Donnerstag, 26. März 2015

Markus im Glauben


Für 2015 hatte ich mir unter anderem vorgenommen, ein wenig mehr über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Dabei interessiert mich besonders, wie Christen für sich selbst Anregungen aus dem Markusevangelium aufnehmen, die mit herkömmlichen Überlieferungen eher weniger harmonieren. 

via riconciliazionepace
Ein berühmtes Beispiel, das ich hier nur zur Erläuterung nenne, ist etwa die Unechtheit der Verse 16,9-20. Wie verhält man sich als gläubiger Christ, wenn man zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Vers 16,8 das echte Ende darstellt? Welche Überlegungen entwickelt man angesichts solcher Herausforderungen für den eigenen Glauben? Gelingt es sogar, positive Anregungen für sich zu finden? Was geschieht, wenn man als Christ die kraftvolle Dramatik des Markusevangeliums zu empfinden beginnt, aber auch den Sog spürt, der vielleicht von manchen „rosaroten“ christlichen Inhalten fortführt?

Unter der Rubrik „Markus im Glauben“ möchte ich von Zeit zu Zeit auf geistliche Texte hinweisen, denen dies nach meiner Einschätzung besonders gut gelingt. Texte, die einen „unverfälschten“ Markus wertschätzen und als Anregung zu positiven geistlichen Überlegungen dienstbar machen.

Die Meditation zum Palmsonntag am 29.03.2015 „Nicht schöngeredet“ von Pfarrer Heinz Vogel aus Waldkirch eröffnet diese Rubrik. Ein Auszug:

In der Leidensgeschichte Jesu, der Passion, bannt mich gleich die Frau, die Jesus mit dem wohlduftenden Nardenöl salbt. Es ist im Erzählen ein Augenblick der Ruhe, während das Evangelium sonst unentwegt weiterstrebt, als wäre nichts mehr zu halten. 'Überall auf der Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat.' (Mk 14,9). ... Gerade diese Frau, deren Namen wir nicht wissen, begreift, was es mit diesem Jesus von Nazaret auf sich hat. … Gerade die, die immer um ihn sind, ... begreifen nicht. Nicht begreifen. Das wird alles erzählt. Jene begreifen nicht, die viele Kirchen an den Säulen zieren, zu denen wir aufschauen, die Apostel, von denen sich unsere Bischöfe in ihrer Folge ableiten. Sie sind blind, während andere sehend werden.

Samstag, 14. März 2015

Markus, Josephus und das Buch Esther


Teil 1 – Das Buch Esther, der Alpha-Text und Josephus

Königin Esther - via preciousoils.wordpress
1) Das Markusevangelium zitiert in Mk 6,14-29 mehrmals aus dem Buch Esther. Ich frage mich vor allem, was der Sinn dieser Zitate ist und möchte mir einige Gedanken darüber machen, aus welchem Grund Markus an dieser Stelle auf Esther anspielt.

Diese Frage wirft ein heikles Problem auf. Die Geschichte über die schöne Esther ist uns nämlich in drei, teilweise erheblich voneinander abweichenden Fassungen aus der Antike überliefert sowie zusätzlich in einer Nacherzählung:

- der masoretische Text der hebräischen Bibel (Mt)
- die griechische Fassung der Septuaginta (LXX)
- der sogenannte griechische Alpha-Text, auch als A-Text bezeichnet (A)
- der griechische Bericht von Josephus Flavius in den „Jüdischen Altertümern“

Man weiß also nicht, welches Esther-Buch Markus eigentlich kannte. Die Behauptung, dass Markus daraus zitiert hätte, entbehrt somit nicht einer gewissen Komik. Ich habe mir deshalb die unterschiedlichen Fassungen von Esther etwas näher angesehen. Mein vorsichtiger Eindruck ist, dass Markus – ebenso wie Josephus – möglicherweise mehrere Esther-Bearbeitungen kannte oder eine Fassung, die nicht nur mit der LXX vergleichbar ist, sondern auch mit dem Alpha-Text. (In der Bibliothek von Qumran wurde das Buch Esther übrigens nicht gefunden - als einziges Buch der hebräischen Bibel.)

Im ersten Teil dieses Beitrags möchte ich zunächst nur etwas zu den unterschiedlichen Esther-Büchern sagen und auf bestimmte Motive der Esther-Geschichte sowie einige literarische Tricks und Techniken des Buches Esther hinweisen. Abschließend möchte ich zeigen, dass die Nacherzählung von Josephus an einigen Stellen mit dem Alpha-Text (A) gegen Mt und LXX übereinstimmt. Dies, um sicher sein zu können, dass der Alpha-Text keine wesentlich spätere Nachbearbeitung der LXX-Fassung ist, sondern - zumindest in einer Urfassung oder nahestehenden Bearbeitung - ebenfalls schon um die Zeitenwende vorlag (- auch wenn er textlich nur durch Bibeln belegt ist, die nach dem Jahr 1000 entstanden sind). In seinem 2009 erschienen Esther-Kommentar beschreibt Harald Wahl den Stand der aktuellen Diskussion dahingehend, dass die meisten Spezialisten davon ausgehen, dass ein Vorläufer des A-Textes (protoA) älter ist als die LXX (bei ihm als B-Text bezeichnet), vielleicht sogar älter als der masoretische Text.

