Teil 1 – Das Buch Esther, der
Alpha-Text und Josephus
Königin Esther - via preciousoils.wordpress |
1) Das Markusevangelium zitiert in Mk
6,14-29 mehrmals aus dem Buch Esther. Ich frage mich vor allem, was
der Sinn dieser Zitate ist und möchte mir einige Gedanken darüber
machen, aus welchem Grund Markus an dieser Stelle auf Esther
anspielt.
Diese Frage wirft ein heikles Problem
auf. Die Geschichte über die schöne Esther ist uns nämlich in
drei, teilweise erheblich voneinander abweichenden Fassungen aus der
Antike überliefert sowie zusätzlich in einer Nacherzählung:
- der masoretische Text der hebräischen
Bibel (Mt)
- die griechische Fassung der
Septuaginta (LXX)
- der sogenannte griechische Alpha-Text, auch als A-Text bezeichnet (A)
- der griechische Bericht von Josephus Flavius in den „Jüdischen Altertümern“
- der sogenannte griechische Alpha-Text, auch als A-Text bezeichnet (A)
- der griechische Bericht von Josephus Flavius in den „Jüdischen Altertümern“
Man weiß also nicht, welches
Esther-Buch Markus eigentlich kannte. Die Behauptung, dass Markus
daraus zitiert hätte, entbehrt somit nicht einer gewissen Komik. Ich
habe mir deshalb die unterschiedlichen Fassungen von Esther etwas
näher angesehen. Mein vorsichtiger Eindruck ist, dass Markus – ebenso wie Josephus – möglicherweise mehrere Esther-Bearbeitungen
kannte oder eine Fassung, die nicht nur mit der LXX vergleichbar ist, sondern auch
mit dem Alpha-Text. (In der Bibliothek von
Qumran wurde das Buch Esther übrigens nicht gefunden - als einziges
Buch der hebräischen Bibel.)
Im ersten Teil dieses Beitrags möchte
ich zunächst nur etwas zu den unterschiedlichen Esther-Büchern sagen
und auf bestimmte Motive der Esther-Geschichte sowie einige
literarische Tricks und Techniken des Buches Esther hinweisen.
Abschließend möchte ich zeigen, dass die Nacherzählung von
Josephus an einigen Stellen mit dem Alpha-Text (A) gegen Mt und LXX
übereinstimmt. Dies, um sicher sein zu können, dass der Alpha-Text
keine wesentlich spätere Nachbearbeitung der LXX-Fassung ist,
sondern - zumindest in einer Urfassung oder nahestehenden Bearbeitung
- ebenfalls schon um die Zeitenwende vorlag (- auch wenn er textlich
nur durch Bibeln belegt ist, die nach dem Jahr 1000 entstanden sind). In seinem 2009 erschienen Esther-Kommentar beschreibt Harald
Wahl den Stand der aktuellen Diskussion dahingehend, dass die meisten Spezialisten
davon ausgehen, dass ein Vorläufer des A-Textes (protoA) älter ist als die LXX
(bei ihm als B-Text bezeichnet), vielleicht sogar älter als der masoretische
Text.
Die Schlussfolgerung, die ich gern ziehen möchte, liegt natürlich auf der Hand: Hat Josephus den A-Text gekannt, dann könnte ihn auch Markus gekannt haben.
Die Schlussfolgerung, die ich gern ziehen möchte, liegt natürlich auf der Hand: Hat Josephus den A-Text gekannt, dann könnte ihn auch Markus gekannt haben.
2) Für den deutschsprachigen Leser
sind wichtige Unterschiede zwischen Mt und LXX erkennbar, wenn er
z.B. die (kleine) Luther oder die Elberfelder mit der Einheitsübersetzung
vergleicht.
