1) Im
vergangenen Jahrhundert herrschte – wie Stefan Lücking sagen würde –
„ein rein historisches Interesse an den biblischen Texten vor. Sie
wurden nach der historischen ‚Welt hinter dem Text’ befragt, sei es
derjenigen der frühchristlichen Gemeinden oder der des ‚Lebens Jesu’“.
Büchern, die diesem Interesse und dem, was damals als wichtig und
wesentlich galt, nicht gerecht wurden, blieben Wahrnehmung und
Anerkennung häufig versagt. Man meinte, dass sie das eigentliche Thema
verfehlt hätten. Unter diesen wenig beachteten Arbeiten findet sich auch
ein kleines Meisterwerk: Stefan Lückings „Mimesis der Verachteten“.
Wie
der Untertitel besagt, handelt es sich bei dieser Monografie um eine
„Studie zur Erzählweise von Mk 14:1-11“ (dem „Verrat des Judas“ und der
„Salbung von Bethanien“). Obwohl es vor 25 Jahren geschrieben wurde,
zählt es noch heute zu den exaktesten Analysen dieses
Evangeliumabschnitts. Das Buch unternimmt aber weit mehr. Lücking hält
den Leser an, diese Verse aus einer bestimmmten Perspektive in den Blick
zu nehmen. Es ist die Sicht der griechisch-römischen Antike auf die Art
und Weise der literarischen Darstellung, wie sie vor allem durch die
Philosophen Platon und Aristoteles begründet wurde und sich in den
Tragödien und Epen jener Epoche widerspiegelte.
In welchem
Verhältnis steht das Markusevangelium zur Literatur der
griechisch-römischen Antike? Und was für eine Art von Literatur stellt
es dar? Marius Reiser meinte einst, es handele sich bei der markinischen
Erzählung um „hellenistische Volksliteratur“, Eve-Marie Becker ordnete
es der heidnischen Geschichtsschreibung zu, Klaus Berger sah darin vor
allem eine Art antike griechische Biografie.
Gegen diese
beruhigenden Einordnungen zeigt Lücking, dass das Markusevangelium in
mehrfacher Hinsicht mit den Eigenheiten der hellenistischen Literatur
brach und sich von ihr entschieden absetzte. Für die Welt der
griechisch-römischen Literatur war die Erzählung von Markus nicht nur
inhaltlich, sondern vor allem auch in der Art und Weise des Erzählens
etwas Neues, Fremdes und Unerhörtes.