Am Ende ruft die Menge vor Pilatus
„Kreuzige ihn!“ (Mk 15:13), obwohl das Volk vor allem in Galiläa
Jesus noch in großen Scharen hinterhergelaufen war. - Einige
Überlegungen über das Verhältnis zwischen Jesus und den
Volksmengen im Markusevangelium und dessen Wandlung …
Teil 2 – Hörer der Lehre Jesu
1) Im ersten Teil dieses Beitrags bin
ich einem Thema nachgegangen, dass Markus sehr sorgfältig vom 1. bis
zum 6. Kapitel entwickelt: die Bedrängung von Jesus durch die
Volksmenge. Ab dem 7. Kapitel lässt Markus dieses Motiv jedoch
fallen. Eine weitere Bedrängung durch die Menge wird im
Markusevangelium nicht mehr erwähnt.
Lehrer der Volksmenge |
Gleichwohl hat Markus diesen „Erfolg“
von Jesus nicht in rosaroten Tönen beschrieben. Er hat in seinem
Bericht die Bedrohlichkeit der Menschenmassen und das fast
hysterische und gewaltsame Bedrängen von Jesus hervorgehoben. Es
sind Menschen-“Haufen“, deren Anblick nach Mk 6:34 Mitgefühl
auslöst: „wie Schafe, die keinen Hirten haben“.
Der Vers 6:34 ist damit noch nicht
vollständig wiedergegeben, sondern nennt außerdem noch die unmittelbare
Reaktion von Jesus auf den Anblick der sein Mitgefühl auslösenden Volksmenge:
καὶ ἤρξατο διδάσκειν
αὐτοὺς πολλά
und er begann zu lehren sie vieles
2) Gewöhnlich denkt man bei der „Lehre
von Jesus“ an die Bergpredigt und damit an das Matthäusevangelium,
während das Markusevangelium nicht unbedingt für die darin
enthaltenen „Lehren Jesu“ gerühmt wird.
Dementgegen ist auffällig, dass Markus
ab Beginn seines Evangeliums mit der Verkündung ein weiteres
wichtiges Motiv im Verhältnis zwischen Jesus und der Volksmenge
verfolgt. Unaufhörlich verkündet und lehrt Jesus die Menge und
„sagt“ ihnen „das Wort“. Allerdings erfahren wir nicht in jedem Fall etwas
über die Lehrinhalte seiner Reden.
Dabei kommt es mit dem 7. Kapitel zu
einer auffälligen Wende im Markusevangelium. Jesus, der bis dahin in
der Regel in Gleichnissen gepredigt hat, geht in seiner Lehre nun zu
direkten und unmissverständlicheren Aussagen über. Gleichsam als
Echo dieser Änderung beziehen sich die „Heilungswunder“ ab
diesem Zeitpunkt auf Sinnes- und Äußerungsorgane: die Heilung von
Blinden, Taubstummen sowie die Austreibung eines tauben und stummen
Geistes. In diesem Rahmen erreicht auch die Thematik des
Jüngerunverständnisses ihren Höhepunkt, die nicht allein die Jünger,
sondern auch die Volksmenge zu betreffen scheint.
Die Lehr- und Verkündungstätigkeit von Jesus beginnt sofort mit Jesus Auftreten in Galiläa in Mk 1:14: „Nachdem aber Johannes gefangen gesetzt war, kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium Gottes ...“. Aus Mk 1:38 ist zu erfahren, dass dies der Zweck von Jesus Wirken ist: „Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Städte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.“
Mk 1:21-22 erzählt erstmals über eine
konkrete Lehrrede von Jesus und der Reaktion der Hörer darauf,
jedoch nichts über den Inhalt der Lehre: „Und sie gingen hinein
nach Kapernaum; und alsbald am Sabbat ging er in die Synagoge und
lehrte. Und sie entsetzten sich über seine Lehre; denn er lehrte mit
Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten.“ Ebenso Mk 2,2: „Und
es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht
draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort.“ und Mk 2,13:
„Und er ging wieder hinaus an den See; und alles Volk kam zu ihm
und er lehrte sie.“
In Mk 2:18ff lehrt er in den kurzen
Gleichnissen „Vom Bräutigam und den Hochzeitsgästen“, „Von
neuen Flicken auf dem alten Kleid“ „Vom neuen Wein in alten
Schläuchen“, in Mk 3:22ff „Vom starken Mann“ und schließlich
folgt das großes Gleichniskapitel 4 (- 4:33f): „Und durch viele
solche Gleichnisse sagte er ihnen das Wort so, wie sie es zu hören
vermochten. Und ohne Gleichnisse redete er nicht zu ihnen ...“
Die Lehre und Verkündung durch Jesus
gegenüber der Volksmenge geht unaufhörlich weiter und selbst bei
seiner Gefangennahme in Jerusalem verweist Jesus auf seine
Lehrtätigkeit – Mk 14:49: „Ich bin täglich bei euch im Tempel
gewesen und habe gelehrt, und ihr habt mich nicht ergriffen.“
3) Im 7. Kapitel geht Jesus in der Rede
über Reinheit und Unreinheit zu direkten und unverhüllten Aussagen
über und behält diese Art der „offenen“ Rede auch in den
Leidensankündigungen und bis zur Ankunft in Jerusalem bei. Zuweilen
verwendet er kleine bildhafte Vergleiche (etwa „Kamel durchs
Nadelöhr“ oder vom „Sauerteig der Pharisäer“). Diese sind
jedoch mit den Gleichnisreden aus den Kapiteln 2-4 oder dem Gleichnis
von den treulosen Weingärtnern in Kapitel 12 nicht annähernd
vergleichbar.
