Ein Leser meines Blogs hat mich sehr freundlich gebeten, ob
ich einen „unparteiischen“ Beitrag zum Thema „mythicism“ und „Radikalkritik“
schreiben könnte, also über die Frage, ob Jesus als historische Persönlichkeit
existiert hat. Ich habe dies zunächst wegen mangelnder Kompetenz freundlich
abgelehnt; eine kleine Diskussion über die Taufe von Jesus hat meine Meinung jedoch
geändert. Jedoch möchte ich die Frage nicht im Allgemeinen, sondern an einem ganz
konkreten Beispiel erörtern. Es lautet:
Warum beginnt das Markusevangelium mit Johannes dem Täufer
und warum lässt sich Jesus taufen?
In diesem Beitrag stelle ich fünf Meinungen vor. Zwei davon
beruhen auf der Überzeugung eines historischen Jesus. Die drei anderen radikalkritischen
Positionen weisen jeweils eine bestimmte Typik für diese Denkrichtung auf. Ziel
meines Beitrags ist es nicht, eine eigene Meinung zu äußern, sondern zu zeigen,
aus welchem Grund und mit welchen Positionen die Debatte geführt wird. Persönlich
teile ich keine der vertretenen Sichtweisen in allen Punkten.
1) Das Markusevangelium erzählt die Taufe durch Johannes in
einem einzigen Vers, der wörtlich wie folgt lautet:
1:9 Καὶ ἐγένετο
ἐν ἐκείναις ταῖς
ἡμέραις
ἦλθεν Ἰησοῦς ἀπὸ Ναζαρὲτ
τῆς Γαλιλαίας καὶ ἐβαπτίσθη
εἰς τὸν
Ἰορδάνην
ὑπὸ
Ἰωάννου
1:9 Und (es) geschah in jenen, den Tagen: (es) kam Jesus vom
Nazaret des Galiläa und (wurde) getauft in den Jordan von Johannes.
Den Grund von Jesus’ Kommen gibt Markus nicht an. Wir
erfahren nur, dass Jesus zur „Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Mk 1:4)
kommt und danach „sogleich“ in die Wüste getrieben wird. Ob der Täufer Jesus
als besonderen Täufling wahrgenommen hat, bleibt offen. Auch von einer späteren
„Anfrage des Täufers“ erzählt Markus nichts. Jesus nimmt seine Mission erst
nach der Gefangennahme von Johannes auf (Mk 1:14). Er selbst tauft nicht,
sondern verkündet das Evangelium. Er beruft eigene Jünger (Mk 1:16) oder die
Menschen kommen zu Jesus, „weil sie von seinen Taten gehört haben“ (Mk 3:8).
Die Jünger von Johannes fasten, die Jünger von Jesus nicht (Mk 2:18). Zwar sind
sich der Täufer und Jesus in der Frage der Scheidung/Wiederheirat einig, ihre
Beweggründe sind jedoch verschieden. Der Täufer stützt sich gegenüber Herodes auf
das Gesetz: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben.“ (Mk
6:18) Jesus argumentiert hingegen aufgrund einer Schöpfungsethik: „Von Anfang
der Schöpfung an aber hat er sie als Mann und Frau geschaffen … und die zwei
werden ein Fleisch sein … Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch
nicht scheiden.“ (Mk 10:6)
Schließlich stellt Jesus im Streitgespräch mit der
Jerusalemer Elite eine Gegenfrage: „War die Taufe des Johannes vom Himmel oder
von Menschen? Antwortet mir!“ (Mk 11:30) Die Gegner weichen jedoch aus. Auch Jesus gibt
keine ausdrückliche Antwort.
2) Die Frage nach der „Historizität von Jesus“ ist
erkenntistheoretisch eng mit der „Frage nach dem historischen Jesus“ verbunden
und tauchte deshalb auch kurz nach der Aufklärung um 1795 in den Schriften der
französischen Gelehrten Constantin François Volney und Charles François Dupuis auf.
2.1) Beide besaßen umfangreiche Kenntnisse von antiken Religionen
und deuteten Elemente des christlichen Glaubens als aus älteren heidnischen
Mythen und Kulten entlehnt. Dies betraf auch Johannes den Täufer. Der
Radikalkritker Arthur Drews hat ihre Thesen späterhin wieder aufgenommen und für
das vorliegende Problem so formuliert:
„Einen eigenartigen Zusatz zur Taufe Jesu bietet Matthäus,
wenn er erzählt, daß Johannes es abgewiesen habe, ihn zu taufen, indem er
sprach: „Ich habe nötig, von dir getauft
zu werden, und du kommst zu mir?" Jesus
aber antwortete ihm: „Laß es jetzt, denn also ziemt es sich für uns,
alle Gerechtigkeit zu erfüllen"; da ließ er ihn machen (Matth. 3, 13 ff.).
