1) Stets weckte die Gestalt von Judas
Iskarioth nicht nur das Interesse von Theologen, sondern auch von
Dichtern und Künstlern.
Während Dante Alighieri sich Judas im untersten Höllenpfuhl und qualvoll von Luzifer gepeinigt vorstellte, sah Walter Jens in Judas den allseits verkannten, hervorragenden Jünger, der uneigennützig die schwere Bürde des göttlichen Helfershelfers auf sich nahm.
Ben Becker nach Walter Jens |
In diesem Beitrag möchte ich diesen
Interpretationen nicht etwa eine weitere hinzufügen, sondern
lediglich eine Einzelheit im Charakterbild des Judas erörtern, wie
man sie im Markusevangelium finden kann. Sie weist meines Erachtens
ein vom Evangelisten sehr deutlich herausgearbeitetes Profil auf.
2) Als Einführung mag es hilfreich
sein, die wesentlichen Umstände zu vergegenwärtigen, die das
Markusevangelium nicht über Judas sagt und die aus der Feder der
anderen Evangelisten stammen.
Bekannt ist die Tatsache, dass ein
Motiv des Judas im Markusevangelium nicht genannt wird. Anders als im
Matthäusevangelium ist der Entschluss von Judas, Jesus an dessen
Gegner auszuliefern, in Markus 14:10 bereits gefallen, noch bevor die
Hohenpriester ihm dafür Geld versprechen. Auch die Vorstellungen des
Johannesevangeliums, nach denen Judas ein habgieriger Kassenwart und
ein Dieb gewesen sei, sind Markus fremd. Schließlich liegen auch die
von Lukas und Johannes behaupteten Einflüsse des Teufels auf Judas
dem Markusevangelium fern.
Über das spätere Schicksal des Judas
enthält das Markusevangelium keine näheren Angaben. Weder seine
Reue, noch sein Tod oder die „Nachwahl“ eines anderen 12.
Apostels sind auch nur angedeutet.
3) Judas Iskarioth, einer der Zwölf
Judas Iskarioth wird im
Markusevangelium an drei Stellen namentlich genannt: bei der Berufung
der Zwölf (Markus 3:19), bei seinem Paktieren mit den Hohenpriestern
(Markus 14:10) und der Gefangennahme von Jesus (Markus 14:43). Dabei
betont Markus auch an den letzten beiden Stellen, dass es sich bei
Judas um „einen der Zwölf“ handelt.
Mk 14:10 Judas Iskariot, einer der
Zwölf, ging zu den Hohepriestern ...
Mk 14:43 Noch während er redete, kam
Judas, einer der Zwölf, mit einer Schar ...
Bei der Berufung der Zwölf
verdeutlicht Markus, dass jeder der zwölf Jünger nicht zufällig,
sondern aufgrund des persönlichen Wunsches von Jesus erwählt wurde
(Markus 3:13 „Jesus stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die
er selbst wollte, und sie kamen zu ihm ...“). Auch Judas ist damit
durch Jesus persönlich berufen. Da Judas an keiner anderen Stelle
des Markusevangeliums erwähnt wird, lässt sich sein Werdegang nur
indirekt, nämlich als Mitglied der Zwölfgruppe verfolgen.
Ausdrücklich werden die Zwölf in Mk
4:10ff als Teil jener Jüngerschaft erwähnt, die Jesus aufgrund
ihrer Verständnisschwierigkeiten über die Auslegung der Gleichnisse
befragt. Als Mitglied der Zwölf wurde Judas von Jesus in Mk 6:7ff
ausgesandt und erwarb sich dadurch die Bezeichnung „Apostel“. In
Mk 9:35 erhielten die Zwölf besondere Unterweisungen. In Mk 10:32
kündigte Jesus den Zwölf detailliert sein Leiden, seinen Tod und
seine Auferstehung an. Im Anschluss daran lösen die Zebedäus-Söhne
den Unmut der übrigen Zehn aus, als sie von Jesus einen Platz in
seiner Herrlichkeit erbitten – Mk 10:35ff. Auch erzählt Markus in
Mk 11:11, dass Jesus während seines Aufenthalts in Jerusalem mit den
Zwölf in Bethanien übernachtete.
