Donnerstag, 7. November 2013

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Teil 6 - Halbfinale Lukas-Evangelium – Exegese der Seele

Die Elisabeth bei Lukas und „die gefallene Seele“ der Exegese haben etwas gemeinsam. Mit ihren Gebärmüttern stimmt etwas nicht. Elisabeth kann keine Kinder bekommen und „die gefallene Seele“ nur „ehebrecherische“, die „stumm und blind und krank“ sind. Aber weil Elisabeth fromm vor Gott ist und untadelig in allen Geboten und „die gefallene Seele“ wahrhaftig bereut und in Umkehr und Buße wandelt, wird der liebe Gott, der zudem auch ganz eigene Pläne hat, „Wunder“ und „Heil“ geschehen lassen.

Lukas stellt dieses „Wunder“, die Zeugung Johannes des Täufers, nicht in den Mittelpunkt seines Auftakts. Im Rampenlicht steht bei ihm die Ankündigung dieses Wunders, das Gespräch zwischen dem Angesichtsengel Gabriel und Elisabeths Mann. Jedermann weiß, dass hier ein kniffliges Auslegungsproblem lauert, welches ich mir nicht entgehen lassen will. Warum wird der zweifelnd-nachfragende Zacharias von Gabriel bestraft, aber die späterhin ebenfalls zweifelnd-nachfragende Maria nicht ? Mir scheint, dass eine Antwort darauf mehrere Aspekte zu berücksichtigen hat. Der Wichtigste ist nach meinem Eindruck indes folgender:

Auf den ersten Blick sind sich die Nachfragen von Zacharias und Maria ganz ähnlich. Ersterer fragt: „Woran soll ich das erkennen? Denn ich bin alt und meine Frau ist betagt.Maria: „Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?“ Beide verweisen in der Begründung zu ihrer Frage also auf „biologische“ Hindernisse. Bereits im Wortlaut, den nicht nur die Übersetzung, sondern auch das altgriechische Original hergibt, besteht jedoch ein kleiner Unterschied in den Fragen: „Woran soll ich das erkennen ?“ gegen „Wie soll das zugehen ?“ Zacharias scheint Gabriel zu fragen: „Woran soll ich erkennen, woraus soll ich schließen, dass Deine Worte wahr sind ?“ Marias Frage scheint eher zu bedeuten: „Okay, aber wie und auf welchem Weg soll dies geschehen ? Mal Butter bei die Fische !“ Während Zacharias den Engel und die Wahrheit seiner Verkündigung anzweifelt, ein bestätigendes Zeichen einfordert, will Maria „nur“ ergänzend wissen, in welcher konkreten Form die Prophezeiung in Erfüllung gehen wird, wie sie sich das vorzustellen hat. (Und mal ehrlich: Ich würde ja auch sofort wissen wollen, wer der Vater eines mir prophezeiten Kindes ist und wie´s mit dem Sex und dem ganzen Drumherum dazu so aussieht ! Apropos Drumherum: Gabriel hätte ruhig noch hinzufügen können, dass Josef trotzdem bei Maria bleibt und sich um sie und den Bub kümmern wird ! Aber für solch irdische Muttersorgen hatten die Engel wohl auch kein Gespür ;-) Indiz, dass „Lukas“ keine Frau war ? )

Dass dieses Verständnis zutreffend ist, bestätigen die Antworten des Engels deutlich. Gabriel erläutert Maria die ihr noch unklare Art und Weise des Schwangerwerdens: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten ...“ Im Sinne eines „Dir scheint nicht klar zu sein, mit wem Du hier gerade sprichst, mein Lieber !“ fällt hingegen die Antwort an Zacharias aus: „Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und bin gesandt, mit dir zu reden und dir dies zu verkündigen.“ Ironischerweise liegt in der „Bestrafung“ des Zacharias, seiner Stummheit, zugleich aber das von diesem geforderte bestätigende Zeichen. Die „Strafe“ enthält damit zugleich auch ein Stück Vergebung und nachsichtiges Entgegenkommen für den frommen und gottgefälligen Priester, die hier „ausnahmsweise“ fehlging.

Die Exegese widmet der Heilung der Gebärmutter der Seele hingegen eine ihrer zentralen, fast lehrstückhaften Aussagen: „... dann wird der Vater mit ihr Erbarmen haben; er wird ihren Mutterschoß abwenden von denen der Außenseite und wieder nach innen wenden, so dass die Seele ihre Eigentlichkeit empfängt. Sie, die Mutterschöße der Seele, gleichen nämlich nicht den Frauen. Denn die Mutterschöße des Körpers sind im Inneren des Körpers wie die Eingeweide. Der Mutterschoß der Seele aber umgibt die Außenseite wie die männlichen Geschlechsteile, die außen sind." Man bekommt den Eindruck, dass hier ansatzweise so etwas wie eine Lehre von „Aufbau und Funktion“ der Seele vorgetragen wird. Diese Ausführungen verweisen jedenfalls auf den Auftakt der Exegese, der das Vorhandensein eines Mutterschoßes bzw. einer Gebärmutter der Seele bereits postuliert hatte.