Die Begebenheit wird gewöhnlich so gedeutet, daß sie erklären solle, wie der
Gottessohn dazu gekommen sei, sich der Taufe von Seiten eines sündigen Menschen
zu unterziehen. Nun findet sich in der „Syrischen Schatzhöhle", einer allerdings
späten Quelle, die indessen „ältesten" Stoff enthält, eine merkwürdige
Stelle, nach welcher Nimrod, der erste König Babylons und Begründer des
babylonischen Weltreichs, der dem Sonnengotte Marduk entspricht, einst zum
Atras-Meere gekommen sei und dort den Jonton, den Sohn des Noah, getroffen
habe. Nachdem er zum Meere hinabgestiegen, habe Nimrod sich in demselben
gewaschen, hiernach geopfert und den Jonton angebetet. ,,Da sprach Jonton zu
ihm: ,Du bist König; du betest mich an?' Es antwortete ihm Nimrod:
,Deinethalben bin ich hierher herabgekommen.'" Darauf habe Jonton den
Nimrod die Weisheit des Orakels gelehrt, und als dann Nimrod östlich wieder
hinaufgestiegen sei und das Orakel zu gebrauchen begonnen habe, hätten sich
viele über ihn verwundert. Daß Jonton am Persischen Golf zu suchen und kein
anderer als der babylonische Ea-Oannes ist, dem zu Ehren man am Meere und an
den Flußufern heilige Waschungen vorzunehmen und den man als Gott der
seelischen Reinigung und Weisheit anzubeten pflegte, dürfte allgemein
zugestanden sein. Was aber vor allem bemerkenswert ist, ist die Tatsache, daß
die Sekte der Sabier oder „Täufer", die sich bis zur Gegenwart unter dem
Namen der Mandäer im südlichen Babylonien erhalten hat, und deren Kultus zweifellos mit demjenigen des Ea-Oannes
zusammenhängt, dem Täufer Johannes eine so bedeutsame Rolle in ihrer Religion
einräumt.“
(Arthur Drews, Der Sternhimmel in der Dichtung und Religion der alten Völker und des Christentums, 1923, S. 243)
(Arthur Drews, Der Sternhimmel in der Dichtung und Religion der alten Völker und des Christentums, 1923, S. 243)
Drews’ Ausgangspunkt ist zutreffend. Nicht selten bestanden
zwischen Gottheiten vor allem benachbarter Kulturkreise starke Entsprechungen,
die auf eine Abhängigkeit bzw. gegenseitige Beeinflussung in der Mythenbildung
schließen lassen. Ähnliche Namen (wie hier Oannes und Ioannes) und Legenden
können dafür ein Indiz darstellen.
Fischmensch |
Problematisch ist vorliegend, dass der vom antiken
babylonischen Gelehrten Berossos beschriebene „Oannes“, ein Wesen halb Mensch,
halb Fisch, nach der Legende als Kulturbringer der Menschen gilt („er brachte
ihnen gelehrte Kenntnisse wie handwerkliche Techniken bei, Städte- und
Tempelgründungen ebenso wie Ackerbau oder Gesetzeskunde und alles sonst zum
Leben Nötige“). Er ist in diesem Aspekt ein wenig dem griechischen Prometheus vergleichbar,
hat jedoch außer zwei Äußerlichkeiten (Name, Wasser) so gut wie nichts mit Johannes dem Täufer
gemein. Im Hinblick auf das Markusevangelium dürfte der weitere Schwachpunkt darin
liegen, dass Jesus nicht als Gottessohn oder König zum Täufer kommt, sondern
als absoluter „Nobody“. Auch, dass Matthäus von dem zeitlich viel späteren, im
4. Jahrhundert nach Christus geschriebenen Werk „Syrische Schatzhöhle"
literarisch abhängig sein soll, ist eher auszuschließen. Drews’ Behauptung,
dass das Werk „ältesten Stoff“ enthalte, entbehrt einer Grundlage. (Nachsehen
mag man es Drews, da auch anerkannte Theologen gern über solche angeblich
„ältesten Stoffe“ spekulieren.) In welchem Sinn der sagenhafte Fischmensch
„Oannes“ der in der „Syrischen Schatzhöhle“ genannte „Jonton“ sein soll, bleibt
ebenfalls dunkel.
