht das Wesentliche ist, wenn er überhaupt daran gedacht hat. So lauten seine Aussagen über den Unverstand der Jünger ja wahrlich nicht, dass eine rationale Motivierung dieser Art sie erklärte. Es heisst nicht, dass ihnen der Gedanke eines leidenden Messias fremd war, sondern ganz einfach, dass sie das 'Wort nicht verstanden'. Und wo nicht vom Leiden, sondern nur von der Auferstehung die Rede ist, haben wir ganz dasselbe. Der leidende Messias ist in Wahrheit in demselben Sinne Geheimnis wie der Messias überhaupt, seine Wundermacht und sein übermenschliches Wesen, eben die Gleichartigkeit der sonstigen Schilderung der Jünger beweist es.

Was wir bisher über die Jünger ermittelt haben, bedarf noch einer wesentlichen Ergänzung. Es ist angedeutet, aber noch nicht gebührend betont worden, dass ihre beharrliche Verständnislosigkeit ein Korrelat hat. Sie korrespondiert nämlich der fortgesetzten Offenbarung, die die Jünger empfangen, und sie kontrastiert mit ihr.

Wenn nun die Offenbarungen Jesu den Jüngern ob ihres Unverstandes verschleiert bleiben, und zwar den Vertrauten genau so wie den Übrigen, so kann das doch nicht heissen, dass sie gar nichts für sie bedeuten. Vielmehr wird Markus meinen, dass sie eben doch in den Besitz der Jünger gelangen. Gewissermassen dinglich werden sie ihnen zu Teil, sie führen bei ihnen eine Art latenten Daseins, bis die Zeit kommt, wo die Binde von ihren Augen genommen wird, d. h. bis zur Auferstehung. In diesem Momente wird dann die ganze Selbstdarstellung Jesu nachträglich wirksam. Das Unverstandene wird nun Erkenntnis, und die Erkenntnis wird jetzt verbreitet und muss verbreitet werden. So erhalten die Jünger doch trotz aller Blindheit von Jesus selbst die Ausrüstung, die sie notwendig haben müssen, um seine Zeugen, seine Apostel zu sein. Denn diese ihre Qualität beruht auf dem, was sie von ihm selbst empfangen und überliefert erhalten haben.

Markus hat diese Gedanken in seinem Evangelium, so viel ich sehe, nicht wirklich ausgesprochen. Aber er kann keine andere Auffassung gehabt haben.

Das Ergebnis der gesamten bisherigen Untersuchungen lässt sich folgendermassen zusammenfassen. Wir finden bei Markus zwei Gedanken:

1) Jesus hält seine Messianität, so lange er auf Erden ist, geheim.

2) Den Jüngern freilich offenbart er sich im Gegensatze zum Volke, aber auch ihnen bleibt er in seinen Offenbarungen einstweilen unverständlich.

Beiden Gedanken, die vielfach in einander übergehen, liegt die gemeinsame Anschauung zu Grunde, dass die wirkliche Erkenntnis dessen, was er ist, erst mit seiner Auferstehung beginnt. Dieser Gedanke der geheimen Messianität hat bei Markus eine bedeutende Ausdehnung. Er beherrscht viele Worte Jesu, zahlreiche Wundergeschichten und überhaupt den gesamten Verlauf der Geschichtserzählung.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen