1) Der dritte Satz im Wikipedia-Artikel
über „Jesus von Nazaret“ lautet: „Zwei bis drei Jahre später
wurde er auf Befehl des römischen Präfekten Pontius Pilatus von
römischen Soldaten gekreuzigt.“ Dass Jesus von römischen Soldaten
gekreuzigt wurde, gilt heutzutage als allgemein anerkannter
Gemeinplatz. Allerdings behauptete im Widerspruch dazu die Mehrzahl
der bekannten frühchristlichen Schriften, dass Jesus von Juden
gekreuzigt wurde.
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2) Quellenlage
Lediglich Markus und Matthäus stellen
in ihren Evangelien dar, dass Jesus von römischen Soldaten
gekreuzigt wurde. Nach den Evangelien von Lukas und Johannes, dem
apokryphen Petrusevangelium, den Schriften von Justin dem Märtyrer
und wohl auch dem Evangelium von Marcion wurde Jesus durch Juden
gekreuzigt.
Ich geben nachfolgend die
entscheidenden Stellen in den Evangelien so auszugsweise wieder, dass
deren Sinnzusammenhang deutlich wird.
Erste Auffassung: Römer kreuzigten
Jesus
- Quellen: Markus, Matthäus
- Quellen: Markus, Matthäus
Markus 15:15-24
„Pilatus aber ... ließ
Jesus geißeln und überantwortete ihn, dass er gekreuzigt werde. 16
Die Soldaten aber führten ihn hinein in den Palast ...
20 Und als sie ihn verspottet hatten ... Und sie führten ihn hinaus,
dass sie ihn kreuzigten. ... 22 Und sie brachten ihn zu der Stätte
Golgatha ... 24 Und sie kreuzigten ihn ...“
Matthäus 27:27-35
Matthäus 27:27-35
„Da
nahmen die Soldaten des Statthalters Jesus mit sich ...
29 und verspotteten ihn ... Und als sie ihn verspottet hatten, zogen
sie ihm ... und führten ihn ab, um ihn zu kreuzigen. 32 Und als sie
hinausgingen, ... 33 Und als sie an die Stätte kamen mit Namen
Golgatha ... 35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten ...“
Zweite Auffassung: Juden kreuzigten
Jesus
Quellen: Lukas, Johannes, Apokr. Petrusevangelium, Marcion, Justin der Märtyrer
Quellen: Lukas, Johannes, Apokr. Petrusevangelium, Marcion, Justin der Märtyrer
Lukas 23:13-33
„13 Pilatus aber rief die
Hohenpriester und die Oberen und das Volk zusammen 14
und sprach zu ihnen: ... 18 Da schrien sie alle
miteinander: Hinweg mit diesem, gib uns Barabbas los! ... 23
Aber sie setzten ihm zu mit großem Geschrei und
forderten, dass er gekreuzigt würde. Und ihr Geschrei
nahm überhand. 24 Und Pilatus urteilte, dass ihre Bitte erfüllt
werde, 25 und ließ den los, der wegen Aufruhr und Mord ins Gefängnis
geworfen war, um welchen sie baten; aber Jesus übergab er
ihrem Willen. 26 Und als sie ihn abführten,
... 33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt
Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort ...“
Johannes 19:12-18
Johannes 19:12-18
"12 ... Die Juden
aber schrien: Lässt du diesen frei, ... 14 ... Und er spricht zu
den Juden: Seht, das ist euer König! 15 Sie schrien
aber: Weg, weg mit dem! Kreuzige ihn! Spricht Pilatus zu ihnen: Soll
ich euren König kreuzigen? Die Hohenpriester
antworteten: Wir haben keinen König als den Kaiser. 16 Da
überantwortete er ihnen Jesus, dass er
gekreuzigt würde. Sie nahmen ihn aber 17 und er trug
sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte,
auf Hebräisch Golgatha. 18 Dort kreuzigten sie ihn
..."
Apokryphes Petrusevangelium
„1. Von den Juden aber wusch sich keiner die Hände, weder Herodes noch einer seiner Richter. ... 2. Und da befiehlt der König Herodes, den Herrn abzuführen, ... 5. Und Herodes sprach: ... Und er übergab ihn dem Volke ... 6. Sie aber nahmen den Herrn und stießen ihn eilends und sprachen: "Lasset uns den Sohn Gottes schleifen, da wir Gewalt über ihn bekommen haben." 7. Und sie legten ihm ein Purpurgewand um .... 8. Und einer von ihnen brachte einen Dornenkranz ... 9. Und andere ... spien ihm ins Angesicht, und andere schlugen ... und etliche geißelten ihn ... 10. Und sie brachten zwei Übeltäter und kreuzigten den Herrn mitten zwischen ihnen ...“
Evangelium von Marcion
Marcion scheint mit Lukas übereinzustimmen. Die entscheidenden Verse des Evangeliums nach Marcion sind jedoch nicht belegt (weder bei Tertullian, Epiphanius usw). Aus dem Schweigen kann man jedoch schließen, dass Marcion mit Lukas übereinstimmt, da andernfalls die Abweichung von Lukas in den Quellen sicher erwähnt worden wäre.
