Teil 3 - Theorien vor Wrede
In vereinfachten Grundzügen beantworteten die Bibelexegeten vor William Wrede die Frage nach dem Selbstverständnis Jesus als Messias und seiner öffentlichen Selbstverkündigung in Auslegung des Markusevangeliums mehrheitlich wie folgt:
1. Zunächst erlangt Jesus bei seiner Taufe allein die Offenbarung, Gottes Sohn zu sein. (Mk 1, 10-11 "Und sogleich, als er aus dem Wasser stieg, sah er den Himmel zerrissen und den Geist wie eine Taube auf ihn herabsteigen. Und eine Stimme ertönte aus dem Himmel: Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!") Jesus hält seine Messiaswürde jedoch mit Absicht geheim.
Dämonen wussten Bescheid Foto: blog.richmond.edu |
2. Die "Dämonischen" (so Wredes Bezeichnung der "unreinen Geister") sind die ersten, die davon Kenntnis haben (Mk 1, 23-24 "Und es war in ihrer Synagoge ein Mensch mit einem unreinen Geist, der schrie und sprach: ... Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes!") Jesus gebietet den Dämonischen darüber zu schweigen, um das Geheimnis weiterhin zu wahren.
3. Durch das Petrusbekenntnis gelangen als nächstes die Jünger zu der Einsicht, dass Jesus der Messias ist. Ihre eher jüdische, glorifizierende Messias-Vorstellung muss Jesus aber durch seine Leidensankündigungen berichtigen. (Mk 8, 27-29 "Und Jesus ging samt seinen Jüngern hinaus in die Dörfer bei Cäsarea Philippi; und auf dem Weg fragte er seine Jünger und sprach zu ihnen: Für wen halten mich die Leute? ... Und er sprach zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: Du bist der Christus!") Auch den Jüngern gebietet Jesus darüber zu schweigen, um seine Messiaswürde noch vor dem Volk geheimzuhalten. Darüber hinaus ist das Petrusbekenntnis ein entscheidender Punkt des Evangeliums, denn ab diesem Zeitpunkt setzt die Leidensgeschichte von Jesus ein. Da die Offenbarung bei der Taufe und die Anrede des Dämons als unhistorisch bewertet werden, kommt das Petrusbekennntis schließlich als erste historische Messiasanrede in Betracht.
4. Im weiteren Fortgang wird den ersten Außenstehenden bewusst, dass Jesus der Messias ist, so etwa dem Bettler Bartimäus (Mk 10, 46-48 "Und als er von Jericho auszog ... saß ein Sohn des Timäus, Bartimäus der Blinde, am Weg und bettelte. Und als er hörte, daß es Jesus, der Nazarener war, begann er zu rufen und sprach: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich über mich! Und es geboten ihm viele, er solle schweigen; er aber rief noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich über mich!")
5. Beim Einzug in Jerusalem feiert das Volk schließlich Jesus als den verheißenen messianischen König (Mk 11, 9-11 "Und die vorausgingen und die nachfolgten, riefen und sprachen: 'Hosianna! Gepriesen sei der, welcher kommt im Namen des Herrn! Gepriesen sei das Reich unseres Vaters David, das kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!' Und Jesus zog ein in Jerusalem und in den Tempel.")
6. Während des Verhörs vor dem Hohen Rat bekundet Jesus schließlich auch gegenüber seinen Feinden sein Messiastum (Mk 14,61-62 "Wieder fragte ihn der Hohepriester und sagte zu ihm: 'Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten?' Jesus aber sprach: 'Ich bin's. Und ihr werdet den Sohn des Menschen sitzen sehen zur Rechten der Macht und kommen mit den Wolken des Himmels!'") Ebenso gegenüber Pilatus (Mk 15,2 "Und Pilatus fragte ihn: 'Bist du der König der Juden?' Er aber antwortete und sprach zu ihm: 'Du sagst es!'")
7. Schließlich steht für jedermann sichtbar auf der Inschrift über dem Kreuz, dass Jesus der Messias ist. (Mk 15,25-26 "Es war aber die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. Und die Inschrift, die seine Schuld anzeigte, war darüber geschrieben: 'Der König der Juden'")
Wredes Vorgänger waren sich natürlich bewusst, dass gegen die von ihnen gezeichnete Entwicklungslinie der Messiasoffenbarung im Markusevangelium auch einige Einwände erhoben werden konnten. Gleichwohl hielten sie im Wesentlichen an der beschriebenen Theorie fest:
"Dies etwa ist das Bild des messianischen Lebens Jesu, das die herrschende kritische Ansicht im Markusevangelium gezeichnet findet, das eben darum den besten Ausgangspunkt für unsere Untersuchung bildet."
Die Exegeten vor Wrede sahen in dieser Entwicklungsschilderung jedoch nicht nur die persönliche Meinung und Darstellung von Markus, sondern zugleich auch die tatsächliche geschichtliche Wirklichkeit:
"Allein man ging dann sofort einen grossen Schritt weiter: in der Darstellung des Markus fand man - vielleicht unter Abstrichen im Einzelnen - den geschichtlichen Verlauf selbst. Und hat sie nicht in der Tat ihr Siegel an der innern Geschlossenheit des Ganzen?"
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