Dienstag, 1. November 2016

Mythicism, Radikalkritik und Johannes der Täufer


Ein Leser meines Blogs hat mich sehr freundlich gebeten, ob ich einen „unparteiischen“ Beitrag zum Thema „mythicism“ und „Radikalkritik“ schreiben könnte, also über die Frage, ob Jesus als historische Persönlichkeit existiert hat. Ich habe dies zunächst wegen mangelnder Kompetenz freundlich abgelehnt; eine kleine Diskussion über die Taufe von Jesus hat meine Meinung jedoch geändert. Jedoch möchte ich die Frage nicht im Allgemeinen, sondern an einem ganz konkreten Beispiel erörtern. Es lautet:

Warum beginnt das Markusevangelium mit Johannes dem Täufer und warum lässt sich Jesus taufen?

In diesem Beitrag stelle ich fünf Meinungen vor. Zwei davon beruhen auf der Überzeugung eines historischen Jesus. Die drei anderen radikalkritischen Positionen weisen jeweils eine bestimmte Typik für diese Denkrichtung auf. Ziel meines Beitrags ist es nicht, eine eigene Meinung zu äußern, sondern zu zeigen, aus welchem Grund und mit welchen Positionen die Debatte geführt wird. Persönlich teile ich keine der vertretenen Sichtweisen in allen Punkten.

1) Das Markusevangelium erzählt die Taufe durch Johannes in einem einzigen Vers, der wörtlich wie folgt lautet:

1:9 Κα γνετο ν κεναις τας μραις λθεν ησος π Ναζαρτ τς Γαλιλαας κα βαπτσθη ες τν ορδνην π ωννου
1:9 Und (es) geschah in jenen, den Tagen: (es) kam Jesus vom Nazaret des Galiläa und (wurde) getauft in den Jordan von Johannes.

Den Grund von Jesus’ Kommen gibt Markus nicht an. Wir erfahren nur, dass Jesus zur „Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Mk 1:4) kommt und danach „sogleich“ in die Wüste getrieben wird. Ob der Täufer Jesus als besonderen Täufling wahrgenommen hat, bleibt offen. Auch von einer späteren „Anfrage des Täufers“ erzählt Markus nichts. Jesus nimmt seine Mission erst nach der Gefangennahme von Johannes auf (Mk 1:14). Er selbst tauft nicht, sondern verkündet das Evangelium. Er beruft eigene Jünger (Mk 1:16) oder die Menschen kommen zu Jesus, „weil sie von seinen Taten gehört haben“ (Mk 3:8). Die Jünger von Johannes fasten, die Jünger von Jesus nicht (Mk 2:18). Zwar sind sich der Täufer und Jesus in der Frage der Scheidung/Wiederheirat einig, ihre Beweggründe sind jedoch verschieden. Der Täufer stützt sich gegenüber Herodes auf das Gesetz: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben.“ (Mk 6:18) Jesus argumentiert hingegen aufgrund einer Schöpfungsethik: „Von Anfang der Schöpfung an aber hat er sie als Mann und Frau geschaffen … und die zwei werden ein Fleisch sein … Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ (Mk 10:6)

Schließlich stellt Jesus im Streitgespräch mit der Jerusalemer Elite eine Gegenfrage: „War die Taufe des Johannes vom Himmel oder von Menschen? Antwortet mir!“ (Mk 11:30) Die Gegner weichen jedoch aus. Auch Jesus gibt keine ausdrückliche Antwort.