Es mag deshalb nachvollziehbar sein, dass die Ansicht von
Arthur Drews in der Geschichte-Jesus-Forschung kaum ernst genommen wurde.
2.2) Die zweite Theorie, die ich vorstellen möchte, ist die
herrschende Meinung in der historischen Jesus-Forschung. Sie besagt, dass Jesus
sich der Bewegung des Täufers angeschlossen hat und der Schüler von Johannes
war. Unter den Gelehrten bestehen im Detail unterschiedliche Ansichten, wie
intensiv und andauernd dieses Lehrer-Schüler-Verhältnis gewesen sein soll. Gerd
Theißen und Annette Merz führen dazu wie folgt aus:
”Jesus erkannte den Täufer eine Zeitlang als überlegenen
,Meister’ an und liess sich von ihm zur Vergebung seiner Sünden taufen. Er
wusste sich als einer der vielen, die in Israel umkehren wollten, um dem nahen
Gericht Gottes zu entfliehen. Möglicherweise darf man sogar voraussetzen, dass
Jesus zum engeren Jüngerkreis des Täufers gehörte."
(Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus: Ein Lehrbuch, 4. Aufl., 2011, S. 193)
(Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus: Ein Lehrbuch, 4. Aufl., 2011, S. 193)
Das Problem dieser Ansicht liegt darin, dass für sie kein
Beleg existiert. Keines der vier Evangelien deutet an, dass Jesus der Jünger
des Täufers gewesen sein könnte. Ein Teil der Jesus-Historiker argumentiert
daher wie etwa Reza Aslan, dass die Evangelisten den „wahren“ Sachverhalt „absichtlich
verschwiegen“ hätten.
„Die historische Bedeutung Johannes' des Täufers und seine
Rolle zu Beginn von Jesu Wirken stellten die Verfasser der Evangelien vor ein
schwieriges Dilemma. Johannes war ein beliebter, angesehener und fast überall
anerkannter Priester und Prophet gewesen. Man konnte ihn einfach nicht ignorieren,
und dass er Jesus getauft hatte, war zu gut bekannt, um verschwiegen zu werden.
Die Geschichte musste erzählt werden. Aber sie musste auch ein bisschen
geknetet und zurechtgebogen werden.“ „Dieses starke Bemühen, Johannes'
Bedeutung herunterzuspielen, ihn Jesus unterzuordnen – aus ihm wenig mehr als
den Herold Jesus zu machen - verrät ein drängendes Bedürfnis der
frühchristlichen Gemeinschaft, das zu konterkarieren, was die historischen
Belege ganz deutlich vermuten lassen: Wer auch immer der Täufer war, woher er
auch kam und was er auch mit seinem Taufritual bezweckte – Jesus begann sein
Wirken sehr wahrscheinlich als einer seiner Jünger … Und er blieb eine Weile in
der Wüste, nicht, um «vom Satan in Versuchung geführt» zu werden, wie sich die
Evangelisten das vorstellen, sondern um von Johannes zu lernen und mit seinen
Anhängern zu sprechen.“
(Reza Aslan, Zelot: Jesus von Nazaret und seine Zeit, Kap. 7)
(Reza Aslan, Zelot: Jesus von Nazaret und seine Zeit, Kap. 7)
Der Schwachpunkt dieser Ausführungen liegt wiederum darin,
dass die vermeintlichen „historischen
Belege“ nicht bestehen und fraglich ist, ob nicht die Historiker sich
hier etwas „zurechtbiegen“ im Widerspruch zu dem, was die Quellen berichten. Zwar
machen die Darstellungen von Matthäus, Lukas und Johannes tatsächlich den
Eindruck, als hätten die drei anderen Evangelisten ein gewisses Problem in der
Taufe von Jesus gesehen. Für das ältere Markusevangelium lässt sich dies jedoch
schwerlich behaupten. Selbst in Jerusalem hält der markinische Jesus den
religiösen Eliten im Streitgespräch die Johannestaufe entgegen und Markus scheint
sich in keiner Weise dafür zu „schämen“. Die von Markus geschilderten
Unterschiede zwischen Jesus und dem Täufer sowie zwischen den jeweiligen
Jüngern erscheinen zudem viel zu erheblich, als das sie auf eine Abhängigkeit und
auf eine Übernahme von Täufertraditionen durch Jesus hindeuten könnten.