Apokryphes Petrusevangelium
„1. Von den Juden aber wusch sich keiner die Hände, weder Herodes noch einer seiner Richter. ... 2. Und da befiehlt der König Herodes, den Herrn abzuführen, ... 5. Und Herodes sprach: ... Und er übergab ihn dem Volke ... 6. Sie aber nahmen den Herrn und stießen ihn eilends und sprachen: "Lasset uns den Sohn Gottes schleifen, da wir Gewalt über ihn bekommen haben." 7. Und sie legten ihm ein Purpurgewand um .... 8. Und einer von ihnen brachte einen Dornenkranz ... 9. Und andere ... spien ihm ins Angesicht, und andere schlugen ... und etliche geißelten ihn ... 10. Und sie brachten zwei Übeltäter und kreuzigten den Herrn mitten zwischen ihnen ...“
Evangelium von Marcion
Marcion scheint mit Lukas übereinzustimmen. Die entscheidenden Verse des Evangeliums nach Marcion sind jedoch nicht belegt (weder bei Tertullian, Epiphanius usw). Aus dem Schweigen kann man jedoch schließen, dass Marcion mit Lukas übereinstimmt, da andernfalls die Abweichung von Lukas in den Quellen sicher erwähnt worden wäre.
Justin, Dialog mit dem Juden Trypho
14,8: Ich bemerkte noch: „Tryphon, … wo er in Ehren über den Wolken erscheinen und euer Volk ihn sehen und in ihm den erkennen wird, den sie durchbohrt haben, …
85,2: Denn gerade im Namen dieses Sohnes Gottes und Erstgeborenen aller Schöpfung, des durch eine Jungfrau geborenen Menschen, der leiden mußte, unter Pontius Pilatus von eurem Volke gekreuzigt wurde, starb, ...
101,2: Zum Spotte sind nämlich wir, die wir an Jesus glauben, überall; des Volkes Verachtung ist er aber, weil er von eurem Volke verachtet und entehrt, all das erduldete, was ihr ihm bestimmt habt.
118,1: Es wäre also besser, wenn ihr eure Streitlust aufgeben und euch bekehren würdet, ehe noch der große Tag des Gerichtes kommt, an welchem alle aus euren Stämmen, die unseren Christus durchbohrt haben, klagen werden,
3) Gewalttätige Ausschreitungen gegen
Jesus
Diese unterschiedliche Darstellung in
den frühchristlichen Schriften ist kein Zufall. Sie deckt sich mit
weiteren Schilderungen des jeweiligen Autors.
Im Markusevangelium sind es ohne
Ausnahme die religiösen und politischen Machthaber, die als Gegner
von Jesus dessen Tod betreiben. An keiner Stelle behauptet Markus,
dass es „einfache jüdische Leute“ oder das „jüdische Volk“
gewesen wären, die den Tod von Jesus geplant hätten oder ihm
gegenüber gewalttätig aufgetreten wären. Auch bei der Anhörung
vor Pilatus ist es die von den Hohenpriestern aufgehetzte und nicht
aus eigenem Antrieb handelnde Volksmenge, die die Kreuzigung fordert.
Markus
3:6 Und die Pharisäer gingen hinaus
und hielten alsbald Rat über ihn mit den Anhängern des Herodes, wie
sie ihn umbrächten.
14:1-2 Und die Hohenpriester und
Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn mit List ergreifen und töten
könnten. Denn sie sprachen: Ja nicht bei dem Fest, damit es nicht
einen Aufruhr im Volk gebe.
15:11 Aber die Hohenpriester reizten
das Volk auf ...
Hingegen kommt es in den beiden
Evangelien nach Lukas und Johannes, in denen „die Juden“ Jesus
kreuzigen, auch zu gewalttätigen Ausschreitungen einfacher jüdischer
Leute, die jeweils als „mordlüsterner Mob“ dargestellt sind:
Lukas 4:28-30
Und alle, die in der Synagoge waren,
wurden von Zorn erfüllt, als sie das hörten. Und sie standen auf
und stießen ihn zur Stadt hinaus und führten ihn an den Abhang des
Berges, auf dem ihre Stadt gebaut war, um ihn hinabzustürzen.
Johannes
8:57-59 Da sprachen die Juden zu ihm: … Jesus
sprach zu ihnen: … Da hoben sie Steine auf, um auf ihn zu werfen.
Aber Jesus verbarg sich und ging zum Tempel hinaus.
10:24-31 Da umringten ihn die Juden und sprachen
zu ihm: Wie lange hältst du uns im Ungewissen? Bist du der Christus,
so sage es frei heraus. Jesus antwortete ihnen: ... Da hoben die
Juden abermals Steine auf, um ihn zu steinigen.
4) Rezeption
Während man sich im Mittelalter und im
Nationalsozialismus mit Vorliebe auf diese und andere Bibelstellen
berief, um Progrome an jüdischen Mitbürgern zu rechtfertigen,
versucht ein Teil der modernen Theologie, die Darstellungen etwa von
Lukas und Johannes zu beschwichtigen und mit allerlei Argumenten zu
bagatellisieren. Lukas wird gar weiterhin als „erster christlicher
Historiker“ gefeiert. Jeder mag für sich selbst entscheiden, was
von derartigen Bewertungen zu halten ist.
Der Leser des Markusevangeliums darf
jedenfalls gewiss sein, das Werk eines Autors in den Händen zu
halten, dem Antijudaismus fremd war. Obwohl Markus die jüdische
Glaubenspraxis aus seiner christlichen Perspektive gewiss nicht
unkritisch sah, ließ er sich in seinem Evangelium nie von „niederen
Instinkten“ hinreißen.
Diese Vornehmheit in Denken und
Geisteshaltung hat das Markusevangelium in vieler Hinsicht geprägt.
Es ist das Werk eines Grandseigneurs, ethisch und intellektuell.
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