Freitag, 26. Dezember 2014

Petrus, der Zenturio und die Frage: Hat es einen historischen Jesus gegeben?


1) Anlass für diesen Beitrag sind die teils recht heftigen Diskussionen, die seit mehreren Jahren im englischen Sprachraum zu dieser Frage geführt werden, die nunmehr dort einen Höhepunkt erreichten und zudem auch hierzulande Einzug gefunden haben.
Der ... hüstl ... historische Jesus?
via asiaonourmind.blogspot

Am 18.12.2014 veröffentlichte die angesehene US-amerikanische Tageszeitung „The Washington Post“ einen Artikel des Religionswissenschaftlers Raphael Lataster mit dem Titel „Did historical Jesus really exist?“ und dem Fazit: „There are clearly good reasons to doubt Jesus’ historical existence.“ Bereits nach zwei Tagen verzeichnete der Artikel mehr als 5000 Leserkommentare, die jeweils hitzig für Pro und Contra stritten.

Auf dem Sci-log „Natur des Glaubens“ von Michael Blume erschien am 15.11.2014 ein Gastbeitrag von Zoran Jovic, in dem die Thesen der Verneiner eines historischen Jesus recht polemisch zurückgewiesen und diese in die Nähe von Holocaustleugnern, Ufologen und Zeitfälschungs-Theoretikern gerückt werden.

Schließlich strahlte der Sender Phoenix am 21.12.2014 eine Folge von Guido Knopp´s „History Live“ mit dem Titel „Jesus – Mythos und Wahrheit“ aus, in der die Theologen Annette Merz, Klaus Wengst und Hermann Detering auch über diese Frage disputierten und sich dabei achtbar schlugen. Besonders der angenehm sachliche Tonfall der drei Theologen, die jeweils unterschiedliche Positionen vertraten, ist vorbildlich. Der Mitschnitt der Sendung kann in voller Länge angesehen werden.

Man könnte vielleicht vermuten, dass ich - mit meinem rein literarischen Verständnis des Markusevangeliums - ebenfalls zu der Annahme neige, dass es einen historischen Jesus gar nicht gegeben hat. Der einzige Grund, warum ich überhaupt einmalig etwas zu dieser Frage sagen möchte, ist ein in der gesamten Diskussion meines Erachtens übersehenes Argument. Es läuft darauf hinaus, dass – selbst wenn man nicht ein einziges Detail aus den Evangelien als historisch wahr ansieht und wenn man davon ausgeht, dass Paulus keinen irdischen Jesus, sondern einen himmlischen Christus predigte - dennoch ein Anhaltspunkt für einen historischen Jesus besteht. Der vorliegende Beitrag mag deshalb vor allem für Historische-Jesus-Skeptiker interessant sein.

2) Beginnen möchte ich zunächst mit einer Kritik von Übersetzungen zweier Schriftstellen, nämlich Mk 2,7 (Heilung des Gelähmten) und Mk 4,41 (Sturmstillung):

In der „Neuen Genfer“ lauten Mk 2,6-7: „6 Einige Schriftgelehrte, die dort saßen, lehnten sich innerlich dagegen auf. 7 'Wie kann dieser Mensch es wagen, so etwas zu sagen?', dachten sie. 'Das ist ja Gotteslästerung! Niemand kann Sünden vergeben außer Gott.'“ In gleichem Sinn die Einheitsübersetzung: „7 Wie kann dieser Mensch so reden?

In der „Hoffnung für alle" heißt es für Mk 4,41: „Voller Entsetzen flüsterten die Jünger einander zu: 'Was ist das für ein Mensch! Selbst Wind und Wellen gehorchen ihm!'“ Erneut die Einheitsübersetzung: „Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar der Wind ...

