Montag, 17. November 2014

Einführung in die Grundlagen der Heilkunst Jesu


Rembrandt via commons.wikimedia
1) Der Titel dieses Beitrags ist zugleich ironisch und ernsthaft gemeint. Ironisch, weil die Heilungen im Markusevangelium nicht mittels eines Systems medizinischen Wissens und ärztlicher Behandlungsmethoden erläutert werden können. Ernsthaft, weil man gleichwohl Muster, Wiederholungen und Zusammenhänge in den markinischen Heilungserzählungen erkennen kann, die auf eine mögliche Logik hindeuten.

Man kann beispielsweise drei wiederkehrende Behandlungsmethoden feststellen, die der markinische Jesus mit seinen Händen ausführt:

- an der Hand festhalten (κρατέω τῆς χειρός) und aufstehen lassen (ἤγειρεν)

- anrühren oder berühren (ἅπτομαι)

- Auflegen der Hand (ἐπιτίθημι τὴν χεῖρα)

Rembrandt via commons.wikimedia

Die handelnden Personen im Markusevangelium scheinen sich indes über die Bedeutung der jeweiligen Behandlung nicht ganz im Klaren zu sein. Mehrfach wird Jesus von Menschen gebeten, eine bestimmte Behandlungsmethode an einem Patienten anzuwenden, er selbst entscheidet sich jedoch für eine andere.

So bringt man in Bethsaida einen Blinden zu Jesus mit der Bitte, diesen „anzurühren“ – Mk 8,22. Jesus wird jedoch auf dessen Augen die „Hände auflegen“. Zur Heilung des Taubstummen in Mk 7,31ff wird Jesus umgekehrt gebeten, diesem die „Hände aufzulegen“, aber Jesus u.a. „rührte an“ seine Zunge. Ebenso bittet der Synagogenvorsteher Jairus in Mk 5,22, dass Jesus sein im Sterben liegendes Töchterlein durch „Auflegen der Hand“ vor dem Tod bewahre. Jesus wird sie jedoch „an der Hand festhalten“ und zu ihr sagen „Steh auf“. Auch außerhalb der Heilungsgeschichten begegnet uns ein solches Missverständnis. Bei der Segnung der Kinderchen in Mk 10,13 soll Jesus diese „anrühren“, aber er wird ihnen „die Hände auflegen“.

Mir scheint jedenfalls, dass Markus durch diese Irrtümer den Leser dazu einlädt, sich die Sache etwas näher anzuschauen.


2) Ganz allgemein kann man vielleicht sagen, dass das Markusevangelium - unter Außerachtlassung der Exorzismen - zwei unterschiedliche Typen von Heilungserzählungen enthält.

So gibt es Szenen, die Markus realistischer schildert, in denen auf den Patienten und die weiteren beteiligten Personen näher eingegangen werden. In diesen Szenen stehen die Heilung und Heilbehandlung nicht im Mittelpunkt der Szene.

Bei der „Heilung“ des blinden Bartimäus in Mk 10,46ff war dies deutlich. Letztlich war es überhaupt keine Heilungsgeschichte, sondern der Text kreiste um die Themen von Jüngerschaft und Nachfolgeruf, eine Heilbehandlung wurde nicht erwähnt. In vergleichbarer Weise steht bei der Heilung des Gelähmten in Mk 2,1ff die Frage der Vergebung von Sünden im Vordergrund. Der Gelähmte scheint nach der Erzählung „nur“ deshalb von Jesus geheilt zu werden, damit alle Anwesenden verstehen können, dass dessen Verfehlungen vergeben sind – Mk 2,10: „Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden - sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim! Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen ...“. In der Szene der Wiederherstellung der vertrockneten Hand in Mk 3,1ff liegt die Betonung auf der Auseinandersetzung mit den Pharisäern über die Frage des Erlaubtseins der Sabbatheilung, nicht auf der Heilung an sich. Zugleich erklärt Jesus in einer Nichtheilungsgeschichte in Mk 2,17 anlässlich des Festmahls mit Sündern und Zöllnern, dass er hier als Arzt tätig sei.

Andererseits gibt es zwei Szenen, in denen die Heilung und Heilbehandlung das Zentrum bildet, nämlich die Heilung des Taubstummen aus der Dekapolis in Mk 7,31ff und des Blinden aus Bethsaida in Mk 8,22ff. In diesen dunklen und rätselhaften Szenen erfahren wir indes nichts Näheres über die Patienten, noch etwas über diejenigen, die die Patienten zu Jesus begleiten. In beiden Szenen heißt es knapp: „sie brachten zu ihm einen, der … und baten ihn, dass er …“. Alsdann wird die Heilbehandlung detailliert beschrieben.

