Schritt 2 - Darstellung des Petrus und
der Zwölf im Markusevangelium
I. Die Darstellung des Petrus
Petrus, der Fels via Ruhr-Uni Bochum |
Im Markusevangelium hat Petrus ungefähr
13 Auftritte, in denen sein Charakter jedoch in unterschiedlichem Maß
herausgearbeitet wird. In einigen Szenen taucht er nur in einer
Statistenrolle auf (z.B. Heilung seiner Schwiegermutter in Mk
1,29ff), in anderen steht er im Zentrum des Handelns (z.B.
Ankündigung und Verleugnung des Petrus in Mk 14,54; 14,66ff).
Zuletzt ist nur noch die Rede von ihm (Verkündigung des
Auferstandenen in Mk 16,7).
Bei Prüfung des nachstehenden
Überblicks fällt auf, dass er in der ersten Hälfte des Evangeliums
nur kurz in einzelnen Szenen erscheint, ihm in der zweiten Hälfte
jedoch mehr Erzählstoff gewidmet ist. Bemerkenswert ist auch seine
Abwesenheit (bzw. Nichterwähnung) im 15. Kapitel und vor allem bei
der Kreuzigung.
Mk 1,16ff - Berufung
Mk 1,29ff - Heilung der Schwiegermutter
des Petrus
Mk 1,35ff - Frühgebet
Mk 3,13ff - Einsetzung der Zwölf
Mk 5,37ff - Auferweckung der
Jairustochter
Mk 8,27ff - Petrusbekenntnis und
Auseinandersetzung
Mk 9,2ff - Verklärung
Mk 10,28ff - Lohn der Nachfolge
Mk 11,21ff - verdorrter Feigenbaum
Mk 13,3ff - Ölbergrede
Mk 14,26ff - Ankündigung der
Verleugnung des Petrus
Mk 14,32ff - Gethsemane
Mk 14,54ff - Verleugnung des Petrus
(Mk 16,7 - Verkündung des
Auferstandenen)
Für meine Darstellung wähle ich
zunächst fünf wichtige Szenen aus: Petrus ersten und letzten
Auftritt (Mk 1,16; Mk 14,72), die Auseinandersetzung zwischen Jesus
und Petrus (Mk 8,32f), die Gethsemane-Szene (Mk 14,32ff) sowie die
Verleugnung durch Petrus (Mk 14,66ff).
1. Mk 1,16: „Als er aber am
Galiläischen Meer entlangging, sah er Simon und Andreas, Simons
Bruder, wie sie ihre Netze ins Meer warfen; denn sie waren Fischer.
Und Jesus sprach zu ihnen: Folgt mir nach; ich will euch zu
Menschenfischern machen! Sogleich verließen sie ihre Netze und
folgten ihm nach.“
Die Szene im Vers 16 scheint lediglich
der Vorstellung von Simon Petrus und seinem Bruder zu dienen und
beschreibt sie auf den ersten Blick bei Ausübung ihres Berufes. Im
griechischen Text fallen zwei Besonderheiten auf. Im Satzteil „wie
sie ihre Netze ins Meer warfen“ fehlt zum einen das griechische
Wort für Netze und zum anderen steht der Artikel vor „Meer“ im
Dativ. Es heißt „ἀμφιβάλλοντας ἐν τῇ θαλάσσῃ“
(amphiballontas en têi thalassêi), was als Partizip von wörtlich
„hin und her werfen/umherwerfen im/in dem Meer“ übersetzt werden
könnte, wobei sich das Hin- und Hergeworfensein sowohl auf die Netze
als auch Simon und Andreas beziehen kann. Im ersteren Fall würde es
sich um ausgeworfene Netze handeln, im zweiten käme im übertragenen
Sinne auch die Bedeutung von schwankend, unbeständig, haltlos oder
gar zweifelnd in Betracht.