Rab Hillel lehrt die Goldene Regel |
Die Logik der historischen Jesus-Forschung besteht meinem
Eindruck nach in Folgendem: Sie beginnt zunächst mit der Überzeugung, dass
Jesus ein Mensch wie „Du und ich“ war und dass er nach „normalen“
Erfahrungswerten eine gewisse Ausbildung als religiöser Lehrer erhalten haben
muss. Im antiken Israel waren Lehrer-Schüler-Verhältnisse verbreitet. Die
Rabbinen berichten etwa, dass bereits vor Jesus die Schulen von Hillel und
Schammai bestanden. Der antike jüdische Historiker Josephus war nach eigener
Bekundung längere Zeit ein Schüler des frommen Eremiten Banus. Die modernen Jesus-Historiker
verwerfen daher wohl den aus ihrer Sicht unplausiblen Bericht der Evangelien und ersetzen die Leerstelle durch ein ihrer
Meinung nach plausibles historisches Szenario (Lehrer-Schüler-Verhältnis). Da nach
dem Evangelienbericht einzig der Täufer als ein solcher Lehrer entfernt in
Betracht kommen könnte, schreiben die Jesus-Historiker diesem die Lehrerrolle
zu. Die Historiker glauben knappe 2000 Jahre später mehr zu wissen als – so die
Schilderung von Markus - die Einwohner von Jesus’ Heimatstadt – Mk 6:2
„Und als der Sabbat kam, fing er an zu lehren in der
Synagoge. Und viele, die zuhörten, verwunderten sich und sprachen: Woher hat er
das?“
Diese Auffassung der historischen Jesus-Forschung wird daher
nicht nur von konservativen Bibelgelehrten und Radikalkritikern abgelehnt,
sondern auch für die Markus-Exegese, etwa von dem Standard-Kommentar im
englischsprachigen Raum, R.T. France, The Gospel of Mark, 2002, C. on 1:7, S.
70f .
2.3) Die dritte Theorie ist nicht ganz leicht zu erklären.
Der christliche Glaube besteht darin, dass Jesus zugleich Mensch und Gott war.
Die historische Jesus-Forschung geht hingegen davon aus, dass Jesus ein Mensch
war, der im Glauben seiner Anhänger nachträglich „vergöttlicht“ wurde. Eine
traditionelle Annahme der Radikalkritik ist demgegenüber, dass am Anfang nicht
der Mensch Jesus stand, sondern die Glaubensvorstellung an einen himmlischen
„Christ“, der nachträglich „historisiert“ und „vermenschlicht“ wurde. Sie nimmt
daher an, dass der christliche Glaube in seinem Ursprung – vereinfacht gesagt -
gnostischer Glaube war, der eher in nichtjüdischen Kreisen entstanden sein soll.
Sie stützt sich dabei vor allem auf die Paulusbriefe, die nach
wissenschaftlicher Meinung vor den Evangelien geschrieben wurden, z.B. auf den
Brief an die Philipper, Kapitel 2:
„5 Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft
in Christus Jesus entspricht: 6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es
nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, 7 sondern entäußerte sich selbst und
nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als
Mensch erkannt.“
Sie verweist vor allem darauf, dass in den Paulusbriefen
kaum etwas über einen menschlichen Jesus ausgesagt wird. Da auch einige Schriftstellen
in den Paulinen diesem Bild widersprechen, geht sie häufig davon aus, dass
diese Briefe nachträglich von „gegnerischen vorkatholischen“ Christen
überarbeitet und mit Einschüben versehen wurden. Es besteht auch die Position,
dass die Briefe nicht von einem historischen Paulus, sondern erst viel später
geschrieben und wiederholt überarbeitet wurden. Die Evangelien, vor allem das
Markus- und Matthäusevangelium, sieht sie häufig als gegnerische Schriften an,
die Christus als menschlichen Jesus in jüdischem Umfeld „historisieren“ sollen.
Im Zuge der modernen Markusforschung ist auf Seiten der
Radikalkritiker in diesem Punkt ein Wandel eingetreten. Man beginnt, das
Markusevangelium nicht mehr als „gegnerische“ Schrift, sondern als eine
allegorische Erzählung auf den vermeintlichen himmlischen Christus zu verstehen
und sieht erst die späteren Evangelien nach Matthäus und Lukas als Texte der
katholischen Gegner an. Nach wie vor erscheint aber das jüdische „Ambiente“ des
Markusevangeliums vielfach als problematisch.
