Donnerstag, 18. Juni 2015

Johannes der Täufer und das „Elija-Geheimnis“


1) Die Beurteilung Johannes des Täufers in den Evangelien ist ein anschauliches Beispiel für die Eigenart des Markusevangeliums, das einzigartige Denken von Markus und dessen Art und Weise des Erzählens.

Matthäus, Lukas und Johannes lassen keinerlei Zweifel daran, wie aus ihrer Sicht die Gestalt Johannes des Täufers zu bewerten ist und wie der Leser ihn bewerten soll. Alle drei fällen ein positives und unzweifelhaftes Urteil über den Täufer, das vor allem mit der Stimme des Erzählers wiedergeben oder in den Mund von Jesus gelegt ist.
Kein glorreicher Wundertäter: Elija am Horeb
via davidtlamb.com

Matthäus nennt den Täufer „mehr als einen Propheten“ und identifiziert ihn ausdrücklich mit Elija, dem von Jesaja prophezeiten Prediger in der Wüste und dem von Maleachi angekündigten Wegbereiter (Mt 3,1ff: „Zu der Zeit kam Johannes der Täufer ... Denn dieser ist's, von dem der Prophet Jesaja gesprochen und gesagt hat: 'Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: ...“; Mt 11,7ff … Er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist's, von dem geschrieben steht: 'Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her ... und wenn ihr's annehmen wollt: er ist Elia, der da kommen soll.“)

Lukas lässt nicht nur in den Geburtsgeschichten einen Engel die besondere Rolle des Täufers verkünden (Lk 1,15ff „Denn er wird groß sein vor dem Herrn; ... von Mutterleib an erfüllt werden mit dem Heiligen Geist ... wird vom Volk Israel viele zu dem Herrn, ihrem Gott, bekehren ... wird vor ihm hergehen im Geist und in der Kraft Elias … zuzurichten dem Herrn ein Volk ...“, Lk 1,76ff: „Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest ...“), sondern nennt ausdrücklich seine göttliche Beauftragung (Lk 3,2 „da geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, ...“) und gibt schließlich ebenfalls einige der von Matthäus genannten Punkte wieder (Lk 7,24ff).

Der Evangelist Johannes verdeutlicht ausdrücklich und bereits im Prolog, dass der Täufer der von Gott gesandte Zeuge für Jesus ist (Joh 1,6f: „Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes. Der kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn glaubten ...“) und beschreibt ihn auch nachfolgend in dieser Funktion des Zeugen (Joh 1,29ff „Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, ... Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.“)

Von alledem ist im Markusevangelium nichts zu finden. Das positivste Urteil über den Täufer fällt bei Markus nicht etwa der Erzähler oder gar Jesus, sondern ausgerechnet der Mann, der den Befehl zur Enthauptung des Täufers gibt: „König Herodes“. Markus präsentiert diese positive Beurteilung auch deutlich als dessen persönliche Ansicht (Mk 6,20):

ὁ γὰρ Ἡρῴδης ἐφοβεῖτο τὸν Ἰωάνην, εἰδὼς αὐτὸν ἄνδρα δίκαιον καὶ ἅγιον
er nämlich, Herodes, fürchtete den Johannes, erkennend ihn (als) gerechten und heiligen Mann

Ein weiteres Beispiel: In Mk 11,30 fragt Jesus die „Hohenpriester und Schriftgelehrten und Ältesten“, ob die Taufe des Johannes „vom Himmel oder von Menschen“ war. Die Leser erfahren zwar, dass die Angesprochenen nicht der Meinung sind, sie sei vom Himmel, welche Ansicht Jesus aber selbst zu dieser Frage hat, bleibt offen.

Man versteht, dass der wesentliche Unterschied zwischen Markus und seinen drei Nachfolgern darin besteht, was sie ihren Lesern vermitteln wollen bzw. was nicht. Während Matthäus, Lukas und Johannes dem Leser klar vor Augen führen, was vom Täufer zu halten ist, und – sozusagen - ein kleines Heiligenbildchen von ihm malen, ist der Leser des Markusevangeliums bei der Bewertung des Täufers auf sich allein gestellt und erhält dafür von Markus keine eindeutige Vorgabe. Den entscheidenden Unterschied zwischen Markus und anderen Evangelisten markieren dabei Wörter wie „ausdrücklich“, „unzweifelhaft“ und „unmissverständlich“. Denn genau diese „Eindeutigkeit“ fehlt im Markusevangelium.