Bei der Berufung Elisas durch Elia in 1 Kön 19,19 folgt dieser ihm zwar ebenfalls sofort nach, kehrt aber nochmals um, um von seinen Rindern zu opfern und sich von seinen Eltern zu verabschieden: „Und Elia ging von dort weg und fand Elisa, den Sohn Schafats, als er pflügte mit zwölf Jochen vor sich her, und er war selbst bei dem zwölften. Und Elia ging zu ihm und warf seinen Mantel über ihn. Und er verließ die Rinder und lief Elia nach und sprach: Lass mich meinen Vater und meine Mutter küssen, dann will ich dir nachfolgen. Er sprach zu ihm: Wohlan, kehre um! Bedenke, was ich dir getan habe! Und Elisa wandte sich von ihm weg und nahm ein Joch Rinder und opferte es, und mit den Jochen der Rinder kochte er das Fleisch und gab‘s den Leuten, dass sie aßen. Und er machte sich auf und folgte Elia nach und diente ihm.“
Bei der Berufung Elisas durch Elia in 1 Kön 19,19 folgt dieser ihm zwar ebenfalls sofort nach, kehrt aber nochmals um, um von seinen Rindern zu opfern und sich von seinen Eltern zu verabschieden: „Und Elia ging von dort weg und fand Elisa, den Sohn Schafats, als er pflügte mit zwölf Jochen vor sich her, und er war selbst bei dem zwölften. Und Elia ging zu ihm und warf seinen Mantel über ihn. Und er verließ die Rinder und lief Elia nach und sprach: Lass mich meinen Vater und meine Mutter küssen, dann will ich dir nachfolgen. Er sprach zu ihm: Wohlan, kehre um! Bedenke, was ich dir getan habe! Und Elisa wandte sich von ihm weg und nahm ein Joch Rinder und opferte es, und mit den Jochen der Rinder kochte er das Fleisch und gab‘s den Leuten, dass sie aßen. Und er machte sich auf und folgte Elia nach und diente ihm.“
Bei Petrus, Andreas, Jakobus und
Johannes verhält es sich anders. Ihrem Nachfolgen scheint nach der
Darstellung von Markus keine bewusste Entscheidung zu Grunde zu
liegen. Wie Licht wurde, als Gott sprach, es werde Licht (1. Mose 1,3), so lassen
Petrus und die anderen Jünger alles stehen und liegen, als Jesus
ruft, folgt mir nach. Jesus rückt hier in ein göttlicheres Licht
als Elia, aber Petrus in ein zweifelhafteres als Elisa. Wie bereits
im Wortlaut (ἀμφιβάλλοντας - amphiballontas) angedeutet, erweckt Petrus den Eindruck eines haltlosen
und unbeständigen Menschen.
2. Mk 14,72: „Da gedachte Petrus an
das Wort, das Jesus zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn zweimal kräht,
wirst du mich dreimal verleugnen. Und er fing an zu weinen.“
Dass Petrus weint, scheint ihn auf den
ersten Blick in ein sympathisches Licht zu rücken. Seine Tränen
könnten ein Ausdruck der Reue über seine Verleugnung sein. Bei
genauer Prüfung der Szene ist dies jedoch fraglich. Nach Markus
weint Petrus, weil er an das Wort dachte, dass Jesus gesagt hatte.
Petrus weint also wohl nicht, weil er sein eigenes Verhalten selbst
überdacht und als falsch erachtet hat, sondern weil er sich
scheinbar durch Jesus‘ Prophezeiung ertappt fühlt. Nicht sein
Verhalten selbst, sondern die Bloßstellung schmerzt ihn, da er noch
in Mk 14,31 etwas großsprecherisch verkündet hatte: „Auch wenn
ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen!“.
