1) Markus´ Erzählung von der
Enthauptung Johannes des Täufers ist weltberühmt und vielfach von
Malern, Schriftstellern und Musikern interpretiert worden. In der
Regel richtet sich die Aufmerksamkeit des Lesers in dieser Szene auf
die von Markus „gemalte Blume des Bösen und Makabren“. So auch
die des ehrwürdigen Lohmeyer, der zur sprachlichen Gestaltung
treffende Worte gefunden hat:
A. Tiarini: Der Täufer und Herodes (Mk 6:20 "... wenn er ihn hörte, wurde er verlegen; doch hörte er ihn gerne.") |
"Die Sprache ... ist sparsam bis
zum Äußersten, schildert nicht farbig und im Einzelnen die
Gegensätze, die hier ineinander greifen, verschweigt auch fast alle
seelischen Motive; sie erzählt unbestechlich und gleichsam
teilnahmslos. Die Erzählung nimmt für keinen Partei, weder für den
Täufer noch gegen den Fürsten, höchstens vielleicht für (!) die
Fürstin. Denn dass sie gegen alle Widerstände ihren Plan
durchsetzt, mit List und Brutalität und Rücksichtslosigkeit gegen
die eigene Tochter, das ist der Geschichte wahrer Inhalt; aber sie
verurteilt auch die Fürstin nicht."
In der Tat ist diese Szene im
Markusevangelium ohne Rührung dargestellt. Das „Auftragen“ des
abgeschlagenen Täuferkopfes auf einem Tablett beim Festmahl von
Herodes hat dann auch schon bei einem Kommentator die zynische
Rückfrage ausgelöst, wie denn wohl serviert worden sei. Etwa mit
einer Portion Pommes? Beim zweiten Lesen der Geschichte bemerkt man
zudem, dass Markus auf anscheinende Nebensächlichkeiten Gewicht
legt. Er zitiert etwa mehrmals aus dem Buch Esther und stellt das
wiederholte Hinein- und Hinausgehen der tanzenden Tochter heraus, was
den provozierenden Eindruck erweckt, dass es Markus wesentlich
wichtiger war, die Abwesenheit der Frauen beim Festmahl der
Männergesellschaft zu betonen, als Mitgefühl mit dem Täufer zu zeigen und Partei gegen die tödliche
Intrige zu ergreifen.
Warum also ist der kühle Markus sogar hier im Angesicht des Makabren so kalt und
distanziert?
2) Eine Antwort auf diese Frage ergibt
sich meines Erachtens, wenn man in dieser Geschichte nicht zuerst auf
„Sex and Crime“ achtet, sondern sie „von den Rändern her“
liest. Die Auseinandersetzung beginnt mit der Zurechtweisung des
Herodes durch den Täufer in Mk 6:18:
„Gesagt hatte nämlich der Johannes
dem Herodes: 'Nicht erlaubt ist (Οὐκ ἔξεστίν) Dir, zu
haben die Frau Deines Bruders.'“
Nun gibt es keinen ernsthaften
Bibelwissenschaftler, der diese Stelle nicht bemerkt hätte und nicht
ausdrücklich darauf hinweist, dass Johannes sich in seiner Kritik an
Herodes offenbar auf 3. Mose 18,16 beruft: „Du sollst mit der Frau
deines Bruders nicht (geschlechtlichen) Umgang haben; denn damit
schändest du deinen Bruder.“
Bei einer knappen Recherche konnte ich
jedoch keinen Exegeten finden, der die Bedeutung dieser Aussage
erkannt hätte. Johannes argumentiert hier nämlich in der Art und
Weise der Pharisäer, der Gegner von Jesus. Er beruft sich gegenüber
Herodes auf das „Gesetz“.
Zum Streit um das „Gesetz“ zwischen
den Pharisäern und Jesus finden wir im Markusevangelium vier
Stellen: das Ährenraufen am Sabbat (Mk 2,23ff), die Heilung der
vertrockneten Hand am Sabbat (Mk 3,1ff), die Frage nach der
Ehescheidung (Mk 10,1ff) sowie die Frage nach der Steuer (Mk
12,13ff). In diesen Szenen finden wir jeweils die Phrase des
„Erlaubten“ bzw. „Rechtmäßigen“ (ἔξεστιν). In der
nachfolgenden Übersicht zunächst die Aussagen der Pharisäer:
Mk 2,24 „Und die Pharisäer sagten
ihm: 'Sieh doch, was sie tun am Sabbat, was nicht erlaubt ist (οὐκ
ἔξεστιν)?"
