Donnerstag, 24. Mai 2018

Neues über das vormals sogenannte „Markusfragment aus dem 1. Jahrhundert“

Vor einigen Jahren schrieb ich mal in "Ältester Papyrus des Markusevangeliums aus dem 1. Jahrhundert?" über die vermeintliche Extrahierung eines Papyrusfragments aus dem 1. Jahrhundert aus einer ägyptischen Mumienmaske, das Verse des Markusevangeliums enthalten soll. Nach Informationen, die gestern publiziert wurden, soll sich nunmehr folgendes Bild ergeben:

via Amazon
Das Fragment existiert und wurde unter der Bezeichnung P.Oxy. LXXXIII 5345 in „The Oxyrhynchus Papyri Vol. LXXXIII (Graeco-Roman Memoirs)“, Egypt Exploration Society, 2018, veröffentlicht.

Das Fragment stammt nicht aus dem 1. Jahrhundert, sondern wird nunmehr auf Ende des 2./ Anfang des 3. Jahrhunderts datiert.

Es enthält die Verse Markus 1:7-9 und Markus 1:16-18.

(Ich selbst habe bislang das veröffentlichte Fragment noch nicht gesehen.)

Zum Weiterlesen
Beschreibung und Transkription des Papyrus (Auszug aus dem oben erwähnten Buch)

Montag, 14. Mai 2018

Steht das wirklich in der Bibel?

1) In der Welt der bunten bibleblogs gibt es einige, die sich dem in der Überschrift genannten Thema widmen. Ihr Ansporn ist die Faszination angesichts von Bibelversen, die wir in der Bibel einfach nicht erwarten. Das Buch der Bücher erscheint an diesen Stellen moderner, überraschender und kühner als sein Ruf. Unter diesem Blickwinkel würde ich die schönen Verse Hohelied 5:2-6 nennen, die nicht nur ein erotisches Flair, sondern auch eine sexuelle Mehrdeutigkeit entstehen lassen. 

Marc Chagall "Das Hohelied II"
Das „Lied der Lieder“ - von Luther „Hohelied“ genannt - (hebr: Schîr hasch-schîrîm, gr: asma asmatôn) wird im Judentum und Christentum zumindest seit Rabbi Akiba, Hippolyt von Rom und Origenes allegorisch interpretiert. Nach den Auslegungen dieser Denker sei das Thema des Hoheliedes nicht die Liebe zwischen Frau und Mann, sondern zwischen Gott und seinem Volk bzw. der Seele jedes Einzelnen. Nur vereinzelt hat es antike und mittelalterliche Gelehrte gegeben, die das Hohelied wörtlich verstanden und es deshalb aus der Bibel verbannt wissen wollten. Die spirituelle Interpretation schützte das Hohelied daher vor einer Verdammnis.

Eine neue Sichtweise auf das Hohelied eröffnete Johann Gottfried Herder im 18. Jahrhundert, der ihm das Verständnis als einer wunderschönen Liebesdichtung zurückgab: „Schämest du dich des Hohenlieds, Heuchler, so schäme dich auch des Weibes, die dich empfangen, und des Kindes, das dir dein Weib geboren, am meisten aber deiner selbst, Deiner!“ Goethe hat es als Weltpoesie gefeiert und im „Faust“ einige Anklänge an das Hohelied in den Äußerungen von Gretchen verarbeitet.


2) Wer das Hohelied ein wenig kennt, weiß, dass es das unerfüllte Begehren dramatisiert. Braut und Geliebter besingen ihre Liebe und einander, aber der Moment der absoluten Erfüllung bleibt im Lied aus. Auch die Verse 5:2-6 kreisen um diesen Punkt.

Eine gängige moderne Interpretation der Verse lautet, dass es sich bei der Schilderung um einen Traum der Braut handelt („Ich schlief, aber mein Herz war wach …“). Sie träumt vom Kommen des Geliebten („Horch, mein Freund klopft an...“). Noch als sie erwacht, nimmt sie die Trugbilder des Traums als Wirklichkeit, muss aber feststellen, dass der Geliebte nicht da ist („Aber als ich meinem Freund aufgetan hatte, war er weg und fortgegangen ...“). Im Traum verzehrt sie sich in ihrer Sehnsucht nach dem Geliebten.

Mittwoch, 28. März 2018

Das abwesende Leiden unseres Herrn Jesu Christi

1) Als „Die Passion Christi“ von Mel Gibson aus dem Jahr 2004 ins Kino kam, löste der Film anhaltende Diskussionen aus.

Neben Vorwürfen, etwa der Gewaltverherrlichung, zielte die Kritik auf einige historische und biblische Details, die man zusammengefasst im wikipedia-Artikel nachlesen kann. Von kirchlicher Seite wurde Mel Gibson überwiegend verteidigt. So sei die geäußerte Kritik an wenigen Einzelheiten trivial; im Übrigen seien die Vorwürfe nicht begründet. Gerade aus dem Vatikan erntete der Film hohes Lob für seine realistische Darstellung und seine „Treue zu den Evangelien“. Selbst Papst Johannes Paul II. soll sich wohlwollend geäußert haben. Viele Kinobesucher empfanden dies ähnlich und waren zutiefst beeindruckt. Gänzlich unschuldig war Mel Gibson an dieser Situation freilich nicht, da er seinerseits ältere Jesus-Filme als historisch fehlerhaft kritisiert und stolz behauptet hatte, dass sein Werk nach geschichtlichem und biblischem Maßstab zuverlässig sei: „We’ve done the research. I’m telling the story as the Bible tells it.