Der „Mythizist“ Roger Parvus schrieb in diesem Jahr den
Beitrag „A Simonian Origin for Christianity, Part 17: Mark and Proto-Mark“, in
welchem er – grob geschildert - folgende Hypothese entwickelte:
Simon von Samarien |
Das uns bekannte Markusevangelium habe einen Vorläufer
gehabt, den sogenannten Ur-Markus oder Proto-Markus. In diesem Ur-Markus sei
die Taufe von Jesus durch Johannes noch nicht enthalten gewesen. Gleichzeitig
habe die sogenannten Logienquelle Q bestanden, die aber entgegen der
herrschenden Lehrmeinung nicht auf Jesus zurückgehe, sondern auf Johannes den
Täufer. Die Logienquelle Q habe daher Aussprüche von Johannes dem Täufer und
einige Legenden über diesen beinhaltet. Nachträglich habe alsdann ein vorkatholischer
Redaktor aus der Logienquelle Q Aussprüche von Johannes dem Täufer in den
Ur-Markus eingearbeitet, teilweise auf Jesus übertragen und die Taufe
interpoliert.
Jeder erkennt sicher, dass die Argumentation von Parvus hochspekulativ
ist. Ich enthalte mich daher einer Meinung dazu. Das Interessante und
Verblüffende an Parvus’ Beitrag ist jedoch, dass alle Spekulationen ausnahmslos
„wissenschaftlich“ sind. Jeden einzelnen Argumentationsschritt stützte er auf
eine als wissenschaftlich anerkannte Meinung. Die wesentlichen Punkte könnte
man wie folgt darstellen.
Persönlich schätze ich an dem Beitrag von Parvus, dass er
den Spekulationen der historisch-kritischen Methode gewissermaßen den Spiegel
vorhält.
2.4) Die bisherigen drei Meinungen waren alle mit dem
Markusevangelium mehr oder weniger unvereinbar. Abschließend möchte ich zwei
Ansichten präsentieren, die mit der Darstellung von Markus bzw. den Evangelien
vereinbar sind, zunächst diejenige von Seiten der historischen Jesus-Forschung.
Max Aplin untersucht in seiner Doktorarbeit aus dem Jahr
2011 „Was Jesus ever a disciple of John the Baptist? A historical study“ die
herrschende Meinung der Jesus-Historiker. Unter Abwägung alle Argumente gelangt
er zu einer anderen Ansicht. Nach seiner Meinung gestatten die Evangelien nicht
die Annahme, dass Jesus längere Zeit bei Johannes verweilte. Er legt dar, dass
die Berichte der Evangelien einen Unterschied zwischen den vielen von Johannes
getauften Menschen und denjenigen machen, die als Jünger bzw. Schüler von
Johannes bezeichnet werden können. Aplin interpretiert den Befund der
Evangelien letztlich dahingehend, dass Jesus sich aufgrund eigener spiritueller
Erkenntnis zur Taufe entschlossen habe:
“My quest in this study has been simply and specifically to
discover how likely it is that Jesus was ever John’s disciple, with a view to
determining how confident a person he was. Points of contact between Jesus’ and
John’s ministries there undoubtedly were. However, in the light of my findings,
I would submit that these are much more likely to have arisen, not because
Jesus learned from John, but because in his independent spiritual experience he
came to the conclusion that God was calling him to align his ministry with
John’s in some respects.”
(Max Aplin, Was Jesus ever a disciple of John the Baptist? A historical study, 2011, S. 246)
(Max Aplin, Was Jesus ever a disciple of John the Baptist? A historical study, 2011, S. 246)
Aplins Arbeit wertet alle kanonischen Evangelien sowie das
Thomas-Evangelium aus. Seine Methode kann als traditionell bezeichnet werden.
Er fragt zunächst, welche Angaben in den Evangelien als „authentisch“ anzusehen
sind. Seine Entscheidung beruht meines Erachtens regelmäßig darauf, ob die
Darstellung „plausibel“ ist und ob sie bestenfalls von mehreren Evangelien
bestätigt wird. Entscheidend ist für Aplin auch das Gesamtbild aller
Evangelien. Seiner Auffassung liegt die herkömmliche Annahme zugrunde, dass die
Evangelien auf mehreren und voneinander unabhängigen Quellen beruhen.
