1) Zwischen Simon von Kyrene, Vater
von Alexander und Rufus, (Mk 15,21) und einer anderen Person des
Markusevangeliums, der Maria, Mutter von Jakobus dem Kleinen und
Joses (Mk 15,40; 15,47; 16,1), besteht eine Gemeinsamkeit: Es sind
Menschen, die uns im Schlussteil des Evangeliums begegnen und die
durch die Namen ihrer Kinder näher charakterisiert sind
Mk 15,40: Maria, Mutter von Jakobus und Joses. Und von Jesus? |
Beide bilden damit anscheinend einen
Gegensatz zu anderen Akteuren, die am Beginn des Evangeliums standen
und lange Zeit dominierten. Es waren Söhne, die durch ihre Väter
definiert waren, vor allem Jakobus und Johannes, die Söhne des
Zebedäus, (Mk 1,19-20; 3,17; 10,35), Levi, der Sohn des Alphäus (Mk 2,14) sowie Jakobus, der Sohn des Alphäus (Mk 3,18).
Im Abschnitt zwischen den „Vaterssöhnen“ und den
„Kindereltern“ (von Mk 10,35 bis Mk 15,21) finden wir Personen,
deren familiärer Status ein wenig schillert und etwas Zweideutiges
an sich hat. Es sind der Sohn des Timäus, Bartimäus (Bar-Timäus
ist übersetzt zugleich: Sohn des Timäus - Mk 10,46) und Barabbas
(Bar-Abbas übersetzt: Sohn des Vaters – Mk 15,7.15). Im ersten Fall
ist das Vaterschaftsverhältnis zugleich der Name, im zweiten Fall
bezeichnet der Name zugleich ein Vaterschaftsverhältnis. In diese
Richtung weist auch die Diskussion um die Davidssohnschaft des
Christus in Mk 12,35-37 (Ist der Christus der Sohn von David oder
sein Herr? Definiert sich der Christus durch „seinen“ Vater David
oder ist es nicht sogar David selbst, der in Psalm 110 seine eigene
Person durch den Christus als seinen Herrn definiert?)
2) In der Welt das Markusevangeliums
ist es nicht leicht, eine Frau zu sein und zugleich einen Namen zu
haben. Zwar begegnen uns von Beginn des Evangeliums an Frauen, sie
sind zunächst jedoch alle namenlos.
Frauennamen tauchen nur an zwei
Stellen des Markusevangeliums auf. In einigen Versen des 6. Kapitels und
in den letzten 16 Versen zwischen Mk 15,40 und Mk 16,8. Zunächst wird 4 Mal der Name einer Frau genannt, in den letzten 16 Versen
hingegen insgesamt 8 Mal, jeweils unter Einbeziehung der
Wiederholungen.
Der erste Frauenname im Markusevangelium findet sich in Mk 6,3. Es ist der Name der Mutter von Jesus: Maria. In diesem Vers geht es jedoch nicht um sie selbst, sondern nur um Jesus, der von den Synagogenbesuchern seiner Vaterstadt (der „Patris“) als „Sohn der Maria“ und „Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon“ definiert wird. Deutlich ist, dass seine Schwestern – wohl im Gegensatz zu Mutter und Brüdern - anwesend sind (Mk 6,5: „Sind nicht auch seine Schwestern hier bei uns?“), die jedoch namentlich nicht genannt werden und durch die Jesus auch nicht definiert wird. Maria erscheint nur in Mk 3,31 und zwar „draußen“ und ohne Namensnennung. Sie wird von Markus nur als „seine Mutter“ bezeichnet.
Der zweite und dritte Frauenname ist
der der Ehegattin des Herodes in Mk 6,17: Herodias. Er wird in Mk
6,19 wiederholt.
Der letzte Name in Mk 6,22 ist
ebenfalls Herodias, aber es ist textlich schwierig zu entscheiden, ob
damit die Gattin von Herodes oder die Tochter gemeint ist. Während
die weit überwiegende Mehrzahl der Handschriften die Lesart „τῆς
θυγατρὸς αὐτῆς τῆς Ἡρῳδιάδος“ (die
Tochter ihre der Herodias) enthält, sprechen u.a. die zwei
wichtigsten Handschriften (Codex Sinaiticus und Codex Vaticanus) für
eine problematischere Lesart: „τῆς θυγατρὸς αὐτοῦ
Ἡρῳδιάδος“ (die Tochter seine Herodias). Im ersten Fall
wäre das Mädchen die „namenlose Tochter der Herodias“, im
zweiten Fall die „Tochter des Herodes, die ebenfalls Herodias
heißt“. Es sind jedenfalls - auf der Ebene der Erzählung und
jenseits der Historie - Frauen, die die weibliche Form des
Mannesnamens tragen.
