Dienstag, 12. März 2013

Warum sich die Christen für Nero - Teil 2

Teil 2 – Waren die Christen wirklich unschuldig ? 

Die Ergebnisse meiner kleinen Recherche möchte ich zugleich unter dem Blickwinkel betrachten, in­wieweit sie ihrer Quelle Tacitus „treu“ geblieben sind und zwar hinsichtlich zweier Grundannah­men:

- an der Brandverursachung trugen die Christen keine Schuld

- wegen ihrer Schandtaten waren sie jedoch beim Volk verhasst und deshalb geeignete Sündenböcke


Unter den Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts fiel mir besonders eine feurige Darstellung von Jean Crespin in dessem „Großen Martyr-Buch“ von 1554 ins Auge, die ich hier übersetzt aus einer Ausgabe von 1682 zitiere: "Ob nun wol diese Verfolgung sich von einer so schändlichen und ab­scheulichen Beschuldigung verursachet hat: so soll doch derhalben niemand mit Gott disputiren und ihn zu Rede setzen/ warum er so einem schändlichen und Sodomithischen Wunderthier (Anm.: ge­meint ist Nero) so eine grosse Macht und Gewalt gebe/ wider so einen unzählbaren Hauffen from­mer und unschuldiger Christen zu wüten und zu toben." Durch diese Zeilen können wir ermessen, über einen wie langen Zeitraum diese herkömmliche Interpretation auf uns gekommen ist, in der Nero als Antichrist (später als Geistesgestörter) und die Christen als unschuldige Opfer dargestellt wurden. Noch in der bekannten Verfilmung von „Quo Vadis ?“ aus dem Jahr 1951 fand sie eine Fortsetzung, die ihrerseits dieses Bild weiter tradierte.

Mit Heinrich Seel begegnet uns jedoch bereits im Jahr 1823 ein Mann mit sicherem historischem Gespür, der Tacitus´ Ausführungen vollständig verwarf: „Zu Nero's Zeiten war das Christenthum noch viel zu sehr im Werden, als daß man irgend eine Erbitterung gegen dasselbe gefaßt haben konnte; unstreitig war es noch nicht über den Bosporus vorgedrungen. ... Die ganze Christenverfolgung unter Nero gehört also ins Reich der Fabeln, obgleich das, was wir davon zu wissen glauben, von einem großen Geschichtsschreiber herrührt."

Nur 13 Jahre später setzte Johann Gottlieb Ernst Mess seine Leser und uns noch heute in wahres Er­staunen. Eingangs räumte dieser Verehrer des römischen Historikers zwar ein, dass sich die ableh­nende öffentliche Haltung gegenüber den Christen auch auf „Missverständnisse“ gründet. Aber dann schlug er zu: „Höchst wahrscheinlich mochte sich auch zu den Christen in Rom viel rohes Ge­sindel, entlaufene Sclaven, Sünder und Verbrecher aller Art, die Aufnahme, Erlösung und Verge­bung zu finden hofften, gesellt haben; auch mochten die meisten aus benachbarten Dörfern und Pro­vinzialstädten zusammenströmen, und die wenigsten darunter eingeborne Römer sein. Aus diesem Allen scheint mir nun auch mit grosser Wahrscheinlichkeit hervorzugehen, dass es mit der gepriese­nen Heiligkeit und grossen Frömmigkeit der ersten Christen nicht so ganz richtig gewesen sei; und dass überhaupt die Christen des ersten Jahrhunderts nicht auf der Höhe gestanden haben mögen, auf welche sie gewöhnlich von unsern Theologen und Kirchenhistorikern … gesetzt werden.“ Ein Hoch auf diesen „Predigtamts-Candidaten“, denn Mess vermochte mit seiner Auslegung – als Einziger wie wir noch sehen werden – seiner Quelle Tacitus wirklich treu zu bleiben und beide Tacitusschen Grundannahmen zu bestätigen: die Unschuld der Christen am Brand, aber auch ihre Schuld auf­grund ihrer „Schandtaten“.


