Teil 4 – Wredes Einwände
Aus William Wredes Kritik wird deutlich, dass ihm nicht an einem Meinungsstreit gelegen war, sondern am Verständnis des Markusevangeliums. Er brachte mit seiner vorläufigen Kritik keine Gegenargumente vor, sondern Beobachtungen und Überlegungen:
1) Weshalb verbietet Jesus eigentlich überhaupt, von seiner messianischen Würde und seinen Taten zu sprechen? Weshalb schweigt er gegenüber den Jüngern? Warum soll das Geheimnis gegenüber dem Volk auch nach dem Petrusbekenntnis noch gewahrt werden? Ein nahe liegendes Motiv, so Wrede, wäre, dass die Beteiligten von selbst zu dieser Einsicht gelangen sollen. Allerdings deutet Markus, der durchaus auch Erläuterungen gibt, ein solches Motiv nicht an.
via kidsclubs4jesus.com |
2) Wenn wir dieses Motiv gleichwohl zu Grunde legen, warum gibt es dann im Markusevangelium keine Erkenntnisentwicklung? Nicht nachvollziehbar ist etwa, wie Petrus plötzlich zu seiner Einsicht und dem Messiasbekenntnis gelangt. Noch unmittelbar vorher zeigten die Jünger ihr Unverständnis anlässlich der Speisungen der 5000 bzw. 4000: „Ob die Erkenntnis nun vorbereitet war oder blitzartig kam - bei einem Erzähler, der etwas von der Bedeutung dieses Wechsels fühlt, wäre eine Andeutung am Platze.“
3) Wie kommt eigentlich Bartimäus, der blinde Bettler in Jericho, zu der Erkenntnis, dass Jesus der Sohn Davids ist? „Die Anrede des Blinden scheint allerdings als bedeutungsvoll markiert zu sein, wenn erzählt wird, dass ‚viele’ von den Jüngern oder vom begleitenden Volke ihn bedräuten, er möge schweigen, aber dadurch wird nicht klarer, woher seine Messiaserkenntnis stammt, - und ob Markus mit jener Bemerkung wirklich sagen will: jetzt beginnt die öffentliche Messianität, ist noch sehr die Frage. Warum sagt er es denn nicht?“
4) Der messianische Einzug in Jerusalem geschieht ebenso überraschend. Er ist in der Erzählung weder vorbereitet noch hat er Nachwirkungen. „Wie gelangte das Geheimnis über den Jüngerkreis hinaus? Wie kann ihn gleich nachher die Menge beim Einzüge als Messias begrüssen?“
5) Wieso befiehlt Jesus mehreren Kranken ihre Heilung geheim zu halten, obwohl diese in aller Öffentlichkeit und vor vielen Menschen geschah? „Der Thatbestand lässt sich auch so ausdrücken: durch die Öffentlichkeit vieler Wunder werden die späteren Verbote nach Wunderthaten zwecklos. Zwecklos erscheinen sie aber noch um eines zweiten Grundes willen: die Geheilten kehren sich ja nicht an das Verbot: ‚Je mehr er verbot, desto mehr breiteten sie es aus.’“
6) Die Hinzuziehung der drei Jünger bei der Erweckung der Tochter des Jairus passt nicht zu der Annahme, dass Jesus sich diesen vor dem Petrusbekenntnis nicht offenbart hätte.
7) Jesus spricht bereits anfangs des Evangeliums vom Menschensohn. „Denn er beansprucht das Recht Sünden zu vergeben und die freie Gewalt über das Sabbatgebot. Bedeutet der ‚Menschensohn’ den Messias, so hat sich Jesus nach Markus längst vor dem Petrusbekenntnis als solchen bezeichnet, und zwar in voller Öffentlichkeit.“
8) „Ähnliches gilt von dem ‚Bräutigam’ (Mk 2,19). Für Markus ist das notwendig ein Name von messianischem Klange.“ Auch handelt es sich hierbei um „eine Leidensweissagung“. „Jedes Kind versteht, dass Jesus von sich selbst und von seinem Tode spricht.“ Die Leidensweissagung aber „darf Markus schon wegen des Petrusbekenntnisses an so früher Stelle nicht bringen, erst recht nicht, wenn die Leidensverkündigungen erst mit [dem Petrusbekenntnis] einsetzen sollen.“
Wredes Fazit: „Ich ziehe einstweilen aus der dargelegten Beschaffenheit des Markusberichts nur eine Folgerung: dass nichts dringender ist, als seine Daten in gründlicher Kritik zu untersuchen.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen