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Ich habe schon mehrfach geschrieben,
dass ich Markus für einen Pauliner halte. Grund hierfür sind vor
allem zwei Umstände: zum einen das unablässige „Mobbing“ im
Markusevangelium gegenüber Petrus, den „Säulen“ und den Zwölf
und zum anderen eine Vielzahl von Übereinstimmungen mit paulinischen
Sichtweisen, vor allem solche aus dem 1. Korintherbrief.
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Für mich
macht das den meisten Sinn. Warum sonst sollte Markus auch die Jünger
ständig als unverständige „Deppen“ vorführen? Die einzig
glaubhafte Erklärung ist für mich, dass er eben auf der
paulinischen „Gegenseite“ stand, aber dennoch an die Tradition
gebunden war, dass Petrus als erster bzw. wichtigster Jünger Jesu
angesehen wurde, was Paulus selbst schon überlieferte. Die Frage ist
für mich nicht, ob Markus Pauliner war, sondern in welchem Sinn er
es war, denn wir finden ja auch Unterschiede zwischen Markus und
Paulus.
Die Sichtweise, dass Markus Pauliner
war, hat es in der Wissenschaft lange Zeit sehr schwer gehabt und ist
nur vereinzelt aufgetreten. In den letzten zwei, drei Jahren sind nun
mehrere Bücher erschienen, die diese Position vertreten. Ich will
vier Arbeiten in diesem Beitrag ganz kurz vorstellen und freue mich
besonders, dass sich auch ein deutschsprachiges Buch darunter
befindet. Zum Schluss noch ein kleiner Bonus von mir. Zunächst die
vier Bücher:
Eric Kun Chun Wong „Evangelien im
Dialog mit Paulus: eine intertextuelle Studie zu den Synoptikern“,
Vandenhoeck & Ruprecht, 2012
Tom Dykstra, „Mark Canonizer of Paul:
A New Look at Intertextuality in Mark‘s Gospel”, Ocabs Press,
2012
Thomas Nelligan, „The Quest for
Mark‘s sources: An exploration of the case for Mark‘s use of
first Corinthians”, 2012
Bartosz Adamczewski, „The Gospel of
Mark. A Hypertextual Commentary“, Verlag Peter Lang, 2014
1) Eric Kun Chun Wong „Evangelien im
Dialog mit Paulus: eine intertextuelle Studie zu den Synoptikern“
Wong untersucht Fragestellungen, die
die Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas mit Paulus jeweils
gemeinsam haben. In Bezug auf Markus sind es vor allem die Bedeutung
des Begriffs „Evangelium“ sowie dessen Verkündigung bei den
Heiden, die Frage der Reinheit (Römer 14,1ff <-> Markus 7,1ff)
und der Ehescheidung (1. Kor 7,1ff <-> Markus 10,2ff). Wong
kommt zu folgendem Gesamtergebnis: „Danach hat Paulus in allen drei
synoptischen Evangelien Spuren hinterlassen: Markus steht in seiner
Tradition, die er leicht abwandelt, Matthäus polemisiert verdeckt
gegen Paulus, Lukas bewundert ihn und greift Impulse von ihm positiv
auf, aber er verändert sie im Rahmen seiner Theologie.“
Besonders freut mich, dass mit Wong ein
Theologe zu dieser Erkenntnis kommt, den man kaum als jungen „Wilden“
bezeichnen kann. Sein Verständnis der Evangelienquellen entspricht
eher konservativer wissenschaftlicher Sichtweise. Er sieht in Mk
7,1ff; Mk 10,2ff echte Jesusworte, die Markus nur „aufbereitet“
hat. Man muss also keineswegs ein „kritischer
Avantgarde-Theoretiker“ sein, um zur Erkenntnis zu gelangen, dass
Markus Pauliner war. Sehr schön!