Luther und Elberfelder sind
Übersetzungen nur des Mt, während die Einheitsübersetzung ein
„Mischtext“ ist. Dieser enthält eine Übersetzung des
hebräischen Textes (Mt) mit den (sogenannten) Zusätzen aus der
Septuaginta (LXX). Diese LXX-Zusätze sind in besonderer Weise,
nämlich mit Kleinbuchstaben, gekennzeichnet. Das erste Kapitel der
Einheitsübersetzung des Buches Esther bietet beispielsweise zunächst
die LXX-Verse 1 a) bis 1 r) und alsdann die Mt-Verse 2 bis 22.
P.Oxy. 4443, LXX E16-9.3, 1./2. Jhdt. via Oxyrhynchus online |
Die Ergänzungen, die im Mt fehlen,
aber in LXX und A enthalten sind, kann man wie folgt überschreiben:
a) Traum des Mordechai
b) Wortlaut des Vernichtungs-Edikts
gegen die jüdische Bevölkerung
c) Gebete von Mordechai und Esther
d) Esthers Gang zum König
e) Wortlaut des Gegen-Edikts
f) Deutung des Traums von Mordechai
Aus der Nacherzählung von Josephus
(Jüdische Altertümer, Buch 11, Kapitel 6) ergibt sich nun, dass er
die Esther-Geschichte einerseits mit den Zusätzen (b, c, d, e)
kannte, andererseits aber auch an einigen Stellen mit dem hebräischen Text
übereinstimmt, wo dieser von der LXX und dem A-Text abweicht. Ob ihm
die Fassung mit dem Traum des Mordechai und dessen Deutung (a, f)
unbekannt war oder ob er diese nur nicht erwähnte, muss offen
bleiben. Im Übrigen enthält die Nacherzählung von Josephus aber
auch Ergänzungen, die weder im hebräischen noch in den griechischen
Fassungen zu finden sind. Ob Josephus eine andere Esther-Bearbeitung
kannte, mehrere Fassungen oder inwieweit er eigene bzw. ihm bekannte
Interpretationen in seine Nacherzählung einfließen ließ, ist
ungeklärt.
Der ansonsten wichtigste Unterschied
zwischen dem hebräischen Mt und den griechischen Bearbeitungen ist,
dass in den beiden letzteren Gott aktiv in das Geschehen eingreift.
In der hebräischen Fassung, die zudem weitaus satirischer und
weniger „barock“ gestaltet wurde, ist Gott „abwesend“.
Die LXX-Fassung und der A-Text
unterscheiden sich vor allem dadurch, dass A kürzer ist, jedoch auch
einige kleinere Zusätze enthält. Im Wortlaut können einzelne Verse
stark abweichen, andere hingegen fast gleichlautend sein. An mehreren
Stellen stimmt der Alpha-Text mit dem hebräischen Mt gegen die LXX
überein. Thematisch scheint
die LXX ein größeres Interesse an Esther zu haben, während A etwas
mehr Gewicht auf die Auseinandersetzung zwischen Mordechai und Haman
legt.
3) Das Buch Esther
Wie man weiß, ist das Buch Esther die Gründungslegende des Purimfestes. Die schöne Esther wird Königin am persischen Hof und gemeinsam mit ihrem Onkel Mordechai gelingt es ihr, die vom Judenverfolger Haman ausgehende, drohende Vernichtung aller Juden abzuwenden.
Wie man weiß, ist das Buch Esther die Gründungslegende des Purimfestes. Die schöne Esther wird Königin am persischen Hof und gemeinsam mit ihrem Onkel Mordechai gelingt es ihr, die vom Judenverfolger Haman ausgehende, drohende Vernichtung aller Juden abzuwenden.