Schließlich nimmt Judas mit den
übrigen der Zwölf am Paschamahl teil. Jeder der Zwölf weist
während des Mahls den Vorwurf möglicher Untreue zurück (Mk 14:18
„Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern, einer,
der mit mir isst. 19 Da wurden sie traurig und einer nach dem andern
fragte ihn: Doch nicht etwa ich? 20 Er sagte zu ihnen: Einer von euch
Zwölf, der mit mir in dieselbe Schüssel eintunkt.“). Auch
versichern alle, dass sie Jesus nicht einmal in Todesgefahr
verleugnen würden (Mk 14:31 „Petrus aber beteuerte: Und wenn ich
mit dir sterben müsste - ich werde dich nie verleugnen. Das Gleiche
sagten auch alle anderen.“).
Den ersten der beiden Momente hat
Leonardo da Vinci in seinem berühmten „Abendmahl“ eingefangen,
das man als eine Art Gegenbild zur Darstellung des Markusevangeliums
bezeichnen könnte. Vielleicht hilft gerade die Gegensätzlichkeit
der Abendmahlszenen bei Markus und bei Leonardo gut zu verstehen,
worin die eigentümliche Gestaltung des Markus besteht.
Leonardo ist es gelungen, jedem der
Zwölf einen individuellen Ausdruck zu verleihen. Dabei kontrastieren
der „empörte“ Bartholomäus (1. Kopf von links), der „den
Vorwurf von sich weisende“ Andreas (3.v.l.), der „erstarrte“
Judas (4.v.l.), der sich bewaffnende Petrus (5.v.l.), der „still
trauernde“ Johannes (6.v.l.), der mit dem Finger himmelwärts
weisende Thomas (6.v.r.), der „entsetzte“ Jakobus (5.v.r.), der
„tief betroffene“ Philippus (4.v.r.) und der „es nicht fassen
könnende“ Matthäus (3.v.r.) besonders gut. Demgegenüber zeigen
alle Zwölf im Markusevangelium exakt die gleiche Reaktion und sind
nicht voneinander unterscheidbar (Mk 14:18 „Einer von euch wird
mich ausliefern, einer, der mit mir isst. 19 Da wurden sie traurig
und einer nach dem andern fragte ihn: Doch nicht etwa ich?“).
Judas Iskarioth ist in Leonardos
Gemälde durch den Geldbeutel kenntlich gemacht. Im Unterschied zu
den anderen Aposteln ist seine Haltung erstarrt und überwiegend
abgewandt. Seine Hand langt wie die Hand von Jesus zum Teller, um auf
das Schriftwort „Einer von euch wird mich ausliefern, einer, der
mit mir isst“ Bezug zu nehmen. Wie das Matthäus- und das
Johannesevangelium hebt Leonardo "seinen" Judas damit aus dem Kreis der
Zwölf heraus und stellt ihn als eine einzeln zu denkende Person dar,
mit der die übrigen Elf im Wesentlichen nichts mehr gemeinsam haben.
Im Gegensatz dazu wird Judas in dieser Szene im Markusevangelium gar
nicht erwähnt, sondern nur die Zwölf in ihrer Gesamtheit. Der
Vorwurf von Jesus richtet sich bei Markus auch nicht an einen
Einzelnen, sondern kollektiv an die Zwölf ( „Einer von euch ...“,
„Einer der Zwölf ...“).
Während Leonardo da Vinci in seinem berühmten Gemälde sinnbildlich mit dem
Finger auf Judas als Schuldigen zeigt, weist Markus in seiner Darstellung
unmissverständlich auf alle Zwölf hin.