Wenn wir die Exegese der Seele insgesamt überblicken, scheint sie Ausführungen ganz unterschiedlichen Charakters zu beinhalten, z.B.: 1. rein beschreibende Erzählung vom Schicksal der Seele, 2. bildhafte Vergleiche und „theoretische“ Ausführungen über Eigenart, „Aufbau und Funktion“ der Seele, 3. biblische und homerische Schriftzitate zur „Beweisführung“, 4. Aufforderungen zu welt- und Ich-verneinender Demut und Hinwendung zu Gott. Diese verschiedenen Aspekte stehen mehrfach in einem schlecht gelösten Spannungsverhältnis, die Exegese fügte sie häufig eher unharmonisch aneinander. Im Beginn der Exegese begegnet uns diese Dissonanz indes nur in geringem Maß, die bildhaften Vergleiche der Seele mit einer Frau sind hier eine glückliche Verbindung mit der Beschreibung des Seelenschicksals in der Welt eingegangen (Sex sells !), die theoretischen Anspielungen auf die Gebärmutter der Seele und ihre Mannweiblichkeit wirken noch als spannende esoterische Kontrapunkte der Erzählung. Gleichwohl kommt sie über das Niveau einer etwas leicht naiven, wenn auch vom Thema her interessanten Erzählung nicht hinaus.

Peter Zürn hat in seinem Lukas-Tagebuch 2010, Eintrag vom 22.06.2010, sehr schön herausgearbeitet, welch mannigfaltigen biblischen Zitate und Anspielungen die Rede Gabriels an Zacharias beinhaltet: „Was ist denn nun die Botschaft des Engels? Es ist eine zweifache. Da ist einmal das, was er sagt. Und dann ist da die Art, wie er es sagt. Der Engel erweist sich nämlich als schriftgelehrt. Praktisch alles, was er sagt, ist Zitat oder Verweis auf die Heilige Schrift ...“ Ich zitiere Peter Zürn hier nur in einem weiteren, kleinen Auszug, man möge bei ihm selbst weiterlesen:

- Fürchte dich nicht, Zacharias! (erstmals gesagt zu Abram in Gen 15,1; die Konkordanz zur Lutherbibeln gibt anschliessend 20 weitere Belege aus der Tora und 54 aus anderen biblischen Schriften an)
- Denn erhöhrt ist dein Flehen (1 Kön 9,3; 2 Kön 20,5; 2 Chr 7,12; Jes 38,5)
und deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn gebären (mehrmals von Sara gesagt: Gen 17,19.21; 21,2.3.7.9; 24,36; ausserdem Jes 7,14)
- und rufen wirst du seinen Namen: Johannes! (zu Abraham Gen 16,11)
Und Freude wird dir sein und Jubel (Ps 35,27; 45,16; Jes 25,9; Jer 7,34)
- ...


Es ist schon atemberaubend, mit welch schriftstellerischer Raffinesse Lukas diese Rede komponiert hat, ohne dass die alttestamentlichen Verweise den flüssigen Gang und den Zusammenhang der wörtlichen Rede des Engels ins Stocken geraten lassen. Es bedarf daher sicher keiner weiteren Begründung, um den Sieger dieses Halbfinales zu küren !

Mit Lukas steht daher unser erster Finalist fest ! Die apokryphen Herausforderer konnten gegen seine Klasse nichts ausrichten, auch wenn mit der Exegese der Seele ein Text von eigentümlicher Schönheit ganz verdient im Halbfinale stand.

Teil 1 - Einführung
Teil 2 – Viertelfinale: Markus-Evangelium > < Exegese der Seele
Teil 3 – Viertelfinale: Lukas-Evangelium > < Nikodemus-Evangelium
Teil 4 - Viertelfinale Matthäus-Evangelium - Thomas-Evangelium
Teil 4.2 - Viertelfinale Matthäus-Evangelium - Thomas-Evangelium
Teil 5 - Viertelfinale Johannes-Evangelium - "Das ist mein Wort – Alpha und Omega"
Teil 6 - Halbfinale Lukas-Evangelium – Exegese der Seele
Teil 7 - Halbfinale Johannes-Evangelium – Thomas-Evangelium
Teil 8 und Ende - Finale Lukas-Evangelium – Johannes-Evangelium

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