Ernest Renan findet mit seinem 1873 erschienen „Der Antichrist“ vor allem deswegen Erwähnung, weil sich von seinem Standpunkt zwei moderne Interpretationsrichtlinien ableiteten. Nach seiner Darstellung waren die frühen Christen in den Augen der heidnischen Öffentlichkeit wegen ihres an­dersartigen Verhaltens und ihrer eschatologischen Reden vom im Feuer kommenden, herbeigesehn­ten Weltenendes verdächtig. Dabei gelang es Renan besonders gut, das – im Verhältnis zur heidnischen Mitwelt - „andersartige Verhalten“ der Christen konkret zum Brand in Beziehung zu setzen: „The horror with which these latter regarded the temples and the most venerated edifices of the Romans, gave sufficient acceptance to the idea that they were the authors of a fire which had had the effect of destroying these sanctuaries. Their downcast air before the national monuments seemed an insult to the state. Rome was a very religious city, and anyone protesting against the na­tional worship, recognised his mistake very speedily. ... All this provoked the derision and ill-will of the populace ... It may be that the discourses of the Christians on the great final conflagration, their sinister prophecies, their affectation of repeating that the world was about to end, and end by fire, contributed to make them be regarded as incendiaries.“ Renan wich damit von Tacitus ab, weil die Christen gemäß seiner Darstellung zwar unvorsichtig, aber letztlich „unschuldig“ waren. Der Hass der Bevölkerung beruhte nach ihm nicht auf „Schandtaten“, sondern war Ausdruck einer Intoleranz gegenüber abweichendem Verhalten.

Dieses Verständnis greift vor allem die heutige gelehrte Mainstream-Meinung auf, wie sie in popu­lärer Weise beispielsweise bei Ulrich Schwarz („Vor die Löwen“, Spiegel Geschichte 1/2009) nach­gelesen werden kann: „Die Anschuldigung fällt bei den Römern auf fruchtbaren Boden: Die Chris­ten haben einen schlechten Ruf. Die Sektierer gelten als gefährliche Sonderlinge. Sie verehren nur einen Gott, weigern sich, die römischen Staatsgötter anzuerkennen und ihnen zu opfern. Und sie praktizieren ihre Religion im Verborgenen, da diese nicht als 'erlaubte Religion' (religio licita) aner­kannt ist. … Die Geheimniskrämerei der Christen weckt schon bald Argwohn bei der Bevölkerung. Mit der Zeit werden daraus wilde Gerüchte über schändliche Rituale und Orgien sowie abscheuli­che Verbrechen, die die Christen da angeblich im Verborgenen verüben. Die Christiani, so die An­würfe, treiben Zauberei, töten Kinder und planen den Umsturz der staatlichen Ordnung. Da sie die offiziell festgelegte Götterschar ablehnen, gelten sie als Atheisten und gefährlich für das Imperium, dessen Fortbestand schließlich vom Wohlwollen dieser Götter abhängt.“ Die Schwäche dieser Posi­tion beruht indes darauf, dass sie vor allem mit Quellen wie den „Christenbriefen“ von Plinius dem Jüngeren, Minucius Felix´“Octavius“, Celsus´ „Wahre Lehre“ usw. argumentieren, die sich auf die Zeit des 2. oder gar des 3. Jahrhundert beziehen, nicht jedoch auf die Ära von Nero.

Wesentlich origineller erscheint da Carlo Pascals Auffassung aus dem Jahr 1900, nach der die Christen den Brand von Rom wirklich gelegt haben, also zu Recht von Nero beschuldigt wurden. Pascal führte Renans Standpunkt - dem Traum der frühen Christen vom nahen Weltenende – konse­quent weiter und ließ einige christliche Fanatiker die Offenbarung des Johannes vorwegnehmen – den Untergang des teuflichen Rom im reinigenden Feuer der göttlichen Gerechtigkeit: „Se dunque la distruzione dell'impero, l'annientamento dell'Anticristo era il principio della divina giustizia, si ri­chiederà, credo, una volontà ben salda per negare ancora che questi poveri fanatici, forse indotti da eccitamenti malvagi, abbian voluto farla finita con l'impero e con Roma. Il fuoco, il fuoco devasta­tore avrebbe posto fine all'abbominio e rigenerata l'umanità nell'innocenza. Come la potenza della luce era preceduta da quella delle tenebre, e il regno di Dio da quello del mostro, così il fuoco divi­no doveva esser preceduto dal fuoco umano, che avrebbe annientata la sede stessa dell'impero. Gerhard Baudy nahm diese These 1991 mit Verweis auf den Tag des Ausbruchs des Brandes, dem 19. Juli, wieder auf: "Auf eben diesen Tag wurden welterneuernde periodische Katastrophen, Sint­flut und Weltenbrand, datiert; er galt als Geburtstag des Kosmos. ... Die Christen haben das fortge­sponnen, indem sie die Bedeutung des Sirius-Sterns noch überboten: Er stand jetzt für den Anbruch des Reichs Gottes ... Schon vor dem Brand Roms erwartete Paulus ein Weltgericht, das sich durch ein großes Feuer realisieren werde. Aus späteren christlichen Zeugnissen geht hervor, dass Teile der frühchristlichen Bewegung Jesus direkt mit dem aufgehenden Hundsstern identifizierten." 