Zugleich ist es aber auch eine Komödie
über Hofintrigen und weist einige einfache, aber durchaus gelungene
literarische Tricks auf, denen es sicher seine große Beliebtheit in
der Antike verdankte. Einige Motive der Erzählung:
Der König
Im Mittelpunkt des Geschehens steht der
persische König mit seiner allumfassenden Macht. Zugleich ist er ein
von Gefühlsaufwallungen gesteuerter Mann. SEIN „Grimm“ und SEIN
„Zorn“ sind in der Erzählung königliche Eigenschaften, die zu
ihm ebenso gehören wie SEIN Zepter und SEIN Thron. Dieser König ist
deshalb leicht lenkbar, wenn man den geeigneten Moment abpasst, seine
Gefühlslage errät und die richtigen ehrerbietigen Worte findet. Sie
begegnen gleich im ersten Kapitel, als Königin Waschti sich dem
Willen des Königs verweigert, als zu „begaffendes“ Schauobjekt
auf dem Männergelage zu erscheinen (Mt 1,12: „Da wurde der König
sehr zornig, und sein Grimm entbrannte in ihm.“). Der Ratgeber
Memuchan bringt nun die treffenden Worte vor (Mt 1,19: „Gefällt es
dem König, so lasse man ein königliches Gebot von ihm ausgehen
...“). Solchen Worten kommt der König stets nach (Mt 1,21 „Das
gefiel dem König und den Fürsten und der König tat nach dem Wort
Memuchans.“)
Auf ähnliche Weise gelingt es Haman,
das Vernichtungsedikt gegen die jüdische Bevölkerung zu erwirken
(Mt 3,9 „Gefällt es dem König, so lasse er schreiben, dass man
sie umbringe“), Esther, den König mit Haman zu ihren beiden
Festmählern einzuladen (Mt 5,4 „Gefällt es dem König, so komme
der König mit Haman heute zu dem Mahl“, Mt 5,8 „Hab ich Gnade
gefunden vor dem König und gefällt es dem König, meine Bitte zu
gewähren ...“) und das Vernichtungsedikt gegen die Juden
abzuwenden (Mt 7,3 „Hab ich Gnade vor dir gefunden, o König, und
gefällt es dem König, so gib mir mein Leben um meiner Bitte willen
und mein Volk um meines Begehrens willen.“, Mt 8,5: „Gefällt es
dem König und habe ich Gnade gefunden vor ihm, und dünkt es den
König recht und gefalle ich ihm, so möge man die Schreiben mit den
Anschlägen Hamans ...“) und schließlich die weitere Vernichtung
der jüdischen Gegner zu bewirken (Mt 9,13: „Gefällt's dem König,
so lasse er auch morgen die Juden in Susa tun nach dem Gesetz für
den heutigen Tag, aber die zehn Söhne Hamans soll man an den Galgen
hängen.“) Im gleichen Maß, in dem Esthers Worte gegenüber dem
König immer ehrerbietiger werden, gelingt es ihr, immer mehr ihren
eigenen Willen durchzusetzen. Für den Leser, der hinter dem Aufbrausen die Schwäche des Königs
durchschaut, werden diese Worte zum „running gag“ und einem
Merkzeichen der Erzählung.
Haman, der König und die enttäuschten
Erwartungen
Eine weiteres Motiv der Erzählung ist
die Enttäuschung von „bösen“ und „überheblichen“
Erwartungen. Das Schicksal verspottet die Ungerechtigkeit. Haman
glaubt irrtümlich, der König wolle ihn selbst ehren, und denkt sich
für sich selbst eine besonders prachtvolle Ehrung aus (Mt 6,7-9). In
Wahrheit ist es aber Hamans Gegner Mordechai, der geehrt wird, und
Haman muss gedemütigt die Ehrung an Mordechai vollziehen (Mt
6,10-11). Gleichermaßen plant Haman, Mordechai aufhängen zu lassen
und errichtet dafür bereits einen hohen Pfahl (Mt 5,14). Am Ende ist
es jedoch Haman selbst, der daran aufgehängt wird (Mt 7,9-10).