Wesentlicher ist jedoch folgender
Punkt. Das Verb „weinen“, im griechischen ἔκλαιεν
(eklaien), wird von Markus mit seinem Wortstamm insgesamt dreimal
verwendet. Die zwei weiteren Stellen finden sich bei der Auferweckung
der Tochter des Synagogenvorstehers Jairus:
Mk 5,38f: „Und sie kamen in das Haus
des Vorstehers, und er sah das Getümmel und wie sehr sie weinten
(κλαίοντας - klaiontas) und heulten. Und er ging hinein und
sprach zu ihnen: Was lärmt und weint (κλαίετε - klaiete)
ihr? Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft.“
Beide Szenen sind sinnbildlich dadurch
verbunden, dass Mk 5,38f im Haus des Synagogenvorstehers und Mk
14,54ff im Palast des Hohenpriesters situiert ist. Sowohl über der
Jairustochter als auch über Jesus ist gewissermaßen in beiden
Szenen bereits das „Todesurteil“ gesprochen. Diejenigen, die in
der 1. Szene „weinen“, sind nun aber Personen, die nicht auf die
Auferweckung der Jairustochter vertrauen, sondern ihren endgültigen
Tod für gesichert halten. Mit diesen Zweifelnden ist Petrus durch
die markinische Wortwahl verbunden.
Beide Szenen können sicher nicht mit
letzter Gewissheit interpretiert werden. Es sollte nur gezeigt
werden, welche Auslegung möglich, vielleicht gar naheliegend ist.
3. Mk 8,29ff: „Und er fragte sie: Ihr
aber, wer, sagt ihr, dass ich sei? Da antwortete Petrus und sprach zu
ihm: Du bist der Christus! Und er gebot ihnen, dass sie niemandem von
ihm sagen sollten. Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn
muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und
Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei
Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus
nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um,
sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir,
Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich
ist.“
Das Beispiel stammt von Joe Wallack.
Entscheidend ist hier die Verwendung des jeweils gleichen
griechischen Verbstamms für „gebot ihnen“ (ἐπετίμησεν
- epetimêsen), „ihm zu wehren“ (ἐπιτιμᾶν – epitiman)
und „bedrohte Petrus“ (ἐπετίμησεν – epetimêsen).
Insgesamt kommt das Verb neunmal bei
Markus vor, wobei Mk 8,29ff die mittleren drei Stellen repräsentiert.
Vor Mk 8,29ff. finden wir es wie folgt:
Mk 1, 23ff: „Und alsbald war in ihrer
Synagoge ein Mensch, besessen von einem unreinen Geist; der schrie:
Was willst du von uns, Jesus von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu
vernichten. Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes! Und Jesus
bedrohte (ἐπετίμησεν – epetimêsen) ihn und sprach:
Verstumme und fahre aus von ihm!“
Mk 3,11f: „Und wenn ihn die unreinen
Geister sahen, fielen sie vor ihm nieder und schrien: Du bist Gottes
Sohn! Und er gebot (ἐπετίμα – epetima) ihnen streng, dass
sie ihn nicht offenbar machten.“
Mk 4,38f: „Und er war hinten im Boot
und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu
ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? Und er
stand auf und bedrohte (ἐπετίμησεν - epetimêsen) den
Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind
legte sich und es entstand eine große Stille.“
Ersichtlich sollte sein, dass die
Übersetzung von Mk 8,29ff „Petrus … fing an, ihm zu wehren“
verharmlosend ist. Andreas Bedenbender (1) übersetzt die maßgeblichen
Stellen wie folgt: „Da fuhr er sie an, dass sie niemandem von ihm
sagten … Da nahm ihn Petrus beiseite und begann ihn anzufahren. Er
aber wandte sich und sah seine Schüler und fuhr Petrus an und sagte:
Geh hin, hinter mich, Satan! …“ Zwischen Jesus und Petrus kommt
es in Mk 8,29ff also zu einer lautstarken Auseinandersetzung. Dem
gleichwohl treffenden Bedenbenderschen „Anfahren“ würde ich wohl
„Anherrschen“ vorziehen: Jesus herrscht die Jünger und Petrus
an, dieser versucht Jesus anzuherrschen.
