Teil 3 – „Sünder und Verbrecher aller Art“
Mein Eindruck ist – wie schon in Teil 2 angesprochen -, dass die
gelehrte Mehrheitsinterpretation an einer wissenschaftlichen „Schwäche“
leidet. Um die neronische Verfolgung zu erklären, behauptet sie eine Art
„Intoleranz“ der heidnischen Römer gegenüber dem aufkommenden
Christentum. Diese ablehnende Haltung leitet sie vor allem aus Quellen
her, die aus dem 2. oder gar dem 3. Jahrhundert stammen und sich auf
örtliche Gegebenheiten weitab von Rom beziehen. Der in diesem
Zusammenhang oft angeführte Christenbrief Plinius´des Jüngeren schildert
beispielsweise die Situation in der kleinasiatischen Provinz Bythinien
und Pontus um ca. 110. Für die Verfolgung im Rom des Jahres 64 ist er
damit nur bedingt aussagekräftig und seine Heranziehung eher als
anachronistisch zu bewerten. Aufgrund der nur mangelhaften Quellenlage
ist diese „Schwäche“ jedoch nur allzu gut verständlich.
Auch mein kleiner Versuch wird dieser Schwäche nicht entgehen. Trotzdem
will ich eine Erklärung auf Grundlage von Texten vorschlagen, die man
gewöhnlich dem 1. Jahrhundert zuordnet. Sie sollen sich zudem auf
Gegebenheiten und Ereignisse in der Stadt Rom selbst beziehen bzw.
zumindest auf solche, von denen man plausibel annehmen darf, dass sie in
der Meinungsbildung gewisser stadtrömischer Kreise bis zum Jahr 64 eine
Rolle spielen konnten. Ich beschränke mich daher im Wesentlichen auf
die sogenannten echten Paulusbriefe und die Apostelgeschichte.
Kehren wir zunächst zu Johann Gottlieb Ernst Mess zurück. Sein Urteil
über die frühen Christen stützte er auf zwei Umstände: einerseits
handele es sich bei diesen „um viel rohes Gesindel, entlaufene Sclaven,
Sünder und Verbrecher aller Art“, andererseits sei ihr Glaube
keinesfalls hochstehend geistiger Natur gewesen, sondern „nur sinnlich
und schwärmerisch“. Für beide Behauptungen blieb Mess leider jeden Beleg
schuldig. Reichen wir diesen zunächst für den ersten Punkt nach.