Mittwoch, 8. Mai 2013

Warum sich die Christen für Nero - Teil 4

Teil 4 – Sinnliche Schwärmer

Das weitere Argument von Johann Gottlieb Ernst Mess scheint auf den ersten Blick wenig ergiebig zu sein. Dass die ersten Christen ihren Glauben lediglich sinnlich und schwärmerisch, statt vergeistigt gelebt hätten, mag möglicherweise zutreffen. Es trägt aber kaum zur Erklärung bei, weshalb sie wegen ihrer Schandtaten verhasst waren. Versuchen wir es trotzdem ...

Erst kürzlich las ich irgendwo, dass die Mentalität der frühen Christen eher mit den modernen, leicht überspannten „NewAgern“ und Esoterikern vergleichbar wäre als mit der Mehrheit heutiger aufgeklärter mitteleuropäischer Christen. Der 1. Korintherbrief, der uns einen Blick in das damalige Gemeindeleben eröffnet, bestätigt dies auf eindrückliche Weise.


Wir erfahren aus ihm eingangs, dass die Gemeindemitglieder heillos zerstritten sind (1. Kor 1, 11): „Denn es ist mir bekannt geworden über euch, liebe Brüder, durch die Leute der Chloë, dass Streit unter euch ist. Ich meine aber dies, dass unter euch der eine sagt: Ich gehöre zu Paulus, der andere: Ich zu Apollos, der Dritte: Ich zu Kephas, der Vierte: Ich zu Christus.“

Was sich da im Namen des Herrn versammelt hat, scheint auch nicht eine besonders ehrenwerte Gesellschaft gewesen zu sein (1. Kor 1, 26): „Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, … und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, ... und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist ...“.

Aufgrund dessen sah Paulus auch davon ab, „kluge Predigten“ zu halten (1. Kor 2, 1): „Auch ich, liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit ... und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit.“ (1. Kor 3, 1): „Und ich, liebe Brüder, konnte nicht zu euch reden wie zu geistlichen Menschen, sondern wie … zu unmündigen Kindern in Christus. Milch habe ich euch zu trinken gegeben und nicht feste Speise; denn ihr konntet sie noch nicht vertragen. Auch jetzt könnt ihr's noch nicht ...“

Vielmehr predigte Paulus „das große Geheimnis“, womit wir bereits bei der Esoterik angelangt sind (1. Kor 2, 7): „Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat … Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): 'Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.'“

Wie unsere gegenwärtigen Esoteriker allerlei geheimnisvolle „Chakren“ und unsichtbare „Energien“ haben, so auch der frühe Christ. Er nannte es „Geist“ oder „Geist Gottes“ und dieser offenbarte ihm auch „sein große Geheimnis“ (1. Kor 2, 10): „Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit … So weiß auch niemand, was in Gott ist, als allein der Geist Gottes.“

Für den damaligen Normalbürger – so auch uns heute - waren diese Dinge natürlich unverständlich und verborgen (1. Kor 2, 14): „Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen ...“

Selbstverständlich handelte es sich nicht nur um eine bloße Theorie. So wie die heutige NewAge-Szene allerlei Energieübungen, Rituale und sonstigen Budenzauber kennt, wussten auch die frühen Christen schon von den „Gaben des Geistes“ (1. Kor 12, 7): „In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller; dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem andern wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden ...; einem andern Glaube ...; einem andern die Gabe, gesund zu machen, ...; einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen.“

Besonders beliebt bei unserer exaltierten korinthischen Gemeinde war vor allem die Zungenrede (Glossolalie) im Gebet, ein unverständliches Lallen bzw. unartikuliertes Sprechen, dass als „Engelsrede“ galt. Offenbar glaubten sie, ihre Stimme damit im Chor der Engel zum Lobpreise Gottes zu erheben (1. Kor 14, 9): „So auch ihr: wenn ihr in Zungen redet und nicht mit deutlichen Worten, wie kann man wissen, was gemeint ist? Ihr werdet in den Wind reden. Es gibt so viele Arten von Sprache in der Welt und nichts ist ohne Sprache. Wenn ich nun die Bedeutung der Sprache nicht kenne, werde ich den nicht verstehen, der redet, und der redet, wird mich nicht verstehen.“ Aber auch die Prophetie hatte ihre Liebhaber.