Der König seinerseits verstößt seine
Königin Waschti, die sich lediglich entsprechend der Würde einer
Königin verhalten hat und will sich eine neue Königin wählen. Nach
Memuchans Rat soll diese „besser“ sein, damit „alle Frauen ihre
Männer in Ehren halten bei Hoch und Niedrig“ und „ein jeder Mann
der Herr in seinem Hause sei“ (Mt 1,19-22). Zum Schluss ist nach
der Erzählung aber „Esther“ die Herrin im Hause, die ihren
Ehemann ganz nach Belieben lenkt. Der König fragt im Verlauf der
Erzählung immer eindringlicher nach Esthers Wünschen (Mt 9,14: „Was
bittest du, dass man dir's gebe? Und was begehrst du mehr, dass man's
tue?“). Nachdem Esther ihre Wünsche – natürlich höchst
ehrerbietig – geäußert hat, heißt es nur noch (Mt 9,15): „Und
der König befahl, so zu tun.“
Haman wird im Verlauf der Erzählung
immer überheblicher. Er steigt in der Gunst des Königs „über
allen Fürsten“ auf, erwartet von allen hohe Ehrerbietung und
prahlt mit dieser. Schließlich nimmt er selbst Züge des Königs an.
Auch er wird grimmig (Mt 3,5) und überaus zornig (Mt 5,9). In seinem Irrtum, dass er selbst und nicht Mordechai vom
König geehrt wird, wünscht er sich königliche Kleider und ein königliches
Pferd, um selbst ganz wie ein König in der Öffentlichkeit auftreten zu können. Er ist
höchst beglückt über die Einladungen zum Mahl bei der Königin und
stellt dies bereits nach außen so dar, dass ER eingeladen sei - mit
dem König (Mt 5,12). Haman ist zweiter Mann im Königreich, schielt aber
heimlich darauf, des Königs Stelle einzunehmen. Zu Recht sprechen
die LXX und A von ihm als dem „Prahlhans“. In dem Maße, in dem
der eitle Haman immer mehr die Launen des Königs annimmt, erscheint dem
Leser aber auch der launenhafte König selbst als „aufgeblasener Prahlhans“.
Esthers Entwicklung
Esther wird zunächst als gehorsames
Mädchen dargestellt, dass sich streng an die Weisungen ihrer
Beschützer hält. Auf Mordechais Rat hält sie zunächst ihre
Volkszugehörigkeit geheim (Mt 2,10: „Aber Ester sagte ihm nichts
von ihrem Volk und ihrer Herkunft; denn Mordechai hatte ihr geboten,
sie solle es nicht sagen.“) Obwohl man der Jungfrau, die zum König
geht, „alles geben musste, was sie wollte,“ (Mt 2,13) folgt
Esther strikt den Vorgaben von Hegai, dem Hüter der Frauen. (Mt 2,15
„Als nun für Ester, ... die Zeit herankam, ... begehrte sie nichts, als was Hegai, ... sagte.“) Auch nach ihrer Krönung
hält sie sich noch streng an Mordechais Ratschläge (Mt 2,20: „Und
Ester hatte noch nichts gesagt ...,
wie ihr Mordechai geboten hatte; denn Ester tat nach dem Wort
Mordechais wie zur Zeit, als er ihr Pflegevater war.“)
Die Persönlichkeit von Esther nimmt
eine Wendung, als Mordechai ihr aufträgt, beim König für die
Rettung der Juden zu bitten und dabei an ihre jüdische Identität
appelliert. Esther nimmt die Sache schließlich selbst in die Hand,
ist bereit, ihr Leben zu wagen, wird zur würdevollen Königin und erteilt nun ihrerseits Mordechai
Anweisungen (Mt 4,15-16 „Ester ließ Mordechai antworten: So geh
hin und versammle alle Juden, die in Susa sind, und fastet für mich, ...