Der Fehler an diesen Übersetzungen ist, dass der griechische Grundtext das Wort für „Mensch“ jeweils nicht enthält. Offenbar haben die Übersetzer den Wortlaut für eine schwache Formulierung von Markus gehalten und sind „automatisch“ davon ausgegangen, dass ihre eigenmächtige Ergänzung des Wortes „Mensch“ den in ihren Augen angeblichen Sinn des Verses viel besser wiedergibt. Tatsächlich scheinen mir diese Stellen für den gegenteiligen Sinn zu sprechen, dass nämlich Markus zunächst bewusst vermeidet, Jesus als „Mensch“ zu bezeichnen bzw. von einer der handelnden Personen im Evangelium bezeichnen zu lassen. Dies geschieht erst gegen Ende des Evangeliums - und zwar durch Petrus und den römischen Zenturio:

Petrus bei der Verleugnung – Mk 14,71 „Er aber begann zu fluchen und zu schwören: Nicht kenne ich diesen Menschen von dem ihr redet.

der römische Zenturio – Mk 15,39: „Wahrhaftig, dieser der Mensch Sohn Gottes war.“ (Ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν)

Ἀληθῶς οὗτος ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν
Wahrhaftig dieser der Mensch Sohn Gottes war

Es sind also im Markusevangelium lediglich zwei Personen in negativem Kontext, die Jesus als „Mensch“ bezeichnen. Zum einen der verleugnende Petrus und zum anderen der Henker.


3) Was an Mk 15,39 auffällt, ist die sperrige Formulierung „dieser (οὗτος) der Mensch“.

In Mk 7,6 findet sich ein vergleichbarer Fall im dort angeführten Jesaja-“Zitat“ (Jes 29,13): „Οὗτος ὁ λαὸς ...“ „Dieses das Volk (mit Lippen mich ehrt, aber ihr Herz weit entfernt ist von mir ...)

Beachtlich ist, dass Markus das LXX-Jesaja-Zitat nicht korrekt wiedergibt. Denn in der Septuaginta heißt es nicht „Οὗτος ὁ λαὸς ...“, sondern „ὁ λαὸς οὗτος“ (das Volk welches …). Es macht den Eindruck, als habe Markus das Wort „οὗτος“ mit Absicht und zum Zwecke der Betonung vorangestellt.

Dies lässt sich für alle Stellen im Markusevangelium zeigen, die das Wort „οὗτος“ enthalten. Markus verwendet dieses Wort – im Gegensatz zu den anderen Evangelisten – niemals mit der Erzählstimme, sondern ausschließlich in wörtlichen Reden und in Schriftzitaten. Keine „οὗτος“-Stelle erweckt den Anschein, als habe Markus das Wort nur zufällig oder gedankenlos verwendet. Stets scheint „οὗτος“ eine besondere Betonung anzuzeigen. Hier sind alle zwölf Stellen, die ich meist in der Übersetzung der Offenen Bibel übernehme, jedoch die „οὗτος“-Stelle mit einer Form von „dies“ hervorhebe:

Mk 2,7 Es saßen aber einige Schriftgelehrte dabei, die überlegten bei sich: 7 „Warum redet dieser (οὗτος) so?
Mk 3,35 Jeder, der tut, was Gott gefällt, dieser (οὗτος) ist mir Bruder, Schwester und Mutter.“
Mk 4,41 „Wer ist dieser (οὗτος), dass sogar der Wind und das Meer ihm gehorchen?“
Mk 6,3 Ist dieser (οὗτος) nicht der Handwerker, Marias Sohn und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon?
Mk 6,16 Als Herodes das hörte, rief er: „Der, den ich enthauptet habe, Johannes, dieser (οὗτος) ist auferweckt worden!"
Mk 7,6 Dieses (Οὗτος) das Volk mit Lippen mich ehrt, aber ihr Herz weit entfernt ist von mir
Mk 9,7 Und eine Wolke erschien über ihnen, aus der eine Stimme kam: „Dieser (οὗτος) ist mein geliebter Sohn, hört auf ihn!“
Mk 12,7 Dieser (οὗτος) ist der Erbe! Kommt, wir bringen ihn um, dann wird das Erbe uns gehören
Mk 12,10 Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser (οὗτος) ist zum Eckstein geworden
Mk 13,13 Wer aber beharrt bis an das Ende, dieser (οὗτος) wird gerettet werden
Mk 14,69 Und die Magd … fing abermals an, denen zu sagen: Dieser (οὗτος) ist einer von denen.
Mk 15,39 Wahrhaftig, dieser (οὗτος) der Mensch Sohn Gottes war.

Diese besondere Verwendung des Wortes „οὗτος“ bei Markus indiziert, dass die Betonung des Erzählers in Mk 15,39 nicht auf dem Begriff „Sohn Gottes“, sondern auf dem Wort „Mensch“ liegt.