2.5) R.G. Price veröffentlichte 2014 seine Abhandlung “How a Fictional Jesus Gave Rise to Christianity”. Er erklärte zunächst, dass seine wesentlichen
Belege gegen die historische Existenz von Jesus die Evangelien selbst seien.
Ich übersetze sinngemäß:
„Ich möchte mich auf ein einfaches Element der Erzählung
konzentrieren, um zu zeigen, dass es sich hierbei um eine fiktive Geschichte
handelt, die vom Autor in der Absicht erstellt wurde, dass die Leser die
literarischen Anspielungen verwenden, um die Erzählung zu verstehen. Im Markusevangelium
ist Johannes der Täufer Elia. Das zu wissen, ist wichtig für das Verstehen der Erzählung.
Wie sollen die Leser jedoch wissen, dass Johannes der Täufer in der Erzählung
Elia repräsentiert? Den Lesern wird dies am Anfang der Erzählung durch den
Gebrauch literarischer Anspielungen verdeutlicht ... Der Erzähler verwendet
einen impliziten Verweis auf die hebräischen Schriften, wenn er die Figur von Johannes
dem Täufer einführt.“
Elia oder Johannes der Täufer? |
Markus 1:6 Und Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und
einen ledernen Gürtel um seine Lenden und aß Heuschrecken und wilden Honig.
2 Könige 1:7 Er sprach zu ihnen: Was war das für ein Mann, der euch begegnete und das zu euch sagte? 8 Sie sprachen zu ihm: Er hatte einen Mantel aus Fell und einen Ledergurt um seine Lenden. Er aber sprach: Es ist Elia, der Tischbiter.
2 Könige 1:7 Er sprach zu ihnen: Was war das für ein Mann, der euch begegnete und das zu euch sagte? 8 Sie sprachen zu ihm: Er hatte einen Mantel aus Fell und einen Ledergurt um seine Lenden. Er aber sprach: Es ist Elia, der Tischbiter.
„Nicht nur dies, sondern Markus 1:2 ist ein Hinweis auf
Maleachi 3. Das Buch von Maleachi endet mit der Aussage, dass Gott vor dem Tag
seines Zorns Elia senden wird:“
Maleachi 3:23 Siehe, ich will euch senden den Propheten
Elia, ehe der große und schreckliche Tag des Herrn kommt.
„Nach der Verklärungsszene in Markus 9 befragen die Jünger
Jesus über Elia.“
Markus 9:11 Und sie fragten ihn und sprachen: Sagen nicht die Schriftgelehrten, dass zuvor Elia kommen muss? … 13 Aber ich sage euch: Elia ist gekommen, und sie haben ihm angetan, was sie wollten, wie von ihm geschrieben steht.
Markus 9:11 Und sie fragten ihn und sprachen: Sagen nicht die Schriftgelehrten, dass zuvor Elia kommen muss? … 13 Aber ich sage euch: Elia ist gekommen, und sie haben ihm angetan, was sie wollten, wie von ihm geschrieben steht.
“Hier werden die literarischen Anspielungen von Markus 1:2-6 wichtig, weil man aus der literarischen Anspielung auf 2 Könige 1:8 erkennen muss, dass Johannes der Täufer Elia ist, um diese Szene sinnvoll zu deuten. Darüber hinaus bezieht sich die Frage der Jünger auf die Stelle in Maleachi, die über das Kommen Elias spricht vor ’dem großen und schrecklichen Tag des Herrn’.“
Nach R.G. Price hat Markus also Johannes den Täufer in
Gestalt von Elia an den Beginn seiner Erzählung gestellt, um die Erfüllung der
Prophezeiung aus Maleachi 3:23 erzählerisch zu „erfinden“.
Im Gegensatz zu Max Aplin teilt R.G. Price nicht die Ansicht,
dass die Evangelien auf mehreren und voneinander unabhängigen Quellen beruhen,
sondern geht davon aus, dass sämtliche anderen Evangelien letztlich auf das
Markusevangelium zurückführbar sind und Markus seinerseits auf Paulus.
Max Aplin stellt die Existenz eines historischen Jesus in
seinen Ausführungen nicht in Frage und legt – in völliger Übereinstimmung mit
der herrschenden Meinung – einfach zugrunde, dass die Evangelien mehr oder
weniger historische Fakten enthalten.