3) Erstmals taucht Maria in einer
kurzen Erzählung auf, die Markus ziemlich „spannend“ gestaltet
hat. In Mk 3,21 erfährt man, dass „die 'von ihm' ausgehen, um ihn
zu ergreifen. Sie sagten nämlich, dass er außer sich ist“. (Das
griechische Wort κρατῆσαι für „ergreifen“ ist das
gleiche, dass Markus u.a. für die Gefangennahme Johannes des Täufers
in Mk 6,17 sowie für die geplante und erfolgte Gefangennahme von
Jesus in Mk 12,12; 14,1.44.46.49 verwendet. An anderen Stellen hat es
die normale Bedeutung von „ergreifen“ und „halten“, so dass
man es durchgehend in dieser Bedeutung verstehen sollte.)
Man weiß an dieser Stelle noch nicht,
welche Personen mit der Bezeichnung „die von ihm“ gemeint sind.
Die Geschichte blendet dann auf die von Jerusalem
herabgekommenen Schriftgelehrten, die Jesus bezichtigen, mit dem
Teufel im Bunde zu sein und einen unreinen Geist zu haben. In Mk 3,31
kommen dann seine Mutter und seine Brüder (nach Codex Sinaiticus und
Codex Vaticanus aber nicht seine Schwestern) und man kann sie nunmehr
mit jenen „von ihm“, die in Mk 3,21 ausgegangen waren,
identifizieren. Sie betreten nicht das Haus, sondern „stehen
draußen“ und „senden zu ihm, ihn rufend“.
Jesus folgt jedoch nicht dem Ruf seiner
„biologischen“ Familie, sondern benennt in Mk 3,34-35 diejenigen,
die um „ihn herum sitzen“ und „die den Willen Gottes tun“ als
„mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter“, die neue
Familie Gottes. Mutter und Sohn begegnen sich nicht.
Meines Erachtens sprechen gute Gründe
dafür, dass es nicht Maria und die Brüder von Jesus sind, die
sagen: „Er ist außer sich“ (verrückt, von Sinnen), sondern dass
mit „sie“ die „Leute“ im allgemeinen gemeint sind, deren
Meinungen auch in Mk 6,14-15 sowie in Mk 8,27-28 geschildert werden.
Das Griechische verwendet für das unpersönliche „man“ die 3.
Person Plural.
4) Auch bei Jesus' Gegenbesuch in der
Vaterstadt (Mk 6,1ff) scheinen sich Maria und Jesus nicht zu
begegnen. Während die Schwestern von Jesus als in der Synagoge
anwesend bezeichnet werden (Mk 6,3), dient die Erwähnung von Beruf,
Mutter und Brüdern nur der Charakterisierung von Jesus durch die
anwesenden Synagogenbesucher. Mk 6,4: „Und zu ihnen der Jesus
sagte, dass nicht ist ein Prophet ungeehrt (ἄτιμος - atimos),
wenn nicht in seiner Heimat und bei seinen Angehörigen und in seinem
Haus.“
Der Konflikt zwischen Jesus und seiner
„biologischen“ Familie im Markusevangelium scheint ein
Ehrenkonflikt zu sein, in dem die Familienehre und die Ehre des
Gottesmannes widerstreiten (Bartimäus – der Sohn des Timäus
[Timäus übersetzt Ehrenhafte] würde hier sicher zustimmen). Die
Mama und die Brüder scheinen in Mk 3,21.31ff „nur“ zum
Schutz der Familienehre Jesus ergreifen und in „Gewahrsam“ nehmen zu
wollen.
5) War´s das mit Maria im
Markusevangelium?
Torsten Reiprich hat in seinem 2008
erschienenen schönen Buch „Das Mariageheimnis: Maria von Nazareth
und die Bedeutung familiärer Beziehungen im Markusevangelium“
dafür plädiert, in jener in Mk 15,40; 15,47 und 16,1 genannten
Maria, der Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses, die Mutter von
Jesus wiederzuerkennen.
