Sonntag, 13. Oktober 2013
Kampf der Evangelien-Literatur: Kanon > < Apokryphen
Teil 4 - Viertelfinale Matthäus-Evangelium - Thomas-Evangelium
Als Bibelnärrin ist man verpflichtet zu betonen, dass Jesus´ Stammbaum nach Matthäus keine langweilige Aneinanderreihung uninteressanter Namen ist, sondern als ein aufregendes, theologisch feinsinniges Gespinst voller Anspielungen, Bedeutungen und Zahlensymbolik gewoben wurde ;-) Dazu verweise ich der Einfachheit halber mal auf die schöne Auslegung von Prof. Dr. Martin Stowasser unter perikopen.de
Mich selbst beschäftigt an der matthäischen Abstammungslinie vor allem der grundsätzliche Aspekt, dass nämlich der Evangelist das Kind des Heiligen Geistes (Mt 1, 20) und der Jungfrau Maria mit dem Ende einer über seinen Stiefpapa Josef führenden menschlichen Kette verknüpft und damit erklärtermaßen dessen Abrahams- und Davidssohnschaft betont. Über dieses Problem zerbrachen sich bereits die Kirchenväter den Kopf. Kritische Exegeten sahen es als höchst sinnwidrig an, dass sich Matthäus erst die schweißtreibende Mühe der Herleitung einer langen und äußerst raffinierten Abstammungskette gemacht habe, um diese im letzten Moment durch die Jungfrauengeburt wieder durchzutrennen und damit aufzuheben. Matthäus hätte sich damit „ja selbst ins Knie geschossen“.
Klar, ich bin bei einem heiklen Thema, dass den Geruch „billiger Polemik“ aufkommen lässt, aber es lässt sich nicht umgehen. Es geht um die grundsätzliche Hauptaussage von Mt 1 und nicht irgendeinen Nebenaspekt. Wenn sich Matthäus tatsächlich verzettelt hätte, hieße das auch unter literarischen Gesichtspunkten schlichtweg „Thema verfehlt. 6 ! Setzen !“ und Thomas würde ohne große Anstrengung ins Halbfinale einziehen. Thomas beginnt zudem mit einem ganz simplen Geniestreich: „Wer die Interpretation dieser Worte findet, wird den Tod nicht schmecken.“ Eine Werbeagentur hätte es meines Erachtens nicht besser machen können. Ich erwäge deshalb, über meine Fragwürdigkeiten einen ähnlichen Hinweis zu setzen: „Jesus sagt: Wer Kunis Blog liest, kommt ins Paradies.“ ;-) Was für ein draufgängerischer Beginn eines eher esoterisch angehauchten Evangeliums !
Hat sich also Matthäus vertan oder war es doch stimmig, dass Jesus über Ziehpapa Josef die heiß begehrte Abrahams- und Davidssohnschaft erlangen konnte ? Was unserem modernen Denken unmöglich erscheint, muss für das antike vielleicht nicht unüberwindbar gewesen sein ? Octavian, der spätere Kaiser Augustus, nannte sich beispielsweise nach der Vergöttlichung Julius Cäsars selbst „Sohn Gottes“ bzw. „Sohn des Gottes Julius“, obwohl Cäsar lediglich sein Adoptivvater war. Er leitete auf diese Weise etwas vom „göttlichen Glanz seines Vaters“ auf sich als „Sohn“ über, obwohl er nicht der biologische Abkömmling dieses „Gottes“ war. Beide Fälle sind jedoch nicht vergleichbar. Julius Cäsar adoptierte den bereits erwachsenen Octavian testamentarisch zur Wahrung politischer Interessen des Familienclans. Im Zug dieser Erwählung, in der auch ein „Erkennen als würdiger Nachfolger“ liegt und eine "Erhöhung zu sich selbst", ging zugleich etwas von der Würde des Adoptivvaters auf den Sohn über. Eine solche Erwählung beschreibt Matthäus zwischen Josef und Jesus nicht, Maria bringt ihr Kind einfach mit in die Ehe. Nur mit äußerstem Bemühen ließe sich in die Namensgebung durch Josef (Mt 1, 21 u. 25) ein Hauch davon hineinlesen.