Die erste eindeutig „unverhüllte“
Lehraussage richtet Jesus direkt an die Volksmenge (Mk 7:14ff).
„Und er rief das Volk wieder zu sich
und sprach zu ihnen: Hört mir alle zu und begreift's! Es gibt
nichts, was von außen in den Menschen hineingeht, das ihn unrein
machen könnte; sondern was aus dem Menschen herauskommt, das ist's,
was den Menschen unrein macht.“
Auch die jeweilige Aufforderung von
Jesus zum Zuhören scheint dieser Veränderung in der Redeweise zu
entsprechen. Im großen Gleichniskapitel 4 hieß es:
Mk 4:3 Hört zu! Siehe (ἰδοὺ -
idou), …
Mk 4:24 Und er sprach zu ihnen: Schaut
(Βλέπετε - Blepete), was ihr hört!
Während Jesus in den Gleichnisreden zu
einem entsprechend bildhaften Verstehen auffordert, lautet die
Aufforderung in
Mk 7:14 Hört mir alle zu und
begreift's (σύνετε - synete)!
Das Verb "συνίημι" (suniémi)
meint wörtlich „zusammensetzen“, (eins und eins)
„zusammenbringen“, und bezeichnet damit eine reine
Verstandestätigkeit, die der klareren Redeweise von Jesus ab dem 7. Kapitel zu
entsprechen scheint.
4) Im großen Gleichsniskapitel 4 ist
erstmals das Thema des Unverständnisses der Hörer angesprochen:
Mk 4:10-13: „Und als er allein war,
fragten ihn, die um ihn waren, samt den Zwölfen, nach den
Gleichnissen. Und er sprach zu ihnen: Euch ist das Geheimnis des
Reiches Gottes gegeben; denen aber draußen widerfährt es alles in
Gleichnissen, damit sie es mit sehenden Augen sehen und doch nicht
erkennen, und mit hörenden Ohren hören und doch nicht verstehen,
damit sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben werde. Und er
sprach zu ihnen: Versteht ihr dies Gleichnis nicht, wie wollt ihr
dann die andern alle verstehen?“
Mit denjenigen, die nicht verstehen, scheinen an dieser Stelle „die um ihn waren samt den Zwölfen“
gemeint zu sein, die Volksmenge also scheinbar eingeschlossen. Im 7. Kapitel sagt Jesus alsdann zu den
Jüngern:
7:18 Und er sprach zu ihnen: Seid ihr
denn auch so unverständig?
Vorliegend ist lediglich das Wörtchen
„auch“ von Interesse und die Frage, wer damit gemeint ist. Der
vorhergehende Vers 7:17 lautet wörtlich:
Καὶ ὅτε εἰσῆλθεν εἰς
οἶκον ἀπὸ τοῦ ὄχλου, ἐπηρώτων αὐτὸν
οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ τὴν παραβολήν.
Und als er hineinkam ins Haus von der
Menge, befragten ihn die Jünger (von) ihm (nach) dem Gleichnis.
Der Vers sagt es nicht ausdrücklich,
legt aber nahe, dass es die gerade verlassene Volksmenge war, die
„auch“ so unverständig gewesen ist.
Das in Mk 7:17 verwendete Adjektiv
„unverständig“ (ἀσύνετοί – asynetoi) entspricht im
Altgriechischen wörtlich der oben erwähnten Aufforderung in Mk 7:14
„begreift's“ (σύνετε – synete). Aber auch der Aussage in
Mk 4:12
„11 ... denen aber draußen
widerfährt es alles in Gleichnissen, 12 damit sie es mit sehenden
Augen sehen und doch nicht erkennen, und mit hörenden Ohren hören
und doch nicht verstehen (συνίωσιν - syniōsin), damit sie
sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben werde.“
Das Markusevangelium ist berühmt für
das Thema des sogenannten "Jünger"-Unverständnisses. Aber auch die
Volksmenge scheint bei Markus dieses Unverständnis zu teilen.
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