Aber auch diese Wortwahl wird Markus
noch nicht ganz gerecht, denn in seiner Verwendung des Verbs schwingt
noch etwas Anti-Dämonisches mit, wie die Stellen Mk 1,23ff; 3,11ff;
4,38ff zeigen. Bei den Äußerungen handelt es sich also jeweils um
ein Anherrschen mit magischer Kraft, um einen unmenschlichen Feind zu
bannen, hier die Dämonen oder den lebensbedrohlichen Sturm.
Petrus ist in Mk 8,29ff mit diesen
feindlichen dämonischen Mächten sowohl durch die spezifische
Verwendung des Wortes „Anherrschen“ als auch die Bezeichnung
„Hinter mich, Satan!“ in eine Reihe gestellt. Er steht in
Opposition zur Passion Jesu („Denn du meinst nicht, was göttlich,
sondern was menschlich ist.“)
4. Mk 14,33ff: „Und er nahm mit sich
Petrus und Jakobus und Johannes und fing an zu zittern und zu zagen
und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt
hier und wachet! Und er ging ein wenig weiter, warf sich auf die Erde
und betete, dass, wenn es möglich wäre, die Stunde an ihm
vorüberginge, und sprach: Abba, mein Vater, alles ist dir möglich;
nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du
willst! Und er kam und fand sie schlafend und sprach zu Petrus:
Simon, schläfst du? Vermochtest du nicht, "eine" Stunde zu
wachen? Wachet und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallt! Der
Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.“
Dieses Beispiel stammt von Joel
Williams. Maßgeblich sind hier vorausblickende Verse, auf die Mk
14,33ff antworten und die Verwendung des griechischen Wortes für
„Wachet“:
Mk 13,34: „Wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er solle wachen: (γρηγορῇ - grêgorêi)“ | Mk 14,33: „Und er nahm mit sich Petrus und Jakobus und Johannes und fing an zu zittern und zu zagen und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet! (γρηγορεῖτε – grêgoreite)“ |
Mk 13,35: „… so wacht (γρηγορεῖτε – grêgoreite) nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt.“ | Mk 14,37: „Und er kam und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Simon, schläfst du? Vermochtest du nicht, ‚eine’ Stunde zu wachen? (γρηγορῆσαι – grêgorêsai)“ |
Mk 13,37: „Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet! (γρηγορεῖτε – grêgoreite)“ | Mk 14,38: „Wachet (γρηγορεῖτε – grêgoreite) und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.“ |
Markus verwendet das Wort im gesamten
Evangelium nur an diesen sechs Stellen, um den Sinnzusammenhang
deutlich herauszustellen. Es sind jeweils drei sich spiegelnde Verse,
Jesus nimmt drei Jünger mit, er betet dreimal und findet Petrus und
die Jünger dreimal schlafend vor. Petrus versagt in Gethsemane
dreifach.
5. Mk 14,66ff : „Und Petrus war unten
im Hof. Da kam eine von den Mägden des Hohenpriesters; und als sie
Petrus sah, wie er sich wärmte, schaute sie ihn an und sprach: Und
du warst auch mit dem Jesus von Nazareth. Er leugnete aber und
sprach: Ich weiß nicht und verstehe nicht, was du sagst. Und er ging
hinaus in den Vorhof, und der Hahn krähte. Und die Magd sah ihn und
fing abermals an, denen zu sagen, die dabeistanden: Das ist einer von
denen. Und er leugnete abermals. Und nach einer kleinen Weile
sprachen die, die dabeistanden, abermals zu Petrus: Wahrhaftig, du
bist einer von denen; denn du bist auch ein Galiläer. Er aber fing
an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen
nicht, von dem ihr redet.“
Die Szene geht über ein „bloße“
Verleugnung hinaus. Die drei wichtigsten Gesichtspunkte sind
folgende:
5.1. In Mk 8,34 heißt es: „Wer mir
nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf
sich und folge mir nach.“ Entgegen diesem Gebot verleugnet Petrus
jedoch nicht sich selbst und nimmt nicht sein Kreuz, sondern er
verleugnet Jesus. Er erweist sich als unwürdiger Nachfolger.