2) In seiner DissertationJohn, Elijah, or One of the Prophets: How the Markan Reader understands Jesus through John/Elijah“ aus dem Jahr 2012 hat Donald Stephen Black diese „Unklarheit“ im Markusevangelium sorgfältig untersucht.

Black ist zu der Schlussfolgerung gelangt, dass Markus die Gestalt von Johannes dem Täufer seinen Lesern als „Denkaufgabe“ gegeben hat. Die Erzählung von Markus sei nach Black so angelegt, dass der Leser - indem er gezwungen wird, über die Gestalt des Täufers nachzudenken - befähigt wird, Jesus „richtiger“ zu verstehen. Johannes der Täufer sei nicht nur ein Wegbereiter innerhalb der Erzählung, sondern zunächst einmal außerhalb ihrer, nämlich für den Leser. Dem „Messiasgeheimnis“ des Markusevangeliums stehe ein „Elija-Geheimnis“ zur Seite. Black resümiert:

Der Leser „erwartete wahrscheinlich, dass wenn Elija kommt, er eine glorreiche Gestalt sein würde, die in der Kraft Gottes vorangeht. Was ...“ der Leser „... aus der Erzählung gelernt hat, ist hingegen, dass beide, Elija und der Messias, nicht die Siege hatten, die der Leser erwartete, sondern dass beide den Tod erlitten.

Deutlich tritt dies nach Black u.a. in der Passage Mk 11,27-12,12 hervor. Die „Hohenpriester und Schriftgelehrten und Ältesten“ fragen Jesus nach der Vollmacht seines Handelns. Jesus verknüpft in seiner Antwort die Frage nach seiner Vollmacht mit der Frage der Vollmacht der Johannestaufe. Unmittelbar daran anschließend problematisiert Markus die Tötung der Propheten (Johannes inbegriffen) und von Jesus im Gleichnis von den Weinbauern.


3) Eine der auf den ersten Blick verblüffendsten Interpretationen von Black soll nicht unerwähnt bleiben. Ich will sie mit einer kleinen persönlichen Vorgeschichte verbinden.

Wer hier schon mal gelesen hat, weiß ja, dass mein Vertrauen in die literarische Fertigkeit von Markus schier grenzenlos ist. Wenn etwa im Markusevangelium ein unerwartetes Wort insgesamt nur zwei Mal, wenn auch in weit voneinander entfernten Textpassagen auftaucht, gehe ich in „blindem“ Vertrauen davon aus, dass beide Stellen in irgendeinem Zusammenhang stehen, egal ob sich mir dieser Zusammenhang nun sofort erschließt oder nicht. Ein solches Wort ist auch das Wort „Kamel“. Es begegnet zunächst in Mk 1,6: „Johannes aber trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Lenden und aß Heuschrecken und wilden Honig“. Das zweite Mal in Mk 10,25 anlässlich der Frage des reichen Mannes nach der Auferstehung: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.“ Gefühlte 99,99 % aller Bibelkenner würden sicherlich strikt verneinen, dass beide Stellen irgendetwas miteinander zu tun haben. Ich hingegen war mir dessen stets sicher und dies, obwohl ich keinerlei Sinn darin sehen konnte.

Klarzustellen ist, dass Black auf diese Frage keine Antwort gibt und sie nicht einmal thematisiert. Eine seiner Interpretationen legt jedoch eine Antwort auf diese Frage nahe.

Black's Problem war: Wer ist der Elija, der bei der Verklärung von Jesus auftritt?

Mk 9,2 „Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus, Jakobus und Johannes und führte sie auf einen hohen Berg, nur sie allein. Und er wurde vor ihnen verklärt; 3 und seine Kleider wurden hell und sehr weiß, wie sie kein Bleicher auf Erden so weiß machen kann. 4 Und es erschien ihnen Elia mit Mose und sie redeten mit Jesus ...

Wenn – nach der herkömmlichen Interpretation – Johannes der Täufer Elija ist, wie kann dann plötzlich der „richtige“ Elija bei der Verklärung auftauchen?

Black erörtert in seiner Dissertation alle in Betracht kommenden Möglichkeiten, sieht letztendlich aber eine als vorzugswürdig an. Wer das Thema ernst nimmt, dass Johannes der Täufer der wiedergekommene Elija ist, muss zugeben, dass der „Elija der Verklärung“ nur der auferstandene Täufer sein kann: „To say the figure on the Mount is Elijah in the same way that John is Elijah is to say they are the same person. This would mean that the figure on the mount is not only John revealed, but also John resurrected from the dead.

Das „Kamel“ Johannes wäre danach und zu guter Letzt durchs Nadelöhr ins Reich Gottes gelangt.

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