Vergleicht man die Erzählungen von der Enthauptung Johannes des Täufers (Markus 6:14-29) mit der Verurteilung und Hinrichtung von Jesus (Markus 15:1-46), erhält man den Eindruck von mehr oder weniger auffälligen Übereinstimmungen in den Rollen der handelnden Personen und den Umständen des Geschehens: Beides ereignet sich während eines Festes (Geburtstag, Pascha), die Richter (Herodes, Pilatus) scheinen eine Verurteilung zunächst nicht zu wollen, sind aber durch bestimmte Umstände gebunden (Herodes Eid, Osteramnestie) und beschließen die Hinrichtung auf unvermuteten Wunsch von Dritten (Salome, die Volksmenge). Diese werden wiederum von anderen dazu angestiftet (Herodias, Hohepriester), die schon lange ein Mordkomplott gegen das Opfer betreiben. Die Grablegung der Hingerichteten wird jeweils ausdrücklich erwähnt (durch die Jünger des Johannes, durch Joseph von Arimathäa) usw.
König David als Psalmdichter |
Angesichts dieser Übereinstimmungen stellt sich die Frage, ob Markus die Passion von Jesus ganz bewusst mit der Erzählung vom Tod Johannes des Täufers parallelisiert hat. Diese Frage erscheint aufgrund der bislang aufgezählten Ähnlichkeiten nicht ganz eindeutig beantwortbar zu sein. Ja, vieles gleicht sich in verblüffender Weise, aber man könnte durchaus auch Zweifel haben und die Ähnlichkeiten für eher zufällig halten.
Es gibt jedoch eine weitere Übereinstimmung in beiden Geschichten, die meines Erachtens auch allerletzte Zweifel zum Schweigen bringt.
1)
Im Abschnitt Markus 6:14-29 wird Herodes Antipas vom Erzähler mehrfach als König bezeichnet, beginnend mit Markus 6:14 „Und es kam dem König Herodes zu Ohren; denn der Name Jesu war nun bekannt.“ Herodes Antipas wird dann im Folgenden zunächst nur als „Herodes“ benannt – Verse 6:16-22a. Ab Vers 6:22b wechselt die Bezeichnung aber erneut und der Erzähler nennt ihn nur noch „König“: „Da sprach der König zu dem Mädchen …“
Von Josephus Flavius wissen wir, dass der historische Herodes Antipas kein König war, sondern lediglich Tetrarch. Er verlor sogar Titel und Macht, als er sich auf Veranlassung seiner Ehefrau Herodias im Jahr 39 n. Chr. nach Rom begab, um von Caligula den Königstitel zu erbitten, und wurde verbannt.
In den Versen Markus 6:22-23 spricht Herodes Antipas sinngemäß Worte, die den Worten entsprechen, die König Ahasveros zu Esther im Buch Esther 5:3 und 7:2 gesagt hat.
Esther 5:3 Da sprach der König zu ihr: Was hast du, Esther, Königin? Und was begehrst du? Auch die Hälfte des Königreichs soll dir gegeben werden.
Esther 7:2 ... sprach der König zu Ester auch am zweiten Tag, als man Wein trank: Was bittest du, Königin Esther, das man dir geben soll? Und was begehrst du? Wäre es auch das halbe Königreich, es soll geschehen.
Markus 6:22b Da sprach der König zu dem Mädchen: Bitte von mir, was du willst, ich will dir’s geben. 23 Und er schwor ihr feierlich: Was du von mir bittest, will ich dir geben, bis zur Hälfte meines Königreichs.
Interessant ist, dass der Wechsel der Bezeichnung zu „König“ genau in Vers 6:22b erfolgt, in dem Herodes Antipas die Worte von König Ahasveros aus dem Buch Esther zu sprechen beginnt.
2)
Jesus wird im Markusevangelium ebenfalls ausdrücklich als König bezeichnet, zunächst in Markus 15:2, 9, 12 von Pilatus, dann in Markus 15:18 von den römischen Soldaten, in Markus 15:26 von der Kreuzesinschrift und schließlich von den Hohenpriestern und Schriftgelehrten in Markus 15:32.
Dabei besagt das Markusevangelium, dass Jesus nach weltlichen Maßstäben kein König war, sondern zunächst Zimmermann und dann Wanderprediger.
Auch Jesus wiederholt die Worte eines biblischen Königs, nämlich in Markus 15:34: „Und zu der neunten Stunde rief Jesus mit lauter Stimme: Eloi eloi lema sabachtani, das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Es handelt sich dabei um den Ruf aus Psalm 22:2: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dieser Psalm wurde laut seinem Vers 1 vom biblischen König David selbst verfasst: „Ein Psalm Davids, vorzusingen, nach der Weise ‚die Hirschkuh der Morgenröte‘“. Es handelt sich also nach biblischer Tradition um Worte des Königs David, die Jesus am Kreuz schreiend zitiert.
3)
Beachtlich erscheint mir, dass ausschließlich Herodes Antipas und Jesus im Markusevangelium ausdrücklich als „König“ bezeichnet werden, obwohl sie es beide nicht waren, während der einzig wirkliche König, den das Markusevangelium verschiedentlich nennt, nämlich König David (Markus 2:25, 10:47-48, 11:10, 12:35) niemals innerhalb der Erzählung ausdrücklich „König“ genannt wird.
Sowohl in der Leidensgeschichte des Täufers Johannes (Markus 6:14-29) als auch in der von Jesus (Markus 15:1-46) finden wir im Markusevangelium demnach einen König, der gar kein König ist, aber Worte eines früheren biblischen Königs spricht. Im Übrigen wird im Markusevangelium keine andere Person als König bezeichnet.
Diese besonders signifikante Übereinstimmung dürfte neben den bereits aufgezählten Ähnlichkeiten belegen, dass der Schriftsteller Markus beide Erzählabschnitte bewusst parallelisiert hat.
Was aber mag es bedeuten, dass Markus seinen handelnden Personen Worte von anderen biblischen Helden in den Mund legt?
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