1) Stets weckte die Gestalt von Judas
Iskarioth nicht nur das Interesse von Theologen, sondern auch von
Dichtern und Künstlern.
Während die kirchliche
Auslegungstradition sich in ihrem Nachdenken über Judas nur zaghaft
vom Bild des verdammten jüdischen Verräters löst, interpretierten
moderne Schriftsteller vor allem im vergangenen Jahrhundert die
Gestalt des Judas Iskarioth radikal neu - etwa als jüdischen
Freiheitskämpfer, der Jesus durch seine Tat zu einem Aufstand wider
die römische Besatzungsmacht herausfordern wollte, oder als einzigen
erleuchteten Jünger, der Gottes Heilsplan durchschaute und ihn im
stillschweigenden Einverständnis mit Jesus durch seine Tat in Gang
setzte.
Während Dante Alighieri sich Judas im untersten Höllenpfuhl
und qualvoll von Luzifer gepeinigt vorstellte, sah Walter Jens in
Judas den allseits verkannten, hervorragenden Jünger, der
uneigennützig die schwere Bürde des göttlichen Helfershelfers auf
sich nahm.
Die Methodik der modernen
Interpretationsansätze ähnelt sich meist. Dabei wird zunächst das
kirchlich tradierte Judas-Bild verworfen, das - so die häufige
Kritik - auf den späteren Evangelisten Matthäus, Lukas und Johannes
beruhend sei, und dem vorgeworfen wird, dass es die Figur des Judas
„verteufele“. Die Darstellung des Judas im Markusevangelium wird
demgegenüber als bruchstückhaft empfunden und aufgrund dessen als
wenig aussagekräftig bewertet. Diese Abkehr von den Quellen erlaubt
nicht wenigen Schriftstellern und Theologen eine Spekulation darüber,
„wie es denn wirklich gewesen sei“, und führt sie schließlich
zum Entwurf eigener neuer Judas-Bilder.
In diesem Beitrag möchte ich diesen
Interpretationen nicht etwa eine weitere hinzufügen, sondern
lediglich eine Einzelheit im Charakterbild des Judas erörtern, wie
man sie im Markusevangelium finden kann. Sie weist meines Erachtens
ein vom Evangelisten sehr deutlich herausgearbeitetes Profil auf.