Thomas bleibt derweil souverän auf der einmal eingeschlagenen Linie und verherrlicht die „Erfahrungen des Verstehens“: „Jesus sprach: Wer sucht, soll nicht aufhören zu suchen, bis er findet; und wenn er findet, wird er erschrocken sein; und wenn er erschrocken ist, wird er verwundert sein, und er wird König sein über das All.“
Versuchen wir also weiterhin, den Anfang des Evangeliums zu verstehen, obwohl es um die matthäische Logik offenbar nicht besonders gut bestellt ist. In Mt 1, 22 wird auf die Erfüllung der Prophezeiung aus Jesaja 7, 14 gepocht: „Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben.“ Kundige Leser und Hörer hatten dann sicher auch Jesaja 11, 1 im Sinn: „Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.“ Ganz offensichtlich ist bei Jesaja also an eine biologische Herkunft des Davidssohns gedacht und keinesfalls an einen Ziehvater, von „Aufpropfen“ ist schließlich nicht die Rede.
Mmh, bin ich zu streng zu Matthäus ? In Wahrheit bin ich noch nicht genug mit ihm ins Gericht gegangen ! Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Matthäus, dieser Meister im Durchdringen und Gestalten von erzählerischen Stoffen, sich nicht über seine hinkende Logik vollkommen im Klaren war. Alles wäre so einfach gewesen; er hätte die Abstammung nur über Maria als Davidin an Stelle von Josef führen müssen. Und sicher gab es einen kleinen Moment, in dem der Evangelist überlegte, ob er dies tun solle. Es war, als er vier anderen Frauen eine Seitenrolle im Stammbaum Jesu zugestand: Tamar, Rahab, Rut und die ungenannte „Frau des Uria“. Warum verwarf er die Idee und entschloss sich, die Linie über Josef und nicht über Maria zu führen ?
Mit Logion 5 gibt uns Thomas vielleicht einen weiteren hilfreichen Hinweis: „Jesus sprach: Erkenne das, was vor dir ist, und das, was vor dir verborgen ist, wird dir enthüllt werden; denn es gibt nichts Verborgenes, was nicht offenbar werden wird.“
Vielleicht, weil die Erlösung und das Heil für Matthäus ein „Geschäft unter Männern“ war, in dem Frauen nur unbedeutende Nebenrollen einnehmen durften ? Man muss die einzelnen Verse einmal ganz genau, Wort für Wort, lesen und sehen, wie der Evangelist in Mt 1, 18 - 2, 23 mit eiskalter Ratio fortlaufend den Ziehvater Josef in das Zentrum der Handlung rückt und Maria zu einer Statistin herabwürdigt, um zu begreifen … Lieber „schoss“ Matthäus „sich ins Knie“, als einer Frau mehr als nur eine Nebenrolle zuzubilligen ! Lieber opferte er die Logik der Abrahams- und Davidssohnschaft, so lange er Jesus nur als einen „SOHN VON MÄNNERN“ präsentieren konnte ! Die Zahlensymbolik, die theologischen Anspielungen des Stammbaums – all das sind am Ende nur Kinkerlitzchen, um über die hanebüchene Logik der Abstammungslinie so gut wie möglich hinwegzutäuschen.
Dass der Spott aller klar Denkenden diesen Matthäus treffe,
dass die Missachtung der Frauen ihn strafe,
dass der Zorn der Engel …
Teil 1 - Einführung
Teil 2 – Viertelfinale: Markus-Evangelium > < Exegese der Seele
Teil 3 – Viertelfinale: Lukas-Evangelium > < Nikodemus-Evangelium
Teil 4 - Viertelfinale Matthäus-Evangelium - Thomas-Evangelium
Teil 4.2 - Viertelfinale Matthäus-Evangelium - Thomas-Evangelium
Teil 5 - Viertelfinale Johannes-Evangelium - "Das ist mein Wort – Alpha und Omega"
Teil 6 - Halbfinale Lukas-Evangelium – Exegese der Seele
Teil 7 - Halbfinale Johannes-Evangelium – Thomas-Evangelium
Teil 8 und Ende - Finale Lukas-Evangelium – Johannes-Evangelium
Themen
Apokryphen,
Augustus,
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Evangelien,
Literatur,
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Thomas
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