R.G. Price schließt hingegen von der Tatsache, dass Markus
die Figur von Johannes dem Täufer „literarisch“ als Elia ausgestaltet habe, auf
die Fiktionalität der gesamten Schilderung. Tatsächlich geht zwar ein
bedeutender Teil der modernen Markus-Exegese ebenfalls davon aus, dass Markus
Johannes den Täufer in Mk 1:6 als Elia ausdeutet (auch Max Aplin hält Mk 1:6
für „nicht authentisch“). Ebenso leicht zeigen diese modernen Exegeten aber,
dass Herodes Antipas in Markus 6:21ff als König Ahasveros aus dem Buch Esther
gestaltet wird. Die historische Existenz von Herodes Antipas wird indes auch
von Radikalkritikern nicht bezweifelt.
Mk 6:22 Da trat herein seine Tochter, die von Herodias, und
tanzte, und sie gefiel Herodes und denen, die mit zu Tisch lagen. Da sprach der
König zu dem Mädchen: Bitte von mir, was du willst, ich will dir's geben. 23
Und er schwor ihr feierlich: Was du von mir bittest, will ich dir geben, bis
zur Hälfte meines Königreichs.
Esther 5:3 Da sprach der König zu ihr: Was hast du, Ester, Königin? Und was begehrst du? Auch die Hälfte des Königreichs soll dir gegeben werden.
Esther 5:5 Da nun der König und Haman zu dem Mahl kamen, das Ester bereitet hatte, 6 sprach der König zu Ester, als man Wein trank: Was bittest du, Ester? Es soll dir gegeben werden. Und was begehrst du? Wäre es auch die Hälfte des Königreichs, es soll geschehen.
Esther 5:3 Da sprach der König zu ihr: Was hast du, Ester, Königin? Und was begehrst du? Auch die Hälfte des Königreichs soll dir gegeben werden.
Esther 5:5 Da nun der König und Haman zu dem Mahl kamen, das Ester bereitet hatte, 6 sprach der König zu Ester, als man Wein trank: Was bittest du, Ester? Es soll dir gegeben werden. Und was begehrst du? Wäre es auch die Hälfte des Königreichs, es soll geschehen.
Meiner eigenen Meinung nach ziehen sowohl Aplin als auch
Price nicht ausreichend in Betracht, in welch hohem Maß antike Autoren,
Künstler und sogar Historiker fähig waren, die „Wirklichkeit“ in ihren
Darstellungen mit symbolischen und religiösen Bedeutungen zu überblenden.
3) Die historische Jesusforschung wirkt vor allem mit ihren
Erklärungsmodellen zur Entstehung des Christentums der Radikalkritik überlegen,
was freilich in der Natur der Sache liegen könnte.
Nach ihr liegt der Ursprung der christlichen Taufe zunächst
in den jüdischen rituellen Waschungen, alsdann in der Ausformung der Taufe zum Bekehrungsritual
durch Johannes den Täufer und der Übernahme und weiteren Ausformung durch die „Jesus-Bewegung“
und das Ur-Christentum. Bereits Paulus bestätigt die christliche Taufpraxis, an
der er selbst kein vorrangiges Interesse zu haben scheint:
1 Kor 1:16 Ich habe aber auch Stephanas und sein Haus
getauft; sonst weiß ich nicht, ob ich noch jemanden getauft habe. 17 Denn
Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu predigen …
Taufe des Pharao |
Ein Erklärungsversuch der Radikalkritik liegt darin, dass
viele antike Kulte nicht unähnliche Rituale aufwiesen. Nach meinem begrenzten
Wissen spielten zwar „Wasserrituale“ tatsächlich eine große Bedeutung in vielen
Kulten des Mittelmeerraumes. In Form und Bedeutung sind sie jedoch kaum mit dem
vergleichbar, was über die christliche Taufe in ihrem Ursprung bekannt ist. Die
auch in Wissenschaftskreisen sogenannte ägyptische „Taufe des Pharao“ scheint
indes nahe der Zeitenwende in nicht allen, aber einigen Aspekten eine der
christlichen Taufe nicht gänzlich unähnliche Form und teilweise auch Bedeutung
angenommen zu haben und wird daher gern als Erklärungsmodell herangezogen. Die
Radikalkritik kann sich möglicherweise auch darauf stützen, dass der jüdische
Historiker Josephus die Taufe von Johannes anders beschreibt als es die
Evangelien tun.
4) Meine Erfahrung ist, dass für Anhänger beider Seiten häufig die aus ihrer Sicht schwachen
Argumente der Gegenseite eine wesentliche Rolle spielen. Von mehreren Anhängern
beider Ansichten habe ich schon die sinngemäße Aussage gehört: ‚Eigentlich war ich
früher anderer Meinung. Ich habe sie aber wegen den mich überhaupt nicht
überzeugenden Argumenten derjenigen Gelehrten geändert, deren Meinung ich
ursprünglich teilte.'
