Markus unterscheidet sich von den
anderen Evangelisten unter anderem dadurch, dass er häufig ein
bestimmtes Geschehen aus der Perspektive einer handelnden Person
berichtet. Während bei Matthäus, Lukas und Johannes ein gewisses
Ereignis „objektiv“ und für jeden sichtbar bezeugt wird, ist
dasselbe im Markusevangelium aus dem Blickwinkel „subjektiven“
Erlebens erzählt. Ein schönes der unzähligen Beispiele ist die
Geisttaufe in Mk 1,10:
WOW ! |
Und sogleich
καὶ εὐθὺς
aufsteigend aus dem Wasser
καὶ εὐθὺς
ἀναβαίνων ἐκ τοῦ ὕδατος
sah er
εἶδεν
sich spaltend die Himmel und
σχιζομένους τοὺς οὐρανοὺς καὶ
τὸ Πνεῦμα ὡς περιστερὰν
niedersteigend in ihn;
καταβαῖνον εἰς αὐτόν·
Interessanterweise ist der unwichtigere
Teil, Jesus „Aufsteigen“ aus dem Wasser noch objektiv
geschildert, der wichtigere, die Spaltung (Schize) des Himmels und
das Niedersteigen des Geistes in Jesus, jedoch subjektiv.
Man stelle sich einmal die ideale
Kameraführung für eine Verfilmung dieser Szene vor: Die Taufe durch
Johannes im Jordan in Mk 1,9 und der Beginn des Aufsteigens aus dem
Wasser werden ganz kurz aus einer gewissen Entfernung gezeigt. Aber
in der Bewegung des Aus-Dem-Wasser-Kommens zoomt die Kamera auf das
Gesicht Jesu, in slow motion öffnen sich seine Augen, intensiv
blickend. Alsdann wird – am besten aus der Perspektive unter Jesus'
Kinn - auf den aufreißenden Himmel geblendet, so dass man den steil
empor gerichteten Blick von Jesus und dessen weiteres Aufwärtssteigen
aus dem Wasser wahrnehmen kann, und - ihm quasi entgegenkommend -
strömt aus der Himmelsöffnung strahlend der Geist in ihn hinein.
Dann die Himmelstimme in Mk 1,11: „DU bist mein Sohn, der geliebte!
...“
Bei Matthäus hingegen würde die
komplette Taufszene am besten aus der Entfernung dargestellt werden.
Passend hierzu sagt bei ihm auch die Himmelsstimme: „DIES ist mein
Sohn, der geliebte“.
Ich glaube, dass Matthäus seinen
Lesern versichern wollte, dass dies wirklich geschehen ist, dass sie
dessen versichert sein können. Markus schildert hingegen eine
intensive Wahrnehmung, so als wolle er sagen: Was nützt es Dir, wenn
ich Dir tausendfach versichere, dass dies „wirklich“ geschehen
ist, solange Du nicht selbst die Stimme vernommen hast und Du Dich
nicht selbst von Gott als Kind angenommen fühlst.
Die anderen Evangelien vermitteln eine Wahrheit, die man unbeteiligt und ohne Gefahr als solche aufnehmen soll. Das Markusevangelium verlangt von seinen Lesern hingegen aktive Beteiligung, Hinein-Empfinden, intensives Miterleben, vertrauensvolles Standhalten, wo es endgültige Wahrheiten nicht gibt. Ich glaube, dass "Nachfolge Jesu" im markinischen Sinn nicht heißt, daran zu glauben, dass die Himmelsstimme so zu Jesus bei der Taufe gesprochen hat, sondern - dem Beispiel Jesu entsprechend - selbst in eigener Person zu Gott in eine liebevolle Vater-Kind-Beziehung einzutreten. Daher die Subjektivität der Darstellung.
P.S. Wunderbar finde ich die Verben der Bewegung des Sich-Entgegenkommens und Aufeinanderzustrebens von Jesus und dem Geist: ἀνα-βαίνων – auf-steigend und κατα-βαῖνον – nieder-steigend. Eigentlich ein Muss dies auch mit dem gleichlautenden Stamm "steigend" ins Deutsche zu übertragen.
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