5.2. Die Art und Weise der Verleugnung
ist für Petrus beschämend. Wenige Verse vorher in Mk 14,55ff hält
Jesus vor dem Hohenpriester und dem Hohen Rat angesichts von
Falschaussagen und der drohenden Todesstrafe stand. Petrus wird nur
von der Magd des Hohenpriesters angesprochen. Gegen ihn findet kein
Gerichtsverfahren statt. Die Magd macht keine Falschaussagen, sondern
sagt die Wahrheit: „Und du warst auch mit dem Jesus von Nazareth“.
Trotz der nur geringen Gefahr leugnet Petrus. Er flieht schließlich
in den Vorhof und obwohl die Gefahr hier räumlich noch geringer ist,
leugnet er schließlich selbst bei der Behauptung der Dabeistehenden
„Wahrhaftig, du bist einer von denen; denn du bist auch ein
Galiläer.“.
5.3. Bei Prüfung des griechischen
Textes fällt auf, dass Petrus sich entgegen der Lutherübersetzung
in Mk 14,71 nicht „selbst verflucht“. Er „verflucht“
(ἀναθεματίζειν – anathematizein) lediglich. „Selbst
verfluchen“ hätte „ἀναθεματίζειν ἑαυτόν“
heißen müssen. Petrus stößt hier einen Bannfluch (Anathema) aus.
Markus sagt nicht, wen oder was Petrus verflucht, jedenfalls nicht
sich selbst. Tucker und Baker sind der Auffassung, dass Petrus hier
Jesus verflucht. Ich würde soweit nicht gehen. Näher liegt wohl die
Annahme, dass Petrus hier den bloßen Gedanken verflucht, dass er
angeblich ein Jesusanhänger, ein Christ sein könne.
6. Mk 3,16; Mk 4,1ff; Mk 15,46 –
Simon Petrus, der Fels
Mk 3,16: „Und er setzte die Zwölf
ein und gab Simon den Namen Petrus (Σίμωνι Πέτρον -
Simôni Petron) ...“
Mk 4,3ff: „Hört zu! Siehe, es ging
ein Sämann aus zu säen. ... Einiges fiel auf felsigen (πετρῶδες
- petrôdes) Boden, wo es nicht viel Erde hatte, und ging alsbald
auf, weil es keine tiefe Erde hatte.“
Mk 4,16f: „Desgleichen auch die, bei
denen auf felsigen (πετρώδη - petrôdê) Boden gesät ist:
wenn sie das Wort gehört haben, nehmen sie es sogleich mit Freuden
auf, aber sie haben keine Wurzel in sich, sondern sind
wetterwendisch; wenn sich Bedrängnis oder Verfolgung um des Wortes
willen erhebt, so fallen sie sogleich ab.“
Beachtlich ist, dass das hier gewonnene
markinische Petrusbild zu der Beschreibung passt, die Jesus in Mk
4,16 für solche Hörer gibt, bei denen die „gesäten“ Worte Jesu
auf „felsigen Boden“ fallen.
Petrus nimmt das erste Wort von Jesus,
den Nachfolgeruf, in Mk 1,16 unverzüglich auf und folgt ihm
unmittelbar (oben unter 1.). Bereits dort wird er aber im
übertragenen Sinn als „schwankend“, „unbeständig“, „ohne
festen Halt“ beschrieben. Als Petrus in Mk 14,66ff jedoch durch
eine Magd in Bedrängnis gerät, verleugnet er Jesus und „fällt
sogleich ab“.
Markus identifiziert durch das
Wortspiel in Mk 3,16; 4,3; 4,16 Petrus als denjenigen, bei dem die
Worte Jesu auf felsigen Boden fallen und keine Frucht bringen.