Der Leser des Markusevangelium kann
daher meines Erachtens eine eigenartige Erfahrung machen. Als Leser
nehmen wir Judas bei seiner Paktiererei mit den Hohenpriestern und
anlässlich der Verhaftung von Jesus als einzelne, kurzzeitig im
Mittelpunkt stehende Person wahr - vergleichbar etwa mit Petrus, als
dieser Jesus verleugnet. Gleichwohl misst man als normaler Leser den
Taten der beiden Jünger ein unterschiedliches Gewicht zu. Die
Verleugnung des Petrus mag zwar ein unrühmliches Scheitern
ausdrücken, aber diese Fehlbarkeit des Petrus bewirkt nicht, dass
wir als Leser über Petrus endgültig den Stab brechen und ihm seine
Jüngerschaft absprechen würden. Hingegen scheint Judas mit seiner
Tat eine Grenze zu überschreiten, die ihn unwiederbringlich
außerhalb des Anhängerkreises von Jesus auf die Seite der Gegner
stellt.
Mit seiner besonderen Gestaltung des
Erzählberichtes erweckt Markus jedoch den Eindruck, dass er eben
gegen diese naheliegende Würdigung des Lesers interveniert und uns
davon abhalten möchte, genau diesen Gedanken zu denken. Markus
scheint vielmehr dazu aufzufordern, auch in der Tat des Judas eine
Ausprägung der Fehlbarkeit der Zwölf zu sehen und Judas nach wie
vor als „einen der Zwölf“ zu betrachten. Dies mag bedeuten, dass auch das Verhalten des Judas nach dem Dafürhalten von Markus nicht als
unentschuldbar zu bewerten, sondern eine Vergebung nicht ausgeschlossen ist.
Jenseits des kirchlich tradierten
Judas-Bildes, aber auch fern von modernen Interpretationen schlägt
das Markusevangelium damit eine Sichtweise auf Judas Iskarioth vor,
die in der nahezu 2000jährigen Geschichte des Nachdenkens über
Judas einzigartig sein dürfte.
Disagree with the conclusion that forgiveness is possible for all. I think the opposite is indicated:
AntwortenLöschen1) You have left out "Mark's" Jesus' commentary on the subject (so to speak):
"
Mark 14:21 For the Son of man goeth, even as it is written of him: but woe unto that man through whom the Son of man is betrayed! good were it for that man if he had not been born."
2) So the handing over/betrayal is condemned. Our favorite author cleverly always uses the same word which means handing over or betrayed. At the text level Judas is the one tagged with this word so he is the one condemned. But at the sub-text (reader) level, is it handing over or betrayal that is condemned and WHO is being condemned? As you point out all 12 ask if they are the one. Is it Judas for handing over or Peter for betrayal? The subsequent text is all about condemning Peter and not Judas. Think of it like the street game where two objects, in this case Judas and Peter, are placed under three covers, in this case all marked with the Greek word for "handing over/betrayed" and then the covers are rapidly switched between places. You then have to guess which one the condemned disciple is under. I choose Peter.
As you point out the lack of explicit motive by "Mark" is reMarkable, especially to me as I think GMark is Greek Tragedy. Aristotle points out that an important component of Greek Tragedy is plausibility. Plausibility is supplied by motivation and "Mark" is normally careful to provide motivation. As you point out the lack of explicit motivation here indicates the motivation is implied. Implied by Jesus' prophecy/instruction that he NEEDS to be handed over/betrayed.
Thanks for the comment Joe. You are completely right that I left out Mark 14:21. But, to be fair, it was not the conclusion of my post, but just an aside. I think the point needs further examination against the background of Mark 3:28.
Löschenbtw Note that the motives of all other relevant persons in the story (the chief priests Mark 15:10, Pilate Mark 15:15, Herod Mark 6:17 and 6:26) are explicitly mentioned.
Greetings, KK
Danke für den Versuch, dem Judas des Mk aus die Schliche zu kommen. Ein aktueller Versuch ist hier zu finden: https://www.skandaljuenger.de/post/judas-ein-verr%C3%A4ter.
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