Besonders auffällig erscheint unter den Heilungserzählungen die Schilderung der Heilung der blutenden Frau und der Erweckung des Töchterleins des Synagogenvorstehers – Mk 5,21ff, die im berühmten markinischen Sandwich verklammert sind. Zunächst liegt das Töchterlein im Sterben, die Zeit drängt, der Vater bittet flehentlich. Offenbar hat es Jesus aber gar nicht so eilig. Viel wichtiger, so scheint es jedenfalls, war es ihm, zunächst die Frau in der drängelnden Menge ausfindig zu machen, die heimlich sein Gewand „anrührte“, um von ihrem 12jährigen Blutfluss zu genesen. Markus geht hier detailliert auf die Frau, ihre Leiden, Erwartungen und Gefühle ein. Erst nachdem sie zu Jesus kommt und er einige Worte mit ihr gewechselt hat, setzt er den Weg zu dem inzwischen vermeintlich gestorbenen Kindlein fort.


3) Begrifflichkeiten

Markus nimmt gewisse Unterscheidungen vor und führt Oberbegriffe ein:

Die Patienten unterteilen sich in

- Kranke (ἄρρωστος - arróstos) (Mk 6,5; 6,13)
- Schlechtseiende (κακῶς ἔχοντας - kakōs echontas) (Mk 1,32; 1,34; 2,17; 6,55)
- Geschwächte (ἀσθενέω - astheneó) (Mk 6,56)
- Fehlgehende bzw. Sünder (ἁμαρτωλός - hamartólos) (Mk 2,17)

und die mehrmals genannten Behandlungserfolge vor allem in

- therapiert werden (θεραπεύω – therapeuó) - Mk 1,34; 3,10 (viele), Mk 6,5 (Kranke in Jesu Heimat), Mk 6,13 (Kranke durch die Jünger)
- gerettet werden (σῴζω - sózó) - Mk 5,34 (blutende Frau), Mk 10,52 (Bartimäus)

Teilweise sind Krankheiten oder deren Begleiterscheinungen bezeichnet als

- Gebrechen (νόσος - nosos) (Mk 1,34)
- Geißeln (μάστιξ - mastix) - Mk 3,10 (viele), Mk 5,28-34 (blutende Frau)


4) Übersichten

Patienten und deren Krankheiten

Allgemein
Mk 2,17f - Jesus ist nach seiner Aussage der Heiler der Schlechtseienden und Fehlgehenden (im Gegensatz zu Starken und Gerechten)

Näher dargestellte Patienten
Mk 1,30f - Petrus Schwiegermutter mit Fieber darniederliegend
Mk 1,40ff - Leprakranker
Mk 2,3ff - Paralytiker (Gelähmter) darniederliegend
Mk 3,1 - Mann mit vertrockneter Hand
Mk 5,22-24,35-43 - Töchterlein des Synagogenvorstehers Jairus, die den Letzten hat
Mk 5,25-34 - anonyme Frau mit Blutfluss seit 12 Jahren, die viel leiden musste
Mk 7,32ff - Tauber und Schwersprechender aus der Dekapolis
Mk 8,22ff - Blinder aus Bethsaida
Mk 9,26ff - wie tot seiender Sohn (nach Geistaustreibung)
Mk 10,46ff - blinder Bartimäus

Patienten im Allgemeinen
Mk 1,32 - alle Schlechtseienden von Kafarnaoum
Mk 1,34 - viele Schlechtseiende mit verschiedenen Gebrechen
Mk 3,10 - viele mit Geißeln
Mk 6,5 - wenige Kranke in seiner Heimat
Mk 6,55 - die Schlechtseienden aus dem ganzen Land
Mk 6,56 - die Geschwächten aus Städten, Feldern und Märkten

Mk 6,13 - viele Kranke (als Patienten der Jünger)


Wiederkehrende Behandlungsmethoden

die Hand festhalten und aufstehen lassen
Mk 1,31 - festhalten die Hand und aufstehen lassen (Petrus’ Schwiegermutter)
Mk 9,27 - festhalten die Hand und aufstehen lassen (wie tot seiender Sohn)

Zu Jairus Töchterlein sagt Jesus nur „Steh auf“
Mk 5,41 - festhalten die Hand und sagen: Steh auf! (Tochter von Jairus)

Bemerkenswert ist, dass auch zu anderen Patienten „Steh auf“ gesagt wird, einmal als mögliche Heilbehandlung, die anderen beiden Male vordergründig nur im allgemeinen Sinn

Mk 2,11 – Ich sage: Steh auf … (der Gelähmte)
Mk 3,3 - sagend: Steh auf! (Mann mit vertrockneter Hand in Synagoge)
Mk 10,49 - sagend: Steh auf! (andere rufen dies dem sitzenden Bartimäus zu)

Hände auflegen
Mk 6,5 - Hände auflegen (wenige Kranke in seiner Heimat)
Mk 8,23,25 - Hände auflegen auf Angesicht und Augen (Blinder von Bethsaida)
Mk 10,16 - Kinder bei Segnung

Anrühren bzw. Berühren
Mk 1,41 - Jesus berührt den Aussätzigen
Mk 5,27 - blutende Frau berührt Jesu Gewand
Mk 7,33 - Jesus berührt die Zunge des Schwersprechenden und Tauben

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen