Samstag, 11. Januar 2014

Das Leser- und das sogenannte Jüngerunverständnis


Wenn vom Jüngerunverständnis im Markusevangelium die Rede ist, muss ich zuweilen schmunzeln. Grund hierfür ist einerseits, dass manche Exegeten damit - vielleicht auch unbewusst - anzudeuten scheinen, dass sie im Gegensatz zu den Jüngern Bescheid wissen. Ist dies aber tatsächlich der Fall?
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Mk 8, 17-21: „Und Jesus merkte das und sprach zu ihnen: Was bekümmert ihr euch doch, dass ihr nicht Brot habt? Vernehmet ihr noch nichts und seid noch nicht verständig? Habt ihr noch ein erstarrtes Herz in euch? Ihr habt Augen, und sehet nicht, und habt Ohren, und höret nicht, und denket nicht daran, da ich fünf Brote brach unter fünftausend: wie viel Körbe voll Brocken hobt ihr da auf ? Sie sprachen: Zwölf. Da ich aber sieben brach unter die viertausend, wieviel Körbe voll Brocken hobt ihr da auf ? Sie sprachen: Sieben. Und er sprach zu ihnen: Wie vernehmet ihr denn nichts?"

Bei der Speisung der 5000 blieben also 12 Körbe Brot übrig", bei der Speisung der 4000 waren es 7 Körbe. Die Jünger verstehen den scheinbar geheimen Sinn der Zahlen nicht. Und Sie ? Zwei von mir geschätzte Autoren meinen dazu folgendes:


Friedrich Gustav Lang: „Die meisten Ausleger begnügen sich mit der Auskunft, der Evangelist habe zwei Varianten  der Speisungsgeschichte überliefert bekommen und einfach reproduziert; sie lehnen deshalb auch die aus dem Markus-Kontext naheliegende Lokalisierung der zweiten Speisung in der heidnischen Dekapolis ab. Geht man jedoch davon aus, dass sich der Evangelist etwas gedacht hat, so sind die feinen Unterschiede zwischen beiden Geschichten zu beachten. Sie sind Indizien dafür, dass es sich in 8,1 ff. im Unterschied zu 6,30 ff. um eine Heidenspeisung handelt.

Schließlich gibt die Zahl der Körbe mit den restlichen Brocken zu Spekulationen Anlass. ... die zwölf Körbe, die nach 6,43 bei der ersten Speisung übrigbleiben, auf die zwölf Apostel bezogen und die sieben Körbe von 8,8 auf die sieben Diakone von Apg 6,1. Die beiden Speisungen wären dann als Urbild der Mahlgemeinschaft mit Jesus zu verstehen, im ersten Fall der um die Apostel gescharten judenchristlichen Urgemeinde, im zweiten Fall der aus dem Hellenisten-Kreis um Stephanus hervorgegangenen Heidenchristenheit. Für jeden Apostel und jeden Diakon bliebe ein Korb übrig, gleichsam zur weiteren Verteilung. Für dieses Verständnis lässt sich immerhin anführen, dass nach 8,19 f. die Zahl der Körbe tatsächlich einen geheimen Sinn zu haben scheint. Außerdem waren schon in der Antwort der Syrophönizierin 7,28 das Brot für die Kinder und die Brosamen für die Hunde auf den Anteil von Juden und Helden am Heil zu deuten. Und vielleicht geht es auf dieses Bild zurück, wenn die zwölf Körbe in 6,43 mit Brocken" gefüllt sind, die sieben Körbe in 8,8 aber nur mit „Überresten von Brocken". Alle diese Beobachtungen können für sich allein nicht beweisen, dass es sich in 8,1 ff. um eine Heidenspeisung handelt. Aber gemeinsam und im Kontext von 7,24 ff. legen sie diesen Schluss nahe.

Andreas Bedenbender, Frohe Botschaft am Abgrund, 2013, S. 100 (Anm. 84) kommt zu folgendem Schluss: Die Speisung der 5000 ist als „die Speisung des eschatologischen Israels anzusehen ... Die Speisung der 4000 ... bezieht dann die Heiden in die Verheißung ein." Die Zahlenangaben bedeuten nach Bedenbender folgendes:

Speisung der 5000 - Israel
12 Körbe = 12 Stämme Israels
5 Brote = Pentateuch (5 Bücher Mose)
2 Fische = die 2 Bundestafeln mit den 10 Geboten

Speisung der 4000 - Israel und Heiden
7 Körbe = 7 Völker Kanaans (siehe hierzu 5. Mose 7,1) oder die 70 Völker der Welt (1. Mose 10)
7 Brote = die 7 Noachidischen Gebote


Auch mir scheint, dass Markus eine Speisung von Juden und Heiden mit „geistiger Nahrung" meint. Bei den 12 und 7 Körben neige ich wohl eher zu Bedenbenders Auffassung. Problematisch scheint mir jedoch seine auf den ersten Blick verblüffende Interpretation der 7 Brote als die sieben Noachidischen Gebote, denn meines Wissens ist deren Sieben-Zahl wohl erst mit dem Traktat Sanhedrin seit dem 2./3. Jahrhundert belegt - hierzu Oliver Achilles. Die möglicherweise früheren Quellen, das Buch der Jubileen oder die Apostelgeschichte, kennen jedenfalls die Anzahl 7 noch nicht.

Was ich aber eigentlich mit all dem sagen wollte: Wirklich schlauer als die „unverständigen Jünger" sind wir wohl eher nicht!

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