Hiervon scharf zu trennen ist unser letztes Fundstück aus dem Jahr 1984. Nach Adalberto Giovanni­ni haben die Christen Rom zwar nicht angezündet, aber den Brand als nahendes Weltenende freudig mit Gebeten und Gesängen begrüßt und sich so in der Öffentlichkeit verdächtig gemacht: „La réac­tion des chrétiens de Rome au moment de l´incendie a donc dû être une réaction joyeuse, une ex­pression spontanée de leur foi et de leur espérance enfin réalisées. Ils se seront exprimés par des chants chants et des prières en commun, non pas cachés dans les catacombes comme le décrit Sien­kiewicz dans Quo Vadis, mais ouvertement comme le prescrit l'Évangile de Luc (21, 28).“ Ich weiß nicht so recht, was ich von Giovanninis cleverer Spekulation halten soll. Dass fanatische Christen den Brand freudig begrüßten (oder nach Pascal gar selbst legten), überzeugt mich nicht gänzlich. Zumindest eingänglicher fände ich die These, nach der frühe Christen unmittelbar nach dem Brand den alten Ruf von Johannes dem Täufer und Jesus wiederaufgenommen hätten: „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“


Wenn wir diese Kette teils überraschender und vor allem unterschiedlicher Interpretationen beden­ken, ist vor allem ihr Abweichen von Tacitus als Quelle festzustellen. Obwohl die Tacitussche Dar­stellung kaum als dubios bezeichnet werden kann, wird sie unter Historikern bezogen auf die oben erläuterten zwei Grundannahmen (Christen sind unschuldig am Brand, aber schuldig wegen ihrer Schandtaten) letztlich – entweder vollständig oder jedenfalls hinsichtlich der zweiten Grundannah­me - verworfen. Die Erklärungen der Gelehrten fallen ganz verschieden aus, sind untereinander nicht vereinbar, teilweise hochspekulativ, aber niemand – mit einer klitzekleinen Ausnahme - wollte sich dem Bericht von Publius Cornelius Tacitus anschließen. Außer unsere kleine Ausnahme, außer Johann Gottlieb Ernst Mess ! Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: vermutlich würde ich, wenn ich die Problematik selbst entscheiden müsste, ebenfalls von Tacitus abweichen. Ich bin lediglich erstaunt über die Tatsache, dass dies scheinbar alle Historiker tun - und dazu noch in ganz unterschiedlichen Richtungen. Ich hätte angesichts der Vielzahl der Interpretationen vermutet, dass zumindest eine nicht ganz unbeachtliche Mindermeinung der Quellendarstellung folgt.


Bei kritischer Prüfung des Aufsatzes von Johann Gottlieb Ernst Mess, „Des Tacitus Urtheil über die Christen seiner Zeit oder : 'das Odium humani generis.'“, fällt freilich auf, dass sein Darstellung rei­ne Behauptung blieb und von ihm durch nichts belegt wurde. Aus schierer Bewunderung für seinen abseitigen Standpunkt will ich in einem 3. Teil versuchen, diese Versäumnisse nachzuholen und Nachweise aus der Literatur des 1. Jahrhunderts zu finden, die die Schandtaten der frühen Christen belegen und ihre Verhasstheit im römischen Volk glaubhaft machen. 

Teil 1 - Einführung
Teil 2 - Waren die Christen wirklich unschuldig ?
Teil 3 - „Sünder und Verbrecher aller Art“
Teil 4 - Sinnliche Schwärmer
Teil 5 - Aufrührer auf dem ganzen Erdkreis
Teil 6 und Ende - Schlussfolgerung

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