2) Tom Dykstra, „Mark, Canonizer of
Paul: A New Look at Intertextuality in Mark‘s Gospel”
Dykstra hat mit „Mark, Canonizer of
Paul“ ein vielbeachtetes Werk vorgelegt. Dykstra hebt vor allem
folgende Gemeinsamkeiten zwischen Paulus und Markus hervor:
- strenge Kreuzestheologie
- Verteidigung der Heidenmission
- Diskreditierung der Jünger, der
Familie von Jesus und der Judäer
- die Bildersprache der markinischen
Hauptgleichnisse vom Sämann und den bösen Weingärtnern (säen,
wachsen, ernten, Frucht bringen sowie „Sohn“ und „Erbe“)
findet sich bereits bei Paulus
- viele Parallelen zum paulinischen
Sprachgebrauch und Anspielungen auf die Beispielhaftigkeit von Paulus
als besonders „dienendem“ Apostel
Ich verweise im Übrigen auf zwei
englischsprachige Besprechungen von Bloggerkollegen
vridar.org: „Mark, Canonizer of Paul“
Als Einstieg und tiefgehender Überblick
zum Thema „Markus und Paulus” ist Tom Dykstras Buch wärmstens zu
empfehlen!
3) Thomas Nelligan, „The Quest for
Mark‘s sources: An exploration of the case for Mark‘s use of
first Corinthians”
Nelligan hat mit dieser Arbeit ein sehr
technisches Werk vorgelegt, das vom Leser aktive Mitarbeit verlangt.
Er vergleicht einzelne Passagen aus dem Markusevangelium und dem 1.
Korintherbrief, arbeitet sprachliche Übereinstimmungen im
griechischen Wortlaut heraus und diskutiert in welcher Form und aus
welchem Grund Markus auf bestimmte Wörter, Wortgruppen oder
Formulierungen im 1. Korintherbrief zurückgegriffen und in sein
Evangelium eingebaut hat. Darüber hinaus verdeutlicht er weitere
thematische Parallelen zwischen Mk und 1. Kor.
Auch ich halte den 1. Korintherbrief
für den für Markus wichtigsten Paulusbrief und habe deshalb
Nelligans Arbeit mit großem Interesse gelesen. Das Buch ist noch
nicht in Papierform veröffentlicht, als Dissertation jedoch beim
Mary Immaculate College der Universität Limerick im elektronischen
Format einsehbar.
4) Bartosz Adamczewski, „The Gospel
of Mark. A Hypertextual Commentary"
Mit diesem Buch versucht Adamczewski zu
zeigen, dass das Markusevangelium ein kreatives „Umschreiben“ von
paulinischen Briefen in erzählerische Form ist. Er sieht Markus 1-7
auf den Galater gegründet, Markus 8-13 auf den 1. Korinther und
Markus 14-16 auf den Philipper. Dabei stellt er durchgängig kleine
Szenen aus den Paulinen und dem Markusevangelium gegenüber, z.B.
„Abschnitt 1.1) Markus 1:1-8 <-> Gal 1:1-12“ usw.
Ich habe dieses Buch noch nicht gelesen
und bin mir noch nicht sicher, ob ich es tun werde. Obwohl ich für dieses Thema offen bin, erscheint mir das von
Adamczewski scheinbar postulierte 1:1-Umschreiben kleiner, genau
definierter Stellen eher unwahrscheinlich. Andererseits: Wer wollte
leugnen, dass der Philipperhymnus (mit kleinen Korrekturen) nicht
eine hervorragende „Arbeitsskizze“ für das Markusevangeliums
hätte abgeben können.
Vier ganz unterschiedliche Autoren mit
verschiedenem Hintergrund und anderer Herangehensweise und einem
Fazit: Markus war Pauliner.
5) Bonus
Man sagt gern, dass Markus und Paulus
eine strenge Kreuzestheolgie verbindet. Ich will kurz zeigen, dass
diese bei Markus noch strenger ist als gewöhnlich angenommen.