Reiprichs Buch ist meines Erachtens vor
allem deshalb bewundernswert, weil es die Bedeutung von
Familienbeziehungen im Markusevangelium hervorhebt und den Konflikt
zwischen der von Jesus in Mk 3,34-35 ins Leben gerufenen „familia
Dei“ und der traditionellen antiken Familie mit ihren starken
Ehrbegriffen sowie ihren sozialen und ökonomischen Verflechtungen
nachzeichnet.
Wie steht es mit Reiprichs
Schlussfolgerung? Ist die Mutter von Jesus nun jene Maria, die Maria
des Jakobus des Kleinen und Joses´ Mutter? Seit dem Kirchenvater
Hieronymus lautet die lärmende Antwort auf diese Frage:
Pustekuchen! Das ist doch schlicht unmöglich, sonst hätte Markus
doch die Gottesmutter als solche bezeichnet!
Reiprich macht dagegen einen schönen
Fall, dass genau diese Erwartung von Hieronymus unmöglich ist. Nach
der markinischen Logik wäre es ausgeschlossen, dass Maria – falls
sie es ist - als Mitglied der alten antiken „biologischen“
Familie erscheint. Sie kann nur noch als neues Mitglied der
markinischen „familia Dei“ bei der Kreuzigung auftreten. In Mk
6,3ff war es Jesus, der durch seine Mutter und seine Brüder
charakterisiert wurde, jetzt ist es Maria, die durch zwei ihrer
Kinder (Jakobus und Joses) neu definiert ist.
Nach Mk 15,40 sind Maria, die
Magdalenerin, Maria, die des Jakobus und Joses´ Mutter, sowie Salome
von Galiläa aus Jesus nachgefolgt. Es sind Galiläerinnen. Was bei
Simon von Kyrene noch zweifelhaft war, kann von diesen Frauen mit
Sicherheit gesagt werden: Sie haben die Bedingungen aus Mk 10,29-30
erfüllt („Amen, ich sage euch: Es gibt niemanden, der Haus oder
Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder
Felder wegen mir und wegen des Evangeliums zurückgelassen hat, der
nicht das Hundertfache bekommen wird: jetzt, in dieser Zeit, Häuser
und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Felder …“).
Es wäre daher nicht erstaunlich, Maria hier in einer neuen Rolle und
mit neuen Schwestern vorzufinden.
Auch der Evangelist Johannes scheint
Markus so zu verstanden zu haben, denn er greift in Joh 19,26-27 das
gleiche Thema in „seiner“ Kreuzigungsszene auf: „Als nun Jesus
seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht
er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Danach spricht
er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an
nahm sie der Jünger zu sich.“
Ist das nun ein „Happy End“ für
die markinische Maria? Wohl nicht wirklich, wie Mk 16,8 zeigt, aber
jedenfalls ein wesentlich besseres und versöhnlicheres.
P.S.: In Ergänzung zu Reiprich meine
ich freilich, dass wer A sagt, auch B sagen muss. In Maria, Mutter
des Jakobus und Joses, die Mutter Jesu zu sehen, mag gar nicht so
schwer fallen. Aber die gleiche Logik gebietet natürlich, eine
andere weibliche Gestalt aus Kapitel 6 mit Salome zu identifizieren.
Markus hätte der Vaterstochter aus Mk 6,22 nun in Mk 15,40 und 16,1
ihren – auch historisch richtigen - Namen beigelegt. Das Wortspiel,
die Wandlung von der „Kriegerischen“ (Herodias) zur Friedvollen
(Salome), hätte ihm zweifelsfrei zugesagt. Leicht fällt diese
Schlussfolgerung aber gewiss nicht.
(Joe Wallack verdanke ich den Hinweis auf den Wechsel in der Personencharakterisierung im Markusevangelium von den "Vaterssöhnen" zu den "Kindereltern")
Danke für den Beitrag und das Lob ;-)
AntwortenLöschenDie Salomo-These ist spannend.
Ich sage mal so: Bei Markus ist alles denkbar, weil alles hat seine Bedeutung. (Hinter die wie so schwer kommen)
Torsten Reiprich