Auch ich und meine Dienerinnen wollen so fasten. Und dann will ich
zum König hineingehen entgegen dem Gesetz. Komme ich um, so komme
ich um.“) Es ist nun Mordechai, der sich an Esthers Willen hält
(Mt 4,17: „Mordechai ging hin und tat alles, was ihm Ester geboten
hatte.“)
Andrei Rjabuschkin: Esther wagt ihr Leben und erscheint
ungerufen vor dem König - via commons.wikimedia
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Aus dem unschuldigen Mädchen und der listigen Königin wird zuletzt aber auch die gnadenlose Rachegöttin, die alle Feinde der Juden zu vernichten sucht (9,5: „So schlugen die Juden alle ihre Feinde mit dem Schwert und töteten und brachten um und taten nach ihrem Gefallen an denen, die ihnen Feind waren.“) und um die Verlängerung des Blutvergießens bittet (9,13 „Gefällt's dem König, so lasse er auch morgen die Juden in Susa tun ..., aber die zehn Söhne Hamans soll man an den Galgen hängen.“)
Die Boten
Ein Randthema, dass besonders der Mt und die LXX entwickeln,
sind die Boten, die ausgeschickt werden, um die Anordnungen des Königs und späterhin
auch Mordechais und Esthers in allen Ländern zu verkünden. Zunächst das
Schreiben nach Waschtis Absetzung (1,22), dann das Vernichtungsedikt von Haman
(3,13), das Gegen-Edikt (8,10.14.17), Mordechais Schreiben (9,20) und
schließlich das zweite Schreiben von Esther und Mordechai über die Einsetzung
des Purimfestes (9,30). Als Beispiel hier 8,14: „Und die reitenden Boten auf
den besten Pferden ritten aus schnell und eilends nach dem Wort des Königs, und
das Gesetz wurde in der Festung Susa angeschlagen.“
Daneben tauchen aber auch Boten auf, die nur „Worte“
überbringen. Zunächst der Befehl des Königs an Waschti (1,10), danach
Mordechais Anzeige über den geplanten Mordanschlag auf den König, die Esther
übermittelt (2,22), der treue Eunuch Hatach, der zwischen Esther und Mordechai
Botschaften überbringt (4,5) und Haman, der die Ehrung Mordechais durch den
König in der Öffentlichkeit verkünden muss (6,10-11).
Die Anspielung auf andere Schriften der hebräischen Bibel
Die Anspielung auf andere Schriften der hebräischen Bibel
Das Buch Esther nimmt Bezug auf Genesis, Exodus und 1
Samuel. Besonders deutlich wird dies bei der Charakterisierung der Gegner
Mordechai und Haman. Mordechai kommt aus dem Stamm Benjamin (2,5), Haman ist
Agagiter (3,1). In 1 Samuel 15 standen sich bereits König Saul aus dem Stamm
Benjamin und Agag, der König der Amalekiter, gegenüber. Allein durch ihre
Vorfahren werden Mordechai und Haman im Buch Esther also als Todfeinde
ausgewiesen. Auch das Buch Exodus mag hier in Bezug genommen sein (2. Mo
17,14-16: „Und der HERR sprach zu Mose: ... denn ich will Amalek unter dem
Himmel austilgen, dass man seiner nicht mehr gedenke. Und Mose ... sprach: ...
Der HERR führt Krieg gegen Amalek von Kind zu Kindeskind.“)
In vielen Einzelheiten ähnelt Esther zudem Josef und Moses während ihres Wirkens in Ägypten.
In vielen Einzelheiten ähnelt Esther zudem Josef und Moses während ihres Wirkens in Ägypten.
4) Josephus und der Alpha-Text
Um zunächst keinen falschen Eindruck
hervorzurufen: Die Nacherzählung von Josephus Flavius scheint im
Ganzen vorrangig auf der griechischen LXX zu
beruhen bzw. auf einer ihr nahestehenden Fassung. Sie
unterscheidet sich vom Alpha-Text in vielen Punkten. Gleichzeitig
enthält sie aber auch einzelne Informationen und Wendungen, die
ausschließlich im A-Text vorkommen. Dies spricht dafür, dass
Josephus den A-Text neben Mt und LXX zusätzlich kannte oder ihm die
Esther-Geschichte in einer Textfassung vorlag, die bereits eine
Mischung aus Mt, LXX und A war, so dass der A-Text oder ein Vorläufer von A jedenfalls zu Zeiten von Josephus bereits vorlag.