*die heilige Sau rauslassen*

Natürlich redeten diese überspannten Christen kreuz und quer durcheinander (1. Kor 14, 26): „Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeder einen Psalm, er hat eine Lehre, er hat eine Offenbarung, er hat eine Zungenrede, er hat eine Auslegung. Lasst es alles geschehen zur Erbauung ! Wenn jemand in Zungen redet, so seien es zwei oder höchstens drei und einer nach dem andern ... Ihr könnt alle prophetisch reden, doch einer nach dem andern ... Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung ...“

Halten wir kurz ein, um – mit einem Augenzwinkern - Klartext zu reden. Diese ersten Christen hatten schlicht „einen an der Waffel“ und „nicht mehr alle Tassen im Schrank“, es waren Spinner ! Können wir glauben, dass wir mit Rührung einen Gottesdienst dieser Christen besucht hätten ? Wahrscheinlich hätten wir nach 5 Minuten fluchtartig die Gemeinde verlassen ! Auch darüber war sich Paulus offenbar im Klaren (1. Kor 14, 23): „Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen ?“

Hatten sie sonst etwas Liebenswertes an sich, waren fürsorglich in schwesterlicher und brüderlicher Liebe ? Scheinbar nicht einmal beim Abendmahl (1. Kor 11, 20): „Wenn ihr nun zusammenkommt, so hält man da nicht das Abendmahl des Herrn. Denn ein jeder nimmt beim Essen sein eigenes Mahl vorweg und der eine ist hungrig, der andere ist betrunken. Habt ihr denn nicht Häuser, wo ihr essen und trinken könnt ? ... Darum, meine lieben Brüder, wenn ihr zusammenkommt, um zu essen, so wartet aufeinander. Hat jemand Hunger, so esse er daheim, damit ihr nicht zum Gericht zusammenkommt.“

Es wird gern behauptet, dass diese Überspanntheiten lediglich für die Gemeinde in Korinth gegolten hätten. Allerdings überliefert uns die Apostelgeschichte Vergleichbares aus Ephesus (Apg 19, 5): „Als sie das hörten, ließen sie sich taufen auf den Namen des Herrn Jesus. Und als Paulus die Hände auf sie legte, kam der Heilige Geist auf sie und sie redeten in Zungen und weissagten.“

Halten wir deshalb zunächst das „Ergebnis“ von Teil 3 und 4 fest: In den Augen ihrer heidnischen Mitbürger stammten diese frühen Christen aus dem „Bodensatz“ der Gesellschaft, sie besaßen nur geringe Bildung, ihre Vergangenheit war überwiegend unehrenhaft, waren sie nun Prostituierte oder Verbrecher, sie pflegten esoterische Spinnereien und fühlten sich untereinander sowie ihren heidnischen Mitbürgern in selbstverliebter Weise überlegen (1. Kor 4, 6): „Nicht über das hinaus, was geschrieben steht !, damit sich keiner für den einen gegen den andern aufblase. Denn wer gibt dir einen Vorrang ? Was hast du, das du nicht empfangen hast ? Wenn du es aber empfangen hast, was rühmst du dich dann, als hättest du es nicht empfangen ? Ihr seid schon satt geworden ? Ihr seid schon reich geworden ? Ihr herrscht ohne uns ?“ (1. Kor 3, 18): „Niemand betrüge sich selbst. Wer unter euch meint, weise zu sein in dieser Welt, der werde ein Narr, dass er weise werde.“

Es geschah also völlig zu Recht, wenn „normale“ antike Heiden verächtlich auf diese frühe Christen herabblickten, sie als „schändlich“ ansahen und ihre Gepflogenheiten als „Schandtaten“ bezeichneten.

Teil 1 - Einführung
Teil 2 - Waren die Christen wirklich unschuldig ?
Teil 3 - „Sünder und Verbrecher aller Art“
Teil 4 - Sinnliche Schwärmer
Teil 5 - Aufrührer auf dem ganzen Erdkreis
Teil 6 und Ende - Schlussfolgerung

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