4) Bereits an anderen Stellen habe ich erläutert, warum ich den Philipper-Hymnus als für Markus besonders bedeutsam erachte und warum meiner Auffassung nach, der Evangelist Johannes das Markusevangelium kannte.

Unter Zugrundelegung dessen kann man eine Linie von Paulus über Markus zu Johannes ziehen, die um das Thema des „menschlichen“ Jesus kreist. Man erkennt, dass Johannes Mk 15,39 wohl ebenfalls so verstanden hat, dass die Betonung auf dem Wort „Mensch“ liegt und das ihn diese Stelle wahscheinlich zu Joh 19,5 inspirierte.


Phil 2,5-8 Mk 14,70-71 Mk 15,39 Joh 19,5
5 Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: 6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, 7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
70b Und nach einer kleinen Weile sprachen die, die dabeistanden, abermals zu Petrus: Wahrhaftig, du bist einer von denen; denn du bist auch ein Galiläer.
71 Er aber fing an, zu fluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht, von dem ihr redet.
Der Zenturio aber, der dabeistand, ihm gegenüber, und sah, dass er so seinen Geist aufgab, sprach: Wahrlich, dieser der Mensch ist Gottes Sohn gewesen! Jesus kam heraus; er trug die Dornenkrone und den purpurroten Mantel. Pilatus sagte zu ihnen: Seht, der Mensch!


Erkennbar ist, wie Markus Phil 2,8 in seiner Erzählung umsetzt. Er vermeidet es, zunächst Jesus als „Mensch“ zu bezeichnen und lässt ihn zum Schluss durch Petrus und den Zenturio „der Erscheinung nach als Mensch erkennen“.

Zugleich wird deutlich, dass der Ausspruch des Zenturios in Mk 15,39 - aus der Sicht von Paulus und Markus - kein hochlöbliches Glaubensbekenntnis, sondern eher Blasphemie ist. Für den Paulus des Philipperbriefs war Jesus eine göttliche Gestalt, die sich ihrer Göttlichkeit entäußerte, sich in ihrem Sein erniedrigte und den Menschen gleichmachte. Für den römischen Zenturio ist Jesus das genaue Gegenteil, nämlich ein Über-Mensch, den er wie die antiken Herrscher und Helden im Tod in typisch heidnisch-barbarischer Weise vergöttlicht.


5) Ich scheine mich von meinem Ausgangspunkt immer weiter zu entfernen. Tatsächlich habe ich den Bogen bereits geschlagen und bin ans Ende gelangt.

Denn sowohl Paulus als auch Markus setzen voraus, dass es bereits vor ihnen eine christliche Tradition gab, die Jesus als einen „Menschen“ ansah (Und es besteht deshalb keinerlei Notwendigkeit auf spätere und fragwürdigere christliche Schriftsteller wie Lukas oder Matthäus oder gar die Ebioniten zu verweisen). Unsere frühesten Quellen bezeugen eine urchristliche Meinung, die Jesus als Menschen ansah, auch wenn diese Quellen (Paulus und Markus) diese Ansicht selbst nicht teilten.

Wenn Paulus in Phil 2,8 sagt, dass Jesus „der Erscheinung nach als Mensch erkannt wurde“, dann verweist er darauf, dass eine ihm zeitlich vorausgehende urchristliche Gruppierung Jesus (aus Sicht von Paulus irrtümlich) für einen Menschen hielt, dieser aber nach der ihm, Paulus, zuteil gewordenen Offenbarung in Wahrheit von göttlichem Sein sei. Diese „Irrenden“ werden von Markus mit Petrus und dem Zenturio gleichgesetzt, die im Augenblick der Verleugnung bzw. der Hinrichtung das Wort im Mund führen, dass Jesus ein „Mensch“ (gewesen) sei. Typisch ist bei Markus auch die Darstellung der Verwerfung von Jesus in seiner ungläubigen Heimat (Mk 6,3), in der die Leute nur „Menschliches“ an Jesus finden können: „Ist dieser (οὗτος) nicht der Handwerker, Marias Sohn und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon?

Aus diesem Grund halte ich es für wahrscheinlich, dass es einen historischen Jesus gab. Er versteckt sich im toten Winkel des Philipperbriefes und des Markusevangeliums ...

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