Dies ist auch die Meinung der
Übersetzerinnen der Esther-Bücher LXX und A in der „Septuaginta
Deutsch“, Kristin De Troyer und Marie-Theres Wacker, die übrigens
eine wirklich fantastische Übersetzung erarbeitet haben: „Da der
jüdische Historiker Flavius Josephus in seiner Nacherzählung der
Estergeschichte (11. Buch der 'Jüdischen Altertümer') die A-Version
zu kennen scheint, dürfte sie selbst noch zur Zeit des Zweiten
Tempels (vor 70 n.Chr.) wohl in Palästina entstanden sein.“
Ich will dies hier an 5 kleinen
Beispielen zeigen, die man beliebig verlängern kann:
a. Nur Josephus und der A-Text erwähnen, dass des Königs
Fest in Esther 1:6 in einem „Zelt“ stattfindet. Mt und die LXX erwähnen
hingegen aufgehängte Tücher und Stoffe.
Josephus AJ 11.6.1 (187)
„σκήνωμα πηξάμενος“
|
A-Text 1:6
„και σκηνή τεταμένη“
|
LXX 1:5-6
„τεταμένοις ἐπὶ
σχοινίοις βυσσίνοις καὶ πορφυροῖς“
|
Mt 1:6
|
„Aus goldenen und silbernen Säulen ließ er ein Zeltgerüst
aufführen ...“
|
„... und ein Zelt … mit Gold überzogenen Säulen aus parischen
Marmor“
|
„… Hof des Königshauses, der geschmückt war mit
Bysussleinen und Flachs, aufgespannt an Stricken aus Byssus und Purpur über
goldenen und silbernen Würfeln an Säulen aus parischem Marmor und aus Stein“
|
„Da hingen (waren befestigt) weiße, rote und blaue Tücher,
mit leinenen und scharlachroten Schnüren eingefasst, in silbernen Ringen an
Marmorsäulen.“
|
b. Nur Josephus und der A-Text enthalten die Aussage
Mordechais gegenüber Esther, dass „Gott“ den Juden helfen wird, wenn sie es
nicht tut. Mt und die LXX erwähnen, dass den Juden Hilfe von einem „andern Ort“
zuteil werden wird.
Josephus AJ 11.6.7 (227) „ἔσεσθαι
μὲν αὐτῷ βοήθειαν παρὰ τοῦ θεοῦ πάντως“
|
A-Text 4:14 „άλλ' ό θεός έσται αύτοΐς βοηθός καϊ
σωτηρία“
|
LXX 4:14 „ἄλλοθεν
βοήθεια καὶ σκέπη ἔσται“
|
Mt 4:14
|
„wenn sie selbst sich auch dazu nicht verstehen wolle, so
werde der Herr schon auf die Rettung desselben bedacht sein“
|
„Wenn du über Dein Volk hinwegsiehst, indem du ihnen nicht
hilfst, so wird doch Gott ihnen Hilfe und Rettung sein ...“
|
„denn wenn du zu diesem Zeitpunkt weghörst, dann werden
die Juden von anderswoher Hilfe und Schutz haben“
|
„Denn wenn du zu dieser Zeit schweigen wirst, so wird eine
Hilfe und Errettung von einem andern Ort her den Juden erstehen ...“
|
c. Nur Josephus und der A-Text erwähnen, dass das von Haman
erwirkte Vernichtungsedikt u.a. an die „Satrapen“ gerichtet ist. Im Mt fehlt
der Wortlaut dieses Schreibens, die LXX nennt „Toparchen“.