Ich erwähne dies nicht, um hier zu einer Donquichotterie anzusetzen und mit 14jähriger Verspätung meinerseits den Film kritisieren zu wollen. Mir kam Gibsons Film dieser Tage nur in den Sinn und er erinnerte mich daran, dass unsere Vorstellung über den Inhalt der Evangelien unbewusst fehlerbehaftet sein kann und zwar nicht nur in kleinen Nebensächlichkeiten, sondern in grundlegenden Dingen. Geprägt von einer nahezu 2000jährigen Interpretation und Überzeugungsbildung ergänzen wir in unseren Gedanken unwillkürlich die Evangelien mit liebgewonnenen Themen, obwohl sie in den biblischen Berichten gar nicht vorkommen.

Schmerzensmann
Mel Gibson wollte mit seinem Film das Leiden von Jesus Christus veranschaulichen und deshalb enthält der Filmtitel auch das Wort Passion. Vor allem jene Zuschauer, die den Film positiv aufnahmen, waren gerade von dieser Verdeutlichung des Leidens tief beeindruckt. Schon die ältesten christlichen Glaubensbekenntnisse enthalten die Formel, dass Jesus gelitten hat. Das späte Mittelalter ist berühmt für seine künstlerischen Darstellungen von Jesus als Schmerzensmann und die christliche Literatur kennt unzählige Meditationen wie etwa die von Anna Katharina Emmerick über „Das bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christi“. Millionen von Touristen pilgern jährlich die berühmte via dolorosa in Jerusalem und auch moderne Theologen sprechen vom Leidensbericht in den Evangelien.

In allen Evangelienabschnitten, die das Geschehen von der Verhaftung von Jesus bis zu seinem Kreuzestod erzählen (im Markusevangelium sind es die Verse 14:43-15:37), findet sich indes weder eine ausdrückliche Erwähnung des Leidens von Jesus, noch stellen die Evangelisten dieses Leiden dar. Die Berichte schildern, wie Jesus‘ Gegner ihn verurteilen, anspucken, schlagen, auspeitschen, verspotten und kreuzigen, aber sie erzählen nicht vom Leiden des Gepeinigten. Wir hören vor allem von den Handlungen der Täter, aber die Gefühle des Opfers bleiben unausgesprochen. In dieser wesentlichen Hinsicht steht der Film von Mel Gibson konträr zu den Evangelien, die das Leiden von Jesus gerade nicht thematisieren, geschweige es wie Gibson in den Mittelpunkt der Darstellung rücken.

Freitag, 23. Februar 2018

Judas Iskarioth, einer der Zwölf

1) Stets weckte die Gestalt von Judas Iskarioth nicht nur das Interesse von Theologen, sondern auch von Dichtern und Künstlern. 

Während die kirchliche Auslegungstradition sich in ihrem Nachdenken über Judas nur zaghaft vom Bild des verdammten jüdischen Verräters löst, interpretierten moderne Schriftsteller vor allem im vergangenen Jahrhundert die Gestalt des Judas Iskarioth radikal neu - etwa als jüdischen Freiheitskämpfer, der Jesus durch seine Tat zu einem Aufstand wider die römische Besatzungsmacht herausfordern wollte, oder als einzigen erleuchteten Jünger, der Gottes Heilsplan durchschaute und ihn im stillschweigenden Einverständnis mit Jesus durch seine Tat in Gang setzte.

Während Dante Alighieri sich Judas im untersten Höllenpfuhl und qualvoll von Luzifer gepeinigt vorstellte, sah Walter Jens in Judas den allseits verkannten, hervorragenden Jünger, der uneigennützig die schwere Bürde des göttlichen Helfershelfers auf sich nahm.

Ben Becker nach Walter Jens
Die Methodik der modernen Interpretationsansätze ähnelt sich meist. Dabei wird zunächst das kirchlich tradierte Judas-Bild verworfen, das - so die häufige Kritik - auf den späteren Evangelisten Matthäus, Lukas und Johannes beruhend sei, und dem vorgeworfen wird, dass es die Figur des Judas „verteufele“. Die Darstellung des Judas im Markusevangelium wird demgegenüber als bruchstückhaft empfunden und aufgrund dessen als wenig aussagekräftig bewertet. Diese Abkehr von den Quellen erlaubt nicht wenigen Schriftstellern und Theologen eine Spekulation darüber, „wie es denn wirklich gewesen sei“, und führt sie schließlich zum Entwurf eigener neuer Judas-Bilder.

In diesem Beitrag möchte ich diesen Interpretationen nicht etwa eine weitere hinzufügen, sondern lediglich eine Einzelheit im Charakterbild des Judas erörtern, wie man sie im Markusevangelium finden kann. Sie weist meines Erachtens ein vom Evangelisten sehr deutlich herausgearbeitetes Profil auf.