II. Die Darstellung des Jakobus und des
Johannes
1. Mk 14,33ff
Für die Söhne des Zebedäus gilt
zunächst ebenfalls das zur Gethsemane-Szene in Mk 14,33ff Gesagte,
zu dem oben unter I.4. ausgeführt wurde.
2. Mk 10,35ff: „Da gingen zu ihm
Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen:
Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten
werden. Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?
Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten
und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. … Und als das
die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. Da
rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als
Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun
ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß
sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch
der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der
Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern
dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“
Jakobus und Johannes werden in Mk
10,35ff als geltungsbedürftige und ehrbegierige Karrieristen
beschrieben. Sie streben nach einer herausgehobenen Stellung, nach
„Posten und Pöstchen“. Jesus muss sie daher zurechtweisen: „...
wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer
unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“
3. Mk 9,38ff: „Da sagte Johannes zu
ihm: Meister, wir haben gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen
austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht
nachfolgt. Jesus erwiderte: Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem
Namen Wunder tut, kann so leicht schlecht von mir reden.“
Bezüglich Johannes wird dies nochmals
in Mk 9,38ff hervorgehoben. Die Jünger wollten das Handeln des
„fremden Wundertäters“ deshalb verbieten, weil der
Fremde sich nicht in die Jüngerhierarchie einreihte.
III. Die Darstellung der Zwölf
1. Zunächst kann zum allgemeinen
Jüngerunverständnis auf die Darstellung von William Wrede verwiesen
werden, die hier zusammengestellt ist. Folgende weitere Beispiele
sollen ergänzt werden:
2. Mk 14,16: „Und die Jünger gingen
hin und kamen in die Stadt und fanden's, wie er ihnen gesagt hatte,
und bereiteten das Passalamm. Und am Abend kam er mit den Zwölfen.
Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich
sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten.
Und sie wurden traurig und fragten ihn, einer nach dem andern: Bin
ich's? Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir
seinen Bissen in die Schüssel taucht.“
In der Abendmahlsszene kündigt Jesus
einen Jüngerverrat an. Bemerkenswert ist, dass kein Jünger die
Möglichkeit des Verrats von sich weist. Vielmehr fragen alle: „Bin
ich's?“ Der markinische Jesus benennt den Jünger auch nicht
ausdrücklich, der ihn verraten wird: „Einer von den Zwölfen ...“.
Die Antwort scheint andeuten zu wollen, dass es jeder Beliebige der Zwölf
sein könnte und ist. Tatsächlich fliehen alle Jünger bei der
Verhaftung und bleiben nicht bei Jesus – Mk 14,50: „Da verließen
ihn alle und flohen.“
3. Mk 10,13ff: „Und sie brachten
Kinder zu ihm, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an.
Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: Lasst
die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört
das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht
empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er herzte
sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.“
In Mk 10,13ff handeln die Jünger in
der Absicht, die Segnung der Kinder zu verhindern. Markus verwendet
in Mk 10,13 für „fuhren sie an“ erneut das Verb „ἐπετίμησαν“
(epetimêsan), dass – wie oben unter I.3. - als antidämonisches
„Anherrschen“ zu verstehen ist. Markus stellt die Jünger hier
als „Feinde“ der Kindersegnung dar.
Um eine mildere Interpretation des
Jüngerverhaltens auszuschließen, hat Markus offenbar bewusst
vorher in Mk 9,35ff folgende Szene eingestellt, in der Jesu Zuneigung
zu den Kindern betont ist:
Mk 9,35ff : „Und er setzte sich und rief die Zwölf und sprach zu ihnen: … Und er nahm ein Kind, stellte es mitten unter sie und herzte es und sprach zu ihnen: Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.“
Die Zwölf werden von Markus in Mk
10,13ff mithin so dargestellt, dass sie „solche Kinder“ nicht
aufnehmen und damit auch Jesus nicht.