Josephus 11.6.6 (216) „καὶ
ἑκατὸν
σατραπειῶν ἄρχουσι τάδε γράφει“
|
A-Text 3:14 (B:1): „καϊ επτά χωρών άρχουσι καϊ σατράπαις
τάδε γράφει“
|
LXX B:1 „ἑκατὸν εἴκοσι
ἑπτὰ
χωρῶν ἄρχουσι
καὶ τοπάρχαις
ὑποτεταγμένοις τάδε γράφει“
|
Mt
|
„Artaxerxes, der große König, lässt den 127 Satrapen von
Indien bis Äthiopien also entbieten“
|
„Der Großkönig Assveros schreibt an die Obersten der 127
Länder, von Indien bis Äthiopien, und an die Satrapen Folgendes:“
|
„Der Großkönig Artaxerxes schreibt Folgendes an die
Obersten der 127 Länder, von Indien bis Äthiopien, und an die untergeordneten
Toparchen:“
|
Der Wortlaut des Edikts Hamans im Namen des Königs ist
nicht im Mt enthalten.
|
d. Bei Esthers Einladung zum ersten Mahl heißt es nur bei
Josephus und im A-Text, dass Esther zum König sagt: Du und Dein Freund Haman.
Der Wortlaut in Mt und der LXX ist nur „Du und Haman“.
Josephus 11.6.9 (242): „μετὰ
Ἀμάνου τοῦ φίλου“
|
A-Text 5:4 (D:14) „εϊσελθε συ καϊ Αμάν ό φίλος σου εις τον
πότον“
|
LXX 5:4 „καὶ αὐτὸς
καὶ Αμαν εἰς τὴν δοχήν “
|
Mt 5:4
|
„Esther jedoch bat ihn nur, mit seinem Vertrauten Haman zu
ihr speisen zu kommen“
|
“Wenn es nun dem König (gut) erscheint, komme du und Dein
Freund Haman zum Trinkgelage... “
|
“Wenn es nun dem König (gut) scheint, komme er und auch
Haman zum Mahl ...“
|
„Gefällt es dem König, so komme der König mit Haman heute
zu dem Mahl ...“
|
e. Im Wortlaut des von Esther erwirkten Gegen-Edikts wird
nur bei Josephus und im A-Text der König so zitiert, dass er sich zukünftig
nicht mehr Verleumdungen nutzbar machen wolle. Mt enthält den Wortlaut dieses
Brief nicht, in der LXX heißt es, dass der König sich zukünftig die
„Veränderungen nutzbar“ machen wolle.
Josephus 11.6.12 (276): „ὡς
διαβολαῖς μὲν καὶ κατηγορίαις μὴ προσέχειν“
|
A-Text 8:24 (E:9) „οΰ χρώμενοι ταΐς διαβολαΐς,“
|
LXX E:9 „χρώμενοι
ταῖς μεταβολαῖς τὰ δὲ ὑπὸ“
|
Mt
|
„Entschluss gekommen, bloßen Anklagen und Beschuldigungen
kein Gehör zu geben“
|
„... dass wir zukünftig auf die Grausamkeit der Mächtigen
achten …, indem wir uns die Verleumdungen nicht zunutze machen ...“
|
“Wir werden uns vornehmen, … indem wir uns die
Veränderungen zunutze machen ...“
|
Der Wortlaut des Gegen-Edikts ist nicht im Mt enthalten.
|
Insbesondere hinsichtlich des Beispiels
e. - und wohl auch c. - könnte der A-Text meines Erachtens die ursprünglichere
Lesart enthalten.
5) Schluss
via bibelwerk.ch |
Zu guter Letzt sei auf das schöne Büchlein von Marie-Theres
Wacker, „Ester: Jüdin – Königin – Retterin“, Katholisches Bibelwerk, 2006, verwiesen. Eine liebevolle,
hochmoderne und tiefschürfende Auslegung des Buches Esther (und Anregungen zur
Gemeindearbeit) zum äußerst günstigen Preis.
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Quellen dieses Beitrags
Esther A-Text/LXX - Griechisch parallel
Esther LXX Griechisch/Englisch
Esther LXX/A-Text - Englisch parallel
Josephus - Griechisch
Josephus - Deutsch
(Deutsche Zitate aus LXX und A-Text nach der „Septuaginta
Deutsch“, leider nicht online.)
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