Die Schlussfolgerung, die ich gern ziehen möchte, liegt natürlich auf der Hand: Hat Josephus den A-Text gekannt, dann könnte ihn auch Markus gekannt haben.


2) Für den deutschsprachigen Leser sind wichtige Unterschiede zwischen Mt und LXX erkennbar, wenn er z.B. die (kleine) Luther oder die Elberfelder mit der Einheitsübersetzung vergleicht.

Luther und Elberfelder sind Übersetzungen nur des Mt, während die Einheitsübersetzung ein „Mischtext“ ist. Dieser enthält eine Übersetzung des hebräischen Textes (Mt) mit den (sogenannten) Zusätzen aus der Septuaginta (LXX). Diese LXX-Zusätze sind in besonderer Weise, nämlich mit Kleinbuchstaben, gekennzeichnet. Das erste Kapitel der Einheitsübersetzung des Buches Esther bietet beispielsweise zunächst die LXX-Verse 1 a) bis 1 r) und alsdann die Mt-Verse 2 bis 22.

Mittwoch, 4. März 2015

Johannes der Täufer, das Gesetz und die Sünde


1) Markus´ Erzählung von der Enthauptung Johannes des Täufers ist weltberühmt und vielfach von Malern, Schriftstellern und Musikern interpretiert worden. In der Regel richtet sich die Aufmerksamkeit des Lesers in dieser Szene auf die von Markus „gemalte Blume des Bösen und Makabren“. So auch die des ehrwürdigen Lohmeyer, der zur sprachlichen Gestaltung treffende Worte gefunden hat: 

A. Tiarini: Der Täufer und Herodes (Mk 6:20 "... wenn er
ihn hörte, wurde er verlegen; doch hörte er ihn gerne.
")

"Die Sprache ... ist sparsam bis zum Äußersten, schildert nicht farbig und im Einzelnen die Gegensätze, die hier ineinander greifen, verschweigt auch fast alle seelischen Motive; sie erzählt unbestechlich und gleichsam teilnahmslos. Die Erzählung nimmt für keinen Partei, weder für den Täufer noch gegen den Fürsten, höchstens vielleicht für (!) die Fürstin. Denn dass sie gegen alle Widerstände ihren Plan durchsetzt, mit List und Brutalität und Rücksichtslosigkeit gegen die eigene Tochter, das ist der Geschichte wahrer Inhalt; aber sie verurteilt auch die Fürstin nicht."

In der Tat ist diese Szene im Markusevangelium ohne Rührung dargestellt. Das „Auftragen“ des abgeschlagenen Täuferkopfes auf einem Tablett beim Festmahl von Herodes hat dann auch schon bei einem Kommentator die zynische Rückfrage ausgelöst, wie denn wohl serviert worden sei. Etwa mit einer Portion Pommes? Beim zweiten Lesen der Geschichte bemerkt man zudem, dass Markus auf anscheinende Nebensächlichkeiten Gewicht legt. Er zitiert etwa mehrmals aus dem Buch Esther und stellt das wiederholte Hinein- und Hinausgehen der tanzenden Tochter heraus, was den provozierenden Eindruck erweckt, dass es Markus wesentlich wichtiger war, die Abwesenheit der Frauen beim Festmahl der Männergesellschaft zu betonen, als Mitgefühl mit dem Täufer zu zeigen und Partei gegen die tödliche Intrige zu ergreifen.

Warum also ist der kühle Markus sogar hier im Angesicht des Makabren so kalt und distanziert?


2) Eine Antwort auf diese Frage ergibt sich meines Erachtens, wenn man in dieser Geschichte nicht zuerst auf „Sex and Crime“ achtet, sondern sie „von den Rändern her“ liest. Die Auseinandersetzung beginnt mit der Zurechtweisung des Herodes durch den Täufer in Mk 6:18:

Gesagt hatte nämlich der Johannes dem Herodes: 'Nicht erlaubt ist (Οὐκ ἔξεστίν) Dir, zu haben die Frau Deines Bruders.'

Nun gibt es keinen ernsthaften Bibelwissenschaftler, der diese Stelle nicht bemerkt hätte und nicht ausdrücklich darauf hinweist, dass Johannes sich in seiner Kritik an Herodes offenbar auf 3. Mose 18,16 beruft: „Du sollst mit der Frau deines Bruders nicht (geschlechtlichen) Umgang haben; denn damit schändest du deinen Bruder.

Bei einer knappen Recherche konnte ich jedoch keinen Exegeten finden, der die Bedeutung dieser Aussage erkannt hätte. Johannes argumentiert hier nämlich in der Art und Weise der Pharisäer, der Gegner von Jesus. Er beruft sich gegenüber Herodes auf das „Gesetz“.