Meiner Meinung nach kann man das Markusevangelium auch als „Verwerfung“ der Hoheitstitel Jesu lesen. Markus bringt im Fortgang des Evangeliums einen christologischen Hoheitstitel nach dem anderen ins Spiel, aber er verwirft sie wieder. Zum Beispiel:
Meiner Meinung nach kann man das Markusevangelium auch als „Verwerfung“ der Hoheitstitel Jesu lesen. Markus bringt im Fortgang des Evangeliums einen christologischen Hoheitstitel nach dem anderen ins Spiel, aber er verwirft sie wieder. Zum Beispiel:
Der blinde Bettler, der Sohn des
Timäus, Bartimäus, verkündet Jesus als „Sohn Davids“ (Mk
10,47). In Mk 12,35 widerlegt Jesus aber mittels der Schriften die
Vorstellung, dass der Christus ein Davidssohn sei. Petrus verkündet
Jesus als „Christus“ (Mk 8,29). Aber Jesus gebietet sofort
Schweigen und lehrt die Jünger, dass der „Menschensohn“ leiden
muss. Seit Beginn des Evangeliums wird Jesus von den unreinen
Geistern als „Sohn Gottes“ verkündet, zuletzt bei seinem Tod
auch vom Zenturio, seinem Henker, in Mk 15,39. Von diesen ganzen HOHEITS-Titeln bleibt
also am Ende nichts mehr „übrig“. Der „Davidssohn“ wird widerlegt,
der „Christus“ bzw. „Messias“ muss leiden, der „Sohn
Gottes“ und „König von Israel“ stirbt unter dem Gespött
seiner Feinde.
Der Auferstandene ist bei Markus allein der „Nazarener“ und der „Gekreuzigte“. (Mk 16,6: „Jesus sucht ihr, den Nazarener, den Gekreuzigten? Er ist auferstanden! Er ist nicht hier.“) Nicht der vornehme „Davidssohn“ ist auferstanden, nicht der hochherrliche „Christus“ und auch nicht der übermenschliche „Gottessohn“, sondern der junge Mann im leeren Grab (in dem wir wohl auch Paulus zu sehen haben) verkündet die Auferstehung allein des niedrigen und verachteten „Gekreuzigten“. Ein Niedrigkeitstitel am Ende! Das ist Paulinismus in radikaler Form:
Der Auferstandene ist bei Markus allein der „Nazarener“ und der „Gekreuzigte“. (Mk 16,6: „Jesus sucht ihr, den Nazarener, den Gekreuzigten? Er ist auferstanden! Er ist nicht hier.“) Nicht der vornehme „Davidssohn“ ist auferstanden, nicht der hochherrliche „Christus“ und auch nicht der übermenschliche „Gottessohn“, sondern der junge Mann im leeren Grab (in dem wir wohl auch Paulus zu sehen haben) verkündet die Auferstehung allein des niedrigen und verachteten „Gekreuzigten“. Ein Niedrigkeitstitel am Ende! Das ist Paulinismus in radikaler Form:
1. Kor 1,18: „Denn das Wort vom Kreuz
ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig
werden, ist‘s eine Gotteskraft.“
1. Kor 1,23: „wir aber predigen den
gekreuzigten Christus“
1. Kor 2,2: „Denn ich hielt es für
richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den
Gekreuzigten.“
Gal 3,1: „O ihr unverständigen
Galater! Wer hat euch bezaubert, denen doch Jesus Christus vor die
Augen gemalt war als der Gekreuzigte?“
Phil 2,6ff: „Er, der in göttlicher
Gestalt war, ... entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt ...
Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum
Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht ...“
Thomas Nelligans Arbeit ist 2015 bei Pickwick Publications als Buch erschienen.
AntwortenLöschenThomas Nelligan, „The Quest for Mark‘s sources
AntwortenLöschenist 2015 als Buch erschienen.