Mk 10,2 „Und hinzugekommen die
Pharisäer fragten ihn 'Ist es erlaubt (ἔξεστιν) einem Mann,
seine Frau zu entlassen' - ihn versuchend.“
Mk 12,14: „Ist es erlaubt (ἔξεστιν),
zu geben Steuer dem Kaiser oder nicht?“
Schließlich Jesus' Rückfrage in Mk
3,6: „Und er sagt ihnen: 'Ist es erlaubt (Ἔξεστιν), am
Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, Leben zu retten oder zu
töten?' Sie aber schwiegen.“
3) Aus der Debatte um die Ehescheidung
ist erkennbar, dass Jesus anders argumentiert. Er beruft sich nicht
auf das „Gesetz“ (Mk 10,3ff):
„Er aber, antwortend, sagte ihnen:
Was hat euch Mose befohlen? Sie aber sagten: Mose hat gestattet,
einen Scheidebrief zu schreiben und zu entlassen. Jesus aber sagte
ihnen: Wegen eurer Herzenshärte hat er euch dieses Gebot
geschrieben; aber von Anfang der Schöpfung an hat er sie geschaffen
als männlich und weiblich. Darum wird ein Mann seinen Vater und
seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen, und die zwei
werden ein Fleisch sein. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein
Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht
trennen.“
Der markinische Jesus argumentiert
gemäß der Logik der “Schöpfung Gottes“. Er verpflichtet auf
das, was man im Blick auf Paulus Schöpfungsethik genannt hat.
Ebenso in Mk 2,27: „Der Sabbat wegen
des Menschen wurde geschaffen und nicht der Mensch wegen des
Sabbats.“ Schließlich findet in Mk 3,1ff entgegen dem Sabbatgebot
die „Neuschöpfung“ der Hand statt.
Bemerkenswerter Weise erscheinen
Herodes und die Herodianer im Markusevangelium nie ohne die Pharisäer
bzw. in der vorliegenden Szene eben mit dem in der Art der Pharisäer
argumentierenden Täufer.
Neben der Szene der Heilung der
vertrockneten Hand am Sabbat (Mk 3,1ff) und der Frage nach der Steuer
(Mk 12,13ff) ist es die Warnung vor dem Sauerteig der Pharisäer und
des Herodes in Mk 8,15: „Und er gebot ihnen, sagend: Seht zu und
schaut euch vor vor dem Sauerteig der Pharisäer und vor dem
Sauerteig des Herodes.“
Die Frage taucht hier auf, wieso
Herodes und die Herodianer im Markusevangelium ständig gemeinsame
Sache mit den Pharisäern machen. Was haben die personifizierten
Sünder mit den personifizierten strengen Gesetzeslehrern zu tun?
4) Ein Blick auf die Beziehung zwischen
dem Täufer und Herodes:
Johannes hat Herodes Gesetzesbruch
vorgeworfen, deshalb hat Herodes den Täufer im Gefängnis
festgesetzt (eine schöne Rechtsverdrehung!). Entgegen der
Version von Matthäus ist Herodes jedoch nicht am Tod von Johannes interessiert. Ganz im Gegenteil beschützt er ihn sogar vor den
Mordplänen der Herodias. Die Beziehung ist nach der Gefangennahme
des Täufers wie folgt beschrieben:
Mk 6,20: „denn Herodes fürchtete
Johannes, erkennend ihn als einen gerechten und heiligen Mann, und
beschützte ihn, und gehört habend ihn, war er viel verlegen, und
gerne ihn hörte er.“
Herodes und der Täufer sprechen also
mehrfach miteinander (anders Jesus gegenüber seinen Richtern), die
Aussagen des Täufers bereiten dem Sünder Herodes zwar viel
Verlegenheit, gleichwohl „hört er ihn gerne“.
Das griechische Wort für „gern“
lautet hier: ἡδέως (hēdeōs), dass man aus dem Fremdwort
„hedonistisch“ kennt. Es bedeutet vordergründig „süß“ und
hat die weiteren Bedeutungen von erfreuend, lieblich, womit meist ein
„sinnlicher“ Genuss gemeint ist. In der antiken Literatur wird in
Bezug auf das Hören häufig ein Gesang als ἡδέως (hēdeōs) im
Sinne von „süß“ und „lieblich“ beschrieben.
Beim Hören von Johannes plagt den
Sünder Herodes also einerseits das schlechte Gewissen wegen seiner
Gesetzesübertretungen, andererseits weidet er sich behaglich daran.
Verbotene Früchte sind eben die süßesten!
5) Der kundige Paulus-Leser weiß
natürlich bereits seit der Überschrift, worauf ich hinaus will.
Nämlich auf Römer 7:5 („Denn solange wir dem Fleisch verfallen waren, da waren die sündigen Leidenschaften, die durchs Gesetz erregt wurden, kräftig in unsern Gliedern, sodass wir dem Tode Frucht brachten.“) und den 1. Korinther 15:56 („Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz.“).
Markus geht es in der vorliegenden
Erzählung anscheinend ebenfalls um die „Erregung der Sünde“
durch das Gesetz und das „Fruchtbringen dem Tod“. Das „Gesetz“
ist auch für ihn die „Kraft der Sünde“.
Es sollte also nicht verwundern, dass
Markus die herodianischen Sünder stets mit den pharisäischen
Gesetzeslehrern im Doppelpack darstellt und ihn auch die makabre
„Frucht des Todes“ auf dem Festmahl des Herodes recht kühl
lässt.
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