IV. Judas und andere einzelne Jünger
aus dem Kreis der Zwölf
1. Judas
Beachtlich an der Darstellung des Judas ist, dass Markus ihn zwar besonders in Mk 14,43ff in ein äußerst negatives Licht setzt, wo Judas als Anführer der Feinde von Jesus fungiert. Im Gegensatz zur Darstellung von Petrus, Jakobus und Johannes ist damit aber keine charakterliche Bewertung verbunden. Der Verrat des Judas geschieht im Markusevangelium wie eine Angelegenheit, die Jesus nicht ändern kann und über die er daher auch kein unnötiges Wort verliert. Aus diesem Grund ist bereits in Mk 3,14ff bei der Berufung der Jünger der Verrat erwähnt.
Mk 3,14ff: „Und er setzte zwölf ein,
die er auch Apostel nannte ... Und er setzte die Zwölf ein und gab
Simon den Namen Petrus; weiter: ... und Judas Iskariot, der ihn dann
verriet.“
Aus Mk 14,10f ist ersichtlich, dass das
von den Hohenpriestern versprochene Geld nicht der Beweggrund des
Judas war, sondern nur eine Draufgabe. Über das Motiv des Judas
erfahren wir nichts.
Mk 14,10f: „Und Judas Iskariot, einer
von den Zwölfen, ging hin zu den Hohenpriestern, dass er ihn an sie
verriete. Als die das hörten, wurden sie froh und versprachen, ihm
Geld zu geben. Und er suchte, wie er ihn bei guter Gelegenheit
verraten könnte.“
Mk 14,21: „Der Menschensohn geht zwar
hin, wie von ihm geschrieben steht; weh (οὐαὶ – ouai) aber
dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für
diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.“
Mk 14,43ff: „Und alsbald, während er
noch redete, kam herzu Judas, einer von den Zwölfen, und mit ihm
eine Schar mit Schwertern und mit Stangen, von den Hohenpriestern und
Schriftgelehrten und Ältesten. Und der Verräter hatte ihnen ein
Zeichen genannt und gesagt: Welchen ich küssen werde, der ist's; den
ergreift und führt ihn sicher ab. Und als er kam, trat er alsbald zu
ihm und sprach: Rabbi!, und küsste ihn.“
Lediglich aus Mk 14,21 könnte
geschlossen werden, dass Jesus ein Urteil über Judas spricht, denn es liegt nahe - obwohl nicht ausdrücklich benannt (!) -, die Aussage auf Judas zu beziehen.
Tatsächlich ist das dort verwendete „Weh (οὐαὶ – ouai)
aber dem Menschen ...“ der gleiche Ausdruck, den Markus in Mk 13,17
verwendet: „Weh (οὐαὶ) aber den Schwangeren und den Stillenden zu jener
Zeit!“ Es handelt sich nur um den Ausdruck des Bedauerns
angesichts eines „unabänderlichen Schicksals“, nicht um eine
persönliche Zornesankündigung von Jesus.
2. Andere einzelne Jünger aus dem
Kreis der Zwölf
Meines Erachtens der wichtigste
Gesichtspunkt ist, dass kein anderer Jünger aus dem Kreis der Zwölf
als Einzelperson in einer negativen Szene dargestellt ist.
Eine besondere Rolle unter den weiteren
acht Jünger nimmt beispielsweise Andreas ein. Denn er ist der
einzige, der neben Petrus, Jakobus und Johannes in gesonderten Szenen
auftaucht oder genannt wird, so etwa in Mk 1,16ff (Berufung der
ersten Jünger), in Mk 1,29 (Szene im Haus von Petrus und Andreas)
sowie in Mk 13,3 (Ölbergrede zu Andreas sowie Petrus, Jakobus,
Johannes). Nirgendwo ist er aber als Einzelner negativ dargestellt.
(1) ziziert nach Andreas Bedenbender, Frohe Botschaft am Abgrund: Das Markusevangelium und der Jüdische Krieg, 2013
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