Wer sich mit dem Thema beschäftigen möchte, sollte zudem
bedenken, dass die persönliche Weltanschauung für die Meinungsbildung eine
große Rolle spielen kann, aber nicht muss. Radikalkritik ist vielfach, aber
keinesfalls immer mit atheistischer Haltung und zum Teil auch antichristlicher
Polemik verknüpft. Vergleichbares gilt für die Gegenposition.
Was ich im vorliegenden Beitrag an einer ganz konkreten
Einzelfrage zeigen wollte, gilt meines Erachtens für sämtliche Streitpunkte der
Debatte. Wer meint, dass sich in anderer Hinsicht die historische Existenz oder
Nichtexistenz „beweisen“ lasse, dürfte wohl eher nicht auf der Höhe der
aktuellen Diskussion sein. Häufig anzutreffende Aussagen wie „Niemand kann
bestreiten …“ oder „Es wäre widersinnig anzunehmen …“ übertünchen meist nur die
Schwäche des Arguments.
5) Als im Zuge der Aufklärung die Vorstellung von Jesus als göttlicher
Gestalt ins Wanken geriet, gingen Gelehrte und Theologen in aufrichtiger
Überzeugung daran, mit „wissenschaftlichen Methoden“ die „historische Wahrheit“
über Jesus zu entschlüsseln. Ihren Forschungen entsprang eine neue Idee über
Jesus, die des „historischen Jesus“, die sich in der Folgezeit zum Paradigma
entwickelte. Es war die Vorstellung über einen wandernden Galiläer, der den
Armen das Evangelium predigte, Brot und Segen spendete, in dessen
Änhängerschaft erstmals Männer und Frauen gleichberechtigt folgten, der das
Reich Gottes nahen fühlte und zugleich aufrichtete und in seiner Liebe zu Gott
und den Menschen mit den Herrschenden in Konflikt geriet und am Kreuz hingerichtet
wurde.
Diese neue Vorstellung über Jesus bot vielen Menschen in
unserer „rationalen“ Epoche einen Zugang zum christlichen Glauben, den sie
sonst vielleicht verloren hätten. Die Figur des Galiläers war ihnen moralischer
Leitstern und rationale Grundlage, um auf neue Weise über Gott und die Welt des
Übersinnlichen nachzudenken. Sie bot aber auch Raum für eine Vielzahl von
Spekulationen, romantischen Vorstellungen und Neuinterpretationen von Jesus.
Dies bedeutet nicht, dass es Jesus nicht gab, sondern nur, dass stets zwischen dem,
was „wirklich“ war, und unseren Vorstellungen darüber ein Unterschied
besteht, insbesondere, wenn diese sich zum Paradigma entwickeln.
Man mag seine Gedanken über Jesus als eine religöse
„Neuoffenbarung“ ansehen, als „historische Jesus-Forschung“, als „Was würde
Jesus heute sagen“ oder als „Beweis der Nichtexistenz von Jesus“. Immer enden
wir bei einer neuen Geschichte über Jesus oder einem neuen Blick auf ihn. Wie
jeder andere bin ich Teil dieses Prozesses und er wird gewiss noch lange währen.
Jenseits der frommen Behauptungen über die Evangelien als
Augenzeugenberichte, jenseits der gutgläubigen Annahmen der historischen
Jesus-Forschung über Logienquellen und mündliche Jesus-Traditionen, aber auch
jenseits radikalkritischer Spekulationen über gnostische Ur-Evangelien scheint
es, als verdankten wir all dies jenem dramatischen und theologischen Epos, das
unter dem Namen Markusevangelium bekannt ist. Auch dafür fehlt freilich
jeglicher Beweis.
P.S. Mein eigener Tipp zu der Frage, warum sich Jesus nach
dem Markusevangelium taufen lässt. Meinem Eindruck nach wollte Markus
- in Mk 1:9 zum Ausdruck bringen, dass Jesus das Ritual der
Taufe als göttlich inspiriert akzeptiert,
- in Mk 1:10f den Blick vom „nur“ äußerlichen Wasserritual
auf den inneren geistlichen Gehalt der Taufe lenken und
- in Mk 10:38ff verdeutlichen, dass es vor allem gilt, die
„Taufe in den Tod“ auf sich zu nehmen.
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