Ein Leser meines Blogs hat mich sehr freundlich gebeten, ob
ich einen „unparteiischen“ Beitrag zum Thema „mythicism“ und „Radikalkritik“
schreiben könnte, also über die Frage, ob Jesus als historische Persönlichkeit
existiert hat. Ich habe dies zunächst wegen mangelnder Kompetenz freundlich
abgelehnt; eine kleine Diskussion über die Taufe von Jesus hat meine Meinung jedoch
geändert. Jedoch möchte ich die Frage nicht im Allgemeinen, sondern an einem ganz
konkreten Beispiel erörtern. Es lautet:
Warum beginnt das Markusevangelium mit Johannes dem Täufer
und warum lässt sich Jesus taufen?
In diesem Beitrag stelle ich fünf Meinungen vor. Zwei davon
beruhen auf der Überzeugung eines historischen Jesus. Die drei anderen radikalkritischen
Positionen weisen jeweils eine bestimmte Typik für diese Denkrichtung auf. Ziel
meines Beitrags ist es nicht, eine eigene Meinung zu äußern, sondern zu zeigen,
aus welchem Grund und mit welchen Positionen die Debatte geführt wird. Persönlich
teile ich keine der vertretenen Sichtweisen in allen Punkten.
1) Das Markusevangelium erzählt die Taufe durch Johannes in
einem einzigen Vers, der wörtlich wie folgt lautet:
1:9 Καὶ ἐγένετο
ἐν ἐκείναις ταῖς
ἡμέραις
ἦλθεν Ἰησοῦς ἀπὸ Ναζαρὲτ
τῆς Γαλιλαίας καὶ ἐβαπτίσθη
εἰς τὸν
Ἰορδάνην
ὑπὸ
Ἰωάννου
1:9 Und (es) geschah in jenen, den Tagen: (es) kam Jesus vom
Nazaret des Galiläa und (wurde) getauft in den Jordan von Johannes.
Den Grund von Jesus’ Kommen gibt Markus nicht an. Wir
erfahren nur, dass Jesus zur „Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Mk 1:4)
kommt und danach „sogleich“ in die Wüste getrieben wird. Ob der Täufer Jesus
als besonderen Täufling wahrgenommen hat, bleibt offen. Auch von einer späteren
„Anfrage des Täufers“ erzählt Markus nichts. Jesus nimmt seine Mission erst
nach der Gefangennahme von Johannes auf (Mk 1:14). Er selbst tauft nicht,
sondern verkündet das Evangelium. Er beruft eigene Jünger (Mk 1:16) oder die
Menschen kommen zu Jesus, „weil sie von seinen Taten gehört haben“ (Mk 3:8).
Die Jünger von Johannes fasten, die Jünger von Jesus nicht (Mk 2:18). Zwar sind
sich der Täufer und Jesus in der Frage der Scheidung/Wiederheirat einig, ihre
Beweggründe sind jedoch verschieden. Der Täufer stützt sich gegenüber Herodes auf
das Gesetz: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben.“ (Mk
6:18) Jesus argumentiert hingegen aufgrund einer Schöpfungsethik: „Von Anfang
der Schöpfung an aber hat er sie als Mann und Frau geschaffen … und die zwei
werden ein Fleisch sein … Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch
nicht scheiden.“ (Mk 10:6)
Schließlich stellt Jesus im Streitgespräch mit der
Jerusalemer Elite eine Gegenfrage: „War die Taufe des Johannes vom Himmel oder
von Menschen? Antwortet mir!“ (Mk 11:30) Die Gegner weichen jedoch aus. Auch Jesus gibt
keine ausdrückliche Antwort.